Im Rahmen des Kurzfilmprogramms AI x Games auf der DIAMETRALE – Filmfestival für Experimentelles und Komisches (2.–6. April 2025 in Innsbruck) wurde der experimentelle Film Hardly Working von Total Refusal gezeigt. Die Kurzfilmreihe lud zu einer „cineastischen Irrfahrt zwischen Realitätssimulationen, KI-Séancen und virtuellen Utopien“ ein und zeigte „wie angesagte Videospiele durch Zweckentfremdung zu kritischen Auseinandersetzungen anregen“. Neben sechs weiteren Werken war Hardly Working ein Highlight des Programms – ein filmischer Essay über digitale Arbeitsrealitäten und algorithmische Endlosschleifen in einer computergenerierten Welt. Im Zentrum stehen sogenannte NPCs (Non-Playable Characters), die als „digitale Sisyphusmaschinen“ in endlosen Arbeitsschleifen gefangen sind – eine marxistische Metapher für entfremdete Arbeit im kapitalistischen System.

Hinter dem Projekt steht das österreichische Künstler:innenkollektiv Total Refusal, das sich als „pseudo-marxistische Medienguerilla“ versteht. Seit seiner Gründung im Jahr 2018 hat das Kollektiv zahlreiche internationale Preise gewonnen, darunter etwa den Diagonale-Preis für den besten kurzen Dokumentarfilm How to Dissapear (2020). Die Mitglieder – Susanna Flock, Robin Klengel, Leonhard Müller und Michael Stumpf – bringen sowohl theoretische als auch künstlerische Zugänge mit, sind leidenschaftliche Gamer:innen und nutzen Videospiele als Material für politische und ästhetische Interventionen. In ihren Arbeiten recyceln sie Mainstream-Games, um die darin eingebetteten Macht- und Produktionsverhältnisse offenzulegen.
Robin Klengel hat sich Zeit genommen, unsere Fragen zu ihrer subversiven Gamingpraxis zu beantworten:
komplex: Ihr bezeichnet euch etwas provokant als „pseudo-marxistische Medienguerilla“. Wie versteht ihr da euren „pseudo“-Zugang und inwiefern seht ihr eure Praxis als eine aktivistische?
Robin Klengel: Wir sind ein politisches Kollektiv. Unsere Arbeiten haben einen hohen politischen Anspruch. Daraus ergibt sich ein gewisser Gestaltungswille: Uns ist es wichtig, durch unsere künstlerische Arbeit auf Themen aufmerksam zu machen. Wir haben vor einiger Zeit begonnen, uns sehr stark mit marxistischer Theorie auseinanderzusetzen und überlegt, ob wir unser Kollektiv so nennen wollen, haben uns dann aber für „pseudo-marxistisch“ entschieden, weil es eine gewisse Überspitzung ist – man will sich ja nicht zu ernst nehmen mit seiner politischen Kunst, deren Gestaltungspotenzial doch sehr beschränkt ist.
Wir verstehen uns aber als Marxistinnen und Marxisten, diese Tradition ist für uns sehr wichtig. Es ist uns ein Anliegen, einen antikapitalistischen Blick auf Videospiele zu werfen. Wir wollen unser Publikum zu radikalen Antikapitalist:innen machen – aber das Ganze ist mit einem Augenzwinkern zu sehen.

In einer eurer Arbeiten bezeichnet ihr Videospiele als das „kapitalistischste Medium unserer Zeit“. Warum sind gerade Videospiele für euch ein so spannendes Medium für politische und gesellschaftskritische Kunst?
Robin Klengel: Videospiele sind sehr speziell, weil sie als Kulturprodukte riesige Unternehmen sind – die großen Computerspiele, die sogenannten Triple-A-Games, sind zum Teil milliardenschwere Investments. Videospiele sind derartige Mainstreamprodukte, dass die Gaming-Industrie es unbedingt vermeiden will, gewisse Schichten oder Spieler:innen nicht anzusprechen oder Shitstorms auszulösen. Es wird versucht, keine politische Haltung einzunehmen, um niemanden zu verärgern – deswegen zeigen Videospiele ganz gut die kulturelle Hegemonie unserer Gesellschaft.
