Ikarus 2.0 und der digitale Höhensturzflug – ART BOX feat. LUKAS DWORSCHAK

Ein gestutzter, an einer Kette auf dem Boden festgemachter Ikarus-Flügel nimmt es vorweg: Die bis zum 16.6.2024 in der ART BOX des Haller Klocker Museums installierte Arbeit Lukas Dworschaks mit dem Titel „New Skies“ erzählt anhand des antiken Ikarus-Mythos, was geschieht, wenn man höher und höher strebt und zu nahe an die Sonne gerät. Der gebürtige Innsbrucker und letztjährige Stipendiat der Klocker Stiftung setzt sich mit der heute so rasant fortschreitenden Technologie und ihren Gefahren auseinander. Er nimmt den Prozess des sogenannten „mind uploading“ (der Speicherung des Geistes und der Seele auf ein externes Medium, um uns digital auf ewig lebendig zu halten) zum Ausgangspunkt und sinniert darüber, wie weit die Menschheit über natürlich auferlegte Grenzen hinweggehen kann – und wann es in Manier der abgestürzten, hochmütigen Ikarusfigur zu viel des Guten ist.

Ausstellungsansicht „New Skies“ ART BOX | Foto: West.Fotostudio

Seitlich in Fensternähe liegt er auf einem tonartigen Relief, eine auf einem Haken an der Wand mündende Eisenkette bindet ihn fest an die Erde. Die Rede ist von einem weißen, gestutzten Flügel und es gibt keinen Zweifel, dass der Höhenflug dieses bereits abgelegten Dinges zu Ende, ja sprichwörtlich auf den Boden der Realität gelandet ist. Das lässt dann sogleich an die fatale Geschichte des zu hoch geflogenen, ins Meer gestürzten Ikarus denken: Laut Überlieferung wollte er mit den von seinem Vater Dädalus gebauten Wachsflügeln über seine eigenen Möglichkeiten streben, entschied sich trotz Rat des Vaters, nicht zu hoch zu steigen, vom Übermut angespornt nach der Sonne zu greifen und wurde prompt von der Götterwelt mit dem Tod bestraft. Der gebürtige Innsbrucker, heute in Wien lebende Künstler Lukas Dworschak hat sich nun für seine eigens für die ART BOX im Klocker Museum kreierte Installation „New Skies“ an diesem jahrhundertealten Motiv orientiert, um die Geschichte neu zu erzählen. Er transferiert den Plot durch Aktualitätsbezüge in die Gegenwart und Zukunft: „Auch wenn die Zeiten sich ändern, die Storys ähneln sich. Sie bleiben gewissermaßen dieselben. Die Erkundung dieses Phänomens interessiert mich. Das ist auch der Grund, warum ich gerne alten Mythen und Sagen aufgreife und in meinen Arbeiten ins Hier und Jetzt zu holen versuche“, so der Künstler, der in „New Skies“ die Aktualität der Ikarus-Geschichte aufzeigen möchte.

