Die TKI-Tiroler Kulturinitiativen lud am 15. März 2024 ins Alte Kino Landeck zum „Kopfsalat“ ein. Das Veranstaltungskonzept besteht aus einem Ess- und Gesprächsformat, bei diesem sich kulturtätige Personen kennenlernen und sich bei einem gemeinsamen Essen über ihre Arbeitserfahrungen austauschen und vernetzen können. Für unsere Beitragsreihe kultur:los* kam uns dieses Angebot passend entgegen, um einen Einblick in das kulturelle Geschehen der Region Landeck zu bekommen. Wir haben uns mit ein paar der teilnehmenden Initiativen und Akteur:innen aus der Stadtgemeinde Landeck, dem Talkessel und dem Oberen Gericht über ihre Arbeit unterhalten.
*Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Reihe „kultur:los“ über Bedingungen, Chancen und Herausforderung der Kulturarbeit in den ländlichen Tiroler Regionen. Gefördert wird die Reihe von kulturimpulstirol.

Im Eingangsbereich des Kulturzentrums ARGE Altes Kino Landeck trudeln nach und nach die Gäste ein, Namensschilder werden verteilt und erste Bekanntschaften gemacht. „Wir haben gar nicht so viele Anmeldungen erwartet“, zeigt sich Helene Schnitzer (TKI-Geschäftsführerin) überrascht, die sich über das große Interesse aus dem Bezirk freut. Bis auf das anwesende Team von Seiten der TKI (Helene Schnitzer, Andrea Perfler und Marco Trenkwalder) sind für mich noch alle Gesichter neu und von den teilnehmenden Kulturinitiativen aus Landeck war mir bisher nur das Alte Kino bekannt – das übrigens am 6. April gerade erst sein 25-jähriges Jubiläum feierte. Vielmehr wundere ich mich aber darüber, dass sich augenscheinlich einige der Kulturakteur:innen untereinander noch gar nicht zu kennen scheinen. Die Szene im Oberland ist wohl doch größer als gedacht und die Relevanz einer Vernetzungs-Veranstaltung wie „Kopfsalat“ gewinnt dadurch noch mal mehr an Bedeutung.
Nach einer knappen, aber spannenden Vorstellungsrunde, die bereits Aufschluss über die breite Kulturlandschaft der Region gibt, werden drei Diskussionsgruppen gebildet, um jeweils ein Thema zu besprechen, das die Akteur:innen aktuell in ihrer Kulturarbeit beschäftigt. Dabei kristallisieren sich nach einer Umfrage die drei Schwerpunkte a) Sichtbarkeit & Kommunikation, b) Leerstand & Raum und c) Jugendkultur & kulturelle Bildung heraus, die in Einzelgruppen – jeweils von einem:r TKI-Vertreter:in moderiert – intensiv diskutiert werden. Ich hätte am liebsten in alle drei Gruppen hineingeschnuppert, auch um die einzelnen anwesenden Personen und Initiativen dahinter näher kennenzulernen. Schlussendlich habe ich mich aber für das erste Thema entschlossen, weil mir die Frage der Kommunikation auch für meine eigene Kulturarbeit am relevantesten schien. In dieser Diskussionsrunde stellte sich u.a. heraus, dass das Kulturangebot in der Region Landeck sichtbarer kommuniziert und besser aufeinander abgestimmt werden müsste. Viele Initiativen bekommen untereinander oft gar nicht – oder erst zu spät – von den Events der jeweiligen anderen mit. „Es bräuchte eine:n Kümmerer:in, die vor Ort die Initiativen vernetzt“, resümiert Schnitzer – was vielleicht auch bald von Seiten des Talkesselmarketings in die Hand genommen werden könnte, wie es dessen Vertreter Florian Schweiger beim Vernetzungstreffen ankündigte. So würde derzeit an einem Konzept für einen digitalen Kalender für die Region gearbeitet werden, über diesen die Veranstalter:innen ihre Events dann im Vorhinein ankündigen können.
