Unter dem Vorsatz „Radical Empathy“ wurde beim brandneuen Positive Futures Festival kürzlich Musik aus allen möglichen Ecken der Welt zusammengebracht, politische Themen trafen auf Emotionen, Poesie auf Performance und vor allem Menschen aufeinander. Wir waren an Tag drei noch einmal dabei und unter anderem Zeug:innen einer zauberhaften Riot Grrrl-Theaterperformance von SIKSA.

„Nehmt euch was euch zusteht“ hat jemand in großen schwarzen Buchstaben an die Wand gegenüber der Kulturbackstube Die Bäckerei gemalt, wo wir für den letzten Tag des Positive Futures Festival zusammenkommen. Heute ist dieses „euch“ ein Teufel, ein Sie-Teufel um genau zu sein, und was ihr zusteht ist die Bühne, dann der ganze Konzertraum, durch den sie ihre Bahnen zieht, dann die Tische, Stühle und Leitern, die sie während ihrem Auftritt erklimmt. Und als nächstes die ganze Welt. SIKSA ist aus Polen, ihr Name eigentlich ein abfälliges Wort für eine junge Frau, die als vulgär, unerfahren und unreif wahrgenommen wird. Künstlerin Alex Freiheit eignet sich das Wort an und macht aus einer vermeintlichen Schwäche eine Stärke. Selbstbezogenheit, Provokation, Chaos: alles hat Platz in der Geschichte, die sich in der nächsten Stunde vor und um uns herum entfaltet. „It’s just going to be bass and vocals, so no surprises“ verspricht die Sängerin zu Beginn – eine kleine Untertreibung vielleicht.
Das Programm, mit dem Alex Freiheit und Bassist Buri heute hier sind heißt „…and the She-Devil bangs with the bass“ und ist eine Art mythologische Lebensgeschichte, die SIKSA über sich selbst geschrieben hat. Sofort muss ich an das Buch „The Life and Loves of a She-Devil“ von Fay Weldon denken, in dem eine Frau, die ihr Leben lang von der Welt und vor allem von den Männern um sie herum missachtet und erniedrigt wurde, die Macht über ihr Schicksal an sich reißt und anfängt, auf radikalste Weise ganz einfach zu tun, was sie will. Die She-Devil lässt dabei eine Spur der Verwüstung zurück, häuft sinnlosen Reichtum an, hat Sex mit wem immer sie will und gestaltet ihren Körper mithilfe von grotesken Schönheitsoperationen völlig um. Die She-Devil ist keine Inspiration, keine moralische Instanz. Sie verkörpert die völlige Selbstbestimmtheit, die Befreiung von dem Zwang, zu gefallen oder zu entsprechen, sicherzustellen, dass andere Menschen sich wohlfühlen, von dem Zwang, freundlich zu sein, angenehm zu sein.

Still zu sein. Schreiend und fluchend streckt die She-Devil in der Bäckerei dem Publikum ihre lange gepiercte Zunge ins Gesicht, die auf Aufforderung durch das Ziehen vieler verschiedener Hände immer länger und länger wird. Bis sie sich plötzlich verselbstständigt und in einer der Hände zurückbleibt. „I took my language in my hands“, so die englische Übersetzung des auf Polnisch vorgetragenen Texts. „I cut off my tongue (…) it was wiser than me / and knew so much before me / that it’s best to cut it off“. SIKSA betont, dass man kein Polnisch sprechen muss, um zu verstehen, worum es in She-Devil bangs with the bass geht. „Because I can see that you’re all a bunch of She-Devils as well“ erklärt sie. Die Sprache, in der wir Teufelinnen miteinander kommunizieren, entsteht vielmehr erst im Zuge der Performance. Immer wieder drängt SIKSA die Anwesenden dazu, im Gleichschritt zu tanzen und irgendwelche verworrenen Geräusche in ihr Mikrofon zu schreien. Im Laufe ihrer Geschichte verlieben sich die She-Devil und die Erzählerin ineinander. „BECAUSE FUNNY AND WISE ARE WHAT?“ fragt SIKSA. „HOT!“ brüllen wir voller Inbrunst zurück.
„Girls, queers, weirdos to the front“ ist die Anweisung, nach der wir uns schließlich wieder vor dem Ort, an dem alles begann, der Bühne, versammeln. „Who wants to fly?“ fragt SIKSA. In einem Moment von beinahe spiritueller Ritualhaftigkeit treibt jemand aus dem Publikum mit weit ausgebreiteten Armen über die Menge hinweg, von hundert Teufelshänden getragen. Was steht uns zu? Alles.

Auf eine sprachlastige Performance folgen zwei, die ganz ohne Worte auskommen. Die walisische Gitarristin Gwenifer Raymond scheint ganz von ihrer eigenen Welt verschluckt, während sie ihrem Instrument eine unmöglich scheinende Menge an gleichzeitigen Tönen entlockt. Die fünfköpfige Band ||ALA|MEDA|| erzeugt etwas, das meine Begleitung als eine „krasse Dichte an Sound“ zusammenfasst. Falls in nächster Zeit global ein Mangel an Rasseln auftreten sollte, ich weiß wieso – diese Typen haben sie alle aufgekauft. Laufend kommt ein anderes mysteriöses Musikinstrument hinter den Drums hervor, oft haben die Musiker mehrere gleichzeitig in den Händen. Der Ugander Faizal Mostrixx betört das Publikum mit einem hitzigen Mix von Afro-Futurism und hat dabei selbst genauso viel Bock zu tanzen wie wir. Ich weiß nicht, was all diese Acts verbindet, aber es gibt da etwas, einen gewisser Zauber … eine Art, Dinge anders zu machen, spielerischer, tiefer. Oder ist der Zauber aus der Kombination entstanden?

Ein Festival, das sich Positive Futures nennt, ist sich der vielfältigen Probleme unserer nicht-so-positiven Gegenwart bewusst. Statt eine Art beschönigenden Gegenpol zu einer pessimistischen Welt zu schaffen, will man einige dieser Probleme hier mit den Mitteln angehen, die einem Festival zur Verfügung stehen. Das kann die Wahl der Künstler:innen sein: kleineren Acts aus tendenziell unterrepräsentierten Ländern eine Plattform zu bieten, ihre Bekanntheit zu steigern und Austausch zu ermöglichen. Das können auch Inhalte sein, wenn wie im Falle von SIKSA Empowerment in einem Konzert von der Theorie direkt in die Praxis übergeht. Ich und ein begeistertes Publikum, das sicher Lust hat, Stammpublikum zu werden, hoffen jedenfalls auf ein weiteres Positive Futures Festival im nächsten Jahr – gerade jetzt müssen wir uns jedes Stück Optimismus nehmen, das wir kriegen können.
| Delia Salzmann
Über das Screening des Films A Story of Sahel Sounds und den ersten Festivaltag haben wir bereits hier berichtet.
