kultur:los | Ein hallbes Jahr hallbierte Kultur: Wie steht es um die Haller Kulturlandschaft?

Wie über Nacht schlug die Nachricht im Dezember ein: Mit der Vorlage des Haushaltsplans für 2024 offenbarte die Stadt Hall in Tirol massive Sparmaßnahmen in vielen Bereichen. Schwer trifft der Budgetentwurf die Kultur-, Sport- und Traditionsvereine der Stadt, deren Subventionen damit um 50 Prozent gekürzt werden. Die international renommierte Haller Kulturszene bangt um ihr Fortbestehen. Die gesamte Tiroler Kulturlandschaft zeigte sich betroffen. Die mediale Berichterstattung prangerte an, der Aufschrei in der Bevölkerung war groß. Was ist in der Zwischenzeit passiert? Das komplex hat sich im Rahmen von kultur:los mit Julia Mumelter vom Kulturlabor Stromboli zur aktuellen Lage unterhalten – und sich bei weiteren der betroffenen Vereine umgehört, welche Folgen die Kürzungen nach sich gezogen haben. Denn damit eröffnet sich mit neuer Brisanz die uralte Debatte um den Wert der Kultur für die Gesellschaft. Es bleibt die Frage: Handelt es sich bei den Beschlüssen um einen notwendigen kurzfristigen Schritt mit Ablaufdatum oder ist es vielmehr eine kurzsichtige Kurzschlusshandlung mit dem Potenzial, die gesamte Haller Kulturlandschaft zu untergraben?

*Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Reihe „kultur:los“ über Bedingungen, Chancen und Herausforderung der Kulturarbeit in den ländlichen Tiroler Regionen. Gefördert wird die Reihe von kulturimpulstirol.

Szenen aus der Vergangenheit? Eine belebte Haller Altstadt. | Foto: Kulturlabor Stromboli

Trauerspiel statt Feierlaune: Die Haller Kulturszene bangt um ihr Fortbestehen

Eigentlich hätte es ein großes Fest werden sollen: Das Kulturlabor Stromboli feiert 2024 sein 35-jähriges Bestehen. Zum Feiern zumute ist in dem kultigen Gebäude in der Krippgasse aber niemandem so recht. Die Zukunft der bedeutenden Haller Kulturinstitution steht auf dem Spiel. Seit im Dezember der Budgetentwurf der Stadt veröffentlicht und im März mit der Subventionszusage fixiert wurde, sind die Geschäftsführerin Julia Mumelter und ihr Team mit einer großen Planungsunsicherheit konfrontiert. „Für uns geht es nicht nur um ein paar Programmkürzungen. Es geht an die Substanz.“

Mit dem Kulturlabor zittern viele weitere Haller Kulturvereine um ihre Existenz. Nach Bekanntwerden der massiven Kürzungen wandte sich ein Zusammenschluss der Vereine als „Forum Kultur Hall“ mit einem Offenen Brief an den Stadtrat mit der Bitte um eine Revision und rief eine Petition für den Erhalt der Haller Kulturlandschaft ins Leben. Die Petition wurde von zahlreichen namhaften heimischen wie internationalen Kulturgrößen unterzeichnet und zählt heute über 7600 Unterschriften. An der Situation hat sich bisher nichts geändert. Vieles ist in der Schwebe. Mit der Kürzung der Kultursubventionen steht die Stadt auch vor einer historischen Kürzung des kulturellen Angebots und einer Abwanderung der großen Kulturinstitutionen.

„Wir wollen keine Front aufziehen – aber so geht es nicht weiter“

Den Wunsch seitens der Stadt, die Gespräche weiterzuführen, gebe es durchaus, erzählt Julia Mumelter. Seit der Veröffentlichung des Budgetentwurfs habe es immer wieder Zugeständnisse gegeben, dass man sich um Lösungen bemühe. Es fand inzwischen ein Gespräch mit dem Bürgermeister statt, das war im Jänner. Im März mit der Subventionszusage waren die Budgets für dieses Jahr dann aber vorerst besiegelt. Ende Mai findet der nächste Kulturausschuss statt. Es bleibt abzuwarten, ob dieser neue Vorschläge bringt.