Kultureller Antrieb aus dem Talkessel
Beim Vernetzungstreffen der freien Kulturinitiativen in Landeck waren eben nicht nur Kulturorganisationen und Künstler:innen vertreten, sondern mit Schweiger auch das Talkesselmarketing. Dieses folgt im Grunde dem Konzept des klassischen Stadtmarketings, allerdings ist es in Landeck nicht nur auf die Stadtgemeinde, sondern auf das gesamte Einzugsgebiet des Talkessels ausgelegt (dazu zählen die umliegenden Gemeinden Zams, Pians, Stanz, Grins, Tobadill und Fließ). Es beruft sich dabei auf eine Einteilung der Statistik Austria, die Räume nach verschiedenen Dichtegraden und Zentralitäten klassifiziert und Landeck als regionales Zentrum einstuft, zu diesem nicht nur die gut 8.000 Einwohner:innen der Stadtgemeinde, sondern auch jene der umliegenden Orte zählen (ein Stadtgefüge von insgesamt rund 20.379 Bewohner:innen). „Zwar sind Gemeindegrenzen ein bis heute fortwirkender Identitätsfaktor, in der Realität lebt man hier im Talkessel aber über die Gemeindegrenzen hinaus, man teilt sich gemeinsame Lebensräume“, so Schweiger, der seine Arbeit in der Regionalentwicklung darin versteht, Synergien über Ortsgrenzen hinweg zu denken und zu nutzen. Dabei wird in allen Belangen, von Klimawandelanpassungsmodelle bis hin zum Kulturprogramm eng mit den Nachbarsgemeinden zusammengearbeitet. So etwa auch mit der KuKu – Kunst- und Kulturinitiative Zams, die es zum Ziel hat, kulturelle Vielfalt unter besonderer Berücksichtigung regionaler Kunst- und Kulturschaffender zu fördern. Die von der Gemeinde Zams ausgehende Initiative war beim TKI-Treffen durch Michaela Thöni-Kohler (Autorin und Kräuterexpertin) und Christine Prantauer (Bildende Künstlerin) vertreten. Zusammen mit der Musikerin Miwa Burger zeigen sie sich für das zeitgenössische Zammer Kulturprogramm verantwortlich und stimmen sich dabei inhaltlich und koordinatorisch mit dem Talkesselmarketing ab.

„Bei der Regionalentwicklung geht es nicht nur darum, die Wirtschaft und den Einzelhandel zu stärken, sondern auch, Angebote im Bereich Kultur und Bildung bereitzustellen“, betont Schweiger. Durch Kultur- und Bildungsarbeit will er Potenziale und Stärken der Region aufzeigen. Und dafür bringt der Salzburger quasi als „Auswärtiger“ den richtigen Blick mit:„Ich sehe es in dieser Hinsicht als Vorteil, dass ich kein Tiroler bin, weil eine neutrale Position für meinen Job wichtig ist. Ich kenne keine Geschichten, die lange zurückliegen, ich kenne keine Zugehörigkeiten und kann deswegen sehr authentisch an das große gemeinsame Ganze appellieren.“
Seine Stelle im Talkesselmarketing wurde 2021 eingerichtet und wird von der Stadtgemeinde Landeck, dem Tourismusverband, der Wirtschaftskammer und der Kaufmannschaft finanziert. „Besonders beim Tourismusverband finde ich das bemerkenswert, weil der Talkessel zwar in einem touristischen Epizentrum liegt, dazu im Vergleich aber wenig touristisch ist“, meint Schweiger, „es ist eine super Sache, dass der TVB in diesem Fall Gelder in die Hand nimmt, um die Regionalentwicklung für Einheimische voranzutreiben.“ Und wer weiß, vielleicht lockt ein vielfältiges und qualitatives Kulturprogramm zukünftig auch abseits vom Sportangebot den Tourismus ins Tiroler Oberland.
Hochkarätiges Programm ist jedenfalls mit den horizonte Festwochen Landeck vorprogrammiert, die – bereits vor 19 Jahren gegründet – nun ebenso in den Händen des Talkesselmarketings liegen und von diesem zu neuen Ufern geführt werden wollen. Die Intendanz übernahm der Landecker Opernsänger Martin Lechleitner. Geplant ist eine Reihe von zehn Konzerten – vom hochkulturellen Orchesterkonzert bis hin zu experimentellem Elektrorauschen. Gewidmet ist die diesjährige Ausgabe dem 1808 in Zams geborenen Komponisten Josef Netzer.
