In ihrem vierwöchigen Magic Carpets Residency-Program von September bis Oktober 2023 in Wrocław lud die Tiroler Architektin und Künstlerin Teresa Stillebacher zusammen mit dem Kollektiv AestheticAthletics+ (AA+) in einem eigens errichteten Pavillon zum gemeinsamen Kochen und Dinieren ein. Der kollektive künstlerische Akt soll eine ehemalige Problemzone der Stadt beleben und zum Austausch animieren.

Die Künstlerin und Architektin Teresa Stillebacher installierte zusammen mit AA+ in ihrer von der „Creative-Europe“-Plattform Magic Carpets ins Leben gerufene Residency in Wrocław unter dem Titel all.cake.all.night Cooking and Eating-Sessions als Kunst- und Kulturevent. Einer performativen Intervention gleich zeigte sie in Kooperation mit dem österreichischen Künstlerkollektiv AesteticAthletics+ und Student:innen und Bewohner:innen aus Wrocław das Potential gemeinschaftlichen Bauens, Kochens und Essens als Kulturpraxis auf, die umfassender ist, als man gemeinhin denkt, weil sie über Grenzen blickt und das kollektive Tun und Schaffen abseits von Differenzierungen und Ausgrenzungen in den Fokus rückt. „Ein Gericht funktioniert nicht ohne seine verschiedenen Zutaten, von denen jede ihren Teil beiträgt. Ein Tisch funktioniert nicht ohne das Miteinander“, ziehen die InitiatorInnen einen passenden Vergleich. Niederschwellig angesiedelt ging es um partizipative Momente des Kreativseins, wie sie jeden und jeder zugänglich sein sollen.
Zunächst stand die Installation und der eigenhändige Bau eines Pavillons im Fokus, der quasi als Überbau den Treffpunkt der anschließenden Kochevents markieren soll: „In den ersten Tagen haben wir versucht, Baumaterial zu finden, wobei wir uns daran orientiert haben, was schon da ist. Von Einheimischen vor Ort bekamen wir gute Hinweise, wo was zu finden ist.“ Die Technik des „Dérive“* wurde angewendet, um ein Verständnis für die Stadt zu entwickeln, die städtische Landschaft kennenzulernen, Menschen und Orte zu entdecken sowie Materialien und Objekte zu sammeln. In diesen Tagen des Umherstreifens wurde das städtische Leben in Wroclaw mit ihren Gewohnheiten und Traditionen, Netzwerken und Subkulturen, mit dem Essen und den Rezepten erkundet und in Gesprächen und in Beobachtungen auf eine bottom-up Weise vertraut gemacht.

Die improvisiert anmutende Einrichtung der rotundenförmigen Architekturinstallation ist durchaus so intendiert. Zumal der Pavillon aus wiederverwertetem, vor Ort aufgefundenem Material sowie recycelten Gegenständen und selbstgebauten, handgefertigten Objekten wie die darin stattfindenden Workshops und Events den ressourcenschonenden Umfang weiterformuliert. Und sich ferner auch in aktuelle gesellschaftliche Problematiken des schonenden Ressourcenumgangs und Fragen der Klimagerechtigkeit miteinklinkt. In partizipativer Manier wurde dann bei der Einweihungsfeier des Pavillons gekocht und zwar mit Lebensmitteln und Obst und Gemüse, die nicht neu gekauft wurden, sondern die von Märkten abgeholt und vor der Entsorgung gerettet wurde. Was für den Verkauf aufgrund von Haltbarkeit und Aussehen nicht mehr verwendbar und daher im Müll gelandet wäre, wurde hier ganz nach dem Motto „wir bauen und kochen mit dem, was da ist“ unter dem Gedanken der Nachhaltigkeit und der Improvisation verwertet.
Die Verwendung des Pavillons formulierte so die Funktion des Komplexes auf taktiler, visueller und olfaktorischer Weise weiter. Dazu sei gesagt, dass partizipative Akte des Kochens, Austausches und gemeinsamen Verspeisens in der Kunst nicht neu sind. Man denkt wohl zuvorderst an Performanceakte, wie das vom US-amerikanischen Konzeptkünstler Theaster Gates organisierte Soul Food Pavillon, eine Serie von fünf abgehaltenen Mahlzeiten, die der amerikanische Künstler im öffentlichen Raum veranstaltete. Man denke auch an Rirkrit Tiravanija, der in Untitled 1989 in der Scott Hanson Gallery sowie in Untitled 1992 in der New Yorker 303 Gallery den Akt des Kochens auf visuelle und performative Weise in die Ausstellungsrealität transferierte. War es im ersten Falle noch auf ein sinnliches Erleben begrenzt, indem Tiravanija verschiedene Phasen des Koch-Prozesses – die Rohzutaten, das Kochen und den Abfall – auf einem Podest ausstellte, trat die Ausstellungsperformance in der 303 Gallery noch einen Schritt weiter ans Publikum heran. Hier kochte der Künstler als Performanceakt in den Ausstellungsräumlichkeiten während der Dauer der gesamten Ausstellung für die Besucher:innen selbst auf, servierte ihnen zur Mittagszeit das gekochte Curry-Gericht und zeigte da bereits da kollektive Moment einer gemeinsamen Mahlzeit auf.

