Immer noch erstarrt vor Verblüffung beobachten wir zwei Gestalten, die sich umständlich aus der winzigen Raumkapsel zwängen, welche gerade im Rauch und dem Blitzen von elektrostatischen Entladungen vor unseren Augen im Idyll des herbstlichen Fichtenwaldes mehr abgestürzt als gelandet ist. Sie tragen hautenge Latexanzüge, in Rot und Blau, dazu improvisierte Helme mit folierten Brillen und Atemmasken, welche wiederum mit Schläuchen an weiteren Gerätschaften angeschlossen sind, die überall an ihnen herabbaumeln. In einer Geste die wohl bedrohlich sein soll aber etwas hilflos wirkt, recken sie die Arme mit ihren Werkzeugen empor. Ein Zeitaktmotor wird angeworfen und fängt erst nach mehreren Versuchen an einen beißenden Gestank zu verbreiten und eine verspiegelte Kugel in Drehung zu versetzen. Diese wirft Suchstrahlen in alle Richtungen aus, um die kostbarsten Ressourcen unseres Planeten aufzuspüren welche die beiden Bruchpiloten ausbeuten wollen um so irgendwann doch endlich auf dem angestrebten Anerkennungsplaneten zu landen. Während sich all dies vor unseren Augen abspielt, lehnen wir uns genüsslich in dem gepolsterten Sessel zurück, schalten mit der Fernsteuerung noch einmal einen Gang hoch, und lassen uns Rücken und Nacken massieren.

Wir befinden uns im KUNSTRAUM INNSBRUCK, wo noch bis zum 15.11.2024 die Ausstellung „Ohne Reserve Rad“ gezeigt wird, die am 19.10. durch einen Workshop für Kinder und am 9.11. mit einer Performance samt Artist Talk ergänzt wird. Sie zeigt nebst der erwähnten und eigens für die Ausstellung konzipierten Videoinstallation mit Massagesessel eine Auswahl von Werken der beiden Künstler Stephan Pirker und Wolfgang Tragseiler, die sich zum ersten Mal in einer gemeinsamen Ausstellung präsentieren. Dabei kreist ihr Schaffen häufig um das ureigene Begehren versus dem strengen Blick von Außen, der uns dazu bringt, uns freiwillig dem gesellschaftlichen Zwang zu unterwerfen und eine feste Rolle darin einzunehmen. Im diesem Fall ist dies vor allem eine geschlechtsspezifische Rolle, jene des Mannes, die hier mit einem beträchtlichen Unbehagen einhergeht und durch das Erwecken des Kindes wieder durchbrochen werden soll.
Als diese Erkenntnis sie trifft, beginnen die zwei Bruchpiloten sich mit erheblichen Mühen und in gegenseitiger Hilfe aus ihren Anzügen zu schälen. Sie streifen ihre alte Rolle ab um jene Position einzunehmen, welche die Freiheit verheißt. Es ist natürlich jene des Easy Rider, auf einer alten und wohl nicht ganz StVO-konform umgebauten Honda CB 500 (Bj. 1978), genannt Matilde, welche uns jetzt als umweltschonende, münzbetriebene und zur eigenen Sicherheit fest auf einem Sockel montierte Begehrensmaschine sanft dem Sonnenuntergang entgegen schaukelt. Genau jenes Motorrad war vor 28 Jahren in Spanien verunfallt (durch Schuld eines betrunkenen Polizisten) und fristete seitdem eine Existenz in den Wohnungen des Künstlers, unter anderem im 3. Stock während des Kunststudiums in Linz. Zu neuem Leben erweckt, symbolisiert es so nicht nur das Spiel, sondern auch das damit verbundene und unweigerliche Scheitern, welches, positiv interpretiert, ein Korrektiv gegenüber der Ausuferung des Spektakels darstellt.

Dass ein Motorrad ohne Reserverad auskommen muss, erscheint uns trivial. Wenn wir es aber mit dem Bild des Mannes verbinden, welcher damit klischeegemäß und in sinnloser Todesgefahr seinen Spieltrieb befriedigt, erschließt sich im Titel der Ausstellung plötzlich das fehlende zweite X Chromosoms am genetischen Fahrzeug, gegenüber dem das Y eher wie zu einem Spielzeug-Dreirad gehörend anmutet. Und tatsächlich begrüßt uns vor dem Betreten der eigentlichen Ausstellung, und im Vergleich zu den Skulpturen und Videos im Inneren eher unauffällig gehalten, eine Skulptur aus drei gestapelten Dreirad-Rädern, aus den Materialien Beton, Metall und Wachs. In das Rund des Wachses ist sogar ein Docht eingezogen, aber so, dass das Abbrennen der Kerze notgedrungen scheitern muss. Wir begegnen der Gefahr des Scheiterns auch wieder in der Videoinstallation von, welche sich hinter einem Guckloch verbirgt und uns als Voyeure in die Welt des erotischen Poledance entführen soll. Die „Animation an der Stange“, erlernt von einer professionellen Tänzerin während einer Residency in Kanada, soll erkunden, welchen Triggern wir im Rahmen des Begehrens unterworfen sind. Sich dennoch darauf einzulassen, sowohl in der Ausführung als auch in der Betrachtung, entreißt uns schon ein bisschen dem engen Korsett, welches das Urteil von Außen auf unser Verhalten projiziert.
Es gibt noch mehr zu erkunden, nicht zu Übersehen ist Armada von Knochengefährten die von der Decke hängen und in Glasvitrinen ausgestellt sind. Es sind die Gefährten während einsamer Alm-Abende eines der Künstler, die er dort aus gefundenen Gegenständen zusammengesetzt hat. Sie vermitteln eine Ästhetik irgendwo zwischen Jagdtrophäe und dem Fahrzeug von Superschurken. Während wir zwischen diesen fantastischen Kreationen hindurchgehen echot ein „Werd’ erwachsen!“ als Teil der Beschimpfungen, denen wir direkt nach Betreten des Hauptraumes von zwei Seiten ausgesetzt waren, in unserem Kopf – doch es wird von uns jetzt als reaktionäre Parole entlarvt.
| Markus Penz
