Vergänglichkeit und Fantasie hinter Schlossmauern: beim GRAFFITI&UNPLUGGED in Ried

Zahlreiche regionale und internationale Künstler:innen präsentierten von 7. bis 9. November beim jährlichen Kultur-Highlight „Graffiti & Unplugged“ in Ried im Tiroler Oberinntal ihre Werke. Sieglinde Wöhrer war fürs komplex vor Ort, hat sich umgeschaut und umgehört.

Ausstellungsraum im Schloss Sigmundsried | Foto: Sieglinde Wöhrer

Durch die Ausstellungsräume laufen Hunde, Besucher:innen haben ihre Kinder dabei. Das Schloss ist groß, aber es füllt sich – vor allem dann, wenn die jungen und älteren Musiker:innen auf der Bühne im ersten Stock zu spielen beginnen. Seit 2012 wird das mittelalterliche Schloss Sigmundsried einmal jährlich mit der Kunstausstellung „Graffiti & Unplugged“ bespielt. Aus der ursprünglichen Idee, das Schloss zu beleben, hat sich mittlerweile eines der größten Kunst- und Musikfestivals im Tiroler Oberland entwickelt, an dem jedes Jahr neben österreichischen auch internationale Künstler:innen (heuer aus Südtirol, der Schweiz, Spanien, Frankreich, Kanada, Australien und Ungarn) vertreten sind. Auf 1200m² Ausstellungsfläche gibt es Werke von bereits etablierten Kunstschaffenden zu sehen – wie etwa moderne abstrakte Gemälde von Marika Wille-Jais oder die Installation „Supernova“ von Ursula Beiler (Urbeil), die zur Eröffnung am Freitag auch eine Performance präsentierte –, aber auch junge aufstrebende Künstler:innen haben die Möglichkeit, ihre Arbeiten zu zeigen und mit anderen Kunstschaffenden in Austausch zu treten.

Werk von Ursula Beiler bei Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

Über 30 Künstler:innen bespielten heuer die drei Stockwerke mit verschiedensten Stilen, Techniken und Medien. Die Arbeiten kreisen um Themen wie Mensch, Natur, Geburt, Tod, Fantasie und Erinnerung. Manche nutzten eigene Räume, andere die Gänge oder die größeren Säle im Obergeschoss – je nach Ort wirken die Positionen ganz unterschiedlich. Da nicht überall geheizt wird, sitzen manche in Jacken gehüllt und warten auf interessiertes Publikum. Installationen, Keramiken, Malereien, Skulpturen, Fotografien und Zeichnungen zeigen die Vielfalt der Ausstellung; viele Arbeiten entstehen aus der jeweiligen „Mischtechnik“ der Künstler:innen.

Ausstellungsansicht Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

„Was ist das“, fragt ein Mädchen und hält in ihrer Hand eine Keramikskulptur im Vulva-Motiv. „Kunst“, sagt die Mutter. Sie befinden sich in den ehemaligen Gefängniszellen im ersten Stock, wo die vergitterten Fenster, die alten Wände und das schummrige Licht den Bildern, Skulpturen, Installationen und Kostümen eine ganz besondere Atmosphäre verleihen. In einer der Zellen finden sich die Malereien und Skulpturen aus Ton- und Kalksandstein der Künstlerin Cornelia Eiter: „Es gibt ganz unterschiedliche Räume und auch ganz unterschiedliche Kunst. Die Ausstellung ist ein toller Ort für den Austausch mit anderen.“ In ihrem Schaffensprozess setzt sie sich derzeit mit Körper, Weiblichkeit, Natur und Vergänglichkeit auseinander. Wichtig sind ihr auch „Offenheit bei Material, Medien und im Prozess“.

Cornelia Eiter bei Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

„Das persönliche Leben hat immer Einfluss auf die Kunst“, beschreibt sie eines ihrer jüngsten Werke, das die Verbundenheit zwischen Mutter und Tochter erforscht„Ich glaub schon, dass durch die Mutterschaft die Motive oder die Denkweise ein bisschen beeinflusst werden.“ Seit 2021 studiert die Bildhauerin an der Akademie der Bildenden Künste Wien. „Ich hab immer viel experimentiert und autodidaktisch gearbeitet, anfangs mit Fotografie und Siebdruck, mittlerweile bin ich mehr bei der Malerei und der Skulptur zuhause.“ Cornelia Eiter malt mit Tusche, Kohle, Acryl, Gouache und selbst hergestellten Farben aus Gewürzpigmenten, Granatapfel, Kaffee oder auch Menstruationsblut, die sie miteinander mischt und oft dem Zufall überlässt. „Ich lasse den Körper bei der Entstehung der Bilder mitwirken und dann schau ich, was da ist und arbeite mit dem weiter.“, beschreibt sie ihre abstrakten Naturbilder. „Vieles ist haltbarer, wenn man künstliche Farben nimmt; die sind aber teilweise sehr schädlich für die Umwelt. Der Vorteil an den Naturfarben ist, dass sie nicht giftig sind. Eine Naturfarbe ist für mich was Eigenes, sie erzeugt noch mehr Nähe zum Bild.“

