Mit den Öffis nach St. Johann – Der Lehrgang „Klimakultur“ lädt zur Exkursion 

Von 21. September bis 21. Oktober 2023 fand der Lehrgang „Kultur durch Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit durch Kultur„, organisiert von den TKI-Tiroler Kulturinitiativen und dem Klimabündnis Tirol, statt. Aufgeteilt auf fünf Modulen mit unterschiedlichen Schwerpunkten kamen im vergangenen Monat interessierte Akteur:innen sowie Vortragende aus dem Kunst- und Kulturbereich zusammen, die sich Gedanken zur Umsetzung einer klimagerechten Programmgestaltung machen, Erfahrungen austauschen und voneinander lernen wollen. komplex war als Medienpartner dabei und begleitete den Lehrgang u.a. auf eine Kultur-Exkursion in die Tiroler Marktgemeinde St. Johann.

Exkursion zur MuKu St. Johann | Bild: komplex

Wir treffen uns am frühen Morgen im REX von Innsbruck nach St. Johann in Tirol: Eine Gruppe von Akteur:innen in unterschiedlichen kulturellen Arbeitsfeldern, die sich gemeinsam auf eine Exkursion zur Institution Musik Kultur St. Johann – auch bekannt als MuKu –  begeben. Das alles geschieht im Rahmen des Lehrgangs „Kultur durch Nachhaltigkeit – Nachhaltigkeit durch Kultur“, der von den TKI – Tiroler Kulturinitiativen und dem Klimabündnis Tirol initiiert wurde und bei dem es darum geht, „wirksame Veränderungsprozesse im Kulturbereich anzustoßen und den motivierten Akteur:innen Werkzeuge in die Hand zu geben, diese Prozesse in den eigenen Netzwerken umzusetzen sowie Erfahrungen auszutauschen“ – so beschreibt es Barbara Alt von der TKI, die diesen Lehrgang gemeinsam mit Stephanie Rauscher und Lisa Prazeller vom Klimabündnis konzipierte. 

Wenn man in der Tiroler Kulturszene aktiv ist, kennt man die vereinzelten Kultureinrichtungen im ländlichen Raum oft nur vom Namen. So ging es auch mir mit MuKu, denn als Oberländerin verschlägt es mich mit einer Fahrtzeit von fast drei Stunden mit den Öffis nicht gerade oft in den Bezirk Kitzbühel. Umso schöner, dass das 3. Modul des Lehrgangs nicht nur mich, sondern noch zwölf weitere Personen in die Räumlichkeiten der MuKu lockt. Die Zugfahrt gestaltet sich in einer solchen Gruppen-Konstellation recht kurzweilig. Viele nutzen die Zeit für inspirativen Austausch und produktive Vernetzung, wie man das im Kulturbereich so macht, und ehe man sich versieht, wird auch schon die Zieldestination St. Johann als nächster Halt angekündigt. Kaum aus dem Zug ausgestiegen, tut die rurale Umgebung ihre Wirkung und verleiht der Lehrgangs-Atmosphäre ein familiäres Flair. Vor dem Bahnhof erwartet uns Kulturamtsleiterin Isabelle Brandauer und geleitet uns auf dem 15-minütigen Spaziergang bei spätsommerlichen Oktober-Temperaturen persönlich zur Alten Gerberei, die vom Verein MuKu bereits seit über zwanzig Jahren bespielt wird.

Veranstaltungsraum MuKu | Bild: komplex

Der heutige Tag untersteht im Lehrgangs-Programm dem Ziel „motivieren“. Neben der MuKu sind noch weitere Initiativen nach St. Johann geladen, die dort ihre klimafitten Projekte vorstellen sollen. Darunter das Münchner Kollektiv treibgut, Hannes Münsch vom Upcycling Studio und die Einrichtung Kunstbox in Seekirchen am Wallersee, dessen Leiter Leo Fellinger online zugeschalten wird. 

