Wo Kunst auf Menschlichkeit trifft – DAN und LIA PERJOVSCHI im Kunstraum Innsbruck

Die Gesellschaft, das aktuelle Geschehen, die Kunst und die einzelnen Menschen einfangen, das ist es, was sich die beiden Künstler:innen und Ehepartner:innen aus Rumänien, Dan und Lia Perjovschi zur Aufgabe gemacht haben. Dies spiegelt sich auch in ihrer aktuellen Ausstellung „Fragments of Humanity“ im Kunstraum Innsbruck wider, setzt sich diese doch aus ihrem individuellen Schaffen zusammen und zeigt dennoch ein ganzheitliches, kohärentes Bild der Gesellschaft bzw. der Gesellschaftskritik. Zu sehen ist die Ausstellung noch bis zum 15. Juli 2023 im Kunstraum Innsbruck. 

Dan Perjovschi, Postcards to Lia, courtesy of the artist, 2008-ongoing

Geprägt von der Geschichte des diktatorischen Rumäniens, in dem Kunst einem gelenkten Zweck dienen musste oder zensiert wurde, nutzen Dan und Lia Perjovschi ihr kreatives Schaffen seit den 1980ern dazu, gesellschaftskritisch zu hinterfragen und tagespolitisch zu partizipieren. Dabei hat jeder der beiden seine eigene Art gefunden sich auszudrücken. Während Dan als Journalist eine Art Chronik der Menschheit schafft und aktuelle Themen einfängt, konstruiert Lia menschliche, gesellschaftliche und politische Phänomene tiefgehender und auch abstrakter. So sind auch die künstlerischen Mittel der Beiden sehr unterschiedlich. Dan kreiert eher minimalistisch in schwarz und weiß und mit einfach gehaltenen Figuren, während Lia sich mit den verschiedensten Medien auseinandersetzt, sei es Skulpturen, Malerei, Collagen oder Performances. Gemeinsam erschaffen sie ein Bild der Gesellschaft, welches zu neuen Fragen anregt aber auch eine tiefgreifenden Blick auf das Hier-und-Jetzt ermöglicht. In diesem Sinne fand im Rahmen des Journalismusfest Innsbruck auch ein Gespräch zwischen den beiden Künstler:innen, der Kuratorin Ivana Marjanović, und Dirk Rupnow vom Institut für Zeitgeschichte (Universität Innsbruck) statt, der historische Verbindungen zu den künstlerischen Arbeiten hervorhob.

Artist Talk im Rahmen des Journalismusfest Innsbruck mit Dirk Rupnow, Ivana Marjanović, Dan und Lia Perjovschi | Bild: Alicia Martin Gomez 

Das Besondere an der Kunst der beiden Rumän:innen ist aber nicht nur der Blick auf die gesamte Gesellschaft, sondern auch der tiefe Einblick in ihre intimen Gedanken und Sorgen und die innige Zuneigung der Beiden zueinander. So ist ein großer Teil der Ausstellung „Fragments of Humanity“ ein Abbild des gegenseitigen Austausches auch über Ländergrenzen hinaus. Mit „Postcards to Lia“ sehen Besucherinnen Postkarten, die Dan an seine Frau von allen Städten, die er seit 2008 bereiste, geschickt hat. Darauf sind Zeichnungen zu sehen, die gleichzeitig kritisch wie humorvoll sind. Doch nicht nur Lia war die Adressatin der Nachrichten. Viele der Karten sind in der jeweiligen Landessprache verfasst, sodass die Postangestellten diese verstehen und auch lesen können. Diese Art von Kunst erinnert an die sogenannte „Mail Art“, die für Rumän:innen lange Zeit die einzige Möglichkeit war, um Kunst international auszustellen. 

Das auszuprobieren, was früher verboten war – auch Lia widmet sich solchen Kunstarten. In ihrer Ausbildung musste sie meist realistisch zeichnen und malen, für künstlerische Freiheit oder abstrakte Kunst war kein Raum. Aus diesem Grund lassen sich in der Ausstellung viele Bilder finden, die das Thema Farben abstrakt konstruieren und zudem die Entwicklung vom Schwarz-Weiß-Denken der Diktatur bis hin zu der bunten liberalen Welt zeigt, wobei Lia klar betont, dass in jeder Farbe etwas Positives und Negatives steckt. Besonders eindrucksvoll ist das Bild „Hands, Study on The Blind“. Es stellt eine Studie der Hände dar, ähnlich wie sie Student:innen während ihres Studiums an der Kunstakademie machen. Lia belässt es aber nicht allein bei der Studie der Hände, sondern fügt Bilder von Kindern hinzu, was zum  Hinterfragen der sozialen Verantwortung Erwachsener führt. Das Thema Verantwortung ist auch in ihren Scherenschnitten „Shadows“ erkennbar. Wir Menschen haben die Verantwortung, unsere Schatten abzulegen und uns weiterzuentwickeln.

Hands, Study on The Blind, Lia Perjovschi | Bild: Alicia Martin Gomez

Natürlich war und ist Rumänien und die Diktatur, in der das Ehepaar aufgewachsen ist, äußerst prägend für die Kunstschaffenden, jedoch ist auch das Weltgeschehen für Dan und Lia von großer Bedeutung. Aus diesem Grund ist auch ein Innsbruckbezug in „Fragments of Humanity“ zu finden. Einer der Räume wurde im Zuge der Ausstellung mit Statements und Zeichnungen geschmückt, die Eindrücke, Zitate und Gedanken rund um die Region, aber auch das Internationale Geschehen auffangen. 

Festhalten, Betrachten und Hinterfragen sind also die Stichwörter, die die Kunst des Ehepaars Perjovschi zusammenfassen. Stichwörter, die jede:r selbstbestimmte Bürger:in fest im Herzen verankert haben sollte. 

| Alicia Martin Gomez 

Am 22. 6. 2023 findet um 19 Uhr eine Führung durch die Ausstellung im Kunstraum statt.

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