Am Tag nach der „SMAAT Basecamp“-Eröffnung, dem 6. September 2025, treffe ich die Kuratorin Karin Pernegger im Kubus Reich für die Insel. Der transparente Ausstellungsraum im Herzen Innsbrucks hat sich wieder verwandelt – dieses Mal in ein provisorisches Basislager, schon fast in einen Gletscher. Wolkenartige Formen schweben über dem Eingang, durch die Glasfront schimmert eine großformatige Leinwand von Jessie Pitt mit der Darstellung einer Gletscherschmelze. „Ich wollte, dass sich der Kubus in einen Gletscher verwandelt“, sagt Pernegger, während sie durch die Ausstellung führt. „Die Berge sind heroische Symbole aber gleichzeitig sind sie fragil – insbesondere heute durch den Klimawandel, den Permafrost, den Massentourismus. Unser Verein SMAAT will dies ins Bewusstsein rücken.“

Gerade im deutschsprachigen Raum, betont Pernegger, haben wir ein stark heroisiertes und ideologisiertes Bild von den Bergen. In der Romantik des 19. Jahrhunderts standen sie für Überhöhung, für nationale Identität, für eine Form von Idealisierung, die bis heute nachwirkt. „Diese Ideologisierung möchte ich brechen, denn die Berge sind nicht unantastbar“. Auch in der Kunst stellen sie durch ihre Wandelbarkeit seit jeher ein wiederkehrendes Motiv dar.
SMAAT, die „Sustainable Mountain Arts Association Tyrol“, wurde 2024 von Pernegger gegründet. Es ist kein klassischer Kunstverein mit institutioneller Verankerung, sondern ein offenes Gebilde, das zeitgenössische Kunst und Wandern zusammen denkt: „Es war mir ein inneres Anliegen, ökologische Fragestellungen mit der Selbstfindung durch das Wandern zu verbinden“, erklärt Pernegger. Die Berge sind für sie nicht nur Kulisse, sondern Kunstraum. Das Herzstück ihres Vereins ist die Durchführung performativer Wanderungen, die das Gehen und Verweilen selbst zur künstlerischen Methode machen. (Die nächste Wanderung mit performativer Lesung führt am 28.9. mit Michael Höpfner auf die Nordkette).
Ein Grund für dieses Format liegt auch im Gedanken der Nachhaltigkeit:
„Einen Betonsockel wieder in den Berg zu setzen, um eine Skulptur zu erstellen, widerspricht dem Gedanken der Ökologie. Das Performative passt am besten zu dem, was wir tun“
– es bleibt beweglich, prozesshaft, ohne gravierende Spuren zu hinterlassen. Aber weil diese Projekte eben meist nur temporär in der Natur stattfinden oder in filmischen Dokumentationen weiterleben, braucht es Orte wie den Kubus, wo das Sichtbarwerden mitten in der Stadt möglich gemacht wird. Ganz barrierefrei sei der Raum zwar nicht – ein Lift fehlt –, aber doch um einiges zugänglicher als eine Wanderung im alpinen Gelände. „Mir ist wichtig, dass die Kunst in die Berge führt, aber auch, dass die Kunst für Menschen ohne Bergerfahrung zugänglich ist“. Das Basecamp dient sozusagen als vermittelnde Zwischenstation.

Die Form der alpinen Kunstvermittlung möchte Pernegger langfristig ausbauen. Ihr Ziel ist es, ein Archiv anzulegen, das alle künstlerischen Projekte in den deutschsprachigen Alpen dokumentiert. „Die Bergkultur soll eine andere Wahrnehmung bekommen“, sagt sie, „und nicht mehr ausschließlich durch das touristische Bild geprägt sein, das wir alle kennen“. Es geht ihr um eine tiefgründige Auseinandersetzung mit Fragen nach Geschichte, Ökologie und Identität.
Auch das Sujet der Ausstellung verweigert das, was offensichtlich ist. Statt Gipfel zeigt es Wolken. Pernegger wollte bewusst kein Bergbild und auch kein abstraktes Plakat. Die schwebenden Wolken sind ein Sinnbild für die Haltung von SMAAT: nicht fixieren, sondern in Bewegung denken. Die Entscheidung für das Wolkenmotiv entstand in engem Austausch mit dem Grafiker Alexander Kofler. „Er hat gesagt: ‚Berg ist leicht.‘ Und so ist diese Idee entstanden. Die Wolken sind für mich ein starkes Motiv für unseren Verein“, erzählt Pernegger.