„Ich denke, in erster Linie ist es eine Vorbildwirkung, die von solchen Kulturinitiativen und -einrichtungen ausgeht. Sie zeigen, wie es gehen kann – dass eine Zertifizierung wie das Österreichische Umweltzeichenauf lange Sicht sehr lohnend ist, auch wenn sie einen durchaus aufwendigen Transformationsprozess voraussetzt, wie das Beispiel der Musik Kultur St. Johann deutlich macht.“

– Barbara Alt 

Beim Betreten der MuKu-Räumlichkeiten kommen die ein oder anderen von uns schon ins Staunen. Ausstattung und Einrichtung zeugen von Professionalität und deuten auf die Ernsthaftigkeit hin, mit der die Organisator:innen ihr alternatives Kulturangebot für die 10.000 Einwohner:innen-Gemeinde bereitstellen. Über 300 Veranstaltungen werden hier jährlich abgehalten, da braucht es schon stabile Strukturen und hochwertiges Equipment, das uns Gründer und Leiter der Initiative, Hans Oberlechner, auch mit Stolz beim Rundgang durch das Gebäude zeigt. „Wir sehen uns als sozio-kultureller Nahversorger der Region mit regelmäßigem breitem Programm von Avantgarde bis hin zum Kinder- und Jugendbereich“. 

Ein Bestandteil der MuKu ist das Arthouse Kino. Zuweilen kommt neben dem digitalen 4K Projektor auch noch der 35mm Celluloid Projektor in Einsatz – einer der ganz wenigen, die in Tirol noch funktionieren | Bild: komplex

Geschichten hat Hans Oberlechner viele auf Lager (so viele, dass wir der MuKu wohl noch einen eigenen Beitrag widmen werden). Motivieren tun diese allemal, und das auf mehreren Ebenen. Ausgewählt wurde die Einrichtung als Destination für den Klimakultur-Lehrgang, weil das Team der MuKu von 2020-2023 den Zertifizierungsprozess des Österreichischen Umweltzeichens erfolgreich unterlaufen hat. Was das bedeutet? – Scheinwerfer austauschen, Büromaterial umstellen, bauliche Veränderungen vornehmen, eine Photovoltaik-Anlage installieren, zertifizierte Reinigungsmittel anschaffen, und nicht zuletzt – die beliebten Barsnacks zugunsten regionaler Fairtrade-Produkte ersetzen. „Dass es die herkömmlichen Chips nicht mehr gibt, war für einige Besucher:innen und Mitarbeiter:innen nicht leicht zu akzeptieren“, betont Oberlechner, „mittlerweile kommen die neuen Snacks aber auch total gut an, das war halt ein Gewöhnungsprozess von ein paar Wochen“. Und von denen gab es einige. Wie man sich vorstellen kann, geht ein solcher Zertifizierungsprozess mit vielen Herausforderungen einher. Nicht nur auf organisatorischer, sondern auch auf kommunikativer Ebene. Rund einhundert ehrenamtliche Mitarbeiter:innen der MuKu mussten neu eingeschult werden, dafür wurde ein eigenes Handbuch zusammengestellt. „Einmal jährlich gibt es eine interne Infoveranstaltung, wo jede:r neue Vorschläge zum Nachhaltigkeitskonzept einbringen kann“, sagt Isabell Huter. 

Auch auf inhaltlicher Ebene ist die MuKu darum bemüht, das Thema Nachhaltigkeit in Workshops, Filmvorführungen, Diskussionen usw. einzubringen. „Uns ist es wichtig, dass Klimakultur und Umweltthemen auch in der Programmgestaltung mitgetragen werden, speziell für Kinder und Jugendliche sowie auch für Erwachsene“. So steht vor allem auch die Vermittlung und die Außenwirkung im Vordergrund:

„Das Thema Nachhaltigkeit soll vom Team nicht nur intern gelebt, sondern auch bewusst nach außen kommuniziert werden“. 

