Körper, die verschmelzen. Klänge, die man teilt. Ein kleiner Kosmos, der mal hell erleuchtet, mal von Summen, Rascheln, Lachen und Quaken durchdrungen wird, mal zu vibrieren beginnt. Und alles davon steuern die Teilnehmer:innen, die sich hörend, tastend und miteinander durch die Bühne bewegen und sie so erkunden. Mit „When I Am You And You Are We“ schaffen Stefan Maier und Anna Pompermaier im Rahmen des Vorbrenner eine berauschende Virtual-Reality-Experience für alle Besucher:innen gleichermaßen. Denn was die Akteur:innen im Zentrum für sich entdecken, entsteht zu einem großen visuellen Klanggebäude, das die Zuseher:innen über Lautsprecher und Projektionen live miterleben können.

Stefan Maier und Anna Pompermaier verlegen Kabel, testen Kopfhörer und Scheinwerfer, klicken sich auf mehreren Bildschirmen durch die Programme ihrer 3D-Projektion und schauen gespannt auf den Screen, ob alle eingespielten Elemente auch wirklich aufscheinen. Sie stecken mittendrin in ihren Vorbereitungen für die Premiere ihrer Extended-Reality-Experience heute, Freitag, 15. Oktober, als ich sie im BRUX besuche. So richtig kann ich mir ja noch nicht vorstellen, was bei ihrer Installation passieren wird, aber der Name hat mich gleich gefesselt, weil er so viele Fragen öffnet: Wer ist „du“? Wer sind „wir“? Und, ja, warum nicht: Wer bin eigentlich „ich“?
Also machen wir den Testlauf: Zuerst wird – wer möchte – gescannt. Einmal rund um den Oberkörper. Auf dem Bildschirm erscheint eine leicht verschwommene Figur, ein Fragment meines gescannten Körpers, das gleich in die virtuelle Stage eingespeist wird. Da baumelt nun mein Fragment, und wird später zum Leben erweckt. Erst aber bekomme ich einen Kopfhörer, sitze mich ins „I“ und lausche den Stimmen, die mir ins Ohr flüstern. Anschließend geht es in das „We“: den Spielraum, in dem man sich hörend und tastend bewegen kann und immer wieder neue Klänge entdecken kann – je nachdem, wohin man sich wendet und was man berührt. In der Hand: eine Art Wünschelrute, die die lokalen Klänge ins Ohr übermittelt. Was mein Erlebnis anders macht: Ich bin alleine. Was aber, wenn sich auch noch andere im „We“ bewegen und gemeinsame Sache machen? Lassen wir uns von den Künstler*innen erzählen, was passiert, wenn viele Menschen den Raum bespielen und wie das Ganze über sich hinauswachsen kann.
Was ist die Idee hinter „When I Am You And You Are We”?
Stefan: Wir wollten damit eine Extended-Reality-Experience entwickeln, das heißt, dass die Besucher:innen Teil des Geschehens werden. Es ist eine kollektive Performance, die über den gesamten Spielzeitraum auch weiterläuft und sich weiterentwickeln und wachsen kann, während sie bespielt wird. Jede:r Besucher:in kann zu einem Teil von dem Ganzen werden, jede:r kann mitgestalten. Das war so unser Grundansatz.
Wie habt ihr eure Idee dann umgesetzt? War das immer schon klar, wie ihr das gestalten möchtet, hattet ihr ein klares Bild vor Augen – oder hat sich das vom Abstrakten immer mehr ins Konkrete gewandelt?
Stefan: Genau, es hat sich eigentlich aus vielen Gesprächen heraus entwickelt. Wir haben beide gemeinsam in Innsbruck studiert und während des Studiums immer wieder zusammengearbeitet. Später haben wir auch in Barcelona einmal ein gemeinsames Projekt realisiert. Wir interessieren uns beide sehr stark für die Bereiche „Virtual Reality“ und „Extended Reality“. Im Rahmen unserer Arbeiten für die Diplomarbeit und unserem häufigen Austausch hat sich das Projekt dann immer stärker konkretisiert. Da war das Konzept dann schon sehr klar, dass wir einzelne Teile zu etwas Größerem machen wollen. Dann haben wir uns bei VORBRENNER beworben und das große Glück gehabt, dass es funktioniert hat und wir jetzt auch die tolle Möglichkeit haben, das zu realisieren.
Anna: Eine entscheidende Frage für uns war: Was passiert, wenn wir unsere Sinne teilen? Wie verhalten wir uns dann, wie werden wir zu einem Gemeinsamen bzw. werden wir überhaupt zu einem Gemeinsamen? Wie verändert sich unsere Wahrnehmung gegenüber den anderen und wie können wir alle gleich sein? So, dass es keine Rolle mehr spielt, wer du bist, woher du kommst, alle werden gleich aufgenommen. Das war unsere Anfangsidee. Das war letzten Sommer, als der Wunsch auch wieder größer wurde, dass wir wieder zueinander zu finden und wir wollten uns mehr und mehr auffordern (im Rahmen des Möglichen natürlich), gemeinsam etwas zu machen. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir aber noch mehr Fragen als Antworten, ich bin mir nicht sicher, ob sich das inzwischen schon geändert hat. Ich glaube auch, dass man viele der Fragen gar nicht beantworten kann, sondern die sich immer wieder stellen.
Wie ist eure Stage aufgebaut, was erwartet die Besucher:innen?
