LITERATUR|Betrieb unter vier Augen: Im Gespräch mit BORIS SCHÖN

Anfang September war er auf den Bildschirmen vieler Literaturfans zu sehen: Boris Schön moderierte die digitalen Sprachsalz-Lesungen von Hanno Millesi, Ned Beauman und Nicolas Mahler. Mit komplex hat der Eventmanager über seine Arbeit bei der Stadtbibliothek Innsbruck sowie die neuen Herausforderungen der Literaturvermittlung gesprochen.

Geschäftiges Treiben herrscht auch an diesem Vormittag rund um den Innsbrucker Hauptbahnhof. Erst wenn man in die Unterführung einbiegt, wird es ruhiger. Der Blick auf den Himmel ist für den Moment versperrt. Die Mauern sind von Graffiti-Art gezeichnet. Farbe springt den Menschen hier im Großformat entgegen. Doch bevor man sich richtig darauf einlassen kann, ist der Tunnel schon wieder zu Ende und die Straße führt die Menschen weiter: Entweder zum Sillpark oder zur Stadtbibliothek. Natürlich könnte man auch weitergehen, doch für heute darf es die Bibliothek sein.

Boris Schön | Bild: Christina Vettorazzi

So mächtig dieses Gebäude auf manchen Fotos auch erscheinen mag, so sanft fügt es sich in seine Umgebung ein. Der Himmel spiegelt sich in den großflächigen Fenstern und die Form erinnert an ein Kreuzfahrtschiff. Ein charmanter Schachzug, wenn man bedenkt, dass das Gebäude gegenüber vom Innsbrucker Hauptbahnhof erbaut wurde. Harmonisch geht es auch im Inneren weiter: Alles ist lichtdurchflutet und in neutralen Farben gehalten. Knallige Töne findet man in den Reihen der Bücherregale, nicht im Eingangsbereich, wo Eventmanager Boris Schön bereits wartet. Sogleich macht er sich auf den Weg in den ersten Stock – genauer in den Raum für Stadtentwicklung, wo gerade eine Ausstellung der Initiative Minderheiten zu sehen ist. „Dieser Raum ermöglicht einen neuen Blick. Man sieht die Bahngleise neben sich, sieht die Kreuzung. Ich finde es spannend, dass etwas an einem Ort entsteht, wo zuvor nichts war“, sagt Boris Schön. Denn früher habe es an dieser Stelle kein Gebäude gegeben. Wenn man aus dem Fenster blickt, erscheint dies schwer vorstellbar, denn die Amraser Straße liegt zentral in Innsbruck. Doch tatsächlich war die Vorgängerin der Stadtbibliothek, die Stadtbücherei, in der Colingasse stationiert. 2018 wurden diese Räumlichkeiten frei und ein Jahr davor die Stelle des Eventmanagers und Lektors für Belletristik ausgeschrieben. Seither hat sich jedoch einiges geändert. Die Lektoratsstelle für Belletristik hat Boris Schön abgegeben, denn zusammen mit dem Eventmanagement wäre der Arbeitsaufwand zu viel gewesen. Nur um Comics und Graphic Novels kümmert sich Boris Schön weiterhin als Lektor. Im Rahmen dieser Tätigkeit organisiert er den Bestand. Wenn ein Exemplar verbraucht ist, entscheidet er, ob es nachbestellt wird oder eine andere, neuere Ausgabe stattdessen in die Reihen der Bibliothek aufgenommen wird.

Doch verbringt Boris Schön in seiner Arbeit nicht nur Zeit mit Lektüre. Sein Job bringt auch eine stark soziale Komponente mit sich, denn die Aufgaben in der Bibliothek werden von einem Team erledigt. Zudem ist er zwei Mal in der Woche an einem Info-Schalter für die Kunden- und Kundinnenbetreuung zuständig. Abgesehen davon gibt es in Boris Schöns Beruf wenig Routine, denn gerade die Arbeit im Eventmanagement verläuft gewissermaßen wellenartig. Diese orientiert sich am Trimester des Programms der Stadtbibliothek. Dementsprechend gibt es Planungsphasen, in denen das Team Ideen sammelt. Dann werden Anfragen verschickt. Wenn das Team eine Zusage erhält, wird an der entsprechenden Moderation weitergearbeitet. Wenn eine Absage eintrifft, wird über Alternativen nachgedacht. „Es ist allerdings schwer meine Arbeit auf einen Punkt zu bringen“, sagt Boris Schön und fügt hinzu: „Ich glaube wesentlich ist, dass man gewissermaßen Feierabend macht, wenn man bei der Tür hinausgeht, aber gleichzeitig keinen Feierabend hat.“ Man schaut ständig, was es Neues gibt, was man demnächst machen könnte oder wen man in eine Veranstaltung integrieren könnte. „Das Thema gibt es ja auch schon beim Lesen: Wenn man privat und beruflich liest, ist auch immer die Frage, wo das berufliche Interesse endet und die Freizeit anfängt.“ Belastung ist durch diesen Vollzeit-Aufwand jedoch keiner vorhanden, denn die Arbeit macht Boris Schön einfach Spaß.

