Während das Nichts-Tun im vergangenen Jahr den meisten Kulturschaffenden aufgezwungen wurde, hatte die Arbeitsgruppe N.N. für 2020 genau dies geplant und konnte ihr Projekt im Rahmen der TKI open 20 – Förderung (mit einer Fördersumme von 0€) ohne Probleme umsetzen. Für unseren Weihnachtsbeitrag am 25. Dezember haben wir die lieber anonym bleibenden Projektbetreiber um ein Statement über ihre Eindrücke zur Kulturarbeit im vergangenen Jahr gebeten.
In diesem Sinne verabschieden wir unseren komplex-KULTURKALENDER in die Feiertage. Wir bedanken uns bei euch für eure Aufmerksamkeit und natürlich auch bei allen Kunst- und Kulturschaffenden, die dazu beigetragen haben, dass wir diesen Kalender mit zahlreichen ermutigenden und vielseitigen Geschichten füllen konnten! Ergänzen möchten wir außerdem, dass die hier präsentierten „24 Stimmen aus der Sendepause“ bei Weitem nicht alle Stimmen waren, die wir dieses Jahr aus der Tiroler Kulturszene zu hören bekamen. Danke daher auch an alle Anderen (und das sind Viele!), die mit ihrer wertvollen Arbeit dazu beigetragen haben, dass wir auf Kunst und Kultur trotz Pandemie nicht verzichten mussten!
Das komplex-Team wünscht euch bis zum nächsten Jahr ein paar besinnliche Tage und im Sinne des nachfolgenden Beitrags – viel Erfolg beim „Nichts tun“ (aber bitte nur vorübergehend)!

Liebe Arbeitsgruppe N.N.! Wer seid ihr und was macht ihr?
Wir sind ein loser Zusammenschluss Alter Weißer Männer (kurz: AWM) mit dem Ziel, die Überpräsenz von AWM im Kunst- und Kulturbereich (und allgemein) zu verringern. Deshalb bleiben wir auch grundsätzlich anonym, weil es eben einmal nicht um uns als Einzelpersonen gehen soll. Wir wollen nicht, dass die Aufmerksamkeit auf uns fällt. Und wir sind übrigens offen für alle AWM, die sich uns in diesem Sinn anschließen möchten. Das betrifft übrigens auch alle, die nicht im Wortsinn alt, weiß oder männlich sind – wer auch immer das richtige Mindset mitbringt (also: sich immer selbst vorgedrängelt hat, sich immer selbst in den Mittelpunkt gestellt sowie vergessen und verdeckt hat, dass es viele andere, viel interessantere Standpunkte und Stimmen gibt als den und die eigene, und wer das ändern will), ist bei uns herzlich willkommen!
Wie hat das Coronavirus euer Schaffen – und konkret euer Projekt „Nichts tun“ – beeinflusst?
„Nichts tun“ war und ist natürlich auch inmitten einer Pandemie möglich. Ärgerlich war und ist dabei, dass es wie so viele andere wichtige Anliegen dadurch komplett in den Hintergrund gerückt ist und kaum bemerkt wurde. Aber das wäre ja noch verhältnismäßig leicht zu verschmerzen. Viel schlimmer ist (natürlich neben dem vielfachen riesigen Leid, das die Seuche selbst so vielen Menschen direkt gebracht hat!), dass sie auch ein Wiederauferstehen und Wiedererstarken überkommener und ungerechteter Geschlechterrollenverteilungen bewirkte.