Wo Landeck in Zukunft noch aufholen muss, ist im Punkto Nachtleben, wie sich das Talkesselmarketing und KuKu einig sind: „Früher war hier noch viel, viel mehr los“, erinnert sich Thöni-Kohler, die in Landeck aufgewachsen ist und mittlerweile in Zams lebt. In ihrer Jugendzeit hielt sie sich am liebsten in der Galerie Elefant auf: „Das war eine superlässige Galerie, die viele tolle internationale Künstlerinnen und Künstler hergebracht hat. Die Szene war damals richtig gut. Leider wurde das Gebäude irgendwann abgerissen, was schade ist, weil es auch architektonisch sehr interessant war“. Schweiger, der selbst nicht in Landeck aufgewachsen ist, kennt die Galerie Elefant und das rege Nachtleben der Stadtgemeinde nur aus Erzählungen. Diese ermutigen ihn jedoch, da dranzubleiben und Augen sowie Ohren für mögliche Optionen offen zu halten: „Es ist nur eine Frage des Wie – Wie können wir dieses bunte Treiben wieder befeuern?“.
Trotz dieses Mankos hat sich der gebürtige Salzburger zusammen mit seiner Lebensgefährtin für Landeck als Wahlheimat entschieden und will mit seinem nun Beruf selbst dazu beitragen, die Lebensqualität der Region noch zu steigern: „Eine Stadtgröße wie jene von Landeck schien uns als Wohnort recht attraktiv: kurze Wege, Überschaubarkeit, viele Erholungsmöglichkeiten in der Natur sowie auch das kulturelle Angebot, das schon vorhanden ist“. Dieses zählt für den Regionalentwickler eben auch zur Lebensqualität: „In gegenwärtigen Zeiten, in denen große Umbrüche anstehen, ist Kultur als Triebfeder für Neugier, Inspiration und Innovation ein gesellschaftlich wichtiges Feld, das forciert werden muss“.

Um mehrere Menschen am kulturellen Leben teilhaben zu lassen, möchte das Talkesselmarketing vermehrt niederschwellige Zugänge schaffen, etwa durch Konzerte und Kunst im öffentlichen Raum. Auch KuKu, die als Organisation keinen eigenen fixen örtlichen Standort haben, verfolgen ähnliche Ansätze. So fand im April dieses Jahres bereits zum dritten Mal das Blütenfest in den Straßen von Zams statt. „Die Blütenallee ist eine Besonderheit unserer Umgebung, wir wollen die Dinge, die wir haben betonen und den Leuten zeigen, dass sie sich daran freuen können“, sagt Thöni-Kohler. Auch Schweiger sieht ein Potential darin, regionale Besonderheiten in die Konzeption von Kulturprojekten miteinzubeziehen und hervorzuheben: „Auch wenn von den Leuten hier vieles – meiner Meinung nach oft unbegründeter Weise – schlechtgeredet wird, so spürt man durchwegs doch eine starke Verbundenheit der Einwohner:innen mit ihrer Heimatregion. Und wenn man an diese Dinge anknüpft, kann man schon Begeisterung für das ein oder andere Projekt entfachen.“
Schließlich sorgt die starke Verwurzelung mit der Heimatregion auch dafür, dass viele Oberländer immer wieder dorthin zurückkehren. Dies trifft auch auf Thöni-Kohler selbst zu, die ihr Design-Studium und einige ihrer Arbeitsjahre außerhalb, u.a. in München, verbrachte. Schweiger benennt dies als positives Phänomen der „Ausheimischen“ – Personen, die im Laufe ihres Lebens in mehreren Orten ihren Lebensmittelpunkt haben und dadurch wertvolle Erfahrungen von außerhalb wieder zurück in die Heimat tragen.
Winkel, Schloss und Stadel – die neuen Kulturorte im Oberen Gericht
Mit „Oberes Gericht“ ist eine Tallandschaft im Bezirk Landeck gemeint, die innaufwärts von den Ortschaften Faggen bis Pfunds reicht, die Sonnenterasse Ladis, Fiss, Serfaus sowie das Kaunertal umfasst. Damit bildet sie sozusagen das oberste Oberinntal des Tiroler Oberlands und zählt insgesamt über 12.000 EW. In den letzten fünf bis zehn Jahren haben sich in diesem etwas entlegeneren Tal von einem Dorf zum nächsten neue Kulturinitiativen gegründet, wie der Kulturwinkel Prutz, der Kulturverein Sigmundsried, oder Art+130 in Pfunds. Sie alle sind gewissermaßen aus der Gegebenheit ungenutzter und leerstehender historischer Gebäude entwachsen.
