Die Gewinner:innen der „Goldenen Schindel“ – und ein Blick auf Inszenierung in Musikvideos

Die „Goldene Schindel“ ist Geschichte – zumindest für dieses Jahr. Ihren Abschluss fand die diesjährige Veranstaltungsreihe mit der Verleihung der Awards für die besten nationalen und internationalen Musikvideos am Samstag, 12. Oktober, und einem Konzert der Humming People in der Innsbrucker Spitalskirche am drauffolgenden Sonntag. Hier gibt’s die Siegerprojekte im Überblick – sowie einen Exkurs auf die Geschichte der Musikvideos und der Blick auf eine erhellende Vorlesung von Bernhard Steinbrecher, der unterschiedliche Facetten der Pop-Persona untersucht.

Auftritt von Spilif bei der Awardverleihung | © Paul Krismer

Das sind die Gewinner:innen der „Goldenen Schindel“

Den besten Musikvideos aus über 130 Einreichungen wurde am Samstag, 12. Oktober, im Metropol-Kino der rote Teppich ausgerollt. Beim glamourösen Galaevent zur „Goldenen Schindel“ wurden die besten Musikvideos in vier Kategorien prämiert. Zuvor wurden im Zuge der Eventreihe wurde über Social Media nach und nach die Shortlist mit 16 Künstler:innen und ihren Projekten enthüllt. Am Samstag erfolgte das große Finale: Umrahmt von einem grandiosen Konzert von Rapperin Spilif und abgerundet durch eine lässige Aftershow-Party im mariatheresia mit DJ Chrisfader bot das Event einen gebührenden Rahmen für die tollen Gewinnerprojekte.

The Tyrolean Schindel: FAIRE LA PAIX – Balance

The Austrian Schindel: NEE-SHA – Sound of the waves

The International Schindel: Animali Notturni – Appartenenza

The Wooden Schindel: Jesse / Magneto – Karate

Abschlussskonzert mit den Humming People

Das feierliche Closing Event erfolgte am Sonntag mit einem stimmungsvollen Konzert der Humming People in der Innsbrucker Spitalskirche. Damit wurde auch ein dramaturgischer Kreis zur Premiere vor zwei Jahren geschlossen, denn in der feierlich-sakralen Atmosphäre fand damals auch schon der erste Award statt. Am Sonntag ließen die hohen Kirchenwände die verträumten Sounds vom Singer-Songwriter-Duo widerhallen.

Was ist eigentlich ein Musikvideo?

Wer möchte, kann sich nun der Analyse der oben gezeigten Musikvideos widmen – oder sich mit der spannenden Geschichte der Musikvideos befassen. Auf Aspekte der Untersuchung und die Entwicklng von Musikvideos im Laufe der Musik- und Mediengeschichte soll hier noch in aller Kürze eingegangen werden – gepaart mit einem Einblick auf eine interessante Lecture des Dozenten Bernhard Steinbrecher von der Universität Innsbruck, die im Rahmen der „Goldenen Schindel“ stattgefunden hat. Passend zu den kreativen Beiträgen der prämierten Künstler:innen wird das hier also auch ein sehr eklektischer, aber doch hoffentlich kohärenter Magazinbeitrag.

Das Musikvideo ist ein besonderes audiovisuelles Medium, das konzeptuell immer an ein Musikstück geknüpft ist, das zuvor existiert – damit besitzt es bereits einen inhärenten Werbecharakter, da es dazu dient, letzteres zu promoten. Was Musikvideos als Kunstwerke so faszinierend macht, hängt sicherlich auch mit ihrem Aufkommen und ihrer Geschichte zusammen, die naturgemäß eng mit der Mediengeschichte verbunden ist und auch exemplarisch den Medienwandel im Verlauf des 20. bis ins 21. Jahrhundert illustriert bzw. diesen sogar aktiv mitgeprägt hat. Im Laufe ihrer Geschichte entwickelte sich eine eigene Kunstform. Musikvideos nach der heutigen Definition gibt es seit den 197er- bzw. 1980er-Jahren. Sie zeichnen sich durch eine Erzählstruktur und eine spezifische Inszenierung aus – und schaffen so eine eigene Kunstform, die sich von Musikfilmen, Musikdokumentationen, Live-Mitschnitten oder frühen Musikvideos der vorausgegangenen Jahrzehnte unterscheidet.