Stefan: Es gibt verschiedene Phasen: das „I“, das „You“ und das „We“. Bevor die Besucher:innen teilnehmen, fragen wir sie, ob sie 3D-gescannt werden möchten. So kann die Körperlichkeit jedes:jeder Einzelnen ebenfalls noch Teil der virtuellen Performance werden. Dann geht es los mit im „I“. Dort können immer vier Besucher:innen gleichzeitig Platz nehmen. Sie ziehen ihre Schuhe aus, bekommen Kopfhörer und Schlafmasken, die sie sich aufsetzen, um sich ganz auf das Hören konzentrieren zu können. Und dann bekommen sie dreidimensionalen Sound zugespielt. Es werden verschiedene offene Fragen gestellt, die danach fragen, wie wir empfinden, wie wir uns mit und gegenüber anderen empfinden. Diese Fragen kann man versuchen, im „I“ für sich zu beantworten. Es ist eine Art Selbstreflektion.
Anna: Und es dient als Vorbereitung für die nächste Stage. Im „You“, das ist der Übergang zwischen dem „I“ und dem „We“, in dem man die anderen dann wahrnimmt, bevor es in das „We“ geht, in dem dann alle gemeinsam spielen und arbeiten. Im „We“ können sie dann verschiedene Sounds entdecken und miteinander interagieren, sich auch gegenseitig das Gehör leihen – weil man etwas anderes hört, wenn man zusammenspielt.
Stefan: Das, was die Akteur:innen erarbeiten, erleben und produzieren, wird über mehrere Ebenen vom Innen ins Außen übermittelt. Zunächst mittels Sound: Was die einzelnen gemeinsam erkunden, erschallt als Summe aller Klänge auch für die anderen. Und dann gibt es noch die visuelle Komponente: Wenn die Akteur:innen miteinander interagieren, hat das einen Einfluss auf das Licht und auf die Bewegung der 3D-Körperprojektionen. Und das, was auf der Stage passiert, wird mittels Screen den Zuseher:innen zugänglich gemacht.
Anna: Es gibt auch für die Akteur:innen die Möglichkeit, ein Tablet mit in das „We“ zu nehmen und damit einzutauchen. Damit kann man sich ebenfalls durchtasten und die 3D-Projektionen und -Scans entdecken. Und wir werden auch Geräusche während der Performance aufnehmen und einspielen. Die Idee ist, dass es wächst und wächst und wächst. Ein:e Besucher:in, der:die am Freitag kommt, wird die Installation ganz anders erleben als jemand, der:die am Samstag oder Sonntag kommt.


Gibt es spezielle Hintergründe zu den einzelnen Elementen der Stage?
Anna: Die Artefakte, die Im „We“ verteilt sind und die berührt werden können, sind nachgebaute Teile von Körper-Scans, die wir früher gemacht haben. Das „We“ ist als Kreis aufgebaut, weil das die einzige geometrische Form ist, die keine Ecken hat. Der Kreis ist inklusiv.
Stefan: Gleichzeitig braucht es einen Übergang ins „We“, es muss eine bewusste Bewegung sein, die man in die Stage macht – also, mit der man die Schwelle übertritt. Für den Vorhang wollten wir einen leicht transparenten Stoff, sodass eine Kommunikation zwischen dem Außen und dem Innen möglich ist. Gleichzeitig soll damit das Innen etwas abgeschlossen sein, sodass man wirklich mit den anderen die Experience teilen kann.
Ist das Projekt nach den drei Tagen abgeschlossen? Oder soll es noch weitergeführt werden?
Anna: Ja, auf jeden Fall – wenn wir die Möglichkeit dazu haben!
Stefan: Dadurch, dass es weiter wachsen, angereichert und verdichtet werden kann, gibt es noch so viele Möglichkeiten für die Weiterentwicklung dieses Projekts – vielleicht auch in eine ganz andere Richtung. Das wäre natürlich ein Wahnsinn, wenn das noch weitergetragen und weiterwachsen würde.
Wer in die Experience von „When I Am You And You Are We“ eintauchen möchte, hat in den kommenden drei Tagen im BRUX (Wilhelm-Greil-Straße 23) die Möglichkeit dazu. Wir sprechen jedenfalls eine ganz große Empfehlung dafür aus!
Hier der Link zur Veranstaltung.
Die Termine:
- Freitag, 15.10.: ab 18 Uhr
- Samstag, 16.10.: ab 16 Uhr
- Sonntag, 17.10.: ab 13 Uhr
Kurbios
Anna Pompermaier
(IT, *1991) ist Architektin, Bauingenieurin und Researcherin. Als Teil des ./studio3, Institut für Experimentelle Architektur erforscht sie die Einflüsse immersiver Technologien auf die Zukunft der Architektur und untersucht dabei digitale und tatsächliche Materialitäten. Ihr Verständnis vom Raum ist phygital, erkundbar zwischen dem Virtuellen und dem Physischen, eine hybride Realität. Ihre Arbeiten wurden bei Ars Electronica Festival, VRHAM! und ADAF vorgestellt.
Stefan Maier
(AT, *1994) arbeitet im Zwischenspiel von Architektur und bildender Kunst und ist derzeit am ./studio3, Institut für Experimentelle Architektur tätig. In seiner Arbeit erforscht er die Beziehung zwischen dem Physischen und Digitalen. Dabei versucht er ein nicht-binäres Verständnis der beiden Zustände zu provozieren, wo Grenzen beginnen zu verschwimmen. Er arbeitet mit verschiedenen immersiven Medien und untersucht die Materialität des Immateriellen. Wie schmecken bytes und wie riechen bits?
| Julia Zachenhofer