„Mehr Licht“ sollen Goethes letzte Worte gewesen sein, so ein hartnäckiges Gerücht. Ob wahr oder nicht – dies scheint ein Wunsch zu sein, den mehrere literarische Größen teilen. Elfriede Jelinek wirft ein ebensolches Licht in unsere Kleiderkästen und deren Inhalt, sinniert über Auswirkungen und Folgen davon, über Glück und Unglück, das dadurch entsteht und über die Menschen, die im Besitz ebenjener Kästen und Kleider stehen. Das alles tut sie in ihrem Text „Das Licht im Kasten“ und sie tut es wie meist mit viel beißendem Witz und Ironie.
In diesem Werk, das Michaela Senn mit Triebwerk7 gerade im Brux inszeniert, spricht Jelinek also über ein Thema, das ihr sehr am Herzen zu liegen scheint: Mode. Vor allem aber auch darüber, was Mode alles anrichtet, oder vielmehr was durch Mode angerichtet wird, oder ist es für sie? Auf jeden Fall ist es wegen ihr und mit ihr sowieso.

Nun drängt sich bei manch einer oder einem vielleicht die Frage auf, was Elfriede Jelinek so sehr am Thema Mode faszinieren mag – sie, die sich ununterbrochen mit den Abgründen des Menschseins und deren Bedeutung für die Welt beschäftigt. Die Antwort findet man am ehesten direkt bei ihr, wenn sie schreibt:
„Ist die Mode für mich ein Halt, mit dem ich mich auf der Erde fixieren kann, weil ich sonst nichts verstehe? Von wenig Dingen verstehe ich so viel wie von Kleidern. Ich weiß wenig von mir, interessiere mich auch nicht sehr für mich, aber mir kommt vor, dass meine Leidenschaft für Mode mir mich selbst ersetzen kann, deshalb bohre ich mich ja förmlich hinein in die Kleider, mit einer seltsamen Gier, die aber viel mehr mit dem Gegenteil von Gier zu tun hat, dem sofortigen Loslassen, Auslassen von etwas. Ich beschäftige mich mit Kleidung, damit ich mich nicht mit mir beschäftigen muss, denn mich würde ich sofort fallen lassen, kaum dass ich mich einmal in der Hand hätte. Roland Barthes nennt es ein Wunder, dass der Körper in die Kleidung hineinschlüpft, ohne dass von dieser Durchquerung auch nur eine Spur zurückbliebe (…)
Schiebe ich die Kleidung zwischen mich und das Nichts, damit ich dableiben kann, ohne dass man merkt, dass ich da war? Soll die Spur schon alles gewesen sein, die ja darin besteht, dass sie sofort wieder verschwinden muss? Bin ich so versessen auf Kleidung, die mir gefällt, weil ich dahinter meine Spur, nein, nicht verwischen, das wäre ja eine aktive Tätigkeit, sondern möglichst gründlich: verlieren möchte, damit auch niemand andrer sie findet?“
So viel zu Jelineks Motivation, ein 90 Seiten langes Werk zu diesem Thema zu verfassen. Was aber ist es, das Michaela Senn daran so einnimmt, dass sie sich an diesen Textblock heranwagt?

komplex: Jelineks Text „Das Licht im Kasten“ beschäftigt sich mit dem Phänomen Mode und all dem, was ihm zugrunde liegt, aber auch, was aus ihm entsteht. Das heißt, die Produktionsbedingungen für Arbeiter:innen in Sweatshops spielen genauso eine Rolle, wie unser Konsum und nicht zuletzt das Bild, das wir von uns selbst haben und schaffen wollen. Es ist ein vergleichsweise unbekannter Text von Elfriede Jelinek. Wie kam es zur Auswahl dieses Stücks? Was magst du daran?
Senn: Ich wollte immer schon ein Stück von Jelinek inszenieren. Als ich das Stück gelesen habe, habe ich schnell gemerkt, dass es darum geht, Mode aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Darum, dass fast fashion einen großen Anteil an der Klimakrise hat und enorm viel Müll produziert. Ich hatte gleich passende Spieler:innen im Kopf, deswegen konnte ich mir das sofort gut vorstellen. Meine Kolleg:innen von Triebwerk7 waren begeistert, weil dem Thema Mode ja niemand entkommt, alle müssen sich etwas anziehen. Ich versteh auch gar nicht, warum der Text so unbekannt ist, da er sehr gut zu unserer Zeit passt. Wir haben aus dem Text eine Spielfassung gemacht, die natürlich viel kürzer ist und den Fokus in erster Linie auf die Massenproduktion und ihre Folgen legt.
Was unterscheidet diesen Text von anderen ihrer Texte?
Mode begleitet Jelinek in vielen ihrer Texte, immer wieder taucht das Thema bei ihr auf – hier bildet es das Zentrum. Das finde ich spannend: Dass das Thema sie persönlich betrifft, vielleicht noch mehr als andere Themen. Es betrifft uns eben alle direkt. Jeder und jede kann sich in Momenten wiedererkennen im Text – in Kauf- und Konsumverhalten, in der Frage, wie man damit umgeht, dass man weiß, dass oft andere Menschen bei der Herstellung von unseren Kleidungsstücken leiden mussten – obwohl wir als Konsument:innen das natürlich nicht alleine ändern können.