Dass Leerstand ein brennendes Thema in Kunst und Kulturbelangen – auch im Oberland – ist, hat ja bereits einer der Diskussionsschwerpunkte der TKI-Vernetzungsveranstaltung bezeugt. Für den Pianner Künstler und Bildhauer, Christoph Waldhart aka Boscoduro ist es auch ein persönliches Thema. Vor fünf Jahren hat er gemeinsam mit seiner Schwester Christine Waldhart (Architektin) in Pfunds, im Jahrhunderte alten Hof- und Wirtschaftsgebäude ihrer Groß- und Urgroßeltern die Initiative Art+130 ins Ortsleben gerufen. Deren Ziel ist es nicht nur, Altbestand zu erhalten und den ungenutzten Räumlichkeiten wieder Leben einzuhauchen, sondern auch einen Raum-Diskurs anzustoßen: “Wir wollen Themen, die spezifisch für den Bezirk Landeck sind und die mit der Realität dort eng verwoben sind, in die Öffentlichkeit bringen.“ Ihr Haus ist nämlich von der sogenannten „Realteilung“ betroffen, die im Tiroler Oberland keine seltene baurechtliche Situation darstellt. Dabei sind Wohnhäuser und andere Wirtschaftsgebäude im Besitz mehrerer Familien, die teilweise auch ganze Stockwerke oder Räume miteinander teilen. Zwar wurde die Realteilung im Oberland ab 1860 für Neubauten verboten, bei älteren Beständen hat sie sich jedoch teilweise bis in die heutige Zeit durch Vererbung gehalten, was nach wie vor zu Problemen führt. Im Falle der Waldharts ist das Haus mittlerweile ganz im Familienbesitz, doch der Stadel ist noch immer geteiltes Gut: „Die Folgen der Realteilung führen oft zu Auseinandersetzungen und leider mitunter auch zum Abriss von Gebäuden“, erzählt Waldhart. „Wir haben uns das aber zum Ziel gesetzt, Themen aufzuarbeiten und weiter zu transportieren und somit auch andere zu ermutigen, alte Gebäude, auch wenn sie nicht unter Denkmalschutz stehen, zu renovieren und Leerstand wieder nutzbar zu machen.“
Die beiden Geschwister haben das Gebäude mittels Ortskernvitalisierungsförderung saniert. Seither finden dort Kunstausstellungen statt, u.a. mit Skulpturen von Boscoduro. Der Künstler nutzt die Räumlichkeiten aber auch, um dort Workshops zur Bildhauerei für Jung und Alt abzuhalten. „Es ist ja einer der ältesten Berufe der Welt, zu dem viele Menschen keinen Bezug mehr haben. Ich möchte dazu einen niederschwelligen Einblick schaffen.“ Einblicke bekommt man auch im Rahmen der „Tage der offenen Ateliers Tirol“, die vom kulturnetzTirol veranstaltet werden, bei dem Waldhart übrigens auch selbst im Vorstand ist: „Mir ist wichtig, nicht nur im stillen Atelier mein Ding zu machen, sondern sowohl junge Leute als auch die älteren, die vielleicht noch nie in einem Museum waren, durch meine Kunst zum Nachdenken anzuregen und ihnen neue Bilder zu geben, über die sie reflektieren können“.

Neben zeitgenössischer Kunst werden im Art+130 auch alte Artefakte ausgestellt. Das Haus hat eine reiche Geschichte. Über die Jahrhunderte wurden darin viele unterschiedliche Berufe ausgeübt. „Diese Geschichte soll weitergegeben werden“, meint Waldhart. So wurde dort ein Raum eingerichtet, in dem gefundene persönliche Utensilien ihrer Groß- und Urgroßeltern aufbereitet sind: „Diese Sachen wollten wir nicht ganz auslagern, damit auch deren Energie noch im Haus bleibt“. Darunter befinden sich etwa Firmenschilder von der Herrenschneiderei ihres Großvaters, alte Skier und Fotos.