Aussicht Stadtbibliothek Innsbruck | Bild: Christina Vettorazzi

Dass dafür auch Herausforderungen anderer Art, wie beispielsweise der Einsatz digitaler Medien in der Literaturvermittlung, angenommen werden, unterstreicht die Begeisterung des Eventmanagers für seinen Beruf. Als er auf das vergangene digitale Literaturfestival Sprachsalz angesprochen wird, meint er kurz und bündig: „Es war schon alles anders.“ Ein Satz, der wohl die beiden Jahre 2020 und 2021 auch gut zusammenfasst. Nach einer Sekunde schlägt Boris Schön mit seinen Ausführungen jedoch erst einmal eine andere Richtung ein: „Der Grund, warum wir Sprachsalz digital gestaltet haben, ist, dass das Festival von Anfang an international konzipiert war und dann aber klar war, dass in dieser pandemischen Zeit kein internationales Festival durchgeführt werden kann.“ Die Autorinnen und Autoren hätten schließlich von drei Kontinenten eingeflogen werden müssen und dann wäre noch ein Publikum nötig gewesen. Um den internationalen Fokus beizubehalten, wurde das Event somit umgerüstet. Technisches Equipment für die Übertragung wurde ausgeliehen, was die gleichen Kosten verursachte wie Flüge und Hotelzimmer. Zudem veränderte sich die Arbeit. So wurden beispielsweise technisch versierte Arbeitskräfte benötigt und zugleich auch jene, die die Arbeitsabläufe strukturieren. Letztere, bezeichnet als Runner, liefen mit Kärtchen zwischen den Räumen hin und her, um den Moderatorinnen und Moderatoren ihre Einsätze anzuzeigen. Im Moderationsteam befand sich auch Boris Schön. „Die Schwierigkeit dabei war, dass man bei einer Live-Situation ein gewisses natürliches Feeling hat. Man sieht die Gesichter der Menschen, hört ihr Lachen und hat auch die direkte Verbindung zu der Person, die neben einem steht. Das fehlt bei einer Übertragung aus einem Fernsehstudio“, erinnert sich Boris Schön. Zudem gab es noch das Problem der anderen Atmosphäre, denn in diesem Raum war es heiß und so musste der hitzeempfindliche Eventmanager ständig nachgeschminkt werden. Das Outfit wurde ebenfalls an die Umstände angepasst: Kurze Hosen und barfuß war angesagt. „Ich glaube, einmal hat man das gesehen“, schmunzelt Boris Schön.

Die Frage, ob Kulturveranstaltungen künftig hybrid werden, überrascht Boris Schön auch in diesem Zusammenhang nicht. Grundsätzlich sei es möglich rein digitale Varianten in unterschiedlichen Qualitäten zu gestalten. „In den kommenden Jahren kann man da bestimmt noch aufrüsten“, meint der Eventmanager, denn gerade diese „Laptop-Gesichter“ seien nicht der Höhepunkt. Hybride Formen sieht er als Option, denn so könne der internationale Faktor erhöht werden. „Es wird auch umwelttechnisch relevant, dass man nicht durch die Weltgeschichte fliegen muss, um Gäste vor Ort zu haben“, sagt Boris Schön. Es sei jedoch eine Herausforderung, denn dafür müsse Professionalisierung stattfinden. Schließlich benötige man zusätzliche Kompetenzen über die viele Kulturschaffende nicht verfügen und die auch dementsprechend kosten. Allein auf der finanziellen Ebene sei dies eine Aufgabe für den eher prekären Kulturbereich. Momentan sehe Boris Schön diese Entwicklung dementsprechend kritisch: „Denn wenn die Qualität nicht passt, verliert die Veranstaltung ihr Flair.“ Auf das analoge Sprachsalz sowie kommende Veranstaltungen in der Innsbrucker Stadtbibliothek können sich Literatur-Fans allerdings freuen.

| Christina Vettorazzi

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