Es werden mit Katarina Hauser, Therese Hofmann, Elena-Maria Knapp und Peter Schorn vier Schauspieler:innen auf der Bühne stehen. Siehst du unterschiedliche Figuren im Text? Oder eher unterschiedliche Perspektiven einer Person?
Vielmehr würde ich sagen, ich sehe verschiedene Stimmen aus dem Modekomplex. Es ist wie immer ein langer Fließtext bei Jelinek – man kann Figuren hineinerfinden, aber für mich sind es eher Sprechpositionen, die bestimmte Aspekte bedienen, Sprecher:innen, die in unterschiedliche Positionen hineinsteigen und heraussteigen. Wenn es um philosophische Ansätze geht, zitiert sie aber auch stark, sie denkt gewisse Aspekte aus verschiedenen Perspektiven durch – nicht alles, was im Text steht, spiegelt ihre Ansicht wider. Unterschiedliche Bedürfnisse und Bestrebungen werden laut – und dafür haben wir unterschiedliche Haltungen auf der Bühne gefunden.
Sie kommt, wie auch in ihren anderen Texten oftmals, sehr schnell von (vermeintlich) Oberflächlichem in die Tiefen der menschlichen Existenz. „Für das Sein habe ich keine Zeit, ich möchte ja jemand andrer sein“, steht da zum Beispiel. Ist es das, was das Geheimnis der Mode ausmacht? Liegt der Grund dafür, dass wir ständig Neues kaufen und tragen wollen darin begraben, dass wir eine stetige Veränderung wünschen, um nicht in die Verlegenheit zu kommen, uns fragen zu müssen, wer wir eigentlich sind?
Ja, auch – aber nicht nur. Mit Kleidung wollen wir ja nicht nur ein anderer Mensch sein, sondern sie hat auch eine sehr praktische Funktion, wie den Körper warm zu halten. Der Wunsch, eine andere zu sein ist, was wir aber ständig von der Werbung vermittelt bekommen – jemand, der jemanden in einem bestimmten Outfit zeigt, erzählt automatisch eine Geschichte dazu. Das löst vielleicht in Konsument:innen den Gedanken aus, durch das neue Produkt jemand anderes zu werden.
Ein starker Begriff, den sie im Originaltext hin und her wendet, ist der Begriff der Vergänglichkeit, weil die Mode so schnelllebig ist und nichts bleibt. Auch Aspekte wie der, welcher Körper und welches Alter in der Mode vorkommen, spielen eine Rolle. Auf Modenschauen kommen heute zwar auch Menschen vor, die nicht die üblichen Modelmaße oder das übliche Alter haben usw., aber es gibt doch immer noch das eine “Normbild”, das man im Kopf hat – was ist, wenn man da nicht drin ist? Für wen werden die Größen gemacht? Diese Fragen legt sie sehr geschickt auf große philosophische Begriffe um, beispielsweise das Maß der Kleidergröße auf das Maß aller Dinge oder das Stück Stoff, das auch der Stoff der Literatur ist.
Sie spricht davon, dass wir im Endeffekt immer nur das suchen, was wir schon kennen – sei es in der Mode, sei es, was unsere Existenz als solche betrifft. Woran könnte das liegen? Und wie geht diese These damit zusammen, dass wir uns, wie vorher angesprochen, ständig Veränderung wünschen?
Es geht immer darum, ein Abbild zu sein von jemandem – ein Bild ist etwas, das man schon kennt und daran kann man sich orientieren, man glaubt, wenn man das nachahmt, fühlt sich das dann so an. (überlegt)
Vielleicht wird uns der Veränderungswunsch viel mehr eingeredet. Sie sagt ja auch, es gibt keinen Grund, warum wir uns den gleichen Blazer in einer anderen Farbe kaufen. Nicht umsonst wird ein T-Shirt im Durchschnitt 1,4 mal getragen, bevor es im Müll landet. Der Konsumzwang bringt uns dazu, uns so zu verhalten. Der Wunsch kommt meiner Meinung nach wahrscheinlich von den vielen Bildern, die uns durch social media usw. ständig umgeben … Bilder, die uns vorgeführt werden, setzen sich in uns fest. Werbung muss eine extreme Wirkung auf uns haben, sonst würde das ganze kapitalistische System nicht so rasant funktionieren.
Wir haben für das Stück ja um Kleiderspenden gebeten und unsere eigenen Schränke ausgemistet – es ist so absurd, wie viel Kleidung trotzdem im eigenen Kasten zurückbleibt! Und als wir uns mit all der Kleidung in einem Raum befunden haben, hat uns das irrsinnig belastet und träge und traurig gemacht. Ich glaube, man sieht gar nicht mehr, was man hat, wenn man so viel hat. Die Masse verstellt den Blick. Der einzige Ausweg scheint, sich etwas Neues zu kaufen, um sich die Lüge von Unversehrtheit vorzuspielen.

