Was bleibt, wenn wir nicht mehr sind? Für Kuratorin Bettina Knaup ist klar: Müllberge sind das größte kulturelle Erbe, das die Menschen auf dem Planeten hinterlassen werden. Im Rahmen ihrer Fellowship am Künstlerhaus Büchsenhausen lud sie zur interdisziplinären Müll-Exkursion ein. Das Ziel: die Abfallsortieranlage und Deponie Ahrental. Ein Nachmittag zwischen theoretischen und ästhetischen Perspektiven, erstaunlichen Fakten und dem blanken Müllwahnsinn.

Als Teil der aktuellen FAULTS AND BRIDGES-Ausstellung organisierte das Künstlerhaus Büchsenhausen eine Exkursion ins Recyclingzentrum Ahrental am südlichen Rand von Innsbruck. Dort werden Rest- und Sperrmüll aus der Stadt Innsbruck sowie den Bezirken Innsbruck-Land und Schwaz gesammelt, sortiert und für die nachfolgende Verbrennung aufbereitet. Daneben liegt eine Deponie, auf der die Reststoffe aus der Verbrennung und Baurestmassen endgelagert werden. Kuratorin Bettina Knaup, eine der Teilnehmer:innen des aktuellen Fellowship-Programms, leitete die Exkursion im Rahmen ihres Projekts „common wastes“ (das komplex berichtete) an. Schwerpunkt ihrer künstlerischen Auseinandersetzung mit Müll sind vor allem jene Abfälle, die dauerhaft eingelagert werden, und damit die bleibenden Mülllandschaften. Um Müll nicht nur aus nächster Nähe zu betrachten, sondern darüber hinaus noch in unterschiedliche Kontexte zu stellen, waren zwei Expert:innen als weitere Vortragende eingeladen: Anke Bockreis, Professorin für Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement an der Universität Innsbruck und Alexander Gogl, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gestaltung 1 der Universität Innsbruck, die ihrerseits ihre Zugänge und Perspektiven zur Müllverwertung, -vermeidung und zu urbanen Entsorgungsnetzen lieferten.
Wie der Müll zum Problem wurde – und zum Ausgangspunkt künstlerischer Auseinandersetzung
Einen kleinen Einblick in ihr Projekt gewährte Bettina Knaup, während sich der Reisebus mit den gespannten Exkursionsteilnehmerinnen durch den Stadtverkehr manövrierte und sich die Brenner Straße entlang Richtung Innsbruck Süd schlängelte. Ihr Interesse gilt Mülldeponien als Orten des Verbrauchten und Entsorgten, das nicht einfach verschwindet, sondern wahrscheinlich noch über Jahrhunderte der Nachsorge und Weiterbehandlung bedarf.
Dabei ist das Aufkommen solcher Stätten und vor allem der systematischen Müllentsorgung ein relativ neues Phänomen, das sich erst im Laufe des 20. Jahrhunderts zu einem globalen Problem ausbreitete. Es steht also in enger Verbindung mit der Durchsetzung des Massenkonsums und des modernen Kapitalismus. Während eines Großteils der menschlichen Geschichte bestanden Abfälle vor allem aus organischen Materialien – auch das hat sich in den letzten hundert Jahren stark verändert. Im 18. Jahrhundert stand die Entsorgungsproblematik noch in engem Zusammenhang mit der Eindämmung und Vermeidung von Seuchen. Im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Entsorgung vor allem als logistisches Problem begriffen: Wohin mit den rasant zunehmenden Abfallmassen? Erst vor knapp 50 Jahren begann man damit, die Abfallwirtschaft gesetzlich zu verankern, ungeregelte und ungesicherte Deponien zu verbieten und vor allem auch Aspekte des Umwelt- und Ressourcenschutzes miteinzuschließen. Ein bundesweit geltendes Abfallwirtschaftsgesetz sowie Vorgaben aus der EU regeln heute in Österreich, wie Abfälle behandelt, verwertet und gelagert werden dürfen. Global betrachtet stellen noch immer Mülldeponien – in mehr oder weniger geregeltem Zustand – die häufigste Entsorgungstechnologie dar.
