Patient Zero 1 ist ein Stück von Marcus Peter Tesch, der sich in seinen Projekten häufig mit der Neuerzählung und Sichtbarmachung queerer Geschichte(n) auseinandersetzt. Hier geht es um eines der dunkelsten Kapitel ebendieser queeren Geschichte: HIV und all die Vorurteile, die Stigmatisierung und die Tabus, die es mit sich bringt. Es geht um die Liebe und um Familie, um Lust und Krankheit, um Leichtigkeit und Schwermut. Es geht um nichts Geringeres als um den Tod und um das Leben selbst.

„Gerade jetzt, wo Queerfeindlichkeit wächst und von rechts-populistischen Regierungen geschürt wird, ist Patient Zero 1 ein wichtiger, aktueller, berührender, witziger und radikaler Beitrag für das Nicht-Vergessen und das Zelebrieren des queeren Lebens.“ Aus diesem Grund, und weil ihm das Thema seit jeher wichtig ist, hat sich der Regisseur Joachim Goller dieses Stück vorgenommen und inszeniert es im BRUX–Freies Theater Innsbruck.
Und wie ist das jetzt mit dem Tod und dem Leben und der Liebe? Und was wird hier eigentlich gefeiert? komplex war neugierig und hat wiedereinmal nachgebohrt.
„also
der Tod befindet sich
wie ja viele von uns im moment
in einer
wie man ja sagt existentiellen identitätskrise
und das nicht erst seit gestern
so wie wir
das schon länger
das
sogar
schon immer
eigentlich“

Sarah Caliciotti: Warum hast du „Patient Zero 1“ für deine Inszenierung ausgewählt? Was magst du daran?
Joachim G. Goller: Tatsächlich scheint es mir nur logisch es zu inszenieren, weil es mir ermöglicht, mich mit einem Thema zu beschäftigen, das mir am Herzen liegt und mit dem ich mich im Rahmen meines Studiums schon zwei mal beschäftigt habe. Zudem finde ich das Stück in seinem dramaturgischen Aufbau und in seiner sprachliche Wucht und Stärke fantastisch und die Dimension Humor so allumfassend, spitz und lebendig anzutreffen, dass es fast ein Muss ist.
Was ist am dramaturgischen Aufbau so besonders?
Der Autor Marcus Peter Tesch nähert sich in vier sehr unterschiedlichen Teilen der Thematik. Das erfordert verschiedene visuelle Zugriffe von mir als Regisseur, aber auch unterschiedliche Spielweisen von Seiten der Schauspielenden. Und dasselbe gilt auch für die Genren, die behandelt werden: Es gibt einen hochsensiblen Teil, einen (galgen)humoristischen, einen dokumentarischen Teil sowie eine Art Theateraufgabe. Was der Autor dadurch schafft, ist, dass um den Fixpunkt HIV, der sich durch den Abend zieht, auch andere Themen aufploppen wie: Was ist Familie? Was ist Nähe? Wen braucht ein Mensch, wenn es ihm schlecht geht? Und nicht zuletzt: Was und wen hat die Welt verloren durch die HIV-Pandemie?
Warum interessiert dich das Thema HIV so sehr?
Meiner Erfahrung nach finden in jeder queeren bzw. schwulen Biografie Berührungspunkte mit dem Thema HIV statt. Für mich wurde es nochmal relevanter, als 2020 Corona aufkam. Da klingelte plötzlich etwas bei mir, es kam der Gedanke auf: „Moment mal, es gab doch schon mal eine Krankheit, bei der alle Angst davor hatten, an einer Lungenentzündung zu sterben…“ Plötzlich war das Thema präsenter denn je für mich.
Ist das Thema denn nach wie vor aktuell und wenn ja warum? Mittlerweile ist die Krankheit ja aus westlicher Perspektive gut behandelbar. Warum ist HIV immer noch so stigmatisiert und warum war es auch früher so viel stigmatisierter als andere Krankheiten?
Wie bei vielen Krankheiten ist die Behandelbarkeit eine Frage der Ressourcen und der medizinischen Versorgung. Das medizinische Problem ist aus westlicher Sicht wesentlich kleiner geworden, klar; es gibt die Medikation, es gibt inzwischen sogar die Prophylaxe, für Menschen welche „Risikoverhalten aufweisen“ – insofern ist es aus dieser Perspektive kein großes Problem mehr. Im globalen Süden ist das Thema HIV allerdings nicht gelöst. Auch in Russland nicht. Durch die Zuschreibung der Krankheit wird sie zudem (auch in westlichen Kontexten) beispielsweise bei Cis-Frauen oft nicht erkannt. Durch sich häufende Krisensituationen kommt es auch zu Lieferengpässen ö.ä. bei Medikamenten, also das Problem kann durchaus auch schnell zurückkehren.
Ich denke, diese Krankheit wurde auch deswegen seit jeher so stigmatisiert, weil sie durch das Ausleben der Sexualität, die nicht der Reproduktion dient, in Amerika und auch in unseren Breitengraden auffällig wurde. Konservative stürzen sich seit jeher auf solche Indizien. Meine Sorge ist, dass sich solche konservativen Kräfte verhärten und zu einem Rückgang der medizinischen Möglichkeiten für HIV-Positive führen. Wir erleben es ja durchaus schon, dass Belange von marginalisierten Gruppen wieder an den Rand gedrängt werden.
Also hat das Thema auch aus westlicher Perspektive nicht an Aktualität verloren…
Aus sozialer Sicht ist das Problem nicht kleiner geworden. Solange schwule Männer, nachdem ein Kondom gerissen ist, nächtelang nicht schlafen und ihre Lymphknoten anfassen, haben wir auch im westlichen Kontext das Problem nicht überwunden. Solange es so ist, dass man sich immer noch komisch fühlt, wenn man das Thema HIV-Test auf den Tisch bringt und solange Eltern beim Outing ihrer Söhne Angst haben, dass sie am Schwulsein sterben, haben wir das Thema nicht überwunden …
Warum steht das Stück für ein „Zelebrieren des queeren Lebens“, wo es doch sehr zentral um Krankheit und Tod geht?
Unser Leben ist durchzogen von Gegensätzen. Man braucht die Dunkelheit, um das Licht zu sehen und umgekehrt. Durch den Moment des Todes – der in dem Stück durch dieses Thema so erfahrbar wird, weil es die dunkelsten Kapitel der queeren Geschichte sind – eröffnet sich auch ein Lebenstrieb. „Hey, wir leben! Es hat eine Generation schwuler Männer dahingerafft. Wir sind die erste Generation schwuler Männer, die vollständig lebt!“
Dieses Stück schafft es außerdem, das Bedürfnis Liebe zu erklären, ohne sich an ein konventionelles Bild der heterosexuellen Zweierbeziehung zu binden. Es schafft dieses Bedürfnis so breit und deutlich zu formulieren und jede Form davon zu zeigen. Es öffnet die Möglichkeiten und Beweglichkeiten dieses Gefühls – Liebe kann man auf so viele Weisen mit so vielen Menschen leben, sei es platonisch, sei es erotisch-romantisch. Das finde ich etwas sehr Berührendes und Wichtiges. Auch als Hoffnung und als Perspektive für queere Personen.