Die Probleme, die mit dem Thema Mode einhergehen, sind zahllose. Begonnen bei der Ausbeutung und dem Vorantreiben eines kapitalistischen Systems, über das ständige Kreieren neuer problematischer Schönheitsideale bis hin zur Müllproduktion – man könnte endlos weitere Beispiele finden. Natürlich ist es, wie meistens, nicht die Mode selbst, die so viel Leid in die Welt bringt, sondern der Umgang der Menschen und Medien, die ja letztlich auch Menschen sind, damit. Gibt es in einer Welt wie der unseren also auch einen richtigen Umgang damit und wenn ja, wie könnte der aussehen?
Seit langer Zeit ist es selbstverständlich für die westliche Welt, andere Länder auszubeuten. Wir produzieren nicht hier, weil es zu teuer ist, man verschmutzt die Erde dort, weil die Erde in Indien zum Beispiel nicht als so wertvoll angesehen wird wie die Erde hier – so ist ein bisschen der Gedanke dahinter vielleicht. Die westlichen Mächte laden ihren Müll woanders ab. Wir müssten viel mehr regional produzieren, fair bezahlen – akzeptieren, dass wir nicht mehr den Pulli um 9€ bekommen. Es hängen so viele Menschen daran, die Geld damit verdienen wollen – ich glaube für Konsument:innen wie uns ist es vielleicht gar nicht möglich, rein fair produzierte Mode zu erhalten, selbst wenn wir sie selbst nähen würden – wird Stoff hier noch hergestellt bzw. wie? Gibt es faire Baumwolle? Das ist alles so weit fortgeschritten, ich weiß nicht, wie man aus dem Loch nochmal herausfinden soll, ehrlich gesagt. Das ist ja die große Verzweiflung, die dahinter liegt. Die Natur, die kaputt gemacht wird, die Menschen, die ausgebeutet werden – was natürlich, wie so oft, hauptsächlich Frauen und Kinder betrifft.
Es gibt aber natürlich bessere Verhaltensweisen als andere – zumindest qualitativ höherwertiges Material oder Secondhand zu kaufen sind beispielsweise Mittel, um die Katastrophe zumindest ein bisschen kleiner zu halten.
Bringt Mode auch etwas Positives in unsere Welt? Welche Rolle spielt Mode für dich in deinem Leben? Und worin liegt für dich ihr Reiz?
Es ist schön, sich verwandeln, vielleicht verkleiden zu können, sich zu formen, das ist ein Ausdruck unserer Individualität und Einzigartigkeit. Mode ist immer auch ein politisches Statement, es ist möglich, etwas auszusagen oder etwas zu kritisieren damit, das ist auch ein positiver Aspekt. Ich persönlich habe keinen tiefen Bezug zu Mode, ich richte mich nicht nach Trends. Ich bin sehr praktisch veranlagt, ich will das anziehen, was sich gut anfühlt, das trage ich dann, bis es zerfällt. Es ist mir ein bisschen egal, ehrlich gesagt. (lacht)
Erfüllt sich die Erwartung gerade, die du daran hattest, Jelinek zu inszenieren?
Diese Fassung zu machen, der Anfang des Streichens – das war purer Brainfuck. Im Juni haben wir zum Glück ein paar Tage vorgeprobt und gemeinsam mit den Spieler:innen haben wir diese Fassung entwickelt, das war sehr angenehm. Beim Inszenieren war dann das Fordernde, die Textblöcke in szenisch lesbare Situationen zu übersetzen. Das Ensemble war allerdings von Anfang an extrem gut vorbereitet und hat viel angeboten. Sie haben sich alle sehr auf den Text eingelassen; ohne alles gleich verstehen zu müssen, haben sie dem Text erst mal vertraut. Vieles ergibt sich auch erst später, wenn man es als „Ganzes“ sehen kann. Außerdem habe ich das Glück mit einem tollen Regieteam zu arbeiten: Alexia Engl, die für’s Bühnenbild und die Kostüme zuständig ist, Philipp Rudig, der als Sound-macher sein Debüt feiert und tolle Sounds beisteuert, Michael Rudigier, der mir zuverlässig und genau assistiert, Martin Fritz, der mit seinen großartigen Konzept- und Programmhefttexten immer den Denkraum erweitert und – last but not least – die supertolle Carmen Sulzenbacher, die neben der Produktionsleitung die Pressearbeit übernimmt sowie die wunderbaren Layouts unserer Drucksorten und viele schöne Fotos produziert.
Und bei all der Anstrengung und Herausforderung muss ich sagen: Ich würde es jederzeit wieder machen.
| Sarah Caliciotti
Vorstellungen:
30.09., 04.-06.10., 10.10., 12.-14.10., 17.10. jeweils um 20:00 Uhr im Brux / Freies Theater Innsbruck
Eine Produktion von Triebwerk7