Dworschak verwebt so den Griff des Übermütigen nach dem Unmöglichen mit der heutigen digitalen Realität, wo die Menschheit ihr geistiges Sein durch technologische Möglichkeiten verewigen will, ungeachtet dessen, dass es so etwas wie die Ewigkeit für uns gar nicht gibt. Zu diesem Zwecke referiert der Künstler auf heutige und zukünftige technologische Entwicklungen. Diese reichen von Cloud-Systemen im Internet bis zur digitalen Speicherung von menschlichen Gehirnleistungen – dem sogenannten „mind transfer“ oder „mind uploading“ – und beherbergen ethisch wie moralisch durchaus problematische Fragestellungen in sich. Dem technischen Fortschritt ist vieles zu verdanken. Er kann aber zur Gefahr werden, wenn die Menschen beginnen, über sich selbst zu streben, wenn sie sich in Sphären erheben, die ihnen verwehrt sind und natürlich gegebene Bedingungen wie den Tod aus dem Auge verlieren. Die Arbeit wiegt Potential und Risiko ab. Von der in wenigen Jahren durchaus möglich erscheinenden digitalen Konservierung des mentalen Gedächtnisses, dem „mind uploading“, das uns überdauern und zeitgleich lebendig halten soll, ausgehend, fragt Dworschak nach den Grenzen kollektiven gesellschaftlichen Tuns: Ist es ratsam, alle Möglichkeiten der Technologie auszuloten oder können diese dann als Gefahren auf das Individuum Mensch selbst zurückwirken, ja ihm sogar im existentiellen Sinne zum Verhängnis werden? Nicht nur der Flügel weist darauf hin. Neben ihm breitet sich nämlich ein sich durch ein knochenartiges Relief schlängelnder Lichtschlauch aus, der in einem dystopisch anmutenden UV-Print auf Acrylglas mündet, das den digitalen Transfer des menschlichen Wissens auf die Spitze treibt. Dargestellt ist eine Art posthumane Ikarus-Maschine, die durch ihre opake, metallisch glänzende Oberflächengestalt alles Menschliche verloren zu haben scheint. Blickt man genauer auf das digitale generierte Bild, so kann man untergründig in unterschiedlichen Farbtönen von Violett bis Braun doch noch ein menschliches Antlitz ausmachen, wenn nur auch ganz verschwommen. Lediglich in Umrissen erkennbar hat er seine menschliche Form bereits abgelegt. Er befindet sich in einem Zustand der Metamorphose. Violette Adern schießen wie Blitze einer Transformation auf, der Lichtschlauch scheint das humane Wissen des Menschen in die Maschine einzuschleusen. Der Mensch wird unsterblich gemacht, zeitgleich ganz Maschine. Und selbst diese – darum geht es Dworschak – ist paradoxerweise alles andere als gesichert in ihrer Existenz. Sowie in anderer Ecke des Raumes dann ein Video mit Polarlichtern zu sehen ist, wird der digitale Ikarus nämlich schlagartig als fragiles Konstrukt entlarvt. Das in die Installation integrierte Video zeigt, auf welch wackeligem Fundament die vermeintliche Unsterblichkeit auch im virtuellen Raum gebaut ist. Hinter dem Naturschauspiel der Polarlichter stehen Sonnenstürme. Diese gelten nachweißlich als eine der größten Gefahren für den Zusammenbruch des digitalen Netzes. Das schön anzusehende Spektakel könnte der Menschheit einen Strich durch die Rechnung machen. Abermals gelangt man zum Ikarus-Motiv zurück: Sowie die mythische Gestalt einst zu nah an die Sonne kam und sich dabei die Flügel verbrannte, kann die Sonne auch diesmal zum Spielverderber werden.

Ausstellungsansicht „New Skies“ ART BOX | Foto: West.Fotostudio

Das Ganze wird dann auf die materielle Ebene übertragen: Dworschaks Objekte sind technologisch, zeitgleich aber auch irgendwie reliefartig. So bergen sie den Dualismus zwischen Unendlichkeit und Vergänglichkeit, von Vergangenheit und Gegenwart, selbst formal in sich. Die in die Installation eingeflochtenen artifiziellen Gegenstände aus Gips erinnern an Relikte vergangener Zeit. Durch ihr skelett- sowie fossilienartiges Erscheinungsbild weisen sie sich durchaus archaische Gegenspieler aus, die aber in der hier aufgebauten virtuellen Welt gespiegelt werden. Dem gegenüber muten die digitalen Elemente – hier in Form eines Rasperry PI Einplatinencompters, eines CGI UV Prints, von Epoxidharz sowie LED-Objekten – wie ein postapokalyptisches Überbleibsel, zumindest aber als ein nach dem Tod eines Individuums zurückbleibendes digitales Erbe, an. Vergangenheit und Zukunft verweben sich bei Dworschak so zum ineinandergreifenden Ganzen. Mythos und Realität werden eins. Ikarus erwacht als digitaler Alter Ego wieder zum Leben und strebt abermals der Sonne entgegen.

Dass Lukas Dworschaks Werke aus einer Kombination an analogen und digitalen Objekten speisen, ist neben dem Inhalt von „New Skies“ auch seinem eigenen Werdegang als Künstler verschuldet. Ursprünglich als Maschinenbauer tätig, kam er erst in zweiter Instanz zur Kunst, wobei er den Eintritt interessanterweise über die klassische Malerei fand:

„Ich habe gleich gemerkt, dass die technischen Aspekte meines vorherigen Berufes, die digitale Medien und die 3-D Modellierung, sich in meine Kunst eingeschlichen haben – ursprünglich aber eher als Spielwiese zur Malerei und weniger als eigenständige Werke“,