Musikvideos bilden eine eigene Kunstform. | © Unsplash/Jakob Owens

Geschichte der Musikvideos

Die Kombination von Film und Musik gibt es darüber hinaus schon länger: Als erster Musikfilm gilt „The Jazz Singer“ aus dem Jahr 1927. In den 1930er- und 1940er-Jahren folgte ein Aufschwung klassischer Musicals wie „The Wizard of Oz“ (1939). Das Aufkommen des Rock ’n’ Roll trieb die Produktion von Filmen und Kurzfilmen an, die speziell für die Vermarktung und visuellen Unterstützung der neuen, aufstrebenden Musikrichtung entwickelt wurden. Der Musikfilm „Jailhouse Rock“ mit Elvis Presley zeigt eine Szene, in der der „King of Rock ’n’ Roll“ den gleichnamigen Song vor einer Gefängniskulisse performt, die bereits einem Musikvideo anmutet. Das Video zu „House of the Rising Sun“ von The Animals (1964) wird oft als frühes Musikvideo aufgefasst. Es zeigt die Musiker augenscheinlich bei einem Live-Auftritt, allerdings findet bereits eine gewisse Inszenierung statt, mit unterschiedlichen Kameraperspektiven in einer einzigen Einstellung – außerdem stammt der Ton des Videos von der Studioaufnahme, sie performen also nicht „live“ in dem Video. Auch The Beatles experimentieren mit kurzen Videoclips zu ihren Songs wie beispielsweise zu „Help“ (1965), das die Musiker in einem Studio auf einer Bank hintereinander sitzend mit ihren Gitarren in der Hand zeigt (und den Drummer Ringo Starr mit einem Regenschirm in der Hand). Als erstes „richtiges“ Musikvideo gilt jenes zu „Bohemian Rhapsody“ von Queen durch seine innovative visuelle Gestaltung mit Special Effects, die narrative Struktur und den kommerziellen Erfolg, den die Verbreitung des Videos mitbegründete. Somit gilt es als Geburtsstunde für die heute gängige Praxis der Plattenfirmen, Videos zu Promotionszwecken von Musikstücken einzusetzen.

Hier noch ein paar Meilensteine in der Geschichte der Musikvideos: Als eines der einflussreichsten und aufwändigsten Musikvideos gilt Michael Jackson’s „Thriller“ (1983). Es erzählt eine Geschichte, wie Michael Jackson und seine Begleiter auf Zombies treffen, enthält Dialoge und weist somit eine klassische Filmstruktur auf – ein cineastischer Anspruch der Musikvideos wurde somit eingeführt und in der Folge weiterentwickelt. Das mit 7 Millionen Dollar Produktionskosten teuerste Musikvideo in der Musikgeschichte ist „Scream“ (1995) von Janet Jackson und Michael Jackson. Madonna prägte das Musikfernsehen wie kaum ein:e andere:r Künstler:in. Ihre Musikvideos sind konzeptionell und thematisch reichhaltig, greifen kontroverse Themen auf, integrierte aufwändige Choreografien, Mode und stilistische Elemente und prägten so die Popkultur der 1980er-Jahre.