Werke von Thomas Biedermann bei Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

Auch der Maler Thomas Biedermann verbindet in seinen Werken Mensch und Natur. Als Untergrund nutzt er keine Leinwände, sondern Kalkputz, den er bearbeitet, mit Sand vermischt und den Bildern so die gewünschte Struktur gibt. „Ich verwende beim Malen hauptsächlich Naturtöne, also Erdfarben und organische Motive, damit es mit dem Kalkputzmaterial auch wieder stimmig wird.“ Seine Arbeiten sind angelehnt an die Freskomalerei, die man etwa in Kirchen und Schlössern findet. „Bei der Freskomalerei malt man mit den nassen Pigmenten im nassen Putz.“, eine Technik, die bei Bildern nicht funktionieren würde. „Aber ich habe es optisch einfach so hinkriegen wollen, wie die alten Kirchenmalereien.“ Einige Jahre habe der Künstler gebraucht, „bis die Technik richtig ausgereift ist.

Seine Bilder zeigen etwa einen Keimling zwischen Daumen und Zeigefinger, fallende Herbstblätter mit winzigen Vögeln oder Kindern oder eine Taschenuhr ohne Zeiger. „Ich versuche immer symbolisch eine Botschaft oder eine Geschichte darzustellen. Minimal. Also nicht zu direkt, sondern nur als Anstoß zum Denken oder zum Überlegen. Aber es kommt bei allem immer auf den Gemütszustand an, weil man ja viel mehr mit der Seele malt als mit dem Kopf. Zurzeit bin ich viel mit Händen und Gesichtern beschäftigt.“

Julia Großberger bei Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

Fantasievoll und surrealistisch stechen die Öl- und Acrylarbeiten von Julia Großberger hervor. „Meine Bilder sind alle sehr verschieden und lassen sich keinem spezifischen Stil zuordnen, ich lass mich selbst von mir überraschen und von dem, was passiert.“ Zu ihrer Fantasie finde sie in der Natur, Inspirationen holt sie sich „von draußen und dem Zusammensein mit anderen Menschen. Das speichert sich alles ab und lässt dann was entstehen.“

Mathias Prachensky bei Graffiti&Unplugged, Ried, 2025 |. Foto: Sieglinde Wöhrer

Mathias Prachensky hat seine „Kunstzelle“ in eine Kulisse für exzentrische Kostüme verwandelt und verleiht der Szenerie mit seiner Nebelmaschine ein zusätzlich dramatisches Flair. Viele seiner Materialien – darunter Federn, Fahrradschläuche, Reifen oder Festplatten – findet er auf der Straße. „Deswegen dauert das so lange bis es fertig wird. „Ich bin auch bei den Mullmulla‘n, das ist eine offene Performancegruppe, die aus Müll Kostüme macht.“ Aber eigentlich komme er vom Film: „Ich mache Kunstfilme und Polaroids, aber wenn man immer vorm Rechner arbeitet, hat man so eine Sehnsucht, mit den Händen was zu machen – nach dem Motto: Analog vibes, back to the roots“

Auch der ungarische und in Innsbruck lebende Künstler Gergő Bánkúti (featured in komPOST#50) hat bei Graffiti & Unplugged teilgenommen und präsentiert die Arbeiten zusammen mit seinem Künstlerkollektiv mʌtʃ, dem auch Stèf Belleu und Ina Hsu angehören.

Mit Kerzenwachs und Bleichmitteln hat er etwa auf Schürzen seiner Großmutter Szenen des Totentanzes dargestellt, bei Installationen, in Malerei, Zeichnung und Keramik bearbeitet er Motive wie Abwesenheit, Nostalgie und Verlust. Für ihn ist die Beschwörung von bewussten und unbewussten Erinnerungen zugleich Trauerarbeit, Selbstbeobachtung und künstlerisches Ritual. „Die beiden Keramikarbeiten enthalten analoge Fotografien. Sie rahmen flüchtige Momente ein und füllen Erinnerungen mit dem unvermeidlichen, organischen Schmerz, der seit jeher zum Leben gehört.“

| Sieglinde Wöhrer

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