Nachdem das MuKu-Team uns mit Tipps zur gelungenen Umsetzung einer Nachhaltigkeitsstrategie – sowie mit einem leckeren saisonalen Mittagsessen – versorgte, wartet auch schon Leo Fellinger von der Kunstbox auf der großen Kino-Leinwand auf uns, der ebenso von dem Zertifizierungsprozess seiner Kultureinrichtung erzählt. Einen erheblichen Aspekt nimmt dabei ein innovatives Mobilitätskonzept ein – und damit ein Thema, das auch die MuKu seit jeher beschäftigt: „Das ist ein großes Problem unseres Nachhaltigkeitskonzepts. Es gibt zwar Bushaltestellen direkt um’s Eck, aber ab 19 Uhr kommt man mit dem Bus von hier nicht mehr weg“, sagt Huter. Und der letzte Zug Richtung Innsbruck könne nach den Abendveranstaltungen meist auch nicht mehr erreicht werden. „Es ist jedenfalls im Interesse von immer mehr Menschen, mit den Öffis anzureisen. Das wäre eindeutig optimierbar“, ergänzt Oberlechner. Die Salzburger Initiative Kunstbox sieht sich mit ähnlichen Problemen konfrontiert und plant daher, eine Mitfahrbörse einzurichten, die direkt an den Ticketverkauf gekoppelt ist. Wenn man Karten für eine Veranstaltung kauft, wird man vom System auch gleich gefragt, ob man eine Mitfahrgelegenheit braucht oder eine anbieten kann. So sollen Fahr-Gruppen automatisch generiert werden. Was es dafür aber braucht, ist die Finanzierung einer dafür geeigneten Software, und für diese ist Fellinger gerade im Verhandlungsprozess mit der Landespolitik. 

Vortrag von treibgut | Bild: komplex

Um Fragen der Finanzierung dreht es sich auch bei den Betreibern, Boris Maximowitz und Florian Gnauck, der Initiative treibgut, die ihr Projekt im Anschluss vorstellen. „Wir sind eine Materialinitiative“ – und was das genau bedeutet, wird sogleich erklärt: treibgut rettet Materialien aller Art vor dem Weggeworfen werden und betreibt dafür einen Umschlagplatz. Dabei handelt es sich hauptsächlich um nicht mehr benötigte Materialien von größeren Institutionen in Kunst und Kultur. Wer im Theater-, Museums- oder Festivalbereich tätig ist, weiß ungefähr, wie viel Material für jede einzelne Produktion anfällt, das nach ein paar Aufführungen oder Ausstellungen wieder entsorgt werden muss.

„Es fehlt oft die Fragestellung – was passiert mit dem Ding danach? Meist wird es dann weggeworfen, weil sich etwas anderes nicht rechnet. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, dafür eine Alternative zu erarbeiten“,

so treibgut, die nun diese Dinge in einem Lager sammelt, sie strukturiert und sie anschließend wieder weitervertreibt – vor allem an die freie Szene, an einzelne Künstler:innen oder auch an Studierende, die sich Materialien im Vergleich zu großen Institutionen oft nur schwer leisten können. So kommt das Ganze in Umlauf, wird wiederverwertet, bringt Nutzen, Freude und spart Energie. Ergänzend dazu ist kürzlich auch die Initiative treibstoff entstanden, die nach dem gleichen Konzept funktioniert, aber sich auf Stoffe und Kostüme spezialisiert. „Es war uns ein Anliegen, in diesem System ein Mikrosystem zu etablieren, das genau diese Fehlstellung ausfüllt, das Danach mitbedenkt und die Materialien wieder in den Kreislauf zurückführt“. Woran es den motivierten Betreibern mangelt, ist – wie so oft – Raum und Geld: „Wenn wir eine größere Fläche hätten, würden wir das gerne ausweiten. Es hängt alles von der Fläche ab, dem Material Raum zu geben und damit auch die Zeit, dort liegen zu bleiben, bis es wieder Verwendung findet“. Was die Finanzierung ihrer Arbeit betrifft, so erhalten sie seit dem letzten Jahr erstmals Förderungen von der öffentlichen Hand, aber noch mit Luft nach oben. 

