kultur:los | Wie man einen Platz für alle schafft: zwei Vorzeigeprojekte im Bezirk Kitzbühel

Unsere Beitragsreihe „kultur:los“ verschlägt uns diese Woche an den östlichen Rand des Landes, genauer gesagt nach Kitzbühel und St. Johann. Außerhalb seiner Grenzen ist der Bezirk Kitzbühel vor allem für Luxus und Reichtum bekannt, für die er aber gleichermaßen einen hohen Preis bezahlt: Leistbarer Wohnraum wird kontinuierlich knapper, abseits der touristischen Hauptsaisonen lichten sich die Ortskerne. Dieser Entwicklung wirken Institutionen wie der Verein Musik Kultur St. Johann seit Jahrzehnten entgegen, indem er als kultureller Brennpunkt der Region Treffpunkte schafft und ein vielseitiges Kunst- & Kulturprogramm bietet. Das komplex hat sich nun auf die Suche nach jungen Institutionen im Bezirk Kitzbühel begeben, die das kulturelle Leben auf dem Land vorantreiben und hochmotiviert sind, einen Beitrag für die Belebung des Gemeinschaftsgedankens zu leisten. Mit dem Kulturcafé Kitzbühel KC750 und der Homebase St. Johann haben wir zwei Leuchtturmprojekte für partizipative Begegnungsorte gefunden.

*Dieser Beitrag erscheint im Rahmen der Reihe „kultur:los“ über Bedingungen, Chancen und Herausforderung der Kulturarbeit in den ländlichen Tiroler Regionen. Gefördert wird die Reihe von kulturimpulstirol.

Die Terrasse des KC750 vor dem alten Gemäuer des Museumsturms. | Foto: Bernd Breitfellner

Von Kaffeekultur bis Kulturevents: Das KC750

Durch die Vorderstadt kommend, vorbei an den bunten Häuserfassaden, altehrwürdigen Hotels, glitzernden Schaufenstern, dem hohen Turm der Katharinenkirche und den fast schon mediterran wirkenden Gastgärten, geht es vor dem Jochberger Tor nach rechts: Zwischen Museum und Bezirkshauptmannschaft befindet sich seit seiner Eröffnung 2022 das Kulturcafé Kitzbühel KC750. Nach dem Eintritt eröffnet sich ein Blick auf das Sgrafitto des Künstlers Matthias Bernhard, das Gewölbe zum Keller schmücken Fresken von Wolfgang Capellari. Im vorderen Bereich wartet eine moderne Bar mit gemütlichen Sitzgelegenheiten, im Veranstaltungsraum links ist Jubel und Musik aus dem DJ-Pult, das auf der Bühne aufgebaut wurde, zu hören. Draußen wartet Bernd Breitfellner, der Projektleiter des Kulturcafés, auf der sonnigen Terrasse, an die einen kleinen Park angrenzt. Das Wetter ist schön, die Terrasse ist voll, auch auf den Parkbänken und auf der Wiese haben es sich viele gemütlich gemacht. „Wir befinden uns hier im Museumsturm, dem ältesten erwähnten Gebäude von Kitzbühel“, erklärt Bernd Breitfellner, „mit einem gotischen Gewölbe, das aus dem 15. Jahrhundert stammt.“ Das war auch die Ursprungsidee und der Arbeitstitel für das KC750: Ein Lokal für junge Leute im ältesten Gebäude der Stadt.

Die Besonderheit: Das Café wird von der Stadtgemeinde betrieben. Eröffnet wurde es anlässlich der 750-Jahr-Feier der Stadt, im April 2022. Dem vorangegangen ist eine Konzept-, Projekt- und Umbauphase von knapp 5 Jahren, die mit einer Jugendumfrage gestartet wurde. „Die Umfrage wurde mit dem Sozialsprengel und dem Jugendzentrum durchgeführt. Es wurde deutlich, dass es einen Bedarf gibt für Räume, die speziell auf junge Menschen ausgerichtet sind“, schildert Bernd Breitfellner. Diese wurden in der Folge auch eingeladen, sich in der Projektgruppe einzubinden. Dem Aufruf folgten rund 30 bis 40 Jugendliche und junge Erwachsene. Die Ideen flossen allesamt in das Konzept ein: Es soll ein Treffpunkt werden, ein Kaffeehaus, eine Bar, die aber gleichzeitig keinen Konsumzwang fordern, ein Veranstaltungsraum mit Bühne für Konzerte, für Ausstellungen, ein Versammlungsort für Vereine.