Dieses Prinzip prägt auch die künstlerischen Positionen im Basecamp. Da ist etwa die Arbeit Out of Silencevon Sissa Micheli und Thomas Riess, die sich mit den Drei Zinnen auseinandersetzt – einem Bergmassiv, das heute Touristenmagnet ist, im Ersten Weltkrieg jedoch zu den verlustreichsten Frontabschnitten gehörte. „Man weiß heute, dass dort mehr Soldaten an Erfrierungen und Lawinen starben als an Kampfhandlungen“, sagt Pernegger. Micheli und Riess greifen dieses Spannungsfeld auf: Die Kamera kreist dramatisch um die Zinnen, im Zentrum steht ein Trommler. Jeder Schlag klingt wie ein Einschlag und erinnert an das, was in der Landschaft eingeschrieben ist. Micheli führt diese Auseinandersetzung in Scenarios for Peace fort, einer Zwei-Kanal-Videoinstallation, die sie gemeinsam mit Musiker:innen entwickelt hat. „Micheli hat sich stark mit der Dolomitenfront beschäftigt und zeigt, wie sehr die Ideologisierung der Geschichte unser Bergbild geprägt hat. Indem sie Friedensperformances an historischen Orten inszeniert, öffnet sie diese Landschaften für einen neuen Blick“, findet Pernegger.

In der Arbeit von Linda Jasmin Mayer dreht sich vieles um Plankton – das „Urlebewesen“, das im Griechischen „die Herumirrenden“ heißt. Es kann sich nicht selbst steuern, sondern muss mit der Strömung mitgehen. Mayer zieht Parallelen zwischen diesen natürlichen Bewegungen und den Flüchtlingsströmen, die ebenfalls oft verdrängt werden. Gleichzeitig verweist das Plankton auf die geologische Entstehung der Dolomiten als Sedimentsgestein. In ihrer Performance greift sie zudem das Bild des „Wilden Mannes“ auf und spielt damit auf traditionelle Vorstellungen an. Die Arbeit wird im kommenden Jahr vom Verein gezeigt.

Mitten im Raum des Kubus-Obergeschoßes steht ein langer Vitrinentisch mit einem beeindruckenden Werk von Kabi Raj Lama. Der nepalesische Künstler war 2017 am Everest Base Camp, um an das Erdbeben von 2015 zu erinnern, das eine Lawine auslöste, die einigen Menschen das Leben kostete. In einer sechzehntägigen Wanderung verarbeitete er das Erlebnis künstlerisch, indem er einen großformatigen Holzschnitt des Himalaya-Panoramas anfertigte. „Für ihn war das Erdbeben ein Zeichen der Natur gegen die Ökonomisierung des Berges“, erzählt Pernegger. Der Holzschnitt wird zur seismographischen Zeichnung, zum Echo von Erschütterung. Der Künstler macht damit die Fragilität und die komplexen Zusammenhänge zwischen Menschen, Bergen und Naturereignissen sichtbar. „Es sind viele Nepalesen, die heute in Tirol Hütten betreiben“, fügt Pernegger hinzu. Ihre Sicht auf die Berge bringt eine andere, globale, sowie auch spirituelle Perspektive ins Spiel und zeigt, wie kulturelle Erfahrungen, Naturwahrnehmung und alpine Lebenswelten über Ländergrenzen hinweg verbunden sind.

Die Ausstellung im Kubus verschränkt so verschiedene Ebenen von Geschichte, Mythos, Ökologie und persönlicher Erfahrung. „Wir haben lange geglaubt, die Berge seien unverrückbar“, sagt Pernegger. „Aber heute sehen wir, wie fragil sie sind.“ Für sie selbst ist das nicht nur eine intellektuelle Erkenntnis, sondern auch biografisch verankert. Aufgewachsen in Deutschland, lebt sie seit zwanzig Jahren in Tirol. Ihre Hausberge sind Patscherkofel und Glungezer. „Ich hatte immer eine Demut vor den Bergen“, sagt sie. „Aber erst jetzt merke ich, dass sie auch gefährdet sind. Diese Giganten, die so selbstverständlich da stehen, sind verletzlich.“

Zum Konzept von SMAAT gehört daher auch die Frage nach Nachhaltigkeit. Pernegger achtet auf Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln, denkt über Shuttle-Lösungen nach und experimentiert mit Materialien. Ein Beispiel ist Linda Jasmin Mayers Maskenarbeit, die ursprünglich aus Kunststoff bestand und nun mit biologisch abbaubarer Gelatine umgesetzt wird. Nachhaltigkeit bedeutet für sie aber auch, kritisch mit künstlerischen Traditionen umzugehen. „Land Art gilt oft als positiv besetzt, weil sie als Reaktion auf die Umweltbewegung entstand. Aber viele dieser Projekte haben Landschaften massiv verändert“. Passend dazu kündigt Pernegger für den 8. November im Rahmen der Premierentage Innsbruck einen Vortrag von Robert Fleck zu seinem Buch Kunst und Ökologie an (in der Galerie Thoman, 13 Uhr). In der Zwischenzeit ist die Basecamp-Ausstellung noch bis 10. Oktober im Kubus zu sehen – ein Ort, an dem nicht nur die Kunst, sondern auch die Berge selbst in das Blickfeld rücken.
| Brigitte Egger
SMAAT
Die Sustainable Mountain Arts Association Tyrol (SMAAT) ist eine Plattform für alpine Kunstvermittlung. Im September startet das Programm mit zwei Ausstellungen und zwei performativen Wanderungen in den Tiroler Alpen. Ziel des von Karin Pernegger initiierten und kuratierten Vereins ist es, die Berglandschaft in einen Dialog mit künstlerischen Praktiken sowie Fragen zu Ökologie und Nachhaltigkeit zu stellen.
