Von Entscheidungen aus dem Bauch und über Bäuche – „Kein.Mutter.Land.“ von Julia Jenewein

Mutterschaft ist politisch. Und Nichtmutterschaft ist es ebenso. Gesellschaftliche Stigmatisierung von Nicht-Müttern oder von Müttern, die sich nicht so verhalten, wie es patriarchale Rollenbilder vorgeben, existiert nach wie vor und erhöht den Leidensdruck für viele Menschen, die sich oft ohnehin in schwierigen Lebensumständen befinden.

Auch die Tatsache, dass in Österreich und Deutschland Schwangerschaftsabbrüche lediglich „unter bestimmten Bedingungen straffrei“, also grundsätzlich strafbar, teuer und schwer zugänglich sind, erschwert eine selbstbestimmte (Nicht-)Familienplanung immens. Neun von zehn Gynäkolog*innen führen keine Abbrüche durch, weil der Eingriff derart tabuisiert ist.

Die Verknüpfung von Frausein* und Muttersein ist immer noch allgegenwärtig. Auch wenn sich viele Frauen* heute dazu entschließen, keine Kinder zu bekommen, werden sie stets mit der Drohung, sie würden dies bestimmt noch bereuen, konfrontiert. Reue eine bereits bestehende Mutterschaft betreffend wird hingegen nicht als zulässiges Gefühl gewertet.

Katarina Hauser und Elena-Maria Knapp | Bild: Alena Klinger

„Um mich herum bauen alle Nester, werden schön üppig, sind gebenedeit unter den Frauen. Man wird erschlagen mit Bäuchen! Ich bin halt weiter nur die, ohne, die mit der Fehlstelle, weil ich nicht ‚von Natur aus‘, weil ich keine ‚Muttergefühle‘ blablabla…“

„‘Sie können keine Kinder bekommen‘. Der Satz hallt in mir immer wieder nach. Ich überlege, ob ich in Ermangelung dieser Fähigkeit überhaupt eine richtige Frau bin. Weiblichkeit ohne Fruchtbarkeit erscheint mir wie Tennis ohne Schläger. Auf der Straße sehe ich nur noch Mütter mit Kinderwagen. Sie können etwas, das ich nicht kann. Ich fühle mich defekt, als hätte ich eine Superkraft verloren, von der ich nie Gebrauch gemacht habe.“

„Mittlerweile ist mir vollkommen klar, wenn ich heute vor der Entscheidung stünde, mit dem, was ich heute weiß – dass mein Leben viel besser wäre, wenn … Ich liebe meine Kinder. Und ich würde sie niemals hergeben wollen. Aber ich bereue es, Mutter geworden zu sein.“

– Zitate aus „Kein.Mutter.Land.“

Verschiedenste Gründe kann es für Kinderlosigkeit geben und genauso viele unterschiedliche Gefühle die bestehende Mutterschaft betreffend. Es ist kein Thema, über das alle einfach so reden können oder wollen; es ist zutiefst intim und oftmals mit schmerzhaften Erfahrungen verbunden. Und dennoch scheinen irgendwie alle eine Meinung dazu zu haben und diese auch unbedingt kundtun zu müssen. Auch wenn Frauen* Kinder haben und damit in den Augen vieler ihren gesellschaftlichen Auftrag erfüllen, können sie selten etwas richtig machen. Es scheint immer jemand bereit zu stehen, der weiß, warum es wichtig ist, zu stillen oder ein Tragetuch zu verwenden, diese und jene Routine einzuhalten, das Kind „schreien zu lassen“ oder ebendies niemals zu tun. Einerseits wird von Müttern erwartet, ihr Leben im Zweifelsfall für ihre Kinder zu opfern, in jedem Fall aber auf alles für sie zu verzichten – andererseits werden sie sogleich als „Helikoptermütter“ abgestempelt, wenn sie sich zu sehr sorgen.

Katarina Hauser und Elena-Maria Knapp | Bild: Alena Klinger

In der Performance „KEIN.MUTTER.LAND. Wenn Frauen nicht muttern und Mütter nicht schaffen“ von Julia Jenewein kommen die Betroffenen in Form von integrierten Interviews, die wir** mit zahlreichen Personen geführt haben, selbst zu Wort.

Manche Frauen* fühlen sich „abnormal“, „nicht wie die anderen“, erzählten sie – weil sie keinen Kinderwunsch hegen. Seit jeher genießen sie ihre Freiheit, in jedem Moment das tun zu können, was sie möchten. Ihnen geht es gut mit dieser Entscheidung, ihrem Umfeld aber offenbar nicht. Ständig werden sie darauf angesprochen, ob sie das nicht egoistisch fänden und ob sie nicht glauben, dass sie das bereuen würden. Ganz bestimmt würden sie das nämlich. Eigentlich fühlten sie sich gut mit diesem Lebensentwurf, aber die vielen Verurteilungen und klare Positionierungen gegen diesen verunsichern sie zunehmend.

Eine andere Betroffene hingegen hat sich immer eine Familie gewünscht. Ein Kind mit einem Partner, den sie liebt und mit dem sie eine funktionierende Beziehung führt. Leider bekam sie irgendwann die Diagnose, mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Kinder bekommen zu können. Mit jedem Monat, das vergeht, wächst ihre Angst, dass es bald ganz zu spät sein könnte. Dass ihr großer Traum nicht mehr in Erfüllung gehen wird. Jedes Mal, wenn sie jemand fragt, ob sie sich denn keine Kinder wünsche, versetzt es ihr einen Stich.

Eine weitere Befragte hat bereits zwei Kinder. Sie hätte die Karriere machen können, die sie sich immer gewünscht hat – doch als ihr die Stelle auf der Führungsebene angeboten wurde, wusste sie bereits, dass sie schwanger war. Sie hat die Stelle abgelehnt und jahrelang zurückstecken müssen, um in der Form für ihre Kinder da zu sein, die sie für richtig hielt – nicht zuletzt, weil der Vater der Kinder dies nicht getan hat. Auf die „Karriere“, die sie eigentlich machen wollte, hat sie verzichtet. Oft stellt sie sich vor, wo sie jetzt wäre, wenn alles anders gekommen wäre.

Nicht alle gehörten Stimmen können in der Performance vorkommen, aber viele tun es stellvertretend. Katarina Hauser und Elena-Maria Knapp tragen aus den Interviews vor, verkörpern aber auch zwei Frauen*, die versuchen, mit ihrer jeweiligen Situation zurecht zu kommen – die eine, so kann interpretiert werden, mit ihrer Mutterschaft und allem, was dieser vorausging; die andere ohne jener und all den gesellschaftlichen Stigmatisierungen, die damit wiederum einhergehen. Sie tun dies wütend, verzweifelt und traurig, mitunter aber auch sehr lustig und selbstironisch. In jedem Fall ist das, was sie tun, ein Befreiungsschlag und ein Statement dafür, einfach sein zu dürfen, mit oder ohne – oder irgendwas dazwischen. Mit dem, was das eigene Leben so für eine*n bereit hält, selbst klarzukommen, ist schließlich schwer genug.

| Sarah Caliciotti

** Die Redakteurin Sarah Caliciotti war als Dramaturgin an der Produktion beteiligt.


Vorstellungstermine:

DO 02.05. + FR 03.05.2024  KUNSTRAUM INNSBRUCK

DO 06.06. + FR 07.06.2024  DIE BALE INNSBRUCK

SA 29.06.2024 THEATER UNTER STERNEN (ZEUGHAUS)

Veranstalter: Subvolée Verein für subkulturellen Diskurs & Performance

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