Das Kulturcafé KC750 bietet Raum für Konzerte und vieles mehr. | Foto: Helmut Lackner

Heute bildet das KC750 all diese Wünsche ab. Allerdings nicht nur für Jugendliche: „Wir haben uns dann entschlossen, das Café konzeptuell für die gesamte Bevölkerung zu öffnen, um niemanden von vorneherein auszuschließen – somit heißt es jetzt nicht Jugend-Kulturcafé, sondern Kulturcafé. Das passt auch zum Ambiente, zum Historischen, und zum Kulturbetrieb. Der Leitspruch ist: Tagsüber Kaffeehauskultur, abends Barkultur, mit Fokus auf Kulturveranstaltungen.“ Die Bezeichnung kombiniert die Teilbereiche des Lokals: einerseits den Gastronomiebetrieb, andererseits das Kulturprogramm. „Am Vormittag, wenn das Café öffnet, stehen oft schon einige Pensionist:innen vor der Tür, die sich zum Kaffeeklatsch treffen. Die Terrasse ist ein Anziehungspunkt für Jung und Alt. Auch Tourist:innen haben das Lokal für sich entdeckt. In der Programmgestaltung, am Abend und vor allem am Wochenende schauen wir aber, dass vor allem die Jugend angesprochen wird und gestalten kann, oder es gibt ein generationenübergreifendes Programm.“

„Alle können sich einbringen und mitgestalten“

Immer wieder dringen die Musik und die offensichtlich gute Stimmung aus dem Eventraum nach draußen. „Die Party hat heute schon am frühen Nachmittag begonnen“, erklärt Bernd Breitfellner. „Die Berufsschule für Handel und Büro feiert ihren Schulabschluss. Wir haben vereinbart, dass die DJs auch später nochmal Programm machen, dann wird es öffentlich für alle noch ein lässiger Abend.“ Das ist Teil des Konzepts, erzählt er: Die Räume können von Vereinen oder Privatpersonen kostenlos in Anspruch genommen werden. Jede:r kann anfragen und die Räumlichkeiten nutzen – egal, ob für Konzerte, Ausstellungen, Pub Quiz, Vorträge, Spieleabende oder Geburtstagspartys. Der Fokus liegt dabei auf der Förderung der lokalen Kunst und Kultur. In der laufenden Dauerausstellung werden aktuell Werke des Fieberbrunner Künstlers Alexander Groiss präsentiert.

Das Team des Kulturcafés bei der Eröffnung im April 2022, umrahmt von Bernd Breitfellner (l.) und Bürgermeister Klaus Winkler (r.) | Foto: Obermoser

Daneben organisiert das Projektteam weitere Veranstaltungen mit bekannten überregionalen Acts: Es fanden schon Konzerte von Ernst Molden oder Nino aus Wien statt oder ein Kabarett mit David Scheid. Auch der Tagebuchslam hat letztes Jahr schon einmal Halt im Kulturcafé gemacht.

„Wir wollen vor allem die lokale Szene fördern, gleichzeitig setzen wir in der Programmgestaltung selbst Akzente. Es soll ein Miteinander sein, in dem sich jede:r einbringen kann“,

fasst Bernd Breitfellner zusammen. Deswegen sind die Räumlichkeiten eher reduziert und „mobil“ eingerichtet: Sodass sie schnell je nach Bedürfnis umgestaltet werden können. Dabei werden nicht nur die Innenräume genutzt, auch der Park und die Altstadt: „Wir hatten schon Yoga im Park, Tischtennisturniere, Picknicks, Barbecues oder Spielenachmittage mit Musik. Für größere Open-Air-Veranstaltungen können wir den Hof der Bezirkshauptmannschaft mitbenutzen. Morgen findet das Straßenkunstfest in der Altstadt statt. Es werden alle Räume rundherum genutzt.“ Kooperationen gibt es auch mit anderen Institutionen in der Stadt: So finden gemeinsame Aktionen wie das Platzlsingen mit der angrenzenden Volksschule statt, die Räumlichkeiten werden auch von der Landesmusikschule für Auftritte und Bandcontests genutzt. Die Küche des Altenwohnheims beliefert das Lokal täglich frisch mit kleinen Häppchen und Snacks.

