Zugang für Alle: kulturnetzTirol öffnet Türen zur Kunst

Kürzlich fanden tirolweit zum sechsten Mal die „Tage der offenen Ateliers“ (TOA) statt. Am 26. und 27. April öffneten rund 210 Tiroler Künstlerinnen und Künstler die Türen zu ihren Ateliers und Werkstätten, um ihre Werke und ihren Schaffensprozess der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hinter dem landesweiten Ausstellungsformat steht der Tiroler Kulturverein kulturnetzTirol. Im Gespräch mit der Obfrau Helga Madera erhielten wir einen Einblick in die Arbeit des Vereins. Die Künstlerin und Architektin erzählt, welche Vielfalt die künstlerische Welt in Tirol bietet, wie der Verein eine Plattform für Sichtbarkeit von Kunst und Kultur vor allem auch im ländlichen Raum schaffen möchte – und warum es an der Zeit ist, das Verständnis von Kunst und Kultur in Tirol, auch in der Verschränkung mit Tourismus und Klimawandel, zu überdenken.

Im Rahmen der „Tage der offenen Ateliers“ (TOA) gaben Tiroler Künstler:innen am 26. und 27. April Einblick in ihre Werkstätten und luden zum Austausch. | Bild: Veronika Kolp

Die Tiroler Kunstszene lebt von einer beeindruckenden Vielfalt – und genau diese Vielfalt zu fördern, ist eines der zentralen Anliegen des Vereins kulturnetzTirol. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, Kunst und Kultur in der Region sichtbarer zu machen und gleichzeitig einen Raum für Dialog und Austausch zu schaffen.

Die Tage der offenen Ateliers: Künstler:innen hautnah erleben

Die größte Veranstaltung des Vereins sind die jährlich stattfindenden „Tage der offenen Ateliers“, bei der Künstler:innen in allen Tiroler Bezirken ihre Werke präsentieren und in ihren Kreativprozess eintauchen lassen. 2025 waren es 210 Künstler:innen an über 180 Standorten von Landeck bis Osttirol. Im Gespräch mit Helga Madera, der Obfrau des Vereins, wird deutlich, wie wichtig es ist, Kunst für alle zugänglich zu machen. „Die ‚Tage der offenen Ateliers‘ sind eine sehr niederschwellige Veranstaltung“, erklärt Madera. „Es geht darum, den Besucher:innen die Möglichkeit zu geben, hinter die Kulissen zu schauen, den Künstler:innen bei der Arbeit zuzusehen und ins Gespräch zu kommen. Der Eintritt ist frei, eine Anmeldung ist nicht erforderlich, und der Zeitraum von 13 bis 19 Uhr ermöglicht es, die Ateliers in Ruhe zu besuchen.“ Dabei wird eine große Bandbreite an Tiroler Kunst porträtiert: von Malerei über Bildhauerei bis hin zu Glaskunst und Textilkunst – die „Tage der offenen Ateliers“ bieten einen vielfältigen Überblick über die kreative Szene in Tirol.

In den vergangenen Jahren kam es dabei auch immer wieder zu Kooperationen, unter anderem mit Schulen, worüber sich die Obfrau sehr freut. „Letztes Jahr kam der Direktor der MMS Paznaun auf mich zu und fragte mich, ob der Schulzweig ‚Kreativität‘ an den Tagen der offenen Ateliers mitmachen könnten. Daraus entstand ein großartiges Miteinander mit Theateraufführungen, einer Kunstausstellung und musikalischen Darbietungen. Die große Halle im Obergeschoss des modernen Schulgebäudes wurde auch mit eingebunden, hier erfolgte ein Aufruf an lokale Künstler:innen, denen insgesamt acht Künstler:innen gefolgt sind. Inzwischen wird die Halle zwei Mal im Jahr für Kunstausstellungen genutzt.“ 2025 war die HTL Kramsach an dem Veranstaltungsformat beteiligt: Besucher:innen konnten die Werke der Glaskünstler:innen bestaunen und den Glasmacher:innen live bei der Arbeit zuschauen.