so der transmedial arbeitende Künstler. Immer war da also das Interesse Dworschaks an digitalen, technischen Medien, was auch in seiner Ausbildung an der Universität für angewandte Kunst Wien zum Vorschein kommt, wo er die Klasse für Malerei und Animationsfilm besucht hat: „Es war auch hier schon zweischneidig. Einerseits war da die klassische Malerei, die mich prägte, andererseits die Beschäftigung mit dem experimentellen Bewegtbild, der Einfluss digitaler Mechanismen in der Kunst.“ Dieser Dualismus wurde dann in Dworschaks Kunst wesentlich, wenngleich seine frühen Werke noch recht „klassisch“ im Sinne der bildenden Kunst anmuten. Das veränderte sich dann schlagartig im Laufe der Pandemiezeit, wo sich Dworschak durchaus vor dem Hintergrund der Covid-Verbreitung mit der Frage gesellschaftlicher Vernetzung auseinandersetzte. Aus aktuellem Anlass widmete er sich – nicht zuletzt unter einem gesellschaftlichen Aspekt – der Konnektivität im virtuellen und physischen Raum und fand daran gefallen. Man denke dabei an die Installation „When you touch my heard I pour myself into the Hypersea“, seine wohl erste Arbeit, die das interaktive Moment ins Zentrum rückte und alles das vorherige klassische Malereiverständnis gänzlich wegfallen ließ. Die aus dem Werk sprechende Hyperkollektivität, symbolisiert in einer mit Wasser gefüllten Skulptur, die metaphorisch für die Kanäle der Konnektivität steht – ganz im Sinne dessen, wie auch das Virus gesellschaftlich untereinander verbreitet werden konnte. Eine andere Arbeit mit dem Titel „Fractured Boundaries“ widmet sich ganz explizit der Körperlichkeit im virtuellen Raum, indem der Künstler anhand einer materiellen Skulptur ein VR-Erlebnis kreiert, das Grenzen zwischen Körper und Raum untersucht. Die Skulptur scheint durch das Betrachten durch die VR-Brille lebendig zu werden, schwillt an ehe sie zerfällt und im diesem undefinierbaren Raum aufgeht, ja selbst ganz Raum wird. „No blood in my veins“ versucht dann durch 3-d gedruckte Keramiken, die virtuell kreiert sind, aber eine Lebendigkeit als Körper erhalten, das fluide Verhältnis des (Un)Greifbaren weiterzutreiben.

Dworschaks interessierte sich mehr und mehr für das Ineinandergreifen von physischer Materialität und Virtualität und der heute immer schwieriger werdenden Auseinanderhaltung dieser beiden Pole. Sein künstlerisches Verständnis zielt dabei auf gesellschaftliche Phänomene und Fragestellungen ab – man nehme die Covid-Pandemie oder aber den Einzug der virtuellen Realität in den Alltag als Beispiele. Diesen Gedanken bringt Dworschak auch als Mitglied des Kollektives von room69*, das sich aus einer Gruppenausstellung des ehemaligen Ausstellungsraum room 69 heraus bildete und auf Basis dessen Schließung den Namen als Idee weiterträgt, in gemeinschaftlich kreierten Arbeiten ein: „Es handelt sich um eine ähnlich denkende und arbeitende Künstler:innengruppe, die den Gedanken des Raumes aufgreift und gewissermaßen selbst Raum sein möchte“, so Dworschak.

Lukas Dworschak | Credit: Lukas Dworschak

Die Ausstellung in der ART BOX ist durchaus zukunftsrelevant: Der Künstler Lukas Dworschak hat die schwer zu bespielende, weil so hohe und enge Räumlichkeit der ART BOX optimal genutzt um ein ganzes Narrativ über die immer technologischer werdende Welt auszubreiten. Anhand weniger Objekte gelingt es ihm, eine Spannweite von der griechischen Mythologie bis zu der Maschinisierung des Menschen aufzumachen und Parallelen aufzuzeigen, die über die Zeiten hinweg beständig sind.  „New Skies“ ist der Versuch, gesellschaftliche Problemzonen der Technologisierung offenzulegen – und zwar mithilfe eines alten, immer noch brandaktuellen Mythos. Digitale Mechanismen finden gegenwärtig Einzug in unser aller Leben. Wann ist der Punkt erreicht, eine Grenze zu ziehen? Ist man mit Entwicklungen wie ChatGPT, der Hervorbringung digitalen Identitäten sowie dem zukünftigen „mind transfer“ – wohl die derzeitige Spitze des Eisberges – bereits zu nah an die Sonne geraten? Auch wenn die Installation eine eindeutige Antwort verwehrt, liest sie sich doch wie ein Warnruf in Manier des Dädalus. Was der Ikarus der Zukunft aber tatsächlich macht, wie der digitale Höhenflug der Menschheit ausgehen wird, bleibt in „New Skies“ offen. Die Sonnenstürme ziehen zumindest bereits als sichtbare Gefahr – auf dem Monitor – auf. Sie könnten für die digitale Postapokalypse sorgen. Was bleibt dann zurück? Lukas Dworschak deutet es in dem zu Boden gefallenen Flügel, der nur mehr ein Fossil seiner selbst ist, an. 

| Florian Gucher

*das Kollektiv room69 besteht aus dem Künstler:innen Maximilian Prag, Josepha Edbauer, Cristian Anutoiu, Hannah Neckel, Brooklyn J. Pakathi, Roman Fleischmann und Lukas Dworschak.

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