Eine lockere Atmosphäre inmitten der noblen Altstadt

Dass die Räumlichkeiten für die Bevölkerung zur Mitgestaltung gratis angeboten werden können, hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass der Betrieb des Cafés durch die Stadt erfolgt. Die Location bietet die Möglichkeit für eine konsumfreie Zone, gleichzeitig ist die Gastronomie fixer Bestandteil jeder Veranstaltung. „Der Kultur- und Eventbereich wird durch den Barbetrieb mitgetragen, nur so lässt sich das Lokal finanzieren. Daneben braucht es für Veranstaltungen ja auch einen gastronomisches Service.“ Der Anspruch ist dabei aber, gemäßigte Preise zu bieten: „Wir wollen einen hohe Qualität bieten mit einer Preisgestaltung, die im Kitzbühel-Vergleich sehr moderat ausfällt. Hier ist alles leger, ein paar Meter weiter findet sich wieder die gehobene Klasse. Das kann beides gut nebeneinander existieren.“ Wichtig ist Bernd Breitfellner auch der Ganzjahresaspekt: „Im Winter, wenn überall viel los ist, gibt es in vielen Lokalen Konzerte oder Unterhaltungsprogramm. Wir möchten ein ganzjähriges Kulturprogramm bieten und die Gestaltung durch lokale Künstler:innen ermöglichen.“

Beeinflusst die Stadt dabei, in welche Richtung das Programm gehen soll? Im Gegenteil, meint Bernd Breitfellner: „Es ist genau das Anliegen der Stadt, Räume zu schaffen, wo jede:r sich und seine Ideen einbringen kann. Ich glaube sogar, dass die Gefahr bei privaten Pächter:innen weitaus größer wäre, dass das Konzept schnell aus wirtschaftlichen Gründen verwaschen wird. Zudem wäre die Finanzierung des Umbaus in dem denkmalgeschützten Gebäude sicher nur schwer möglich gewesen für eine:n private:n Betreiber:in.“

Zum aktuellen Zwei-Jahres-Jubiläum zieht der Projektleiter Bilanz:

„Inzwischen hören wir von vielen Seiten: Wie war das eigentlich, als es das Kulturcafé noch nicht gegeben hat? Es ist so, als wäre es schon immer dagewesen. Aus der Stadt ist es gar nicht mehr wegzudenken.“

Kitzbühel: Wo der Tourismus zuhause ist

Zwischen dem Pass Grießen und der Hohen Salve, am Fuße des Wilden Kaisers und mit freiem Blick auf das Kitzbüheler Horn – das ist nicht nur meine Heimat, sondern auch Schauplatz multipler gegensätzlicher gesellschaftlicher Entwicklungen. Wie kaum eine andere Region hat der Bezirk seinen Wohlstand auf den Tourismus gebaut, vorangetrieben durch die Innovationen unerschrockener Skipionier:innen und entschlossener Unternehmer:innen. Als beliebte Region für die Sommerfrische ab Mitte des 19. Jahrhunderts baute sich die Stadt Kitzbühel einen Ruf als Wintersportzentrum auf: 1928 wurde die erste Seilbahn am Hahnenkamm eröffnet, seit 1931 wird das inzwischen legendäre Hahnenkammrennen ausgetragen. Mit dem steigenden Renommee zogen Ruhm und Glanz in die Bezirkshauptstadt. Als ultimativer Anziehungspunkt für besonders wohlhabende Gäste locken heute vor allem die Stadt Kitzbühel und ihre umliegenden Gemeinden mit Luxus, Glamour und Hotspots für die High Society.