Abzuwarten und diplomatisch zu bleiben, ist dabei für Mumelter die einzige Option:

„Es wird inzwischen oft so wahrgenommen, als würden sich verschiedene Fronten gegenüberstehen, als ginge es darum, zu streiten, wessen Interessen am wichtigsten sind. Wir wollen keine Fronten aufziehen, es geht um keinen Kampf. Aber wir müssen unsere Anliegen vorbringen und uns für unsere Interessen einsetzen. In unserem Fall ist es einfach eine Tatsache, dass unser Kulturbetrieb so nicht funktioniert, und das kann man ruhig offen sagen. Wir möchten uns für den Fortbestand einer Einrichtung, die seit 35 Jahren Bestandteil und Fixpunkt in der Stadt ist, einsetzen. Mir ist klar: Es steckt keine böswillige Absicht oder dergleichen hinter den Subventionskürzungen. Ich nehme es auch nicht persönlich. Aber ich kann es nicht hinnehmen.“

In der Zwischenzeit wurden für einige Projekte temporäre Lösungen geschaffen – etwa müssen die Vereine, die das Theater im Sudhaus bespielen, bis Jahresende keine Miete zahlen. Die Haller Gassenspiele verlegen ihre Spielstätte nach innen, um trotz des verringerten Budgets ihren Spielplan umsetzen zu können. Das sind Notlösungen, sagt Mumelter. Für die meisten der Vereine fehlen aber konkrete Ausblicke – und das inzwischen seit über einem halben Jahr.

Wiederum andere haben Anfang des Jahres die Reißleine gezogen. Der BurgSommerHall etwa, der den Haller Kultursommer seit 2008 belebt, pausiert 2024.

Julia Mumelter (Kulturlabor Stromboli) | Foto: komplex
Eine Stimme für die Kultur: Das Forum Kultur Hall

Die Haller Kulturvereine zeigen sich solidarisch mit allen, die von den Kürzungen betroffen sind. Gleichzeitig setzen sie sich insbesondere für den Erhalt der Kulturszene ein. Was die Haller Kulturschaffenden besonders auszeichnet, ist ihre Vernetzung und Zusammenarbeit untereinander, die immer wieder neue, spannende und wichtige Projekte hervorbringt. Wie in kaum einer anderen Region ist die Kulturszene von einem Zusammenhalt geprägt, der Konkurrenzdenken eine Absage erteilt und immer wieder versucht, Energien zu bündeln. Das Forum Kultur Hall ist eine informelle Plattform zur Interessensvertretung dieses Halles Kulturlebens. Dem Forum gehören an:

- das Kulturlabor Stromboli als eine der bedeutendsten ganzjährigen Kultur- und Kommunikationszentren der Region (seit 1989)
- die Galerie St. Barbara als eine der bekanntesten Kulturinstitutionen Österreichs, unter anderem durch das renommierte Osterfestival Tirol und die Veranstaltungsreihe musik+ (seit 1968)
- der BurgSommerHall, eine vielfältige Veranstaltungsreihe, die jährlich im Sommer lokale Kulturschaffende wie überregionale Kulturprojekte auf die Burg Hasegg holt (seit 2008; pausiert 2024)
- das Literaturfestival Sprachsalz, das zum 700-Jahr-Jubiläum der Stadt gegründet wurde, als einziges internationales Literaturfestival Österreichs renommierte Literaturstars nach Hall brachte und infolge der Budgetkürzungen 2024 nach Kufstein übersiedelte (seit 2003)
- die Kolpingbühne, die seit über 150 Jahren spannende Theaterproduktionen auf die Bühne bringt, darunter jährlich ein Märchen, das beliebte Faschingsformat „So lacht Hall“ und eine Frühjahrs-Komödie (seit 1867)
- das Theater Szenario, das zeitgenössische Theater- und Kunstformen, Improvisationstheater und Nachwuchs fördert und aktuell aus drei Ensembles besteht (seit 2005)
- das Projekttheater Hall, eine freie Plattform Theaterspielender mit Fokus auf österreichischem Volkstheater sowie zeitgenössischen Theaterproduktionen (seit 1991)
das Theater im Sudhaus im Lobkowitzgebäude, das von den Haller Theaterinstitutionen bespielt wird
- die Haller Gassenspiele, die sich dem Volkstheater und der Komödie verschreiben und jeden Sommer einen ausgewählten Platz in der malerischen Altstadt bespielen (seit 2011)
- die Haller Saitenspiele, die jährlich im Herbst das vielseitige Instrument Gitarre in den Vordergrund rücken und zahlreiche Musikpersönlichkeiten auf die Burg Hasegg holen
- und zahlreiche weitere Initiativen