Wir finden aber auch, dass gerade weil es sich um so aufwendige Spielwelten handelt, in die enorm viel Arbeit und Programmierung geflossen ist, es notwendig wäre, diese Ressourcen sinnvoller zu nutzen, als es innerhalb der Spiele selbst geschieht. Gleichzeitig eignen sie sich besonders gut, um kapitalistische Mechanismen sichtbar zu machen, weil sie in extremer Weise den Marktlogiken unterworfen sind: Sie müssen sich verkaufen, die Spielenden möglichst lange binden, möglichst viel Revenue generieren – sie existieren auch nur aus diesen Gründen. Künstlerische und erzählerische Entscheidungen stehen da oft im Widerspruch zu kapitalistischen Notwendigkeiten – eine Logik, die diese Spiele sehr stark prägt. Das mag man vielleicht übersehen, wenn man Videospiele spielt, weil man es gewohnt ist – künstlerische Produkte sind ja meist kapitalistische Produkte im Kapitalismus. Videospiele sind dem besonders stark ausgeliefert. Die Marketing-Departments in großen Videospiel-Firmen haben unglaubliche Macht – sie werden in die wichtigen Spielentscheidungen miteingebunden, und das merkt man den Spielen auch an.
Wie zeigen sich diese Marketing-Entscheidungen in den Games?
Robin Klengel: Man sieht das zum Beispiel daran, dass bestimmte, altbewährte Tropen immer wieder aufgewärmt werden – in kaum einem anderen Medium gibt es so viele Serien, Fortsetzungen und Wiederholungen derselben Geschichte. Diese Erzählmuster sind direkt aus der Marktlogik abgeleitet. Genau deshalb bietet sich hier eine künstlerische Zweckentfremdung besonders an: Viele Spiele sind, wenn man genau hinschaut, auch besonders dumm –, was sie erst recht lustig für eine Aneignung macht.
Worauf bezieht sich in eurem Namen eigentlich das „Refusal“ – die Ablehnung? Was wird da verweigert?
Robin Klengel: Der Begriff stammt ursprünglich aus dem Kontext der Kriegsdienstverweigerung – also der radikalen Weigerung, sich überhaupt am militärischen System zu beteiligen. Als wir das Kollektiv gegründet haben, standen pazifistische Fragen stark im Mittelpunkt – das ist nach wie vor ein wichtiges Thema für uns, wenn auch heute nicht mehr ganz so zentral.
Uns hat vor allem interessiert, was es bedeutet, diese Haltung der „totalen Verweigerung“ in den digitalen Raum zu übertragen. Was heißt es, sich dort zu entziehen – aber es geht natürlich nicht – sobald man den Computer einschaltet, ist man Teil der ganzen Logik. Eine vollständige Verweigerung ist in Games kaum möglich. Und doch steckt in diesem Versuch eine gewisse situationistische Idee, die bis heute unsere Praxis prägt.
Hardly Working wurde vollständig innerhalb des Videospiels Red Dead Redemption 2 gedreht. Wie geht ihr bei solchen Aneignungen mit urheberrechtlichen Fragen um?
Robin Klengel: Das ist eine Grauzone. Niemand, der in dem Feld künstlerisch arbeitet, hat die vollen Rechte – die Entwicklerfirmen geben sie nicht her. Das heißt: Alle, die mit Videospielen künstlerisch arbeiten wollen, sind gezwungen, in diesem Graubereich zu operieren. Natürlich wäre das vor Gericht knifflig auszufechten – de facto machen die Videospiel-Firmen das aber nicht, weil: Warum sollten sie Künstler:innen verklagen, die ihre Spiele verwenden und dadurch die Spiele ja quasi auch warm halten und ihnen zur Bekanntheit verhelfen? Insofern sehen wir uns nicht gefährdet und hatten auch noch nie Probleme. Wir kennen auch niemanden, der damit Probleme hatte. Aber es ist eine prekäre Sache.