Die Kehrseite dieser Medaille sind seit Jahren kontinuierlich gestiegene Preise in allen lokalen Wirtschaftsbereichen. Diese betreffen nicht zuletzt die Einheimischen, auf die sich die Teuerung vor allem im Bereich Wohnen auswirkt. Die Gemeinden können diese mit ihren Bemühungen um gemeinnützige Wohnprojekte bisweilen nur bedingt abmildern. Es scheint, der Wohnraum wird sukzessive einem zahlungskräftigem Klientel aus dem Ausland überlassen: Mit einer Zweitwohnsitzquote von 41,2 Prozent übersteigt der Bezirk deutlich den tirolweiten Durchschnitt von 18,6 Prozent. Davon entfallen 69,3 Prozent auf ausländische Staatsbürger:innen. (Quelle: Demografische Daten Tirol 2022) Für eine neue Wohnung zahlt man im Bezirk durchschnittlich 18,84 € Miete pro Quadratmeter, für den Kauf knapp 5.500 €. (Quelle: Immopreisatlas Raiffeisen, 20.06.24) Die Folge sind eine seit Jahren beobachtbare Abwanderung, gerade von jungen Menschen. Gleichzeitig steht mit dem Klimawandel die Zukunft des prestigeträchtigen Wintertourismus in Kitzbühel auf dem Spiel. Es gilt, eine nachhaltige Ganzjahresform des sanften Tourismus zu finden und diesen in Einklang mit den Bedürfnissen der Bevölkerung zu bringen.

Vorderansicht der Homebase vor malerischem Hintergrund mit Kitzbüheler Horn. | Foto: Homebase St. Johann

Wohnzimmer mitten im Dorf: Die Homebase St. Johann

Knapp zehn Kilometer nördlich, in St. Johann, radelt Thomas Brandtner, vom Kreisverkehr kommend die Kaiserstraße entlang, vorbei an der Bank, dem Thairestaurant, dem Kebabimbiss, der Bäckerei und dem Friseursalon, bevor er vor dem niedrigen Gebäude mit den bunten Schaufenstern und dem großen Schriftzug „Homebase“ Halt macht. Er holt den Schlüssel aus der Schlüsselbox und sperrt auf. Drinnen öffnet er den Kühlschrank rechts neben dem Eingang und nimmt zwei Zitronenradler. Wir setzen uns auf die Ohrensessel im Barbereich.

„Heute Vormittag waren die Lehrlinge eines heimischen Elektrotechnik-Unternehmens da und haben ein Pop-Up-Café organisiert. Am Nachmittag war der freitägliche Kaffeeklatsch, den dieses Mal die Lebenshilfe organisiert hat. Bei dem Format können Vereine, Unternehmen, Privatpersonen, Freundeskreise die Homebase für 3 Stunden übernehmen, Kuchen und Getränke anbieten und sich präsentieren. Wir übernehmen das selbst auch manchmal, und machen dann ein Technocafé, Punkcafé oder Elektrocafé daraus.“ Mit „wir“ meint Thomas Brandtner sich selbst und Andreas Franze als Initiatoren sowie die fast 50 Vereinsmitglieder. Seit der Gründung des Vereins vor knapp 4 Jahren ist die Mitgliederzahl sukzessive angestiegen.

Alles entstand aus einer gemeinsamen Idee der beiden Initiatoren, die sich quasi zufällig auf der Straße getroffen haben, nachdem sie beide erst kürzlich wieder nach mehrjährigen Auslandsaufenthalten in ihre Heimat zurückgekehrt waren. Beide hatten Vorstellungen davon, wie man einen lebendigen Ort schaffen könnte, in dem eine Gemeinschaft entstehen und Kreativität gelebt werden könnte. Durch eine Bekanntschaft kamen sie ins Gespräch mit Carlo Chiavistrelli, dem Eigentümer des Hauses, in dem die Homebase heute angesiedelt ist. Dieser war sehr interessiert an der Idee der beiden, so kam es, dass eine Vereinbarung getroffen wurde mit dem Inhaber und der eingemieteten Cum Laude Immobilia, die vorhatte, in der Location ein Immobilienbüro mit Café anzusiedeln. Das gemeinsame Ziel: Business, Kultur und Soziales zu verbinden. Der Umbau erfolgte dann mit der Finanzierung der beteiligten Gründungspartner:innen IB Hanel Ingenieure, Cum Laude Immobilia, Furchti & friends Werbetechnik und LangerWegh Lichtplanung & Lichtkonzepte, die als Sponsor:innen des Vereins mitwirken.

