„KURATIEREN POLITISCH“ Workshop der Kunstraum Summer School mit Anamarija Batista

Was heißt es, politisch zu kuratieren? Welche Rolle spielt dabei die Kunstvermittlung? Und wer kommt überhaupt in die Position, etwas kuratieren zu können? „Free Time / Die Freie Zeit“ heißt die Ausstellung, die von 08.06 – 14.08. im Kunstraum Innsbruck zu sehen ist. Im Rahmen der Kunstraum Summer School bot die Kuratorin Anamarija Batista einen Workshop zu politisch motivierter kuratorischer Arbeit an, in dem sie Einblicke in ihre Gedanken hinter der Ausstellung gab. Dabei eröffneten sich eine Vielzahl von Fragen – einigen von ihnen soll im folgenden Bericht weiter nachgespürt werden.

„Die Freie Zeit“ | © Kunstraum Innsbruck

Ein Mittwochnachmittag im Juni. Wir haben uns die Zeit genommen – das heißt, Lohnarbeit verschoben oder Freizeit aufgewandt – um an einem fünfstündigen Workshop teilzunehmen. Sechs von uns sind aus unterschiedlichen Disziplinen zusammengekommen – eine Kunsthistorikerin, eine Raumplanerin und Soziologin, eine Kuratorin, ein bildender Künstler, eine Kulturwissenschaftlerin und – das bin ich – eine Komparatistin. Die nächsten Stunden verbringen wir vor allem in Diskussion, und das unter der Anleitung von Anamarija Batista, Kuratorin der Ausstellung „Die Freie Zeit“, welche das Thema künstlerisch und kritisch verhandelt.

Wir beginnen den Workshop mit einer Führung durch die Ausstellung. Werke von acht  Künstler:innen treffen aufeinander: von einer Sammlung kitschiger Sonnenuntergangs-Postkarten aus verklärten Urlaubstagen bis zu einer Datscha – eine Art Ferienhaus -, mit dem sich die Künstlerin Anna Hofbauer ein Stück Freiheit für Freie Zeit in ihr Atelier in Wien baute. Durch starken Schneefall für mehrere Monate von der Außenwelt abgeschnitten, vertreiben sich die Bewohner eines kurdischen Dorfes die Zeit mit Schachspielen. In einem Kurzfilm verfolgen wir ihren Alltag aus Begegnung, Langeweile und Ungeduld. In einer Arbeit von Renate Bertlmann funktioniert Schneefall ebenfalls als eine Art Trennungsmechanismus zwischen Welten. Eine Serie von drei Schneekugeln zieren Botschaften wie „amo ergo sum“ („Ich liebe, also bin ich“). Die Schneekugel ist ja quasi per Definition ein vollkommen nutzloser Gegenstand, ihr einziger Zweck ist das Spiel, und selbst dafür sind die Möglichkeiten ziemlich begrenzt. Eine Schneekugel beherbergt immer eine winzige Utopie, einen unberührten Ort, den wir noch nie besucht haben und von dem wir vielleicht träumen, eine ferne Erinnerung, eine kleine Sehnsucht.

„Die Freie Zeit“ | © Kunstraum Innsbruck

Der Begriff „Freie Zeit“ scheint sich in der Ausstellung vor allem in Kontrast zu „Arbeitszeit“, vielleicht auch zu einer „Freizeit“, die nur dazu da ist, sich für zukünftiges Arbeiten zu erholen, zu definieren. Und das ist auch das Grundthema des Workshops: wie kann man eine Ausstellung zum Thema Arbeit und Freie Zeit auf politische Weise gestalten?

Eine Workshopteilnehmerin kritisiert Die Freie Zeit jedenfalls als nicht klar politisch genug. Sollte eine Ausstellung, die kritische Diskussion anregen will, nicht viel direkter kommunizieren? Anamarija Batista sieht das Kuratieren als eine Art Komponieren, erklärt sie. Sie will Elemente auf poetische Weise zusammensetzen, statt klare Aussagen zu treffen – könnte eine zu eindeutige politische Botschaft doch in Instrumentalisierung, also im schlimmsten Fall in Propaganda, münden. Der Kuratorin geht es weniger um eine direkte Kritik, als darum, Momente zu schaffen, die jemanden zum Denken anregen können; Zeit zu schaffen, in der überhaupt Platz zum Denken ist.