Angeregte Gespräche umgeben von Kunst – TOA 2025. | Bild: Katharina Laichner

Sichtbarmachung, Vernetzung und Förderung von Kunst und Kultur in Tirol

Die „Tage der offenen Ateliers“ sind ein Veranstaltungsformat, das die Künstlerin Madera aus ihrer Heimat Niederösterreich kennt, wo sie bereits seit über 30 Jahren organisiert werden – und die genauso in Oberösterreich und der Steiermark stattfinden. Madera, die an der Universität für Angewandte Kunst Architektur studierte, anschließend neun Jahre in Asien lebte und vor 35 Jahren nach Tirol kam, war in ihrem künstlerischen Schaffen stets um Vernetzung bemüht. Warum es die „Tage der offenen Ateliers“ in Tirol nicht gibt, hat sie sich schon öfters gefragt, bevor sie 2019 während der Imster Kunsttage eine Umfrage nach einem möglichen Bedarf unter den teilnehmenden Künstler:innen startete, die einhellig positiv ausfiel. Fragte sich nur: Wer organisiert es? Letztlich entschied sich Madera, das Projekt selbst durchzuführen. Eine Website wurde ins Leben gerufen, mit den ersten Mitglieder- und Anmeldungsbeiträgen Plakate gedruckt – und 2020 fanden die ersten ‚Tage der offenen Ateliers‘ mit 40 Künstler:innen statt. Damit fiel gleichzeitig der Startschuss für den Verein kulturnetzTirol.

Ziel des Vereins ist es, Tiroler Kunstschaffenden eine Plattform für Sichtbarkeit und Vernetzung zu bieten. Das Herzstück des Vereins ist die Website, auf der Mitglieder Profile anlegen und Einblicke in ihr Schaffen geben können sowie ihre bevorstehenden Veranstaltungen wie Vernissagen, Workshops, Konzerte oder Lesungen veröffentlichen können. Die Bandbreite erstreckt sich also von Hobbykünstler:innen bis hin zu ausgebildeten Profis, von der Bildenden bis zur Darstellenden Kunst. Besonders wichtig war der Obfrau die Einbindung einer interaktiven Landkarte, auf der die Mitglieder an ihren jeweiligen Standorten zu finden sind. Als Mitglied gilt es einen Aufnahmeprozess zu absolvieren:

Zu Beginn gab es Diskussionen dazu, wie man den Qualitätslevel festlegen soll. Wir haben dann aber festgestellt, dass die Qualität vor allem in der Fülle und Breite dessen, was gezeigt wird, liegt. Das Niveau wird beschrieben als eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Kunst. Das betrifft also Kunstschaffende, die sich schon einige Jahre damit beschäftigen, sich in einem persönlichen Entwicklungsprozess befinden, aktive Leute, die auch Fortbildungen machen oder bereits Ausstellungen organisiert haben

– Helga Madera

Kulturarbeit und Kooperationen: Kommende Projekte des Vereins

Daneben stellt Social Media ein wichtiges Kommunikationsmittel für den Verein dar, um über sein Schaffen und Veranstaltungen zu berichten. Durch Anfragen von außen und neue Kooperationen entstehen immer wieder Projekte. So ist kürzlich ein Verein auf Madera zugekommen mit einem Raumangebot: Dieser wird im Sommer nicht genutzt, also könnte er ja von kulturnetzTirol bespielt werden. Eine Freude für die Obfrau: „Wenn man merkt: Da ist eine Wahrnehmung da, unser Schaffen wird sichtbar und andere finden das gut und wichtig, wollen das unterstützen und etwas zur Verfügung bieten.“ So findet ab Montag, 19. Mai, wöchentlich in diesem Raum in Hötting West ein Aktzeichenkurs statt.

Weitere Projekte finden in der Ziller Galerie statt, einer Initiative von kulturnetzTirol in Kooperation mit der Gemeinde Stumm. Zu unterschiedlichen Themen werden hier immer wieder Ausstellungen kuratiert. Bei der ersten Ausstellung war Madera überrascht von dem großen Andrang.

Kultur am Land ist ein wichtiges Thema für den Verein. In Innsbruck gibt es viele Kulturangebote, je weiter es in die Peripherie geht, desto dünner wird das Angebot. Bei der ersten Vernissage in der Ziller Galerie kamen über 100 Besucher:innen. Damit war für mich klar: Da ist einfach Interesse und Hunger da. Das ist schön, wenn die Leute auch vor Ort ein Angebot haben und lokale Künstler:innen kennenlernen können. 

