Neue Energie für Mühlau – „EBBE“ von THOMAS MEDICUS

„Ebbe“ bringt wieder Flut in das knapp 100 Jahre im Hochbetrieb werkelnde und im Jahre 2014 abrupt stillgelegte Mühlauer Kraftwerk. Die Umgebung in sich aufnehmend und gleichermaßen zurückreflektierend, fügt sich das Kunstprojekt von Thomas Medicus wie ausgemacht in die sprechenden Räume voller Turbinen und Gerätschaften, erweckt sie dialogisch zum Leben und erzählt über Vergangenes wie Gegenwärtiges, mit Blick über das Offensichtliche hinaus. Die Installation ist bis zum 25. September immer sonntags von 16 bis 19 Uhr öffentlich zugänglich.

„Ebbe“ – Detailansicht | Bild: Thomas Medicus

(Geistige) Ressourcen gefällig? Das Mühlauer Kraftwerk arbeitet wieder. Nur spuckt es nicht Wasser und Strom, sondern Kunst aus seinem Inneren aus. Eine Glasinstallation des Künstlers Thomas Medicus dreht den Motor nach fast zwei Jahrzehnten Pause wieder auf, sowie sie langsam rotierend den zum Erliegen gekommenen Raum mit neuer Energie antreibt. Sie nennt sich „Ebbe“, ein bewusst vom Künstler gewähltes Palindrom, das für den Stillstand steht und zeitgleich darauf anspielt, dass dieser nicht von Dauer sein kann. Nach der Ebbe kommt bekanntlich die Flut, heißt es gemeinhin. So ist es auch in Mühlau. Lang genug stand das geschichtsträchtige Gebäude unbenutzt da, jetzt soll die Kultur hier dauerhaft einziehen und den Blick über den Tellerrand weiten, um doch immer wieder zu den Wurzeln selbst zurückzukehren. „Der Raum an sich gibt schon so viel vor, er kann gar nicht wie ein White-Cube bespielt werden“, so Thomas Medicus, dessen künstlerisches Projekt den Auftakt der alternativen Nutzung eines denkmalgeschützten Ortes bildet, der so viel zu erzählen hat. Achtsamkeit ist hier jedenfalls von den Künstler:innen gefragt. Und so subtil geht Medicus auch vor, wenn er räumliche Gegebenheiten in sein Werk miteinbringt. Ohne das Vorhandene zu negieren, sondern mit festem Blick darauf, sind es die im Kraftwerk tief eingeschriebenen Geschichten, die durch die Installation aufgegriffen, weitertradiert und ein Stück weit vollendet werden. 

Eine Zusammenarbeit des Vereins kulturnetzTirol, des Kraftwerkinhabers Gerhard Kerschbaumer und des ausgewählten Künstlers Thomas Medicus, basierend auf der dem Projekt zugrundeliegenden TKI-open Ausschreibung zum Thema „liegen“, gab den Anstoß, das Rad der erlahmten Betriebsamkeit künstlerisch wieder zum Laufen zu bringen. Wenn die Welt in Krisenzeiten wie der Corona-Pandemie zum Stillstand kommt, wie geht es dann weiter? Welche neuen Perspektiven ergeben sich, wenn die Langsamkeit für eine Zeit Oberhand gewinnt? Was verschiebt sich? Irgendwie verweist das Projekt fast paradogmatisch auf unsere Zeit nach den Lockdowns, wobei das Projekt gesellschaftsthematisch noch darüber hinaus geht. Es geht um hochgradig Aktuelles, dass die Welt bewegt, um große globale Themen, suchend im Kleinen, Alltäglichen. Medicus nimmt durchaus auf einer zweiten Ebene Bezug auf diese Frage, in dem er etwas zum Erliegen Gekommenes reaktiviert, Anknüpfungspunkte aufzeigt und demonstriert, dass Vorhandenes nie ausgelöscht werden kann, ja sich gewissermaßen im Neuen immer irgendwie reflektiert: „Uns war es wichtig, dass die Kunstinstallation eine Verbindung mit dem Raum eingeht und das hier Prägende miteinbezieht“, so Helga Madera, Projektleiterin und Obfrau des Vereines kulturnetzTirol. Und Medicus ergänzt:

„Es ging darum, nicht in Konflikt mit dem schon Verfügbaren zu treten, zeitgleich aber etwas zu kreieren, dass nicht verschwindet oder untergeht. Eine Arbeit, die den Wandel von der Industriehalle zur Kulturstätte visuell unterstreicht und mitvollzieht.“ 

„Ebbe“ – Detailansicht | Bild: Thomas Medicus

Nur ein Material, dass dominant wirkt und sich zeitgleich aber auch zurücknehmen, ja dem Umliegenden eine Stimme verleihen kann, scheint dieser Intention gerecht zu werden: das Glas. „Die Wahl darauf viel relativ leicht, besitzen Spiegel doch keine eigene Oberfläche und eignen sich sehr gut für eine ortsspezifische Installation“, erklärt der Künstler, dessen Fokus sich auf Glas richtet, wenngleich er auch mit anderen Materialien experimentiert und von digitaler Kunst bis hin zur Animation ein breites Spektrum abdeckt. Und so baumelt die aus unzähligen Spiegeln bestehende Installation „Ebbe“ in turbinenähnlicher Form auf Ketten befestigt fast mahnend von der Decke, absorbiert das Umliegende und nimmt auf, was sie aufnehmen kann. Sie reflektiert selbstgenügsam den Raum, stiehlt den stillstehenden Gerätschaften nicht die Show, sondern fügt sich gleichermaßen ein in das große Ganze, sowie sie ganze Erzählungen der Vergangenheit zu Wort kommen lässt, diese aber um zukünftige Parameter erweitert. Ist es nicht so, dass uns ökonomische Herausforderungen wie die alternative Energiegewinnung und Energieknappheit in Zeiten der Klimakrise alle was angehen