Typischerweise waren und sind es in der überwältigenden Mehrzahl nämlich eben keine AWM, die die wirklich systemrelevante, übrigens viel zu schlecht bezahlte Arbeit etwa im Gesundheits- und Pflegebereich, an den Supermarktkassen etc. unter Gefährdung ihrer eigenen Gesundheit verrichteten. Währenddessen schoben und schieben AWM in der überwältigenden Mehrheit im Homeoffice eine ruhigere Kugel. Und eben auch in den Haushalten waren es in der überwältigenden Mehrzahl eben mal wieder nicht die AWM, die die Mehr-, Doppel- und Dreifachbelastung der Kinderbetreuung zuhause, der Umstellung auf das Arbeiten zuhause sowie der Fürsorge und der emotionalen (Mehr-)Arbeit angesichts der (psychischen) Belastung durch die Pandemie für alle leisteten und leisten und dadurch oft gezwungen waren und sind, das eigene Schaffen zu vernachlässigen. Das lässt sich z.B. im Bereich der Wissenschaft auch mit Zahlen belegen: Die Zahl der veröffentlichten wissenschaftlichen Paper von Nicht-AWM sank mit der Pandemie rapide ab, während bei AWM kein so deutlicher Knick feststellbar war. Und damit haben wir noch gar nicht über den deutlichen Anstieg der so genannten häuslichen Gewalt (die natürlich in der überwältigenden Mehrzahl von AWM ausging und gegen Nicht-AWM gerichtet war) geredet.
Wir sehen also: Jetzt gibt es also mal wirklich viel Sinnvolles zu tun. Und dazu wollen wir AWM auch aufrufen: Statt nichts zu tun, oder noch einen Podcast oder Telegram-Kanal zu gründen, noch einen Feuilleton-Artikel zu schreiben oder bei Servus-TV zu talken: Macht euch nützlich! Putzt mal durch, macht mit den Kindern die Arbeitsblätter, kocht was Feines, habt ein offenes Ohr für eure Mitmenschen. Es gibt so viele Arten für AWM für Nicht-AWM da zu sein!
Wie habt ihr euch persönlich während dieses Jahres gefühlt?
Uns wäre wichtig, dass einmal nicht die Gefühle von AWM im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen, sondern die von allen anderen Menschen, die es eben in der überwältigenden Mehrheit noch weitaus schwerer haben in dieser Ausnahmesituation. Gleichzeitig ist es natürlich gerade für AWM wichtig, Selfcare-Arbeit zu betreiben, die eigenen Gefühle zuzulassen und zu verarbeiten – aber bitte ohne eine großes Tamtam daraus zu machen. Nur wer sich um sich selbst kümmert, kann dann auch anderen solidarisch zur Seite stehen. Wir wünschen uns, dass sich AWM bemühen, zuerst ihre emotionalen Hausaufgaben zu machen und dann für andere da zu sein.
Wie schafft ihr es, in Zeiten der Krise, Leute an eurem Projekt teilhaben zu lassen?
Der Gedanke, dass AWM im Kunst- und Kulturbereich eine Zeit lang besser nichts tun sollten, lässt sich ja auch online verbreiten – vielen Dank euch vom Komplex an dieser Stelle, dass ihr uns die Plattform dafür gebt. Also liebe AWM und alle, die sich so fühlen: Ihr könnt gleich heute damit anfangen, euch uns von der Arbeitsgruppe N.N. anzuschließen: Macht einfach mal keine Kunst- und Kulturprojekte und unterstützt dafür alle anderen, die ihr sonst immer verdeckt habt, denen ihr sonst immer Raum, Zeit, Geld und Aufmerksamkeit weggenommen habt.
Durch das bisher Gesagte ist hoffentlich klar geworden, dass unser Anliegen in der Krise sogar noch an Wichtigkeit gewonnen hat. Das ist uns Motivation genug um weiter AWM zum Nichts tun in künstlerisch-kulturellen Belangen sowie zum Tun bei der Care-Arbeit zu motivieren.
Wie wird es mit „Nichts tun“ 2021 weitergehen?
Das Projekt „Nichts tun“ sollte von Anfangen an nicht auf das Kalenderjahr 2020 begrenzt sein. AWM sind also auch weiterhin herzlich aufgerufen, in unserem Sinn nichts zu tun. Nach einigen tausenden Jahren Patriarchat und dem, was es uns gebracht hat (dass die ganze Seuchenscheiße keine von Außen kommende Katastrophe ist, für die niemand was kann, sondern eine direkte Auswirkung der patriarchal-kapitalistischen Gesellschaft und ihrer rücksichtslosen Ausbeutung allen Lebens auf diesem Planeten, ist ja wohl allgemein bekannt), sollen jetzt mal die anderen übernehmen, gerne für die nächsten paar tausend Jahre. Ihr macht das bestimmt besser!
Hier geht’s zum Projekt „Nichts tun“.