In Hardly Working richtet ihr den Fokus auf NPCs – Nebenfiguren, die in Games normalerweise keine große Rolle spielen. Was hat euch gerade an diesen Charakteren interessiert? – Ihr beschreibt sie auch als „digitale Sisyphus-Maschinen“. Welche Parallelen seht ihr zwischen ihren endlosen Arbeitsschleifen und realen Arbeitsverhältnissen?
Robin Klengel: Für uns war das total interessant, diese NPCs zu beobachten und zu schauen, was für eine Lebens- und Existenzwirklichkeit die haben. Sie sind sehr stark in diesen Schleifen gefangen – aus denen kommen sie nicht raus, die können sie nicht verlassen. Egal wie oft sie den Boden kehren – der Boden wird nie sauber werden. Uns hat das sehr zu denken gegeben, weil einerseits ist das natürlich so: Die Arbeiter:innen im Kapitalismus müssen arbeiten, und viele haben auch sehr repetitive Aufgaben – wenn man an klassische Industriearbeiter:innen denkt, die es ja bis heute immer noch gibt, vielleicht nicht mehr in Österreich so sehr, aber dennoch stark in anderen Orten der Welt. Da gibt es diese Loops und sich endlos wiederholenden Tätigkeiten in einem sehr eindeutigen und direkten Sinne.
Trotzdem kennen wir aber diesen nicht enden wollenden Rhythmus auch, weil im Kapitalismus nicht für die Deckung eines Bedürfnisses produziert wird, sondern grundsätzlich ewig weiterproduziert werden muss. Es müssen täglich neue Bedürfnisse geschaffen werden, und es muss sich am Ende immer mehr rentieren als investiert wurde. Aus dieser ewig grasenden Schleife kommen wir als Gesellschaft und als Individuen nicht raus. Insofern ist es – auch wenn ich das Gefühl habe: so absurd wie jenes dieser Straßenkehrerin ist mein Berufsleben nicht – als gesellschaftlicher Grundzusammenhang trotzdem eine sehr treffende Metapher. Und wir müssen schauen, wie wir aus diesem ewigen Loop und aus diesem rasenden Stillstand uns irgendwie rausbewegen können. Das war das Anliegen – das zu zeigen anhand der NPCs.
Ihr hebt im Film auch absurde „Glitch“-Momente bewusst in den Fokus – etwa, wenn Werkzeuge plötzlich aus dem Nichts auftauchen oder aus der Hand verschwinden. Warum?
Robin Klengel: Absurde Momente gibt es in jedem Videospiel sehr viele. Für Spieler:innen ist das quasi normal – diese kleinen Absurditäten ergeben sich. Kein Spiel ist ganz perfekt programmiert, insofern ist das der spielerische Alltag. Aber wenn man es in dieser filmischen Übersetzung gezeigt bekommt, sind das eben so kurze absurde Momente, in denen sich auch die Konstruiertheit des Spiels ein Stück weit auflöst. Und wir erkennen: Wir sind in einem programmierten, absurden Raum. Insofern schauen wir immer sehr gerne auf diese Glitches und kleinen Unstimmigkeiten. Weil sich in diesem Glitch – das ist ein bisschen die Grundaussage des Films – im digitalen Raum immer ein gewisser Möglichkeitsraum verbirgt. Maschinen, wenn sie sehr komplex sind, sogar wenn sie mal komplexer werden wie AI-Tools, vergrößern trotzdem auch die Fehler, Glitches und kleinen Unstimmigkeiten. Und aus denen ergibt sich vielleicht manchmal die Möglichkeit, etwas zu hacken oder aus der vorgegebenen Logik auszusteigen.

Ist es technisch aufwendig, NPCs in dieser Form zu „filmen“?