In der anschließenden Diskussion wird uns als erstes klar: für Ausstellungen mit politischem Anspruch ist Kunstvermittlung zentral. Die Position der Kunstvermittler:in wird in hierarchisch organisierten Institutionen der der Kurator:in gegenüber oft recht stiefmütterlich behandelt. Aber was gibt es Sinnloseres, als Kunst vermitteln zu müssen, die man selbst nicht ausgewählt hat und vielleicht nicht gut findet? Kunstvermittlung und Kuration müssten in solchen Fällen viel enger zusammenarbeiten: nur wer für die Inhalte einer Austellung brennt, kann diese auch überzeugend an andere Menschen weitergeben. Anamarija Batista sieht aber auch die Gefahr einer zu starken Vermittlung, die in eine Entmächtigung der Besucher:innen ausarten (no pun intended) könnte: man kann nicht voraussehen oder gar kontrollieren, wie ein anderer Mensch auf ein Kunstwerk reagieren wird, und sollte das auch nicht versuchen. Nimmt die Kunstvermittlung zu viel Platz ein, wird den Menschen möglicherweise eine bestimmte Sichtweise auf das, was sie sehen, aufgedrückt – und freie Gedanken damit gehemmt.

Anamarija Batista bei der Eröffnung von „Die Freie Zeit“ | © Kunstraum Innsbruck

Kurator:innen arbeiten heute oft unter prekären Bedingungen, müssen ohne klare Zukunftspläne und Festanstellungen auskommen. Offspaces (also nichtkommerzielle, unabhängige Ausstellungsräume) und Zwischennutzungsprojekte ermöglichen einen freieren Zugang zum Kuratieren, durch ihre momentane Beliebtheit wird diese Prekarität aber weiter gesellschaftlich normalisiert. Wird das Kuratieren zur Haupteinnahmequelle, etwa durch die Anstellung in einem großen Museum, ist ein:e Kurator:in im Gegenzug vielleicht plötzlich dazu genötigt, die Strukturen einer Institution öffentlich zu repräsentieren, die sie oder er nicht selbst aufgebaut hat und kritisch sieht. Werden Künstler:innen von einem Kunsthaus beispielsweise schlecht bezahlt, so ist der Finanzplan meistens schon seit Jahren der selbe und ein:e neue:r Kurator:in muss sich aktiv dagegenlehnen, um etwas daran zu ändern. „Man sollte die eigene Institution eigentlich konstant von innen heraus bekämpfen“ meint eine Teilnehmerin, die selbst als fix angestellte Kuratorin arbeitet.

Im letzten Teil des Workshops präsentieren wir künstlerische Arbeiten, die wir selbst als Vorbereitung zu den Themenschwerpunkten Arbeit und Freie Zeit recherchiert haben. Eine dieser Arbeiten ist „Washing/Tracks/Maintenance“ von Mierle Laderman Ukeles, Begründerin der sogenannten „Maintenance Art“. In der vierstündigen Performance wischte und putzte die Künstlerin 1973 die Marmorstufen eines Museums. Zur damaligen Zeit ein radikales Statement, ein Sichtbarmachen von körperlicher Arbeit, die die künstlerische ja erst möglich macht, normalerweise aber von Arbeiter:innen ausgeführt wird, die mit der Kunst nichts zu tun haben. Für mich bleibt trotzdem ein seltsames Gefühl zurück, wenn eine Künstlerin die Rolle der normalen Arbeiter:in wie eine Art Kostüm verwendet, das sie jederzeit wieder ablegen kann.