Das Literaturfestival Sprachsalz zieht Konsequenzen – und 2024 nach Kufstein

Das ebenfalls schon über 20 Jahre mit Hall verwachsene Literaturfestival Sprachsalz ist umgezogen – nach Kufstein. Als Grund dafür nennt das Organisationsteam in einer Aussendung zum Ortswechsel explizit die Budgetkürzungen, die „die Durchführung eines Festivals dieser Größe und Internationalität unmöglich gemacht hätte. Wir sind dankbar für die Unterstützung, die wir in Hall erfahren haben, und bitten um Verständnis für unsere Entscheidung.“ Ein rückwirkendes Einlenken der Stadtregierung lehnten die Organisator:innen aus Solidarität mit den anderen betroffenen Kulturinstitutionen ab. Stattdessen blickt das Team nach vorne, wie Magdalena Kauz, Sprachsalz-Vorstandsmitglied und -Organisatorin, erklärt: „Die Vorbereitungen in Kufstein laufen auf vollen Touren. Es ist eine große Herausforderung, alles neu anzupassen. Aber wir freuen uns darauf und sind sehr guter Dinge.“ In Kufstein sei das Festival herzlich willkommen geheißen worden: „Unser Team freut sich darauf, das Literaturfestival Sprachsalz in Kufstein zu etablieren und eine neue Ära des literarischen Austauschs einzuläuten. Wir sind zuversichtlich, dass wir eine starke und dauerhafte Partnerschaft mit der Stadt Kufstein und ihren Institutionen aufbauen können. Gemeinsam werden wir die literarische Szene in Tirol weiterhin bereichern und ein wie immer unvergessliches Festivalerlebnis für Autor*innen und Leser*innen schaffen.“ An eine Rückkehr nach Hall denken die Organisator:innen aktuell nicht.

Nicht länger zwischen den Stühlen, sondern weitergezogen: Sprachsalz findet ab 2024 in Kufstein statt. | Foto: Sprachsalz / Yves Noir

Große Planungsunsicherheit bei den Haller Kulturvereinen

Für die anderen Vereine bleibt inzwischen vor allem eins: eine große Unsicherheit. Das betrifft insbesondere die Institutionen mit ganzjährigem Programm wie die Galerie St. Barbara, die bereits Jahre im Voraus mit Künstler:innen verhandelt und Programme festlegt. Die Subventionskürzung bedeutet für die bereits seit 1968 tätige Kulturinstitution erhebliche Einschnitte und Planungsunsicherheiten. Es stehe im Raum, ob man für gewisse Veranstaltungen in andere Ortschaften ausweiche. Die 36. Ausgabe des Osterfestivals Tirol konnte positiv umgesetzt werden und das Publikum u.a. mit zahlreichen Erstaufführungen begeistern. Der Erfolg bestärkt das Team, das den Dialog mit der Stadt Hall fortführen möchte und zuversichtlich ist, eine Lösung zu finden. So bilanziert die künstlerische Leiterin des Osterfestivals Tirol und Geschäftsführerin der Galerie St. Barbara Hannah Crepaz: „Wir sehen positiv in die Zukunft und hoffen durch die Gespräche mit der Stadt Hall auf dem Ursprünglichen weiter aufbauen zu können.“