Medicus setzt sich schon seit längerem damit auseinander: „Themen rund ums Leben mit all den verschiedenen Lebensformen waren immer schon Teil meiner Arbeit. Mich zog das Phänomen Leben an sich seit jeher in den Bann. Können wir das Leben vollständig verstehen und wenn ja, wie? Mit der zunehmenden Zerstörung des Lebensraumes und dem globalem Klimawandel schoben sich ökologische Themen dann in meinen Werken wie von selbst in den Vordergrund“, erklärt der aus Innsbruck stammende Kunstschaffende, der sich auch in anderen Projekten wie einen um das Thema der Biodiversität kreisenden Würfel mit naturbedrohlichen Szenerien der Zerstörung unseres Lebensraumes beschäftigt. Ein solches Terrain findet er auch im Kraftwerk Mühlau vor. Aus dem Zentrum heraus leuchtend, geht die fast einem Kernfusionswerk ähnelnde Installation im Raum auf ohne unterzugehen, aber auch ohne in Konflikt mit der Umgebung zu geraten. Der harmonische Gemeinklang im Ensemble mit den umliegenden Turbinen ist die große Stärke von Medicus Arbeit. Vergangenheit und Gegenwart werden eins. Und mit ihr all die Geschichten, Anekdoten und Erzählungen, tief im Kraftwerk eingeschrieben und gleichermaßen so vielerzählend und ausschweifend, aber immer aus dem aktuellen Blick heraus betrachtet.

Dazu gesellt sich ein umfangreiches Rahmenprogramm unter dem Titel „Hexalux im Kraftwerk“ mit Höhepunkt in der Finissage am 24. September, bestehend aus drei Veranstaltungen in moderierter Gesprächsform, die vom Historischen ausgehend in Gefilde zeitaktueller Herausforderungen driften, ja Kultur und Gesellschaft zusammenbringen. Wenn beispielsweise eine musikalische Darbietung von Xaver Schutti als Auftakt und Schlusspunkt dieses umfassenden Projektes räumliche Gegebenheiten auslotet sowie perkussiv zum Erklingen bringt, werden plötzlich die Turbinen zweckentfremdet, gehen als Dämpfer in musikalischen Sphären auf, Fensterscheiben schwingen mit und die einzigartige Akustik dieses Gebäudes lässt auch klanglich in unbekannte Gefilde schreiten. Nicht zuletzt ist es dann eine Filmarbeit vom Kollektiv FarFrom, die das Gesamtprojekt vollendet, indem sie atmosphärisch Wechselwirkungen zwischen Objekt und Raum authentisch einfängt. Aufzeigend, wie viel unerforschte Potentiale sich in allen Ecken und Enden dieses Komplexes widerspiegeln.

Ausstellungseröffnung „Ebbe“ | Bild: Maite Mateo

Bei Nacht wirkt Medicus Installation noch eindringlicher, wie sie ins Dunkle der Nacht hinaus leuchtet, lebendige Strukturen bekommt und uns gleich mit erhellt. Umrahmt von zwölf Spiegelelementen aus Floatglas, gefolgt von einem zweiten Ring bestehend aus zweckentfremdenden LED-Balken, ist es ein sich rotierendes zentrales Element aus farbigen Gläsern sowie Antikglas als Reflektor, dessen Strahlkraft in den Raum hineinprojiziert wird. In der Dämmerung werden diese Licht-Farbspiele in voller Geltung ersichtlich, die der Halle auch eine neue Gestalt verleihen und sich geradezu eingravieren: „Auf diese Weise ergeben sich wasserartige Reflexionen, wie wenn eine Wasseroberfläche gegen die Wand spiegelt. So wollte ich das Thema Energie und Wasser ins Werk einbringen und zeitgleich einen Diskurs in Dialog mit dem Umfeld einleiten“, beschreibt Medicus die hinter der Arbeit stehende Grundidee. Das Wandspiel wie auch die Turbinenform treten in Gespräch mit dem Kraftwerk selbst und machen es in Zeiten, wo alternative Energiegewinnung in aller Munde ist, hochaktuell. Sie ziehen das Kraftwerk gewissermaßen aus eigener Kraft aus dem Stillstand heraus. Genug geschwiegen, es braucht Lösungsansätze und Aktionen. Die Turbinenhalle verwandelt sich damit in einen Ort des Krafttankens wie ökonomisch-gesellschaftlicher Reflexion und lädt dazu ein, ebenfalls den Hebel auf Start zu setzen. Medicus drückt uns buchstäblich den Spiegel vors Gesicht. Für eine bessere und lebenswerte Zukunft.

| Florian Gucher

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