Ein Zeitfresser als Prototyp vergessener Versprechungen – zur Ausstellung im Kiosk, alte Talstation

Eine Kunstinstallation mit dem Titel „Nur die Zarten können warten“ bespielt noch bis zum 18. Juni 2023 den Kiosk der alten Talstation im Innsbrucker Rennweg. Die Arbeit des Künstlerpaares Nikolina Žunec und Bertram Schrettl will unterschiedliche Facetten von Ausgesetztheit und Hilflosigkeit, die das Gefühl des Wartens auslösen kann, zum Ausdruck bringen. Dabei haben sich die Beiden von individuellen wie kollektiven Erfahrungen leiten lassen und strapazieren einen in diesem Falle negativ konnotierten Begriff des Wartens bis aufs Äußerste. Sie lassen eine lebensechte Puppe in Wartepose verharren, weil die Kunstfigur so realitätsgetreu wie von sich selbst aus viele gesellschaftliche Problemzonen – von Solidarität über Klimapolitik bis hin zu im Stich gelassener Kulturbetriebe – aufreißen soll. 

Foto: Betram Schrettl

Der erste Blick in den Kiosk der ehemaligen Talstation der Hungerburgbahn lässt Besuchende etwas ratlos zurück. Mit dezimeterlangen, gekrümmten Fingernägeln, knielanger, weißer Haarmähne und aus der Mode gefallenem Gewand sitzt da nämlich jemand auf einer Traversenbank, wie wir sie von Zugstationen, Arztpraxen, Amtsgebäuden oder eben Seilbahnhaltestellen kennen, seine Zeit ab. In diesem Falle ist es aber keine gewöhnliche Bergbahnstation mehr, die sich hier auftut und bespielt wird, sondern eine stillgelegte, ersetzte.

Worauf wartet die Person dann noch, wäre ein rechtmäßiger Einwand. Das Warten der Figur wirkt eindeutig und lebensecht wie absurd: Liegt die letzte Fahrt der in ein kulturelles Epizentrum umfunktionierten Talstation bald zwei Jahrzehnte zurück, harrt der Reisende – das er ein solcher ist, suggeriert zumindest eine von ihm in der linken Hand gehaltene Fahrkarte sowie ein Fahrplan hinter ihm – dennoch unablässig in seiner Stellung aus. Noch dazu muten Fahrplan und Fahrkarte zwar zunächst wie historische Dokumente an, sind aber in Wahrheit KI-generiert, wodurch sich der vermeintlich informative Inhalt als Trugschluss erweist. Die Schaufensterpuppe scheint wie aus der Zeit gefallen, weil sie sich in radikaler Weise verschätzt hat. Es ist ein Warten auf einen Zug, der schon längst abgefahren ist. Durch ihre beige, eintönige Kleidung, ihre Sonnenbrille und ihren abwesenden, abgewandten Blick erhält die Figur entindividualisierte Züge, sie könnte demnach jede:r von uns sein. Verzweifelt sitzt sie in gebeugter Haltung mit gesenktem Kopf da und gibt doch die Hoffnung nicht auf. So entmutigend der vergebliche Prozess des Wartens auch scheint, die Passivität mit ihrem Schicksal zusammenspielt, konterkariert das Beharrungsvermögen der Person mit der Situation, die wiederum vage bleibt.

Die Installation referiert einerseits auf die Vergangenheit mit einem orangen blinkenden Schild mit der Aufschrift „Wartebereich“ und der klassischen Bahnhofsuhr über ihm, schreibt sich zeitgleich aber auch in eine ungewisse Zukunft ein. Wie lange wird der Reisende noch dort auf der Bank sitzen? Wer ist verantwortlich, ihm die Vergeblichkeit seines Ausharrens zu vergegenwärtigen? Ist es nicht unterlassene Hilfeleistung, ihn in seiner vergeblichen Hoffnung versinken zu lassen? Es sind nur einige Fragen, die den Besucher:innen  wie ein kalter Schauer entgegenwehen. Doch ist auch sein rechter Platz leer – man kann ihm beim Warten somit für einige Augenblicke unterstützen und wird damit mitten hinein manövriert in diese unangenehme, weil beklemmende Zwischenposition, die die Figur einnimmt. Betrachter:innen können sich mit ihr solidarisieren, bis sie es satt haben und von selbst resignieren. Dann lässt man die Figur wieder alleine im Regen stehen.

Im übertragenen Sinne ist es aber die Figur selbst, die das Warten dann überraschenderweise durchbricht: Sowie die Talstation als Kulturzentrum seit über einem Jahr nicht mehr öffentlich bespielt werden kann und selbst in der Warteschleife hängt, weil Sicherheitslauflagen sowie notwendige Sanierungsmaßnahmen der Örtlichkeit zugesetzt haben, die Verantwortlichen auf Unterstützung aus öffentlicher Hand warten, reagiert die Installation mit der puppenähnlichen Figur auf diesen Umstand. Im weiteren Sinne führt sie diese zumindest teilweise ad absurdum, nistet sich im Mute-Modus zumindest in den Kiosk des Gebäudes ein und bricht das Warten paradoxerweise durch das Warten auf. Ebenso nimmt die Installation Bezug auf eine persönliche, erst vor Kurzem geschehene Gegebenheit des Künstlerpaares: „Wir waren kurz davor, unser Atelier zu verlieren und saßen auf heißen Kohlen, weil wir eine gewisse Zeit abwarten mussten, bis uns die endgültige Entscheidung vermittelt wurde“, erklärt Nikolina Žunec.