Musikvideos und Medienwandel

Die Musikvideos begleiten und formen Aufstieg, Hochzeiten und Niedergang klassischer audiovisueller Medien. Am 1. August 1981 ging der Musikfernsehsender MTV live. Das erste Musikvideo, das ausgestrahlt wurde, war „Video Killed the Radio Star“ von The Buggles. MTV gilt als bedeutendes Medium in der Geschichte der Musik- und Popkultur und prägte die Musik- und Musikvideoproduktion in den 1980er- und 1990er-Jahren immens. Seine wesentliche Rolle in der Verbreitung und Vermarktung wurde ihm ab den 2000er-Jahren von neuen Medien verdrängt: Parallel zur allgemein sinkenden Relevanz des Fernsehens und dem Aufstieg des World Wide Web. 2005 ging Youtube online und entwickelte sich als wesentliche Plattform für Musikvideos. Diesen Rang nimmt sie auch heute noch ein – die mediale Konkurrenz findet sich aber bereits auf den Sozialen Medien. TikTok als Trendschmiede Nummer eins revolutioniert die Kombination aus Musik und Videos durch eine kreative Remix-Kultur, virale Challenges und die einfachen Bearbeitungs- und Postingmöglichkeiten von selbstproduzierten Videos. Fun Fact: Das erste Video, das auf Youtube 1 Milliarde Views erhielt, war 2012 PSYs „Gangnam Style“. Was damals mit Spannung erwartet wurde und als immenser Meiilenstein galt, ist heute ein alter Hut: Die Youtube-Hitliste zeigt heute (Stand: 31.10.24) 528 Videos, die die 1-Milliarde-Marke geknackt haben. Das meistgesehene Video auf Youtube hat 15 Milliarden Views – und ja, es ist „Baby Shark“.

Musikstars sind für viele Rezepient:innen Idole. | © Unsplash/Anthony Delanoix

„Inszenierung von Identitäten in Musikvideos“

Auf welche Art und Weise Musikvideos inszeniert werden können, interessiert Bernhard Steinbrecher vom Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck. Im Rahmen der Eventreihe „Goldene Schindel“ hielt der Musikwissenschaftler am 9. Oktober eine Vorlesung an der Universität Innsbruck mit dem Titel „Inszenierung von Identitäten in Musikvideos – Die Erforschung der Pop-Persona“. Dabei gab er dem interessierten Publikum einen Einblick in die Analyse zur Darstellung von Künstler:innen in Musikvideos.

Persona beschreibt dabei die Rolle, die ein:e Künstler:in ihrer Performance einnimmt – sei es auf der Bühne, in der Öffentlichkeit oder im Musikvideo. Diese ist nicht deckungsgleich mit der „echten“ Person, sondern ein Konstrukt – ein von der Musikindustrie bewusst inszeniertes Produkt, um die Person als wiedererkennbare, charismatische Figur mit Identifikationspotenzial für bestimmte Zielgruppen zu etablieren. Die Persona ist ein komplexes Zusammenspiel aus visuellem Stil, Symbolik, Performance und Ästhetik. Sie bedient häufig kulturelle Codes, Klischees und Stereotypen. Es kann auch mit einer vormals etablierten Persona gebrochen werden: Man denke an Miley Cyrus, und ihrer Ablösung vom braven Disney-Popsternchen mit ihrer Performance in „Wrecking Ball“ (2013), die ihr ein provokantes und rebellisches Image verlieh.

Die Frage nach Identität und Authentizität ist dabei besonders interessant. Steinbrecher listet zur Analyse die Kategorien Gender, Sexualität Class, Race, Alter/Generation, Religion und Nationalität/Regionalität auf. Bei der Authentizität erster Ordnung wird die Inszenierung geleugnet und stattdessen als unverfälschte Darstellung des:der Künstler:in präsentiert, die dargestellten Bilder als persönliche Erfahrungen und echte Emotionen. Die Authentizität zweiter Ordnung macht hingegen die Künstlichkeit deutlich und damit, dass es sich um eine Inszenierung handelt. Dabei kann es sich auch um reflektierte oder ironische Inszenierungen handeln.

In der Folge seines Vortrags zeigt Steinbrecher einige ausgewählte Ausprägungen der „Pop-Persona“. Unten seien zwei dieser Analysen genannt. Die Untersuchung kann sich auf verschiedenen Ebenen bewegen: einerseits auf der reinen Beobachtung der Inszenierung (Analyse), andererseits kann die Inszenierung mit Blick auf die oben genannten Kategorien auch hinsichtlich ihrer kulturellen und gesellschaftlichen Implikationen einer Kritik unterzogen werden (Interpretation).