Robin Klengel: Nein, es ist nicht sehr aufwendig. Man kann recht einfach und billig in Videospielen drehen. Grundsätzlich nimmt man da den Bildschirm auf – der Bildschirm wird zur Filmkamera. Wir haben in dem Fall mit einer Modifizierung des Spiels gearbeitet – einem sogenannten „Mod“, der es uns erlaubt, quasi eine Kamera zu haben und sich mit dieser durch das Spiel zu bewegen. Normalerweise ist man ja ein Cowboy in dieser Welt – und wenn man den Cowboy nicht im Bild haben will, muss man eine Modifikation verwenden, die das ermöglicht.
Inwiefern verschmelzen heute virtuelle Spielwelten und realer Alltag – auch für dich persönlich?
Robin Klengel: Klar, digitale Räume sind Alltagsräume – vor allem für junge Menschen. Aber wenn wir darüber nachdenken wie viel Zeit wir vor unseren Smartphone verbringen – oft sind mehrere Screens gleichzeitig aktiv, der digitale Raum ist nie weit entfernt. Es ist mittlerweile für die meisten so, dass sich digitale und physische Räume sehr stark verflechten. Ich würde nicht sagen „verschmelzen“ – es bleibt schon ein Unterschied bestehen. Mit zunehmender Mediennutzung wächst ja auch die Fähigkeit, damit umzugehen und zwischen Spiel und Realität zu unterscheiden. Das ist nichts, was man völlig vergisst. Immersion bedeutet für mich vielmehr, kurz abzutauchen – in eine andere Gedankenwelt, eine andere Seinsebene als die physische Realität.
Wie reagiert die Gaming-Community auf eure Arbeiten? Kommt es auch zu Missverständnissen oder Kritik?
Robin Klengel: Die Gaming-Community verfolgt unsere Arbeiten durchaus, und es gibt ein großes Interesse an unseren spielerischen Interventionen. Es ist für uns immer spannend, Feedback zu bekommen, besonders wenn wir mit Leuten sprechen, die das Spiel gut kennen. Oft hören wir dann, dass sie durch unsere Arbeit neuen Perspektiven auf den Raum bekommen haben, in dem sie sich jeden Tag aufhalten. Das ist natürlich besonders toll für uns. Spieler:innen sind ja nicht leicht zu beeindrucken – sie kennen die Spiele. Ein Publikum, das die Spielwelten nicht kennt, ist oft sofort überwältigt von der Bildsprache und der Immersion, die in diesen digitalen Welten normal ist. Wenn es uns gelingt, den Spieler:innen etwas Neues zu bieten und sie vielleicht für unsere politischen Gedanken zu begeistern, ist das für uns ein großer Erfolg. Positives Feedback aus dieser Richtung freut uns daher am meisten.
Da ihr Videospielen auch kritisch gegenübersteht – kannst du ein Game empfehlen, das dich konzeptionell beeindruckt hat – eines, an dem du wenig auszusetzen hast?
Robin Klengel: Es gibt viele Spiele, die wir großartig finden – wir spielen ja selbst sehr gerne. Die meisten haben faszinierende und begeisternde Elemente, sonst würden wir uns nicht für sie interessieren. Ein Spiel, das mir zuletzt wirklich gut gefallen hat, ist Disco Elysium. Es hebt sich sowohl in seiner Erzählweise als auch in der Art und Weise, wie es aufgebaut ist, deutlich von anderen ab. Es versucht wirklich etwas Neues und schafft eine ganz andere Art von Erzählung. Man könnte es fast als interaktives Hörspiel bezeichnen, das durch grafische Unterstützung ergänzt wird. Es gibt Momente, in denen dieses Spiel das volle erzählerische Potenzial des Mediums ausschöpft – das ist wirklich eine großartige Leistung. Für alle, die ein anspruchsvolles Spiel suchen, ist Disco Elysium definitiv eine Empfehlung.
| Brigitte Egger
Hardly Working
Total Refusal
Total Refusal is a pseudo-marxist media guerilla focused on the artistic intervention and appropriation of mainstream video games. We upcycle video games in order to reveal the political apparatus beyond the glossy and hyperreal textures of this media.