Vortrag von Johannes Münsch | Bild: Barbara Alt

Mitreden kann da auch Johannes Münsch vom Upcycling Studio, der es mit dem Thema besonders ernst meint. Am Anfang seiner Präsentation verweist er schmunzelnd darauf, dass sogar seine Power-Point-Präsentation unter dem Re-Use-Konzept steht. Nichtsdestotrotz veranschaulichen seine Projekte, wie man mit gebrauchten Materialien oder Abfallprodukten hochwertig, originell und ästhetisch ansprechend Neues bauen kann. Der Kreativität scheinen dabei keine Grenzen gesetzt – ob es eine alte Gondel ist, die als Büroraum umgebaut wird, Friseur-Fönhauben, die als herabhängende Blumentöpfe wieder zum Einsatz kommen oder eine akustisch wirksame Installation aus 17.000 Einweg-Plastikbechern, die heute noch im Haus 41 zu bestaunen ist. „Vom Abfall zum Glücksfall“ lautet da Münschs Devise. Was sich der Architekt für unsere Region in Zukunft wünscht, ist ein Abfallkreislaufsystem, denn jedes Material ist wertvoll und wiederverwertbar, auch wenn es auf den ersten Blick wie Müll ausschauen mag. Für eine solche Umsetzung sieht er sich mit ähnlichen Problemen wie treibgut konfrontiert: „Was die große Hürde ist: Materialien zu lagern verursacht Kosten und dadurch werden sie wieder teuer. Diesen Preis kann man dann gar nicht mehr dafür verlangen“, erklärt Münsch aus eigener Erfahrung, der in seiner Vergangenheit einen solchen Lagerraum bereits einmal privat gemietet hatte:

„Re-Use ist nicht kostendeckend, geschweige denn, finanzierbar. Weil es kein Geld bringt, wird es auch nicht gemacht. Deswegen braucht es dafür Förderungen“.

Für nachhaltige und sinnvolle Maßnahmen wie dieser sollte die Politik Geld und Raum zur Verfügung stellen. Dass es genug Menschen gibt, die dafür Begeisterung zeigen – ob als Betreiber:innen einer solchen Initiative oder als Nutzer:innen, sei gewiss. In Innsbruck haben sich da bereits zwei Vereine etablieren können: Ho&Ruck für gebrauchte Möbel und WAMS hauptsächlich für Textilien. „Für mich gehöre dazu als drittes noch die Materialien- und Baubranche, auch weil die Baubranche der größte Verursacher für Ressourcenverbrauch ist“, betont Münsch, der noch entschlossen an seiner Vision festhält. 

Abschlussrunde in St. Johann | Bild: Barbara Alt

Nach den Vorträgen versammeln sich alle Teilnehmer:innen wieder draußen auf den Liegestühlen zur resümierenden Abschlussdiskussion. Das Motivieren scheint aufgegangen zu sein: Alle sind so vertieft in die Diskussion um die angesprochenen Thematiken, dass wir beinahe unseren Zug zurück nach Innsbruck verpassen. Gerade noch rechtzeitig geschafft, bietet die Fahrtzeit wiederum die Möglichkeit, die Unterhaltungen fortzusetzen, bevor es dann am nächsten Tag zu Modul 4 in der Stadtbibliothek weitergeht. Kommunikationstheoretikerin Franzisca Weder hält dort einen Vortrag zum Thema Klimakommunikation und am Nachmittag stehen Impulsvorträge über nachhaltiges Veranstalten aus der Innsbrucker Szene von Film, Kunst und Theater auf dem Programm.

„Der Kulturbereich trägt meiner Meinung nach Verantwortung für Nachhaltigkeit und Klimagerechtigkeit und kann durch das enorme Potenzial, das in ihm steckt, Inspirationsquelle sein – für einen zukunftsfähigen Wandel“,

zeigt sich Barbara Alt positiv. Dass es möglich ist, eine gute Zukunft für alle zu gestalten, sollen die nachhaltig inspirierenden Inhalte des Klimakultur Lehrgangs deutlich machen. Dass wir dafür in Gemeinschaften auftreten müssen, um Dinge in Bewegung zu setzen, darf dabei nicht vergessen werden. Durch die unterschiedlichen Partizipierenden in diesem Lehrgang – von der freien Szene zu großen Kulturinstitutionen des Landes, vom ländlichen bis zum städtischen Raum und sogar über die Bundeslandgrenzen hinaus – ist damit auch ein bedeutungsvoller Schritt gesetzt, um Menschen zusammenzubringen und einen hoffentlich nachhaltig wirksamen Dialog anzustoßen. 

| Brigitte Egger

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