Pop-Persona: Stereotyp und Spiel. | © Unsplash/Matthew Moloney

Zwei Beispiele: Black Masculinity und Imagined Authenticity

50 Cent verkörpert in „Candy Shop“ (2005) die Persona „Black Masculinity“, die sich durch Kontrolle, Dominanz und Misogynie auszeichnet. Hier kommt auch ein paradoxer Effekt zu tragen: Im Grunde parodiert 50 Cent diese Rolle, unter anderem durch Übertreibung, reproduziert damit aber gleichzeitig genau jenen Stereotyp. Die Figur des „Pimp“, die häufig im US-amerikanischen Hip-Hop auftaucht, als luxusorientierte, materialistische, charismatische und gleichzeitig gefährliche und hochdiskriminierende Person wird einerseits von Rezipienten gefeiert – andererseits auch häufig kritisiert: aufgrund der dargestellten Sexualisierung, Objektivierung, Verherrlichung von Gewalt und schädlichen Männlichkeitsnormen. Nicht zuletzt entspricht die Darstellung nicht der Realität der Erfahrungen Schwarzer Männer in den USA, was aber umgekehrt umso mehr das ihm zuerkannte (problematische) Statussymbol aufzeigt.

Als aktuell eine der einflussreichsten Künstler:innen widmet sich Steinbrecher auch Taylor Swift am Beispiel von „willow“ (2020) und „cardigan“ (2020). Ihre Persona entspricht der einer „Imagined Authenticity“, die also geknüpft ist an die Darstellung einer vorgeblichen Authentizität. Ausgedrückt wird diese durch Verletzlichkeit, Emotionalität, Verträumtheit, Selbstreflexion und Romantismus. Sie wird gekennzeichnet von Themen wie Beziehungen, Selbstfindung, Verlust, Liebe, Empowerment, Weiblichkeit und Sehnsucht. Belegt wird die Authentizität durch ihr eigenes Songwriting und die autobiografischen Elemente ihrer Texte. Es handelt sich also um eine Kommerzialisierung dieser imaginierten Authentizität – denn die Pop-Persona ist, wie wir nicht vergessen dürfen, immer ein Konstrukt.

Das Phänomen Musikvideos

Das sind nur sehr kurz zusammengefasste Interpretationen, das Forschungsfeld rund um Musikvideos ist riesig und beschäfigt unterschiedliche Disziplinen, nicht nur, was Identitätskonstruktionen betrifft, sondern auch im Hinblick auf Ästhetik, Rezeption, intermediale Aspekte, narrative Strukturen oder Werbestrategien. Die Effekte von Musikvideos auf die Popkultur, aber auch auf Identitätsbildung, gesellschaftliche Normen und Konsumverhalten dürfen nicht unterschätzt werden. Die Pop-Persona hat eine gewisse Vorbildfunktion, insbesondere für junge Rezipient:innen, inne. Während negative soziale Themen wie Rassismus, Genderfragen, Gewalt oder soziale Gerechtigkeit damit verstärkt werden können, liefern Musikvideos auch die Möglichkeit, genau diese zu untergraben und herauszufordern. Es gibt etwa zahlreiche Musikvideos aus den letzten Jahren, die Gendernormativität hinterfragen und unterwandern – häufig auf textlicher wie visueller Ebene. Ein junges Beispiel ist etwa „The Code“ von Nemo (2024). Wie alle globalisierten Medienprodukte tragen Musikvideos andererseits auch zur Vernetzung von Kulturen bei, bieten Innovationen und Experimentierflächen – wie auch die fantastischen Künstler:innen der „Goldenen Schindel“ zeigen. Wenn ihr euch die Videos bis jetzt noch nicht angeschaut habt: Scrollt noch einmal hoch und klickt auf Play.

I Julia Zachenhofer


Mehr Infos auf: www.goldeneschindel.at

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