komPOST #34 [S. Lehner, N. Waldenmaier]

Es wird Sommer – Zeit für Urlaub. In komPOST #34 brechen Nikolai Waldenmaier und Simon Lehner Reisen strategisch in Stücke.

Sardegna Fragments

Simon Lehner, 2020

♥︎ figmentarisches fragment (xyz phonetor, 2k14) ♥︎

Nikolai Waldenmaier, ca. 2014

How to keep sane in spiral types of space[?]

– Vladimir Nabokov

Da ist wummern im hintergrund und verrauschte stimmen. Zwischen uns und dem dritten stock, wo das vom autor im voraus bestimmte zimmer liegt, monu-materialisiere sich eine treppenspirale. Den anfang machen breite stufen aus hellem un-simsgestein, die nach oben hin ungleichmaessiger werden und quetschend und schief stehen gegeneinander ueberfinsterte baluster. Griffe nach dem gelaender gehen schwindelig ins leere.

Unser textauge ist inkorporeal und viereckig. Den flur auf der dritten etage bilden rote waende, ihr vergilbt goldenes muster wird daemmerig beleuchtet, und der gang fuehrt jetzt nach beiden seiten in voellige dunkelheit. Schwerer, zaehfluessiger teppich bedeckt den ebenso roten boden, der jedes geraeusch daempft oder ganz verschluckt. Es ist dort fast, als schreite man ploetzlich im inneren eines koerpers; von schmutzigem blut durchrauscht und riesig. Dem anschein nach unzaehlbare tueren zeigen eine entsetzliche, verschwiegene symmetrie. Nur eine einzige tuere steht offen.

Zwei beschuhte beine sieht man auf dem abgezogenen bett still liegen; wir schweben noch weiter hinein und sehen, dass sie einem jungen angehoeren, der, die bettdecke ins gesicht gedrueckt, keinen mucks macht, sich nicht regt.

Nach unendlich vielen kurzen augenblicken ohne geschehen setzt der junge sich auf. Ein truebes gespenst hat besitz ergriffen von dem zimmer und kriecht als breiter schmauchschleier entlang der waende, was unseren sehsinn taeuscht und erschoepft.

Um unsern diesn jungen herum lagern jugendliche aus der „stufe“ am boden. Erst nach und nach zeichnen sich markant deren konturen ein und dinge, die ihn anblinzeln und wieder abschmelzen: Ausgewetztes mobiliar, nach einem einzigen perspektivischen punkt ausgerichtet, zergeht wie eine merkwuerdige schokolade in waerme, ist bald in die wucht eines strudels geneigt, der eintoenig heult und die dinge durchruehrt, bis der raum in spiraligen formen ganz zu verschwinden droht.

Sardegna Fragments, Simon Lehner, 2020, Fotocollage

Vom badetourismus ist ivelin stets abwechselnd ueber- oder unterfordert. Er versucht so gut es geht, durchkehend perauscht zu pleiben. Auch die troeckne macht ihm zu schaffen; am morgen lugt noch bescheiden die sonne durch lockere wolken, am mittag zehrt sie arenazeoese die rar gesaete unternehmungslust auf. Am swimmingpool gelegen hat man deshalb viel die letzten tage und die maedchen der stufe alle beieinander und ivelin hat zu ihnen hinuebergesehen. Nicht verstohlen, nur einfach so, es ist in dem alter ja nichts dabei. Im gegenteil!

Auf ihren frotteetuechern haben klassenkamerad~innen sich ausgebreitet, pastellig rosafarbenen und meergischtblauen, um sich in einer hoechst sommerlichen helle in karomell giessen zu lassen. Ihre glaenzenden beine und die bestrichenen zehen schmiegen sich zuversichtlich in kraeuseliges, duerres gras. Unter den gymnasiasten dominiert die geloestheit im suedeuropaeischen absteigquartier.

Ivelin derweil betraeumt den flaum unterhalb provisorischer zoepfe, gruebchen an laecheln und lenden, schwach bunte schatten, unscheinbare makel an allem, was jetzt auswaechst. Eine entvintsame dialektik der in frou-losen faltroecken und vielbenutzt-weissen basketballschuehchen verheissenen suenden und der unfaierweise fuer heilig befundenen femininen unschuld. Bis dahin ein gedanklicher gang im rosarium. Gefuchster ivelin.