Die Gemeinschaftsarbeit der beiden Innsbrucker Künstler:innen, die auch unter den Pseudonymen Nikolina Schuh Netz und Bertram Schrecklich auftreten, kennzeichnet sich durch ihre Vielschichtigkeit, spricht sie doch eine Reihe von Thematiken bezugnehmend auf das Warten an, das in diesem Falle aus dem Vorstadium der Vorfreude gefallen und in eine graue Zone gekippt ist. In diesem Kontext sei ein Zitat des bekannten Schriftstellers und Nobelpreisträgers Sully Prudhomme genannt, da es den Prozess des Wartens in seiner Signifikanz gut fasst:

„Das Warten ist die grausamste Vermengung von Hoffnung und Verzweiflung, durch die eine Seele gefoltert werden kann“,

heißt es in einem Notiz aus seinem Tagebuch. Nimmt das Warten eine Zwischenstellung zwischen Erwartung und Ergebung ein, lässt es den Wartenden selbst unbeholfen zurück. Ähnlich ist es in „Nur die Zarten können warten“, führt die Installation doch dieses Dilemma als existentielles und zeitgleich existenzraubendes Fristen vor. Vor allem lässt sie aber das Warten am eigenen Leibe und doch aus der neutralen Betrachter:innenposition, quasi direkt neben dem Betroffenen, spüren. Bemerkenswert ist dabei, dass es ausschließlich um das bereits durch Verzögerungen, Absagen, Verschiebungen und negative Erfahrungen belastete Warten geht. Mit hinein spielt dabei natürlich auch die zu diesem Zweck in einen Warteraum umfunktionierte Lokalität an sich, da ein solcher Nicht-Ort mit der kahlen, funktionellen Architektur immer gewisses Unbehagen auslöst, so Betroffene länger als erwartet dort verweilen müssen – man denke nur an eine verspätete Bahnfahrt. So ein Gefühl macht sich auch in diesem Falle bereit, sie überträgt sich unmittelbar auf die Besucher:innen. Und auch an der Figur selbst als Wartende ist nichts mehr von einst möglicherweise überschwänglichem Wartegenuss zu sehen, er hat sich ins Gegenteil verkehrt und wurde geradezu substantiell wie erbarmungslos. Von Euphorie kann nicht mehr die Rede sein, dafür ist auch sind die sich hinter dem Werk verbergenden Intentionen auch zu dringlich und akut, wie diese vielleicht selbst bereits die Stufe hoffnungsfroher Aussicht verlassen haben:

„Die Installation ist als Metapher für viele notwendige Umsetzungen im privaten wie auch öffentlichen Leben zu verstehen. Mit hinein fallen Themen wie die Energiewende und CO2 Reduktion, aber auch versprochene Förderungen für den Pflege- und Kulturbereich, auf die Betroffene vergeblich warten.“ 

Foto: Betram Schrettl

Aus der Figur spricht jedenfalls dieses grausame, alternativlose Warten, das keine Gnade kennt und nicht zuletzt bedürftige, engagierte Menschen am offenen Arm verhungern lässt: Das suggeriert nicht zuletzt auch der Titel der Installation.“ Nur die Zarten können warten“, wie er geschickt auf das allen bekannte Redewendung „Nur die Harten kommen in den Garten“ verweist – einer Parabel aus dem Gartenbau, dass nur die widerstandsfähigsten Pflanzen ins Freie gesetzt werden – und diesem eine neue Wendung gibt. Ist es in diesem Falle des Sprichwortes so, dass jene, die sich anstrengen, etwas erreichen, spielt das Werk des Künstlerpaares in Kontradiktion dazu gerade auf die sozialen Schwächeren, aber nicht minder engagierten Personen der Gesellschaft an, die sich nicht durchsetzen können. „Bei unpopulären Entscheidungen werden Kompetenzen oft zu Ungunsten der Beteiligten zwischen einzelnen Entscheidungsträgern hin und her geschoben. In diesem Sinne will die Arbeit explizit auf dieses passive Ausgeliefertsein mit all ihren Folgen referieren“, erklärt die Künstlerin. Lässt der philosophische Hintergrund an Darwins Evolutionstheorie denken, geben Žunec und Schrettl angesichts der Umlegung Darwins an das heutige Sozialgefüge durchaus zu denken:

„Die Abwandlung des Sprichwortes zu ‚Nur die Zarten können warten‘ soll darauf anspielen, dass entgegen des öffentlichen Tenors insbesondere zurückhaltende, schüchterne oder solidarische Personen für ihre per se positiven Charaktermerkmale häufig benachteiligt werden gegenüber rabiat vorgehender Persönlichkeiten oder Gruppen“,

so Žunec. Die Schaufensterpuppe ist noch bis zum 18. Juni 2023 im 24/7 einsehbaren Kiosk, alte Talstation ausgestellt, ehe sie aus ihrer belastenden Position des Verharrens gelöst wird. Was mit ihr danach passiert, steht in den Sternen. Gut möglich, dass wir wieder auf sie treffen, in welcher Form auch immer. Möge es ein Warnschuss sein für Handlungsträger, ihre Klienten nicht zu lange und vergeblich auf das ihnen Zustehende gedulden zu lassen. 

| Florian Gucher

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