„Es waren viele glückliche Umstände, die zur Gründung der Homebase beigetragen haben. Ein Ort, an dem Business und Soziales gleichermaßen Platz finden, an dem Sozialunternehmertum und gewinnorientiertes Unternehmertum verbunden werden. Hier können Projektpräsentationen, Firmenfeiern oder Co-Working genauso stattfinden wie karitative Events, Aktivitäten von unterschiedlichen Vereinen oder kreative Workshops.“

Thomas Brandtner bei einem Vortrag in der Homebase. | Bild: Homebase St. Johann

Offenheit, Inspiration und Irritation als Grundwerte

Mittlerweile werden die Räume zu einem Großteil vom Verein bespielt, gemäß der drei Grundwerte Offenheit, Inspiration und Irritation. Letzteres beschreibt vielleicht auch die Reaktion in der Bevölkerung, als die Homebase im Herbst 2020 ihre Pforten geöffnet hat: „Viele waren am Anfang glaube ich skeptisch. Das hängt auch damit zusammen, dass wir keine fixen Öffnungszeiten haben und damit generell vielleicht für viele nicht so greifbar waren. In einem eher traditionellen Kontext wie auf dem Land ist es für die Leute wichtig, dass man irgendwie kategorisierbar ist, das war bei uns eben nicht so einfach. Also es ist zunächst eher kritisch beäugt worden, und wie es im Dorf eben so ist, wird erst mal viel geredet. Mit der Zeit haben sich einige Fixpunkte wie der Kaffeeklatsch entwickelt, sodass die Leute jetzt auch regelmäßige Anlaufpunkte haben. Durch unsere Projekte wissen die meisten mittlerweile, worum es in der Homebase geht, und verstehen das Konzept ein bisschen mehr“, erklärt Thomas Brandtner schmunzelnd. Die Offenheit, die die Homebase fördern und darstellen möchte, ist also eine, die in der Öffentlichkeit anfänglich noch etwas gehemmt war: „Es sind eigentlich kaum Leute einfach so hereinspaziert, das waren meistens Tourist:innen. Ich erinnere mich an ein Berliner Pärchen, das hereinkam und sofort total interessiert war und uns fragte, was wir da machen. Da merkt man, dass die Idee eines offenen Raums für alle, wo man einfach mitmachen kann, doch eher ein urbanes Konzept ist, das auf dem Land ungewohnter und vielleicht noch nicht so angekommen ist.“

Fahrt aufgenommen hat das Projekt mit dem ersten „Haareschneiden für den guten Zweck“. Hierfür wurden kurzerhand Friseur:innen und Friseursessel organisiert, dann konnte es schon losgehen. Rund 100 Leute kamen vorbei, alle hatten Spaß, das gesammelte Geld kam einem wohltätigen Zweck in der Region zu. „Diese Herangehensweise beschreibt uns eigentlich recht gut: Was uns auszeichnet, ist ein bestimmter Pragmatismus. Wir denken nicht zu viel nach, sondern probieren viel aus, ohne dass wir alles in Perfektion planen. So kommt es auch oft, dass wir innerhalb kürzester Zeit ein Projekt organisieren wie das ‚Haareschneiden für den guten Zweck‘, das zwei Wochen, nachdem uns die Idee dazu gekommen ist, einfach umgesetzt wurde.“ Später folgte die Weihnachtsaktion, die heuer bereits zum vierten Mal durchgeführt wird. Die örtliche Lebenshilfe, das Pflegeheim und das Altersheim sammeln Wünsche ihrer Bewohner:innen ein, die auf Zettel geschrieben und auf den Baum in der Homebase gehängt werden. Alle, die möchten, können vorbeikommen, sich einen Zettel nehmen, den Wunsch erfüllen und – je nach Wunsch – das entsprechende Päckchen vorbeibringen. „Auf den Wunschzetteln stand beispielsweise: eine Zugfahrt nach Innsbruck, eine Hansi-Hinterseer-CD, Schlapfen und viel mehr. Durch solche Aktionen, durch das Einbinden der Bevölkerung, sind auch immer mehr Leute auf uns zugekommen und wollten mitmachen.“ Bekanntheit erlangte die Homebase dann vor allem auch durch die Unterstützung für Flüchtende aus der Ukraine, für die kurzerhand Unterkünfte vermittelt, Jobs gesucht und Sprachkurse organisiert wurden.