Welche Rolle spielt der Tod im Stück?
Eine Qualität des Stücks ist, dass es den Tod nicht als abwesenden Antagonisten beschimpft und verdammt und verflucht, sondern ihn (im Stück übrigens „der/die Tod“; „die“ Tod als Plural, weil die Tod keine Unterschiede kennt und alle gleichzeitig dahinraffen kann und gleichzeitig gar nicht existent ist, weil „der Tod“ eigentlich nur ein Moment ist, den wir Menschen als solchen definiert haben) zum Protagonisten des Stücks macht, der auch tatsächlich auftritt – in einem fast schon kabarettistischen Akt. Auch die Zweifel des Todes haben Platz. Letztendlich führt uns der Text zu einer möglichen Erkenntnis, warum der Tod mitunter mit so einer solchen Wucht auf Menschen oder auf den Planeten zurasen könnte: Auch der Tod hat ein Bedürfnis, dem er ab und an nachgehen muss.
Der Autor befragt unseren Zugang zum Tod auf eine sehr spaßige Weise. Er fordert Mitleid und Verständnis mit/für den Tod ein. Dieser Schritt gibt eine Art Rückfokussierung auf den lebenden Moment. Was aber auch eine wichtige Botschaft ist: Der Tod hat es nicht geschafft, die queeren Menschen von der Welt wegzubringen, sie sind so existent und happy und gut drauf wie noch nie!
Magst du uns noch etwas über das Bühnenbild (Ausstattung: Julia Neuhold) verraten?
Hmm. Es wird ein bisschen Disco geben, ein bisschen Stall, ein bisschen Katholizismus und wie meistens bei Julia und mir einen Fernseher (lacht).
| Sarah Caliciotti
Eine Produktion von Triebwerk 7
Schauspieler*innen: Jakob Egger, Elena-Maria Knapp und Benjamin Kornfeld
Ausstattung: Julia Neuhold
VORSTELLUNGEN:
DO 6. Feber 2025, 20:00 Uhr, SA 8. Feber, 19:00 Uhr
MO 10. / DI 11. / SO 16. / MO 17. / DI 18. Feber, jeweils 20:00 Uhr
SPECIAL: Im Anschluss an die Vorstellung am Sa 8. Feber gibt’s einen Talk über und rund um das Stück.