Die Kulturarbeit von Art+130 beschränkt sich aber nicht nur auf die privaten Räumlichkeiten in Pfunds, sondern führt auch über die Landesgrenzen hinaus. So hat Christoph Waldhart das „Kulturradeln“ initiiert, das im Juli zum zweiten Mal stattfinden soll. Interessierte Sport- und/oder Kulturbegeisterte sind eingeladen, eine gemeinsame Fahrradtour mit ausgewählten kulturellen Stationen anzugehen. Letztes Jahr führte der Weg vom Bahnhof Landeck-Zams ins Obere Gericht (über den Kulturwinkel Prutz, einer Schafwoll-Weberei in Ried bis nach Pfunds). Heuer soll es von der Schweizer Grenze weg nach Scuol ins Engadin führen und für das nächste Jahr wäre eine Tour im Vinschgau geplant. „Das Format spricht vielleicht auch eine andere Zielgruppe an, die gerne mit dem Rad unterwegs ist, aber die Kultur dabei außen vor lässt und solche Dinge nicht von selbst ansteuert.“ Gleichzeitig sei man mit dem Fahrrad unabhängig und der ökologische Fußabdruck spielt im Hinterkopf natürlich auch mit, wie Waldhart meint. Das Aufbrechen von Grenzen ist für Art+130 ein wichtiges Thema, in diesem sie große Chancen für die häufig als engstirnig abgestempelte Region sehen: „Oft kommt der Antrieb gerade von jungen Leuten, die ein bisschen herumgekommen und wieder in die Region zurückgekehrt sind – es muss nicht unbedingt ein Studium sein, aber wenn man mal eine Zeit lang im Ausland verbracht hat, sieht man andere Kulturen, vergleicht wie andere leben und da hoffe ich schon, dass viele neue und tolle Initiativen bald einen frischen Wind in den bis jetzt recht touristisch-lastigen Bezirk bringen.“
Eine etwas andere Leerstandsnutzung wird bereits seit zehn Jahren vom Verein Sigmundsried betrieben, dessen Mitglieder in der Gemeinde Ried ein mittelalterliches Schloss kulturell und künstlerisch bespielen. Bis in die 70er-Jahre befand sich darin noch das Bezirksgericht, danach gehörte es kurze Zeit dem Bundesheer, bis schließlich der Besitz an die Gemeinde selbst fiel. Daraufhin stand der denkmalgeschützte Gebäudekomplex jahrzehntelang leer, „was schade war, denn das Schloss muss genutzt werden, damit es seinen guten Zustand aufrechterhält“, sagt Vereinsobmann und bildender Künstler Christoph Mathoy.

Angefangen hatte es durch die Initiative von Vizeobmann Günter Patscheider, der nach Zustimmung der Gemeinde die erste Veranstaltung „Graffiti&Unplugged“ organisierte, um das historische Gebäude wieder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – was nicht einfach war, denn die Gemeinde stand der Idee ursprünglich skeptisch gegenüber.
Mittlerweile hat sich „Graffiti&Unplugged“ zu einem jährlich stattfindenden Kunst- und Kulturwochenende etabliert und 2023 bereits das 10. Jubiläum gefeiert. „Es ist unsere größte G’schicht mit ca. 30 Künstlerinnen und Künstler, und somit im Oberen Gericht auch ziemlich das größte Event, das es da im Kunstbereich gibt“, so Mathoy stolz, der in der Burg zuweilen auch seine eigenen Bilder präsentiert. Ihn zog es nach seinem Kunststudium in Linz wieder zurück in seine Heimat im Oberland, wo er nun mit dem Verein Sigmundsried seine Leidenschaft fortsetzt und für kulturelles Angebot in der Region sorgt. „Spots, an denen man zusammensitzen und sich treffen kann gibt es heute kaum mehr, zum Ausgehen hat es früher viel mehr Optionen gegeben“, so der gebürtiger Rieder, „aber dafür haben sich viele neue Initiativen für Kunst und Kultur gegründet – auch in den Nachbarsgemeinden Prutz und Ladis. Das ist eine tolle Entwicklung“. Positiv ist mittlerweile auch der Zuspruch von der Gemeinde und der örtlichen Bevölkerung: „Seitdem wir das Schloss wieder eröffnet haben, wird es jetzt auch von anderen Vereinen gerne für Veranstaltungen genutzt“, so Mathoy, dessen Kulturverein, bestehend aus rund 40 Mitgliedern, bereits einige ehrenamtliche Stunden in kleinere Bauarbeiten und die Verbesserung der Infrastruktur steckte. Trotzdem bleibt es auch für Sigmundsried eine Herausforderung, neues Publikum anzusprechen. Das liegt zum einen an der etwas abgeschiedenen Lage, andererseits auch an der schwachen Besiedelung des Oberen Gerichts. „Wir müssen schon schauen, dass wir wieder mehr jüngere Leute herbekommen, deswegen haben wir uns jetzt auch darauf eingelassen, zusammen mit Jugendlichen eine Rave-Party im Schloss zu veranstalten“, zeigt sich Mathoy optimistisch: „Wenn alles gut funktioniert, könnte das auch eine wiederkehrende Sache werden“. Neu ist auch eine anstehende Kooperation zwischen Sigmundsried und der Südtiroler Initiative ParaBel Artspace: „Die haben uns angeschrieben, und da wollen wir jetzt vermehrt grenzüberschreitend was zusammen machen“. Mehr wird dazu aber noch nicht verraten.