Ein Teilnehmer hat das Projekt „Das Kapital 2017-2023“ von Željka Aleksić mitgebracht – ihre Abschlussarbeit an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Darin dokumentierte sie, aus einer Arbeiterfamilie und mit Serbien aus einem Nicht-EU-Land stammend, alle Jobs, denen sie nachging (etwa als Reinigungskraft und Kellnerin), um sich das Kunststudium selbst zu finanzieren. Das Buch ist eine Sammlung aus Selfies und dokumentarischen Fotografien, Lohnzetteln und behördlichen Dokumenten wie ihrer Arbeitserlaubnis. Um den Preis von 54.312,00 Euro ist es zu kaufen – die exakte Summe, die die Künstlerin über den Zeitraum ihres Studiums hinweg erarbeitete.

„Das Kapital“ | © Željka Aleksić

 „Before that I was living and working in Serbia, as a saleswoman in a milk and cheese store. When I moved to Vienna […], my status changed but the way of earning money for living stayed pretty much the same. As a third-country student, I very rarely had the opportunity to get a slightly better job […] as someone who worked in cafes and cleaning jobs, it was very often 5€ per hour.“
Željka Aleksić

Das Kapital 2017-2023 ist kein Statement, nur um ein Statement zu machen: vor allem ist es ein Ermächtigungsprozess. Wo Kunst ohne Lohnarbeit nicht möglich ist, verknüpft sie beiden, verwandelt das eine in das andere. Hier geht es nicht darum, Arbeit künstlerisch zu verklären, indem man performativ einen Besen schwingt und sagt „Nun ist kehren Kunst, weil ich Künstlerin bin“. Arbeit ist hier, ehrlich und einfach, was sie eigentlich immer ist: eine Notwendigkeit.

Auf der Suche nach Jobs stoße ich im Kunstbereich regelmäßig auf Vollzeitpraktika mit einer Bezahlung um die 300€. Und das in renommierten Häusern, die augenscheinlich über Geld verfügen. Solchen ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen möchten oder können sich viele nicht aussetzen – die Zeit, jenseits der Lohnarbeit einem schlecht bezahlten Praktikum nachgehen zu können, hat ganz einfach nicht jede:r. Ohne Arbeitserfahrung wie diese, also Referenzen in angesehenen Institutionen, vorweisen zu können, geht auf dem Karriereweg allerdings wenig voran. Wer wird also Kurator:in? Wer wird Künstler:in? Menschen, die Zeit dafür haben, die es sich leisten können? Und, wenn diese Menschen mit für die (politische) Bildung der Gesellschaft verantwortlich sind – wer bildet uns dann? Anders gefragt: Bist du noch die, die den unbezahlten Praktika nachgeht, oder bist du schon die, die sie nicht bezahlt?

Das Wort kuratieren stammt vom lateinischen Begriff für sorgen für, sich kümmern um oder auch Sorge tragen. Das heißt also, wir versuchen dabei, uns um etwas zu kümmern. Aber um was? Um die Kunstwerke, die ausgestellt werden? Um die Künstler:innen, deren Kunst gezeigt wird? Um die Gesellschaft als Ganzes und ihre politische Bildung? Politisch kuratieren heißt nicht nur, gestalterische Entscheidungen zu treffen, sondern auch die Machtposition, in die ein:e Kurator:in zwangsläufig gerät – gegenüber den Künstler:innen, den Angestellten einer Institution, den Werken und den Besucher:innen – kritisch zu reflektieren. Nicht zuletzt, weil es sich bei dem Kapital, das dabei zum Einsatz kommt, oft um öffentliche Gelder handelt, was die Schwere des „Sorge tragens“ fühlbarer machen sollte. Wer kuratiert, hat in irgendeiner Form Raum und/oder Mittel zur Verfügung und kann damit Platz für etwas schaffen. Die Arbeit spielt sich immer auf einem Feld zwischen Selbstausdruck und dem Kuratieren für etwas oder für jemanden ab, und genau diese Balance zu halten, ist die Herausforderung.

I Delia Salzmann

„Die Freie Zeit“ ist noch bis zum 14.08. im Kunstraum Innsbruck zu sehen.

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