Die Faszination dafür macht für Bettina Knaup auch ihre Abgeschiedenheit aus: Es sind Orte, die zwar über angebotene Führungen und begleitet besucht werden können, die aber der Allgemeinheit grundsätzlich nicht direkt zugänglich sind, zudem in ihrem Design und durch die starke Regulierung, die in und um sie stattfindet, von der Gesellschaft abgeschirmt und aus der öffentlichen Wahrnehmung ausgeschlossen sind. Sie wirken auf der einen Seite leblos, stillgelegt, sind aber andererseits belebt, nicht nur von den Menschen, die dort Arbeit leisten, sondern auch von unterschiedlichsten Materialien, Lebewesen, Stoffen und (chemischen) Verbindungen, die teilweise unkalkulierbar sind. Bettina Knaup schlägt mit ihrem Projekt vor, diese als Kulturlandschaften zu begreifen, in einen wissenschaftlichen, aktivistischen und künstlerischen Austausch mit ihnen zu treten. Und vor allem: dass eine Beschäftigung mit ihnen ohnehin notwendig ist. In irgendeiner Weise müssen wir uns ihnen zuwenden und auch als Gesellschaft einen Umgang mit ihnen finden, denn sie werden uns noch lange begleiten, weiterhin anwachsen, und zusätzlich ein Platzproblem schaffen.

Führung durch das Recyclingzentrum: Wo die Müllmassen verarbeitet werden
Vor dem Eingang zum Recyclingzentrum wartet Johannes Wildner, Umwelt- und Abfallberater der Innsbrucker Kommunalbetriebe, auf uns. Üblicherweise führt er vor allem Volksschulklassen durch die bunten Säle des Besucherzentrums. Während wir uns durch die Gänge bewegen, wird der leichte Fäulnisgeruch, den wir auch vom Restmüllcontainer aus dem Hinterhof kennen, kontinuierlich stärker. In den Hallen, in denen der Müll angeliefert und verarbeitet wird, herrscht ein Unterdruck, um die Geruchsausbreitung zu unterbinden, erklärt Wildner, zusätzlich gibt es eine sehr energieintensive Anlage zur Abluftreinigung. Aber es ist heiß – und hier werden tatsächlich Unmengen an Müll behandelt: durchschnittlich knapp 300.000 Tonnen Rest- und Sperrmüll, nur aus den drei Bezirken, an Spitzentagen bis zu 500.000 Tonnen. Das hängt von der Saison ab – die größten Einflussfaktoren für das Müllaufkommen hier sind Baubranche und Tourismus.
Als wir die Brücke passieren, die die beiden Gebäude des Besucherzentrums verbindet, zischt es plötzlich laut. Wir blicken nach unten. Dort sind Mitarbeiter des Recyclingzentrums gerade bei einer Feuerlöschübung zugange. Das ist nicht nur gesetzlich vorgeschrieben, sondern auch für die Praxis wichtig: Denn in den beiden Bunkern, in denen der angelieferte Müll landet, brennt es regelmäßig, meistens sogar wöchentlich, zumindest aber alle zwei Wochen. Das liegt vor allem daran, dass sich im Restmüll Geräte bzw. Gegenstände finden, die dort gar nicht hingehören, erklärt Wildner, während wir in den nächsten Vortragssaal gehen. Darunter: Elektroaltgeräte, Batterien, Akkus, Gaskartuschen, Gasflaschen, nicht ganz entleerte Benzinkanister. Und diese treffen hier eben auf einen Stoffhaufen mit hoher Brandlast. Für einen Großteil der Brände haben in letzter Zeit vor allem Akkus aus E-Zigaretten gesorgt. Überhaupt ist die Brandhäufigkeit in den letzten Jahren parallel zur immer weiter sinkenden Nutzungsdauer von Elektrogeräten sowie zur allgemeinen Zunahme von elektronischen Geräten in unserem Alltag (Smartphone, E-Bike, E-Zigarette …) gestiegen. Aus diesen Gründen ist es auch wichtig, dass der Flachbunker, in dem der Sperrmüll angeliefert wird, jeden Tag zum Schichtende um 22 Uhr leer ist. Im Tiefbunker, der den Restmüll beherbergt, kann theoretisch Material über Nacht liegen bleiben, denn der lässt sich im Brandfall leicht fluten.
Während wir dem Vortrag lauschen, können wir das Schauspiel durch die Fenster zum Flachbunker hautnah miterleben: LKWs und Sattelschlepper fahren ein und aus, entladen ihre Müllfuhre. Der Radlader und der riesige Greifarm des Krans – der bis zu 3 Tonnen transportieren kann – schaufeln und schütten die Fracht abwechselnd auf die zwei Müllbrecher, die alles zermalmen. Die zerkleinerten Müllteile fallen anschließend auf die Förderbänder der Sortierungsanlage einen Stock tiefer, wo sie nach Brennwert sortiert werden. Die gut brennbaren Materialien werden dann in Ballen gepresst und per Bahn nach Linz in eine thermische Abfallbehandlungsanlage transportiert.