So weit entfernt von Gates oder Tiravanijas Intension ist die Aktion von Stillebacher und AA+ mit dem Titel all.cake.all.night gar nicht, doch verleiht ihr Projekt dem Kochen und Essen als Kunst im öffentlichen Raum nochmals eine ganz eigene, neue Wendung. In Menschen sind in ihrem Falle dazu eingeladen, ihre Rezepte vielmehr auszutauschen, um auf diese Weise ganz locker und ungezwungen ins Gespräch zu kommen. Als Intervention zwischen Raum, Architektur und Kultur angelegt, schob Stillebachers Event den Fokus noch stärker auf die Kollaboration, die erst die Basis einer Begegnung auf Augenhöhe bildet. In ihrem Falle gab es keine Barrieren in Form eines nicht für alle zugänglichen Ausstellungs- oder Museumsraumes oder aber in Form einer eine Veranstaltung in der das Publikum nur Zuseher war. In ihrem Falle wurde das Publikum selbst unmittelbar in den Prozess des Kochens integriert. Auch waren ihre Performanceakte – mit dem Publikum gemeinsam ausgeführt – nicht auf einen Sockel gestellt.
Die architektonische Installation selbst stellte sich als kreisförmige Struktur dar, die mit Textil umhüllt war, um den Anschein eines privaten Raums zu erwecken. Das Besondere daran war, dass das Textil, wenn von Innen beleuchtet, nach Aussen hin halbtransparent wurde. Dies ermöglichte es Beobachtern von außen, die Aktivitäten im Inneren zu sehen, während diejenigen im Inneren ein Gefühl von Schutz und Privatsphäre verspürten. Innen gestaltete sich das Interior als dekonstruierte Küche. Sie verfügte über verschiedene Oberflächen in unterschiedlichen Höhen, wo das diverse Arbeiten um das Kochen möglich gemacht wurde. Es wurden unterschiedliche Materialien verwendet, darunter Stahlelemente, Teile gefundener Möbel, Alufertigteile, Elemente von Laminat- und Holzböden. Manchmal wurde auch ein Kürbis als statischer Baustein verwendet. Im Wesentlichen fungierte die Küche es als eine kommunikative Insel in der Mitte, die es den Menschen ermöglichte, sich frei zu bewegen. Die Situation sollte die alltägliche Aktion des Kochens in einen neuen besonderen Kontext setzen und sie gewissermaßen zur Performance erheben.

All.cake.all.night fungierte so als ein mitten im öffentlichen Raum befindliches Event zum Kommunikator des heterogenen Stadtlebens. „Von marokkanischen und syrischen Leuten bis zu Ukrainer:innen, Pol:innen und Menschen mit spanischer Herkunft – mit dabei waren viele Menschen mit Wurzeln über die Kontinente verteilt und unterschiedlichen Alters, die dann gemeinsam Gerichte gekocht und Rezepte untereinander ausgewechselt haben. Es ist dann eine ganz andere Art von Begegnung, die ansonsten nicht zustande kommen kann. Menschen, deren Wege sich normalerweise nicht kreuzen, kamen miteinander in Kontakt und teilten ihre alltäglichen Gewohnheiten und Ideen“, so die Architektin. Dem Koch-Event gingen bereits partizipativ angelegte Veranstaltungen wie ein Töpferworkshop mit Architekturstudent:innen voraus, woraus Teller und Schüsseln entstanden. Da ist zum einen der Gedanke der Nachhaltigkeit, der sich mit der Intention vermengt, Menschen aus allen Lebensbereichen zusammenzubringen: „Wir wollten einen Ort schaffen, wo sich Menschen schnell und niederschwellig treffen und zwanglos ins Gespräch kommen können“. Es ging auch um den Stadtteil selbst, in dem der Pavillon aufgebaut war. Dieser Stadtteil wurde in der Vergangenheit aufgrund einer erhöhten Kriminalitätsrate als eine problematische Zone der Stadt betrachtet. Das dies zur gegenwärtigen Realität gehört, kann Stillebacher jedoch mit den eigenen Erfahrungen, die sie vor Ort machte, widerlegen: „Unser Pavillon stand einige Tage unbewacht da und es wurde weder zerstört noch ist etwas anderes mit ihm passiert. Zudem zeigten sich die Bewohner:innen des Viertels als sehr hilfsbereit uns gegenüber.“

