Fasnacht Forward! – BURSCHENSCHAFT FURIA lädt zur neuen Ära

Am 11. November, pünktlich zum Faschingsbeginn, fand vor dem Landestheater in Innsbruck erstmals die Fasnacht Forward statt. Organisiert wurde die Veranstaltung von der Burschenschaft Furia unter der Leitung der Theaterregisseurin Julia Jenewein im Rahmen der Ausschreibung TKI open 25. Die Moderation übernahm die Dragqueen Sindy Sinful, die die Feierlichkeiten bedeutungsschweren Worten eröffnete: „Dies ist ein historischer Moment, der Ursprung einer matriarchalen Tradition.“

Sechs Gruppen zogen über den Rennweg zum Vorführungsplatz vor dem Landestheater:

(Fotos: Alena Klinger)

E43, elektrisierten mit Gitarrensound und der Botschaft
“Schiach ist schön und schön ist schiach”.

Klimaaktivist:innen begleiteten das StreetNoise Orchestra
und begruben in einer karnevalistischen Performance die Welt.

Für bedeutungsschwere Stille sorgten Die Drei Bethen
– Urgesteine der Weiberfastnacht Imst.

Die Bluatenden zelebrierten, umgeben von tiefroten
Rauchschwaden aus “Eigenblut”, den weiblichen Körper.

Die MullMulla entfesselten ein choreografiertes Chaos aus Müll.

Den Abschluss machte die Burschenschaft Furia selbst. Mithilfe einer “Altmännermühle” in Vagina-Gestalt verwandelten sie Putin, Trump und Konsorten in Dragqueens & Kings (Baphometh, Bee Quing, Freddie Venus & The Topster)

Die Initiatorin Julia Jenewein, selbst in der Fasnachts-Hochburg Axams aufgewachsen, beschreibt sich als großer Fan des Brauchtums. Dennoch trüben bestimmte Aspekte ihre Begeisterung: „Es heißt oft, Tradition sei so wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und dann schließt man die Hälfte der Menschen aus. Das passt für mich einfach nicht zusammen.“ Ein Gefühl von Ambivalenz, das sich auch in ihrer Rezeption der inhaltlichen Gestaltung der Fasnacht fortsetzt:

„Einerseits finde ich die ursprünglichen Figuren, die zum Beispiel die Jahreszeiten oder Fruchtbarkeit zelebrieren, sehr schön. Das erzählt etwas über unsere Geschichte und unsere Kultur. Dann sind da aber auch die neueren Interpretationen, die oft sexistisch oder rassistisch sind. Ein Beispiel dafür ist die Fasnachts-Gruppe Das Kamel, deren Teilnehmer sich schwarz anmalen und sich als in Ketten gelegte Sklaven inszenieren. Das hat mich schockiert und dem wollte ich etwas entgegenstellen. ”

Der entscheidende Funke für die „Fasnacht Forward“ sprang bei einer Performance der Gruppe MullMulla (mehr zu den MullMulla HIER bei komplex) über. Verkleidet als Müll-Dämonen spiegeln die MullMullas die Bedrohung einer enthemmten Konsumkultur wider, im Versuch sie so zu “bannen”. Ursprünglich als einmalige, ökologisch-aktionistische Inszenierung gedacht, stieß sie auf so positive Resonanz, dass Daniel Jarosch und Stefan Prikl den MullMulla Verein zur Förderung von Lebensfreude und einem lebenswerten Planeten für alle gründeten und seitdem fröhlich weiter “mulln”. 

„Stefan und ich sind seit unserer Kindheit Bewunderer des traditionellen Muller-, Matschgerer- und Perchten-Brauchtums. Wir sind inspiriert von der Schönheit, der Kraft und auch dem Unheimlichen dieser Traditionen. Als ‚Zuagroaste‘ war es uns aber kaum möglich, bei den echten Mullern mitzumachen, weil das schon eher exklusive Vereine der alteingesessenen Dorfmänner sind.”

, erklärt Daniel. Besonders freue ihn, dass inzwischen auch „echte“ Muller bei den MullMulla mitgewirkt haben: „Da können wir auch was lernen. Als UNESCO-Weltkulturerbe sind die Muller aber am anderen Ende eines fiktiven Spektrums an Ehrwürdigkeit angesiedelt als die MullMulla, die ja von der Müllhalde kommen.“ Daniel betont, dass die MullMulla dennoch eine Verbindung zu den Ursprüngen der Fasnacht herstellen:

„Ich bin überzeugt, dass die jetzige, sehr stilisierte Form des Mullerlaufens auch ihre fröhlichen Anfänge in Spaß und Lazi-machen* hatte. Die Fasnacht entstand als ein kleiner, wenn auch für die Obrigkeiten relativ kontrollierbarer Freiraum, eine verkehrte Welt auszuleben. Da konnte man Dampf ablassen, Geschlechter- und Herrschaftsverhältnisse auf den Kopf stellen. Es ist ein totaler Widerspruch, wenn irgendjemand erklärt, was bei der Fasnacht erlaubt sein soll und was nicht (den Traditionen entspricht ). Jemand hat neulich zu mir gesagt: Bei der Fasnacht verstehen sie bei uns im Dorf keinen Spaß, das ist eine ernste Angelegenheit! Ich finde, da muss man sich dann schon die Narrenfreiheit von der Narrenfreiheit nehmen.“ 

Am 16. November fand im Theater praesent der zweite Teil des Projekts statt: eine Podiumsdiskussion mit Gina Disobey (Black Community Innsbruck), Gerhard Hetfleisch (ARA/ZeMiT Tirol), Thomas Nußbaumer (Autor von Fasnacht in Nord- und Südtirol), Elsbeth Wallnöfer (Autorin von Tracht macht Politik), Vertreterinnen der Burschenschaft Furia sowie Julia Jenewein. Es soll ein Raum für Dialog über die sozialen und politischen Dimensionen der Fasnacht entstehen: “Gerhard Hetfleisch von ZeMiT Tirol ist auf uns zugekommen, weil er über die letzten Jahre sehr viele Beschwerden und Leserbriefe zur Fasnacht bekommen hat. Man merkt, dass den Menschen etwas nicht passt.” Zudem betont Julia die Notwendigkeit, die Geschichte der Fasnacht zu beleuchten und vermeintliche Traditionsnarrative kritisch zu hinterfragen: „Es gibt viele Behauptungen über die Herkunft der Fasnacht, die dazu genutzt werden, bestimmte Praktiken zu rechtfertigen.“ Daniel Jarosch ergänzt diese Perspektive und kritisiert die nostalgischen Verklärung historischer Machtstrukturen: “An der bäuerlich-katholischen Herrschaftswelt mit all ihrer Unterdrückung und Ausgrenzung von Frauen, Knechten, Jenischen, Roma, Juden, Protestanten etc. gibt es in meinen Augen eigentlich nichts zu verklären.” 

Julia Jenewein hofft, dass sich Fasnacht Forward als jährliches Event am 11.11. etabliert:

“Fasnacht Forward soll eine Fasnacht für Innsbruck, von und mit der Subkultur sein. Jeder, der eine offene und tolerante Fasnacht für alle will, ist willkommen. Wer nächstes Jahr teilnehmen will, kann sich gerne bei mir melden ” 

*”„Lazi“ im Sinne der improvisierten Zwischeneinlagen „lazzi“ der Comedia dell‘ arte” 

Ein Gedanke zu “Fasnacht Forward! – BURSCHENSCHAFT FURIA lädt zur neuen Ära

Hinterlasse einen Kommentar