Die Führungen sind nicht nur informativ und in vieler Hinsicht auch augenöffnend, sondern beinhalten einen impliziten (und auch explizit genannten) Appell: Wir stehen in der Pflicht, Abfälle richtig zu trennen. Und im Endeffekt auch: Weniger zu produzieren. Hier scheiden sich sogleich die Geister: Wer ist denn nun verantwortlich? Die Einzelkonsument:innen und Bürger:innen oder Gesetzgebung und Industrie? Eine Frage, die sich im Rahmen eines Nachmittags natürlich nicht klären lässt. Was aber deutlich wird: Wir ersticken im Müll. Da hilft es auch nicht, dass die Abfallwirtschaft darauf erpicht ist, jeden noch so kleinen Reststoff in irgendeiner Form zu verwerten. Die Energie aus der Verbrennung in den thermischen Müllverarbeitungsanlagen in Österreich wird zumeist für Fernwärmesysteme genutzt. Im Ahrental sorgt ein Blockheizkraftwerk dafür, die Deponiegase in Strom zu verwandeln, die zum einen gemeinsam mit den am Dach montierten PV-Anlagen einen nicht unerheblichen Teil der Stromversorgung des Werks übernehmen, und zum anderen auch in das Stromnetz eingespeist werden.
Am besten ist der Abfall, der gar nicht erst anfällt: Nachhaltigkeit, Eigenverantwortung und Müll als Goldgrube
Für Anke Bockreis, die an der Universität Innsbruck im Fachgebiet Abfallbehandlung und Ressourcenmanagement lehrt, ist auch der:die Einzelne dafür verantwortlich, den eigenen Müllverbrauch so gering wie möglich zu halten. Dabei geht es ihr vor allem um vermeidbaren Müll – wie etwa die 17.000 Einweg-Plastikbecher, die jeden Tag in Innsbruck weggeworfen werden. Ein Fokus ihrer Forschung uns Lehrtätigkeit liegt in der Nachhaltigkeit. Denn auch, wenn Abfälle so gut es geht verwertet werden: Die Recyclingquote von Kunststoff ist noch lange nicht da, wo sie laut EU-Vorgabe sein sollte (55 Prozent bis 2030), auch wenn wir in Österreich mit Blick auf die Quoten für Metall (80 Prozent bis 2030) und Glas (85 Prozent bis 2030) recht gut liegen. Außerdem: Müll lässt sich nicht restlos verwerten, nicht rückstandsfrei verbrennen. Irgendwas bleibt immer übrig, und das muss eingelagert werden – und bei dem wachsenden Müllaufkommen wird dieser Anteil auch weiterhin steigen.

Was Bockreis vor allem wichtig ist: Bewusstsein dafür zu schaffen, dass mit dem Wegwerfen, vor allem in den Restmüll, auch Ressourcen für immer verlorengehen. Es geht nicht nur um den monetären Aufwand der Abfallwirtschaft oder die Emissionen bei der Müllverarbeitung – vor allem in der Produktion entsteht ein Großteil der Emissionen. Wenn etwas nach kurzem Gebrauch oder falsch entsorgt wird, entsteht also auch ein unglaublicher klimatechnischer Aufwand. Der Innsbrucker Restmüll besteht beispielsweise zu 70 Prozent aus Stoffen, die dort gar nicht hingehören. Einen Großteil (ca. 30–40 Prozent) machen biologische Abfälle aus, darunter sind nochmals 12 Prozent an Lebensmittelabfällen, die noch genießbar sind. Abgesehen davon, dass diese noch essbar wären, könnten sie mittels Entsorgung über die Biotonne zumindest noch weiterverwertet werden. In Innsbruck passiert das übrigens größtenteils als Gewinnung von Biogas, indem die Bioabfälle mit Klärschlamm vergoren werden – eine andere Möglichkeit besteht darin, daraus Dünger zu gewinnen. Auch Wertstoffe, die getrennt gesammelt noch verwertet werden können, gehen so verloren. Insbesondere aus Elektroaltgeräten können noch Kunststoffe, Batterien oder Metalle rückgewonnen werden. Das Recycling von Edelmetallen wie Gold und Silber aus Elektroschrott ist weit weniger aufwändig als die Erdbewegungen, die für deren Gewinnung unternommen werden müssen und die noch dazu der Umwelt schaden.
Nicht nur das Bewusstsein über die richtige Mülltrennung muss laut Bockreis noch stärker in der Gesellschaft ankommen, sondern auch die Akzeptanz für recycelte Produkte. Solange Primärprodukte im Vergleich zu Sekundärprodukten noch billiger sind (wie es bei Kunststoffen häufig der Fall ist), kauft das keiner. Hier muss die Bepreisung und Besteuerung so geregelt werden, dass auch die wirtschaftliche Seite gegeben ist, um Recycling in allen Bereichen umzusetzen – vor allem auch im Bodenaushub und der Bauwirtschaft, den abfallintensivsten Bereichen.