– Helga Madera

Die historische Turbinenhalle des alten Wasserkraftwerks der Weyrer Fabrik in Mühlau wird ebenfalls jährlich vom Verein bespielt. Die Installationen nehmen dabei immer Bezug auf die Halle bzw. Umgebung. 2022 fand hier etwa die Ausstellung „Ebbe“ von Thomas Medicus statt – das komplex berichtete. 2024 präsentierte eine Forschungsgruppe der Fakultät für Architektur der Universität Innsbruck zu Vulkanfiber, einem Werkstoff aus vulkanisiertem Zellstoff, aus dem ein riesiges Kunstobjekt erstellt und im Raum präsentiert wurde. 2023 wurde die Halle mit einer Klanginstallation von Siljarosa Schletterer und Marius Weber erfüllt. Zur diesjährigen Ausstellung gibt Helga Madera einen Ausblick: „Anlässlich des Jubiläums ‚100 Jahre Quantenphysik‘ wird die Ausstellung, in Kooperation mit der Universität Innsbruck, unter anderem der Physikerin Marietta Blau gedenken, die in der Messstation Hafelekar in der Franz-Hess-Hütte zu kosmischer Strahlung geforscht hat.“

Helga Madera, Marius Weber, Siljarosa Schletterer, Gerhard Kerschbaumer bei der Finissage von klang[kraft]werk 2023. | Bild: kulturnetzTirol

Kunst als gesellschaftliches Potenzial: Kinder, Vielfalt und kritischer Blick

Ein Herzensprojekt für Helga Madera ist außerdem die künstlerische Arbeit mit Kindern – im Juli finden beispielsweise nach großer positiver Resonanz seitens der Kinder, Eltern und Gemeinde nach der Premiere im letzten Jahr zum zweiten Mal die Kinderkunsttage in der Ziller Galerie statt. Darin äußert sich für Madera auch das große gesellschaftliche Potenzial der Kunst:

Wenn Kinder sich intensiv beschäftigen und im kreativen Tun Lösungen finden – das ist genial. Dieser forschende und lösungsorientierte Zugang, der in der künstlerischen Auseinandersetzung passiert, ist ja eminent für das berufliche Leben. Es ist wichtig, dass sich Kinder schöpferisch betätigen. Dass sie nicht reproduzierend, irgendwas auswendig lernen, sondern selber im Prozess Lösungen finden, Freude an diesem Prozess entwickeln, sich ausprobieren, etwas fertig machen und das auch gut fertig machen. 

– Helga Madera

Überhaupt hat Helga Madera durch die Arbeit im Verein eine tiefe Ehrfurcht für das vielfältige künstlerische Schaffen erfahren, beschreibt sie:

Mein persönlicher Blick auf die Tiroler Kunstszene hat sich verändert und auch verbreitert. Ich konnte die Vielfalt des Kunstschaffens in Tirol tiefer kennenlernen und auch wertschätzen. Ich sehe eine Vielfalt von Ausdrucksformen und Ideen, Techniken und Konzepten und natürlich auch eine große Bandbreite von unterschiedlicher Qualität der Arbeiten. Ich habe eine große Wertschätzung für dieses engagierte Tun, diese engagierte Beschäftigung mit dem Thema Kunst entwickelt. Ich halte das sehr wichtig für eine Gesellschaft. Das macht etwas mit einer Gesellschaft, wenn sich die Leute mit Kunst beschäftigen. 

– Helga Madera

Einblicke in die Ateliers und Werkstätten Tiroler Künstler:innen – TOA 2025. | Bild: Gerlinde Philadelphy

Sie selbst sei grundsätzlich eine kritische Person – insbesondere, was großspurige Selbstinszenierung ohne ernstzunehmende Inhalte, Effekthascherei ohne dahinterliegende Substanz betrifft.

Große Namen und oberflächliche Kunstarbeit auf der einen, lokale Künstler:innen und ihr engagiertes Treiben im Kleinen auf der anderen Seite: Das alles sieht Helga Madera im Spielfeld der Kunst. Sie geht auf die unterschiedlichen Ebenen ein, die sie in der Kunstwelt wahrnimmt:

Ganz oben gibt es die spekulative Geldebene, der hochpreisige Kunstmarkt, wo Werke um riesige Summen gehandelt werden, die in keinem Verhältnis zur künstlerischen Qualität stehen. Dann gibt es eine elitäre Ebene mit dem Anspruch, konzeptionelle oder theoretisch aufgeladene Kunst sei die einzig legitime Form. Dieser elitäre Dünkel ist nicht nur unnötig, sondern auch hinderlich – konzeptionelle Kunst ist wichtig, aber nicht die einzig wahre Form. Die Vielfalt ist genauso wichtig.“