Gruppenfoto mit den Vereinsmitgliedern. | Bild: Homebase St. Johann

Inzwischen nutzen bereits einige Gemeinschaften regelmäßig die Räumlichkeiten, wie die Lebenshilfe oder die Vereine „Zeitpolster“, „Bücher und Kekse“ oder „Die Queerdenker Kitzbühel“. Daneben organisiert die Homebase selbst Events, Workshops und Projekte. Fixe Bestandteile sind das Babycafé, Trauercafé oder der Kaffeeklatsch am Freitag, Pub Quizzes, Kleidertauschpartys. „Insgesamt finden bei uns inzwischen jährlich rund 200 Veranstaltungen statt. Davon kommt rund ein Drittel von uns, zwei Drittel kommen aus der Bevölkerung.“ Das Konzept beruht dabei zur Gänze auf freiwilligen Spenden. Alle Einkünfte kommen ausgewählten wohltätigen Zwecken, zumeist innerhalb der Region, zu. Einnahmen aus Veranstaltungen anderer Vereine oder Initiativen fließen in die jeweilige Vereinskasse. Nutzen Unternehmen die Räumlichkeiten, wird eine kleine Miete eingehoben. Klar ist für Thomas Brandtner auch: „Wir sehen uns in keiner Konkurrenz zu ansässigen Lokalen oder anderen Projekten. Wir machen das alle freiwillig und verdienen kein Geld damit. Mit Blick auf unsere Werte und Tätigkeiten glaube ich, dass wir so das vorhandene Angebot ganz gut ergänzen. Und für Zusammenarbeit mit anderen sind wir grundsätzlich auch immer offen.“

„Wir wollen eine Blaupause für andere partizipative Projekte sein“

Hinter der Homebase steckt also ein allem voran partizipativer Grundgedanke:

„Wir möchten einen Raum bieten, in dem Ideen entwickelt und umgesetzt werden können. Alle sollen frei mitgestalten können und einen niederschwelligen Zugang finden. Wir möchten ein Versuchs- und Zukunftslabor sein, bei dem der Gemeinschaftsgedanke und die Vielfalt im Vordergrund stehen.“

Oder, anders ausgedrückt: „Die Homebase ist das, was du daraus machst.“ Daraus ergibt sich auch eine gewisse Offenheit, was die Zukunft betrifft. Klar ist: ohne die Unterstützung durch die Sponsor:innen würde die Homebase so nicht funktionieren. Für Thomas Brandtner schafft genau diese Art der Zusammenarbeit die notwendige Unabhängigkeit – weil es keine Erwartungen oder eine bestimmte Richtung gibt, die vorgegeben wird, und es auch keinen politischen Druck gibt. Vermieter Carlo Chiavistrelli, nach wie vor der größte Sponsor der Homebase, verrechnet dem Verein nur eine geringfügige Miete. So ist es dem Verein auch möglich, auf hohe Mitgliedsbeiträge zu verzichten. Interessierte können sich aussuchen, welches Mitglieds- und Förderpaket sie wählen möchten. Aktive Mitglieder zahlen keinen Beitrag.

Gleichzeitig hängt der Erfolg eines solchen Projekts ja von den Leuten ab, die solche Gegebenheiten zu nutzen wissen, aktiv werden und gestalten. Und daran arbeitet die Homebase unermüdlich.

„Der Kern der Homebase ist, dass sie flexibel ist. Wenn es die Homebase in fünf Jahren nicht mehr gibt, würde ich behaupten, dass wir eine gute Zeit gehabt und für St. Johann einen Mehrwert gebracht haben. Aber grundsätzlich würde ich mir schon wünschen, dass die Homebase eine Blaupause wird für viele andere, die das Partizipative, die Offenheit und das Umkomplizierte leben, und dass auch private Unternehmen Interesse dafür entwickeln, solche Gemeinschaftsprojekte finanziell zu fördern für eine gelebte Co-Kreation von Unternehmertum und Sozialem.“

Von leeren und belebten Dörfern

Die Entwicklung von Stadt und Land steht in einem komplexen Verhältnis, das durch unzählige wirtschaftliche, politische und soziale Faktoren bestimmt wird. Dorfsterben ist ein Begriff, der seit Jahrzehnten herumgeistert, und sich in den allgemeinen Trend der Landflucht und Urbanisierung eingliedern lässt. Fehlende Arbeitsplätze und unzureichende Infrastruktur sind die Hauptgründe. Auch in Österreich sind davon viele ländliche Gebiete betroffen, beispielsweise besonders stark in der Obersteiermark oder in Kärnten. Unter den Folgen sind Entwicklungsstillstand, verfallene Gebäude und Leerstände sowie Überalterung zu nennen.