Im Kulturlabor Stromboli wurden für das erste Halbjahr 2024 keine Programmpunkte abgesagt, wie Julia Mumelter erklärt: „Immerhin haben wir Verträge mit den Künstler:innen und sind denen gegenüber auch verpflichtet.“ Vor allem die Planung für die kommenden Jahre leidet unter der aktuell unsicheren Situation: „Wir können nicht nächstes Jahr das ganze Jahresprogramm kurzfristig auf die Beine stellen. Auch für den Herbst ist noch offen, was sich umsetzen lässt. Die tatsächlichen Auswirkungen der Subventionskürzungen werden sich erst zeigen, aber es wird vieles nach sich ziehen.“ Die Geschäftsführerin will auf jeden Fall verhindern, Programme zu streichen, vor allem solche, die eng mit dem Stromboli verwurzelt sind, wie das vielfältige Kinder- und Jugendprogramm. Gleichzeitig wolle man auch etwas Besonderes bieten, es gehe es auch um eine Frage der Qualität und des Erlebnisses. Im Team falle es jedenfalls schwer, mit der gleichen Begeisterung Projekte umzusetzen. Das betrifft auch das Jubiläumsfest, das deutlich kleiner als geplant ausfallen wird. „Normalerweise sprudeln wir nur so vor Ideen. Aktuell ist alles gedämpft. Aber wir lassen uns nicht unterkriegen – auch, wenn die Motivation oft ausbleibt.“ Klar ist für Mumelter aber auch: „Ohne Programm geht es nicht. Wir sparen sowieso an allen Ecken und Enden und arbeiten immer am Limit. Wir können es uns nicht leisten, zu reduzieren und damit zu riskieren, dass uns die Mitarbeiter:innen verlorengehen. Wir machen jetzt jedenfalls keine riskanten Projekte.“

Am Eingang zur historischen Altstadt: das Kulturlabor Stromboli. | Foto: Kulturlabor Stromboli

Zwischen Salzbergwerk und Münzstätte: Die historische Stadt Hall

Was sich heute als charmante Kleinstadt präsentiert, war einst die wichtigste Handelsstadt und bedeutendster Markt- und Umschlagplatz des Landes und weit darüber hinaus. Das Salzbergwerk bildete seit dem 13. Jahrhundert den Mittelpunkt der Industrie und belieferte nicht nur die Region, sondern auch Süddeutschland und die Schweiz mit dem kostbaren Rohstoff. Mit der Verlegung der landesfürstlichen Münzstätte von Meran nach Hall im Jahr 1477 wurde die Rolle Halls als bedeutendste Stadt des Habsburgerreichs zementiert. Die Walzenprägemaschinen aus Hall revolutionierten die Münzprägung und wurden international exportiert. Die Haller Jahrmärkte lockten vom Mittelalter bis in die Neuzeit ein überregionales Publikum und boten alle erdenklichen Waren von Lebensmitteln über Gebrauchsgegenstände bis hin zu Luxusartikeln an. Die Stadt stellte somit auch einen großen Anziehungspunkt für Adel und Klerus wie auch für Künstler:innen und Gelehrte dar.

Spuren aus dieser ruhmreichen Zeit finden sich heute noch in der Altstadt – übrigens die größte erhaltene mittelalterliche Altstadt in Nordtirol. Die zahlreichen Museen, etwa in der Burg Hasegg oder das Münzmuseum, lassen diese Zeit aufleben. Das imposante Stadtarchiv als größtes Gemeindearchiv Österreichs verwaltet unzählige historische Dokumente von der Zeit der Stadterhebung um 1303 bis heute. Für ihren umfassenden Denkmalschutz wurde die Stadt bereits mehrfach ausgezeichnet, die umsichtigen Bemühungen um den Erhalt des historischen Stadtbildes in Kombination mit zeitgenössischen Impulsen sorgen für das besondere Flair, das die Stadt heute umgibt.

Es verwundert nicht, dass eine historisch so vielseitige Stadt auch eine reiche Kulturlandschaft hervorgebracht hat. Die vielen Haller traditionellen wie zeitgenössischen Kulturinstitutionen sind eng verwurzelt mit den geschichtsträchtigen Gebäuden, beleben die altehrwürdigen Hallen der Burg und des Salzlagers, der alten Sudhäuser, und bringen Leben auf das historische Pflaster der Altstadt. Diese lange gewachsene und wesentliche Symbiose der Stadt droht aktuell zunichte zu gehen.