– Helga Madera

Wo Kunst noch zur Ware wird – weniger im höherpreisigen als in einem reproduzierenden Billigsegment – ist dekorative Massenware, so findet Madera: „Da gibt es dann noch die Ebene, wo ernsthaft Kitsch produziert wird. Wie zum Beispiel im Zillertal, wo bunte Kühe als Souvenirs von den Tourist:innen mitgenommen werden. In diesem Segment wird Kunst zur touristischen Handelsware, reduziert auf gefällige Stereotypen. Da frage ich mich: Wollen wir uns wirklich so darstellen?“ 

Tourismus im Wandel: Warum Tirol mehr Kultur braucht

Die Verschränkung von Tourismus und Kunst ist für Helga Madera ganz wesentlich. Für sie stellen Kulturangebote einen wesentlichen Pull-Faktor für Tourismus dar. Gleichzeitig hat sie das Gefühl, dass dieser Gedanke in Tirol noch nicht angekommen ist: „In Tirol werden die Berge vermarktet. Das ist der einzige Zugang, um Tourist:innen ins Land zu bringen, der aber vor großen Veränderungen steht, die aktuell noch eher verkannt werden.“ Denn: Der Klimawandel für auch im Tiroler Tourismus zu einem tiefgreifenden Wandel führen. Deswegen ist für Madera umso wichtiger, die Kulturangebote im Land zu stärken, zu fördern und vor allem: zu dezentralisieren.

Für sie ist die Entwicklung in Niederösterreich paradigmatisch:

In Niederösterreich hat man früh erkannt, dass Kultur nicht nur in Wien und in den großen Zentren stattfinden darf. Mit gezielten Investitionen wurde Kunst und Kultur aufs Land gebracht – da stehen heute ein Hermann-Nitsch-Museum in Mistelbach, ein Arnulf-Rainer-Museum in Baden, große Ausstellungshäuser in St. Pölten und Krems. Und in Grafenegg, einem einst verschlafenen Schloss in der Wiese, ist mit viel kulturellem Weitblick und Infrastruktur ein international renommiertes Musikfestival entstanden. Das hat das Land verändert. Kultur wurde zugänglich, sichtbar und zu einem identitätsstiftenden Teil des öffentlichen Lebens – das ist beeindruckend. 

– Helga Madera

Das Bewusstsein um die Relevanz der Kooperation zwischen Kunstsektor und Tourismussektor seitens der Politik wird größer, empfindet Madera. Dennoch hat sie das Gefühl, die breite künstlerische Landschaft in Tirol wird nicht richtig erkannt. „Wenn dann Projekte ausgerufen werden, sollen das sogenannte Leuchtturm-Projekte werden. Damit tun sich die Kurator:innen und Kunstschaffenden natürlich schwer. Man muss einfach feststellen: Da gibt’s keinen Leuchtturm, da gibt’s Vielfalt.“ Deswegen ist der Künstlerin auch die Vernetzung so wichtig: kulturnetzTirol ist stets offen für Kooperationen und Projekte, die die Sichtbarmachung von Kunst im ländlichen Raum vorantreiben.

Zwischen Pinseln und Porträts – TOA 2025. | Bild: Susanne Loewit

Kunst, die verbindet: Ein starkes Netzwerk für Tirol

Die Arbeit des kulturnetzTirol zeigt eindrucksvoll, wie stark das Potenzial von Kunst und Kultur gerade abseits urbaner Zentren ist – wenn man es sichtbar macht, ernst nimmt und fördert. Was in wenigen Jahren aus einer einzelnen Idee entstanden ist, hat sich zu einem lebendigen Netzwerk von Kunstschaffenden, Veranstaltungen und Kooperationsprojekten entwickelt, das weit über die „Tage der offenen Ateliers“ hinausreicht. Helga Madera blickt zufrieden auf fünf arbeitsame Jahre und würde sich auch über Zuwachs im Organisationsteam freuen: „Eine Herausforderung ist das beständige Wachstum des Vereins und seiner Aufgaben. Es ist nötig, die Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen und in der Professionalisierung voranzuschreiten. Das braucht finanzielle Mittel und engagierte Personen.“ Es ist eine große Leistung, die der Verein vollbringt, indem er Menschen zusammenbringt, regionale Identität stärkt und kreative Räume öffnet – für ein Tirol, das kulturell vielfältiger, sozial vernetzter und zukunftsfähiger gedacht wird. Denn: Kunst im ländlichen Raum ist kein Nischenprogramm, sondern eine gesellschaftliche Ressource mit Strahlkraft.

| Julia Zachenhofer

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Mehr Infos zu kulturnetzTirol und ihren Aktivitäten auf der Website des Vereins: www.kulturnetztirol.at

  

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