Auch in Tirol gibt es Entwicklungen in diese Richtung, wenn auch anders gefärbt. Auch das hat wieder mit der touristischen Ausrichtung der Region zu tun. Zu den Hauptsaisonen sind alle Lokale voll, alle Betten belegt, alle Attraktionen ausgebucht. Abseits davon herrscht in vielen Ortskernen Leere. Der Fokus auf den Tourismus hat zunächst positive Folgen auf die Region: Einerseits verdanken wir ihm eine unglaubliche Wertschöpfung, die sich in einem allgemein hohen Lebensstandard äußert – und sich in dem idyllischen Orts- und Landschaftsbild widerspiegelt, wofür die Tourist:innen ja überhaupt erst gekommen sind. Er schafft Arbeitsplätze, kurbelt die Wirtschaft an, sorgt für einen Ausbau der Infrastruktur. Andererseits birgt der Massentourismus auch Gefahren in ökologischer und sozialer Hinsicht, darunter der oben genannte Anstieg der Miet- und Bodenpreise, Bodenversiegelung, Kommerzialisierung der lokalen Kultur, der Konkurrenzdruck unter den Anbieter:innen steigt. In Tirol, besonders auch im Bezirk Kitzbühel, sorgt der Fokus auf das wohlhabende Klientel dafür, dass sich überhaupt das öffentliche Leben und Erscheinungsbild mehr und mehr auf das höherpreisige Segment zubewegt: gehobene Restaurants, Fünf-Sterne-Hotels, geschlossene Gesellschaft. Luxuschalets und kostspielige Bauprojekte prägen inzwischen die Ortsbilder und Öffentlichkeit. Davon profitiert längst nicht mehr nur die Region, auch Investor:innen, Immobilienfirmen oder Spekulant:innen aus dem Ausland. Vielerorts hat man tatsächlich das Gefühl, dass die allgemeine einheimische Bevölkerung auf der Strecke bleibt.

Hinzu kommt eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren vermehrt beobachten lässt: Restaurants und Lokale sperren zu, das öffentliche Leben wurde durch die Pandemie stillgelegt und kommt nicht zuletzt aufgrund der hohen Inflation nicht mehr recht in die Gänge. Die Menschen bleiben lieber zuhause. Besonders trifft das junge Menschen, die so gar keinen Platz in der Öffentlichkeit mehr zu haben scheinen. (Diese Entwicklung beschäftigt aktuell auch die Innsbrucker:innen, das komplex berichtete.) Dabei wäre das Vereinsleben auf dem Land sehr stark ausgeprägt: Sportvereine, Theatervereine, Musikkapellen, Landjugend, Feuerwehr, Alpenverein und viele mehr. Aber nicht jede:r hat einen Bezug zur Landwirtschaft oder ist sportlich oder musikalisch begabt. Es fehlt an allgemeinen, zwanglosen Treffpunkten – genauso wie an Menschen, die Lust haben, unterwegs zu sein, etwas für die Gemeinschaft zu unternehmen.

Vielleicht ist diese gefühlte Teilnahmslosigkeit ja nur eine Übergangsphänomen, das sich mit dem europäischen Leitzins wieder einpendelt. Daneben sind der Rückzug ins Private und Digitale, die zunehmende Isolierung und steigende Anonymität übergeordnete Entwicklungen, die sich in einem allgemeinen Strukturwandel in der Gesellschaft begreifen lassen. Ungeachtet des Standorts stellt sich diese Frage ganz allgemein: Wie kann man für ein aktives Dorfleben sorgen, wie die allgemeine Bevölkerung einbinden? Sollen die Gemeinden und die Regionalentwicklung mehr Anreize schaffen – oder muss der Wille aus der Bevölkerung kommen? Es gehören wohl immer beide dazu. Umso wichtiger ist es also, dass es motivierte Menschen gibt, die dafür sorgen, dass sich Jung und Alt ausleben können, zusammenkommen und Gemeinschaft leben.

I Julia Zachenhofer


Hier geht es zur Website des Kulturcafés KC750.

Hier geht es zur Website der Homebase St. Johann.

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