Die Zukunft der Haller Kultur steht auf dem Spiel

Als die Subventionskürzungen publik wurden, äußerte sich eine große Betroffenheit in der Bevölkerung. Auch die Berichterstattung, sowohl in den Lokalzeitungen als auch in überregionalen Medien, schien sich nicht zu erschöpfen. Alle empörten sich darüber, was der Haller Stadtregierung denn einfällt, solche Schritte vorzunehmen. In den bisher erschienen Artikeln der Tageszeitungen und Onlinemedien wird die Stadt mit den Argumenten zitiert, es fehle an Geld aufgrund der Teuerung und gestiegenen Personalkosten, und es werden erhebliche Einbußen bei den Einnahmen erwartet, weswegen dieses Defizit ausgeglichen werden müsse. (Eine konkrete Stellungnahme zu unserer Nachfrage bzgl. der aktuellen Situation haben wir leider nicht aus dem Stadtrat erhalten.)

Fragt man sich nun, warum (neben anderen Kürzungen) gerade bei den (Kultur-)Vereinen gespart wird, kann man sich der Vermutung nicht verwehren, dass hier ökonomische Interessen den Blick auf das Gesamtkonzept verdecken. Wie oft liest man davon, dass sich die Kunst und Kultur ja selbst erhalten müssten. Der Folgesatz einer solchen Aussage ist: Etwas, das nicht Unmengen an Überschüssen generiert (die dann überdies unweigerlich in die Taschen jener fließen, die ohnehin schon genug haben), ist nichts wert. Was übrigens vermutlich auch andere Bereiche betrifft, die von den Kürzungen betroffen sind. Ist das so?

Diese Sichtweise ist in den Kulturbetrieben ohnehin gelebter Alltag: gearbeitet wird unter prekären Beschäftigungsverhältnissen, oft ehrenamtlich, mit großem Einsatz und ökonomisch geringem Output. „Da braucht man schon einen gewissen Idealismus“, beschreibt Julia Mumelter. Dass diese Umstände von einem System hervorgebracht werden, das Kultur weniger fördern möchte als duldet, das ihre Werte auf rein ökonomische reduziert und ihr so nur ein Mindestmaß an Existenzberechtigung zuerkennt, ist nicht schwer zu durchschauen.

Wie gefährlich eine solche Sichtweise anmuten könnte, die der Maxime einer ökonomischen Profitabilität von künstlerischen und kulturellen Leistungen vor dem gesellschaftlichen Wert solcher Unternehmungen Vorrang gibt, zeichnet Julia Mumelter:

„Irgendwann haben wir ein elitäres Kultursystem, in dem nur noch Menschen, die es sich leisten können, in den Kulturgenuss kommen, mit einem Programm, das vollends kommerzialisiert ist und nur den Mainstream bedient.“

Dass hinter einem Kulturbetrieb noch andere Interessen und Werte als geldmäßige stecken, wird bei näherer Betrachtung schnell klar. Da geht es um ein Miteinander, um Diskurs, Ideen, Inspiration, Kreativität, Gestaltung, Wissensvermittlung, Reflexion, Bildung, Meinungsbildung … Werte also, die gerade in einer Gesellschaft, die sich zunehmend isoliert, von großer Bedeutung wären. Es geht nicht um eine selbstgenügsame oder selbstgerechte Kunst, sondern um unabhängige Kunst und Kultur für die Menschen, die neue Perspektiven eröffnen, zum Nachdenken anregen, Gemeinschaft stiften.

Tatsächlich leistet die Kultur auch ökonomisch Nutzbares: Indem sie Arbeitsplätze schafft, Aufträge vergibt, die lokale Wirtschaft ankurbelt. Und es sind gerade die Kulturvereine, die oft einen Schwerpunkt auf lokale Beschaffung legen und damit auch für den Erhalt von anderen regionalen Unternehmer:innen einstehen. Hinzu kommen indirekte externe Effekte, darunter Bildungseffekte, Prestige oder Vermächtniswerte. Die Stadt wird belebt, zieht Urlauber wie einheimische Tagestouristen an, bietet ein Freizeitprogramm für die Bevölkerung und Räume für die Jugend. Die Wertschöpfung, die sich aus der Kultur ergibt, wird gerade im Tourismusland Tirol oft verkannt. Die Kulturangebote unermüdlich arbeitender Kulturschaffender werden zur Selbstverständlichkeit, die Gemeinden heften sie sich sogar plakativ an die Fahnen – wollen dann aber mit einer fairen Förderung und deren Erhalt doch nichts zu tun haben.

