Im Rahmen unserer Beitragsreihe „kultur:los“ haben wir unser Fernrohr erneut über das Tiroler Unterland schweifen lassen, um kulturelle Leuchttürme aufzuspüren. Fündig wurden wir in Pill bei Schwaz, wo Marina und Leo Decristoforo seit drei Jahren das Filmfestival Pillusion veranstalten. Auch dieses Jahr verwandelt sich die Tennen des Unterkandler Hofs, vom 28. bis zum 31. August wieder in einen Kinosaal und Veranstaltungsort. Insgesamt präsentiert Pillusion 30 unabhängig produzierte Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme aus der ganzen Welt.

Das Jahr 2021 war ein schwieriges Jahr für Filmemacher:innen weltweit – auch für Marina Decristoforo (Regisseurin und Kulturethnologin) und Leo Decristoforo (Kameramann). Die Pandemie brachte viele ihrer Projekte abrupt zum Stillstand. Doch statt zu resignieren, lenkten die beiden ihren kreativen Antrieb in eine neue Richtung und riefen das Filmfestival Pillusion ins Leben.
Marina, die in New York aufwuchs, erkannte bei ihrem ersten Besuch in Tirol sofort das Potenzial der Tennen des Unterkandler Hofs für Kulturveranstaltungen: „So viel Platz bin ich aus New York nicht gewohnt.“ Neben ihrer frischen Perspektive auf einen konventionellen Tiroler Hof brachte Marina eine gewisse „Just-Do-It“-Mentalität aus den USA mit: „Wenn man in New York eine Idee hat, haben viele andere zur selben Zeit dieselbe Idee. Man will sofort starten, auch ohne Geld. Natürlich birgt das ein gewisses Risiko, doch man kann fast immer auf den Rückhalt der Community zählen. Auch die Pillusion lebt von der Unterstützung unserer Freunde, Familie und einigen lokalen Sponsoren“, erzählt sie.

Leo wuchs in Tirol auf und machte hier auch seine ersten Schritte als Filmemacher. Heute lebt und arbeitet er mit Marina in New York. Als jemand, der die Herausforderungen der Filmindustrie in Tirol aus erster Hand kennt, sieht er in Pillusion eine Chance, die Film-Community in seinem Herkunftsland zu stärken. „Oft schafft man es mit Ach und Krach, ein unabhängiges Filmprojekt auf die Beine zu stellen, und dann fehlt es an lokalen Plattformen, um es zu präsentieren“, sagt er. Zudem möchte er die Vernetzung unter den Filmemacher.innen fördern – etwas, das ihm in seinen frühen Jahren oft gefehlt hat:
„In Tirol gibt es rund 300 unabhängige Filmschaffende, von denen viele einander gar nicht kennen. Ich glaube, dass stärkere Netzwerke viel Potenzial entfachen könnten. Pillusion soll ein Ort der Begegnung sein.“
Doch nicht nur lokale Filmschaffende zieht es seit drei Jahren nach Pill: In diesem Jahr kommen 16 Künstler:innen aus Georgien, England, Belgien, Slowenien und Deutschland nach Tirol. Sie alle werden im Rahmen einer Artist Residency im Unterkandler Hof untergebracht. Ein Nährboden für künstlerische Kooperationen, aus dem in den ersten Jahren bereits mehrere Filmprojekte hervorgegangen sind.
Das Thema der diesjährige Pillusion ist Offenbarung. Aus über 90 Einreichungen wurden 30 Filme ins Programm aufgenommen. Durch sorgfältige Kuration sollen die einzelnen Filme, die diverse Blickwinkeln auf dasselbe Thema darstellen, miteinander in Dialog treten. Ein entscheidendes Auswahlkriterium ist Einfallsreichtum: „Eine gute Idee ist uns wichtiger als eine aufwändige Produktion“, betont Leo. Marina ergänzt: „Weil wir selbst Filmschaffende sind, erkennen und schätzen wir es sehr, wenn kreative Lösungen für Herausforderungen gefunden wurden.“

Neben den abendlichen Filmvorführungen bietet das Festival tagsüber frei zugängliche Workshops an, die in diesem Jahr in Kooperation mit Filmkoop Wien gestaltet werden. Der Schwerpunkt liegt auf dem Analog-Film, insbesondere 16mm. In einer DIY-Dunkelkammer, die im Hof eingerichtet wurde, können die während der Workshops entstandenen Filme entwickelt und anschließend vor Ort präsentiert werden. „Viele kennen nur das Digitale und wissen gar nicht, was sie verpassen“, bedauert Leo.
Besonders erfreut ist das Organisationsteam darüber, dass Pillusion nicht nur Filmemacher:innen anzieht, sondern auch die Bewohner:innen aus der Umgebung. Für viele Besucher:innen sei es das erste Filmfestival überhaupt. Leo erinnert sich an die Überraschung eines Berliner Regisseurs, als er erfreut feststellte, dass beim Festival „ganz normale Leute“ anwesend waren, statt einer „Kunstszene, die sich selbst beweihräuchert“. „Vor allem die experimentellen Filme sind für unsere Zuschauer:innen oft Neuland, aber genau deshalb bleiben sie dann auch in Erinnerung.” meint Leo.
Leo und Marinas Wege hin zum Filmemachen könnten unterschiedlicher kaum sein. Leo entdeckte seine Leidenschaft als Kind durch „Herr der Ringe“, Marina, als sie ihre Doktorarbeit über georgische Sängerinnen filmisch zum Leben erweckte. Heute treibt ihre gemeinsame Begeisterung für das Medium ihr Schaffen voran – eine Leidenschaft, die einen traditionellen Tiroler Hof alljährlich in einen Ort kreativer Begegnung verwandelt.
Wir freuen uns auf die diesjährige Pillusion und sind gespannt auf die nächsten Filmprojekte von Leo und Marina!
| Johanna Hinterholzer

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