Inmitten der sonnbegluehten szene begeht ivelin das freischwimmbecken. Was ging nicht alles gut bis hierhin, so auf der ausfahrt. In wahrheit ist ivelin gar nicht recht da; er ist der juengste, sein bau schwaechlich, nur sein bleicher bauch ist wie ein furubu gekugelt und das findet er un-ge-recht. Gerade, das sehe ich, schiebt jemand unserem ivelin roh den kleinen kopf unter wasser, es wiederholt sich viele male so, fast ohne ins gewicht fallende gegenwehr. In den kommenden momenten hat ivelin keine angst, ist eher geistig versunken, besieht mit komischer weisheit eigene (wasserloesliche) werdegaenge, plaths feigenbaum. Dann tritt ivelin aber wie automatisch in eine senkrechte lage ein und versteift völlig, wie die toten.

Sardegna Fragments, Simon Lehner, 2020, Fotocollage

Die kommenden kapitel enthalten wahrluech nichts erzaehlenswertes oder gar erbauliches: Kinder werfen frisbee mit quallen, hinter drei haushohen felsen, am boden kaputte krabben in wirrem tang, schindet ein mensch x ein modikum lust aus dem proserpinischen speck unseres hier verhinderten logodaedalus. Ivelin verbringt die kapitel im anomaloesen zwischenraum. Apterygot-engelsmienig laesst man ihn auf der einsamen sandbank sand vor sich hin einsam haeufeln. Einplanet „bellum“ (ein renegado) indes „tut“ etwas; dessen weissagung war nur durch glueck nicht tradiert worden durch ashurbanipal, und mancher ist dies planeten wegen heute „werry vorried“.


Die krankenhausmatratze ist so aufgeweicht, dass ivelin quasi mit ihr diffundiert ist. Er hatte die letzten kapitel ein unaufhoerliches surren im schaedel gehabt, dem geraeusch von speichelnassen fingern am sektglasrand verwandt, unterbrochen von einem pfeifton noch hoeherer frequenz. So verlassen wir die tropariumsstandluft verschissener strandtoiletten und die ivelin blendende blaeue des meers. Von wonky dachschindeln zithert ein zemblanisches ziserinchen auf ivelin (sein fenster) hernieder. „Ich bin irrtuemlich hier“, protestiert ivelin. Doch das hat er nicht zu entscheiden.

In der spiegelung sieht ivelin aus wie das letzte selbstportrait picassos (wie man es sich vorstellte), der anblick laesst ihm die farbe aus dem ausdruck fliessen wie aus seesternen die vertrocknung. Nicht vorhandene uhren ticken grell unter seiner hirnhaut, fluesterfetzen flattern um sein bett, ein satyresker phobetor haelt ihn in einer andaue(r)nden schwebe. Ganz „mutilated and bandaged“ begeht er die flure des ewigen seufzens und verschwindet allmaehlich unter dem dunklen baldachin, den ich allein ueber seine existenz ausbreite.

Anyway, warum ich eigentlich diese postkarte gerade >Dir< schreibe…


Bios

Simon Lehner

Momo, eigentlich Simon Lehner ist ausgebildeter Musiker, verschlägt es aber immer wieder auch in die Analoge Fotografie und den Mixed-Media Bereich. Der Prozess steht dabei im Vordergrund: Fotografie, Entwicklung und dann die oftmalige Rekombination in Collagen. Jeder Schritt in diesem Prozess kann für sich selbst stehen, fügt sich aber auch in ein Ganzes ein.

Die beiden Werke haben denselben Schaffensprozess. Sie stammen aus einer alten ukrainischen Agat 18k, deren Besonderheit es ist, auf „Half-Frame“ zu fotografieren. Das heißt, es passen 72 statt der 36 Fotografien auf einen Kleinformat Film. Diese Einzelfotos wurden gescannt und digital zu einem Panorama zusammengefasst, dann ausgedruckt, per Hand geschnitten und zur Collage geklebt.

@simonlehner

Nikolai Waldenmaier

hatte und hat mit Literatur, Film und mit Politik zu tun.
Nikolai schriebe gern haeufiger (wie wahrscheinlich jeder).

@outofserviceuntilfurthernotice

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