Der „Kopfsalat“ und sein Sättigungslevel
Getrieben von der Neugier, die Kulturakteur:innen der Region persönlich kennenzulernen und sich über gemeinsame Interessen und Herausforderungen auszutauschen, zeigen sich die befragten Teilnehmer:innen allesamt positiv über das TKI-Vernetzungsformat „Kopfsalat“ gestimmt. „Gekannt habe ich natürlich schon viele – zumindest vom Namen oder über E-Mail-Kommunikation. An diesem Abend fand ich es aber fein, auch einmal die Personen dazu zu sehen und Zeit zu haben, allen mal zuzuhören, zu erfahren, was sie bewegt und was sie genau machen“, resümiert Christoph Waldhart. Auch Florian Schweiger vom Talkesselmarketing sah die Veranstaltung als tolle Möglichkeit, Sichtbarkeit und Vernetzung anzutreiben: „Es war vor allem wichtig zu sehen, dass, – auch wenn man sich auf Institutionsebene vielleicht mit Problemen allein fühlt, es doch ein ganz breites Feld an Akteur:innen gibt, die mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Da ist es viel wert, in einer kleinen Region das Potential auszuschöpfen und alle bestmöglich miteinander zu vernetzen“.

Überraschend im negativen Sinn kam für Helene Schnitzer von der TKI der Fakt, dass sämtliche freie Kulturinitiativen im Tiroler Oberland – und vor allem eine so zentrale Infrastruktur wie das Alte Kino seit 25 Jahren rein ehrenamtlich und quasi ohne öffentliche Förderungen geführt werden. Christoph Mathoy vom Kulturverein Sigmundsried nennt dabei auch den bürokratischen Aufwand sowie die Unübersichtlichkeit im Förderdschungel als Herausforderung: „Was das Ansuchen von Förderungen angeht, da sind wir tatsächlich nicht so gut darin, vor allem weil es für uns eine gewisse Hürde darstellt, diese Anträge zu schreiben“. In ihrem Falle werden sie allerdings von Seiten der Gemeinde Ried unterstützt, indem sie die Räumlichkeiten des Schlosses kostenlos nutzen dürfen.
Als weiteres problematisches Thema wurde von mehreren Initiativen, darunter auch dem Alten Kino, das Thema Nachwuchsfindung in der Vereinsarbeit genannt, das sich in einer Abwanderungsregion noch prekärer äußert als in einer Studentenstadt wie Innsbruck. „Das ist ein ganz klassisches Phänomen im Kulturbetrieb, dass Personen an der Spitze stehen, mit denen alles steht und fällt, was gemacht wird“, so Schweiger, der appelliert, das Nachwuchsthema gezielt anzugehen. Gerade im Angesicht des demographischen Wandels sei es in diesem Zusammenhang wichtig, interessante Kulturangebote für Jugendliche bereitzustellen: „Dass junge Leute vermehrt in größere Städte ziehen, ist ein Fakt, dem man hier auch politisch entgegensteuern muss.“
Schlussendlich hat der „Kopfsalat“ wohl einige Gedanken angeregt und die ein oder andere neue Kooperation zwischen den Initiativen angestoßen. „Es ist offensichtlich, dass das Bedürfnis für kulturelle Vernetzung in der Region hoch ist“, folgert TKI-Mitarbeiterin Andrea Perfler. Wir sind gespannt, was sich in Zukunft im Tiroler Oberland kulturell noch tut. Die Geschichten, die wir gehört haben, zeugen jedenfalls von einer sättigenden Portion an Ideen, Motivation und Optimismus.
I Brigitte Egger