Teresa Stillebacher ist als Architektin, Designerin und Künstlerin vornehmlich im öffentlichen Stadtraum unterwegs. Sie arbeitet als Senior Scientist am /studio 3 – Institut für experimentelle Architektur an der Universität Innsbruck interdisziplinär, wobei sie an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunstperformance und Interventionen im öffentlichen Raum agiert. Das im Zuge der Residency durchgeführte Projekt steht beispielhaft dafür. Zum einen ist da das architektonische Element, das sich hier aber ganz bewusst mit der Partizipationskunst vermengt. Nicht unwesentlich in Stillebachers Interventionen ist das in den Prozess miteingebundene Publikum als Partizipant. Die Projekte der Architektin bedingen aktive Besucher:innen und Teilnehmer:innen, die aus ihrer bloßen Beobachterrolle schlüpfen, geradezu. Das kann wie im Magic-Carpets Projekt all.cake.all.night dann in Form von gemeinschaftlichen Kochevents sein. Das kann aber auch in einer Mitgestaltung beim Heart of-Noise-Festival geschehen, wo die Architektin – abermals im gemeinschaftlichen Akt – eine Bühne aus Weggeworfenem, Wiederverwertetem, Unbrauchbarem und Recyceltem schaffte und diese gar in Disposition sowie in Anklang zur Wegwerfgesellschaft zu Kulturobjekten erhob. Das Projekt what a waste wurde ähnlich wie all.cake.all.night als kollektiver Versuch realisiert, wobei es diesmal Studierende des ./studio3 waren, die zum kontinuierlichen Entstehungsprozess architektonischer Elemente beitrugen und – über ihre Studienrealität als Bachelor- oder Materstudent:innen hinweg – in Kontakt mit dem öffentlichen Raum kamen. Offensichtlich wird in Stillebachers Schaffen auch die Verflechtung zwischen Architektur und Kultur sichtbar. Blickt man auf das Werk der gebürtig aus Imst stammenden Archtektin, scheint es fast so, als würde das eine das andere bedingen.
Am Ende war es auch in all.cake.all.night so, dass es um die Momente des voneinander Lernens ging. Ein kleines Gespräch über die Dinge des Alltags, den Lieblingsrezepten und Leibspeisen – die Teilnehmer:innen bauten so untereinander Brücken über differente Kulturen hinweg. Stillebacher demonstrierte in ihrem Projekt gesellschaftliche Möglichkeiten von Architektur und Kunst als Performance und Intervention, sich näher zu kommen. Und gerade weil Grenzen und Abgrenzungen ad absurdum geführt wurden und sich die Partizipant:innen über ihre Kochkünste hinweg frei entfalten konnten, wirkte die Annäherung – als Kunstperformance – derart eindringlich. Nicht zuletzt und das ist bei ihrem Projekt wesentlich, trafen sich Wege von Menschen, die sich wohl ohne all.cake.all.night nicht treffen würden. In all.cake.all.night sorgten gerade die zufälligen Begegnungen für intime Momente. Mit dem Kochen über das Kochen hinweg – Liebe und Freundschaft geht ja bekanntlich durch den Magen.
*Der Begriff „Dérive“, der aus dem Französischen stammt, bedeutet wörtlich „Abdrift“ oder „Ablenkung“. Er wird oft im Kontext der Situationistischen Internationale verwendet, einer avantgardistischen politischen und künstlerischen Bewegung, die in den 1950er und 1960er Jahren aktiv war. Dérive ist eine Technik des ziellosen Spazierens oder Umherstreifens durch die Stadt, bei der Menschen ihre gewohnten Wege verlassen, um die Umgebung auf neue und unerwartete Weise zu erleben.
| Florian Gucher

Ein Gedanke zu “Eine Installation für kollektives Kochen – TERESA STILLEBACHER auf Artist-Residency in Wrocław ”