Besonders paradox erscheinen die Sparmaßnahmen, wenn man bedenkt, um welche Summen es dabei geht: Die 170.000 Euro, die den Haller Vereinen insgesamt gestrichen wurden, machen 0,3 Prozent des Gesamtbudgets der Stadt aus – für die Vereine aber Welten. Nehmen wir also eine Rechnung, die der ökonomisch geneigte Mensch verstehen kann: Subtrahiert man die Haller Kulturvereine von der Stadt Hall, ist der Verlust wesentlich größer als die 170.000 Euro, die man sich heuer gespart hat.

Immer schon ein Ort für Jugendkultur: Clubbing im Stromboli mit den Soundkillaz. | Foto: Kulturlabor Stromboli

Wie geht es weiter?

Ende Mai findet ein Kulturausschuss im Gemeinderat statt. Ob dieser neue Lösungsvorschläge erarbeiten wird, ist bisher unklar und es wird wohl noch einige Zeit dauern, bis etwaige Änderungen in Kraft treten. Es bleibt für die Haller Vereine zu hoffen. Sollte die selbsternannte Kulturstadt Hall langfristig an einer solchen Beschneidung des Kulturbudgets festhalten, wird die dermaßen drastische wie unvermittelte Kürzung und bereits eingetretene Kulturabwanderung wohl eher zum Armutszeugnis als zum schlauen Schachzug für den Gemeindehaushalt. Ein besserer Ausgang für die aktuell missliche Situation wäre jedenfalls, wenn die Kulturschaffenden und die verantwortlichen Entscheidungsträger:innen in der Stadt vielleicht doch noch zu einer gemeinsamen Lösung kommen.

Bis dahin: Alles Gute zum 35. Geburtstag, liebes Kulturlabor Stromboli!

I Julia Zachenhofer

Statt eines Nachworts: Stellungnahme von Heinz D. Heisl, Obmann Sprachsalz: 
„Zu Hall, zur Kürzung des Kulturbudgets ...“

Wenn eine Kulturstadt keine mehr – oder sagen wir, nicht mehr so richtig – sein möchte, muss ich persönlich einen solchen Entschluss der Verantwortlichen akzeptieren. Schadet das der Reputation der Stadt? Kann durchaus sein. Vergrämt so ein Schritt jene Einwohnerinnen und Einwohner, die stolz sind, in einer Kulturstadt zu leben? Wird wohl so sein.

Kultur kostet. Einzusparen bei der Kultur kostet womöglich noch mehr. Ist es eine durchdachte Aktion, bei der Kultur den Rotstift anzusetzen, um der Schieflage im Finanzhaushalt „Herr zu werden“? Ich bezweifle das. Wir von Sprachsalz stellen uns solidarisch in die Reihe der Enttäuschten. Um noch einige Sätze zu Sprachsalz, dem wohlgemerkt in Österreich einzigen internationalen Literaturfestival anzuführen: Die Budgetkürzung wirkt – ohne Umschweife gesagt – , für das Festival, seinen Umfang und der daraus resultierenden internationalen Strahlkraft – zerstörend. Ein internationales Netzwerk zu Autorinnen und Autoren wie zum diesjährigen Nobelpreisträger Jon Fosse, der Nobelpreisträgerin Herta Müller, John Cleese, Stewart O’Nan und vielen weiteren wird mit SPRACHSALZ für Hall verloren gehen. Angemerkt sei zum Abschluss: Das Kurator*innen-Team arbeitet seit 21 Jahren ehrenamtlich und bilanzierte in all den Jahren ausgeglichen. Der Zuspruch des großen Bank-Austria-Preises 2011 untermauerte die Qualität von SPRACHSALZ; das gesamte Preisgeld von € 70.000,00 wurde dem Festival-Budget beigefügt. Dass diese Erfolgsgeschichte nicht reicht, um ein sowieso nicht gerade üppiges Budget zu erhalten, ist für eine Kulturstadt bedauernswert.

Hier geht’s zur Petition: nein zu #HALLbiert

Hier geht es zum Offenen Brief der Tiroler Kulturinitiativen (TKI) anlässlich des Beschlusses der Subventionskürzungen.

Die 35-Jahr-Feier des Kulturlabors Stromboli „Meuterei und Bounty“ findet am 7. und 8. Juni statt.

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