Von Abfall bis Abwasser: gedankliche Linien eines Stoffwechselsystems
Mit dem Bus geht es weiter nach oben. Der Kies knirscht unter unseren Schuhen, als wir nach oben zu den Infotafeln spazieren. Kaum zu glauben, dass wir auf einem riesigen Müllberg stehen. Genauer gesagt auf dem zweiten Abschnitt der Ahrentaler Deponie, die in den Jahren 1988–2002 befüllt wurde. Jetzt wachsen hier Gräser und Blumen und die Bienen sammeln fleißig für den Ahrentalhonig. Der erste Abschnitt, ein Stück tiefer ins Tal, wurde davor ab 1976 genutzt. Der dritte Abschnitt ist nach wie vor in Gebrauch. Während früher auch Rest- und Sperrmüll sowie teilweise gewerbliche und Industrieabfälle abgelagert wurden, ist es laut österreichischem Recht (Deponieverordnung für die unterschiedlichen Deponieunterklassen) seit 2008 im Ahrental nur mehr zulässig, inerte Materialien sowie Baurestmassen zu lagern. Inert, also quasi unschädlich gemacht wird der Restabfall vorher durch eine mechanisch-biologische Behandlung – wie beispielsweise durch Zerkleinerung und Verbrennung. Die Asche und Schlacke, die daraus übrig bleibt, wird dann wiederum auf die Deponie gebracht.

Für solche Wege, die unsere Gebrauchs- und Verbrauchsstoffe – konzentriert vor allem in der Stadt – hinter sich legen und die für uns an der Oberfläche unsichtbar sind, interessiert sich Alexander Gogl, Architekt, Designer und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gestaltung 1 an der Universität Innsbruck, in seiner Forschung. Aus diesem Grundgedanken ist unter anderem auch seine multimediale Ausstellung „Metabolismus der Stadt“ entstanden, die bis Ende Jänner im architekturforum öberösterreich in Linz zu sehen war. Er verbindet die urbanen Netzwerke mit dem menschlichen Körper, denkt Stromkabel als Venen und beschäftigt sich überhaupt mit den Verbindungen dieser speziellen Stoffwechsel. Dabei geht es ihm nicht nur um die künstlerische Darstellung und Verbindung von Blutbahnen oder Abwasserkanälen, auch um kulturelle Praktiken und Berührungs- wie Markierungspunkte der Unterwelt oder Oberwelt. Genauso wie der Organismus Körper im Hintergrund funktioniert, tut dies auch die Infrastruktur der Stadt. Mit jeder unserer alltäglichen Handlungen – sei es das Umschalten des Lichtschalters oder das Betätigen der Klospülung – setzt sich eine Maschinerie in Gang, die wir gar nicht wahrnehmen und über die wir gar nicht nachdenken, genau weil wir deren Funktionieren für selbstverständlich halten.
Alles über den Haufen geworfen: Das Altlastenproblem
Dieses Nicht-Wissen ist es auch, das Bettina Knaup künstlerisch aufgreift und aus einer sozial- und kulturwissenschaftlichen Perspektive betrachtet. Dimensionen der Zeitlichkeit und Unberechenbarkeit sind es, die für sie unser Müllerbe mitunter ausmachen. Einerseits mit Blick auf die Bevölkerung, die sich über die Entsorgung und deren Konsequenzen keine Gedanken macht, andererseits auf die komplexen Bedingungen, unter denen wir Verbrauchtes und nicht mehr Brauchbares dauerhaft einlagern, die Unkalkulierbarkeit des chemischen Zusammenwirkens unterschiedlichster Mikroorganismen und Stoffe.
Der Umstand, dass früher viele unterschiedliche Abfälle auf Deponien gelagert wurden, sorgt auch dafür, dass wir nach wie vor mit vielen Altlasten zu kämpfen haben, erklärt Anke Bockreis. Dabei geht es vor allem um nach heutigem Stand der Technik unsachgemäße Absicherung von Deponien, die den unkontrollierten Austritt von Sickerwasser und eine Grundwasserverunreinigung zur Folge haben. Die Sanierung vieler solcher Deponien, worunter viele sogar erst in den 1970er-Jahren entstanden, dauert bis in die Gegenwart an. Eines der Extrembeispiele ist die Sondermülldeponie in Kölliken in der Schweiz, wo hochgiftige Abfälle aus der Chemieindustrie auf unpassendem Untergrund und ohne genügend Absicherung gelagert wurden, deren Rückbau von 2002–2016 andauerte und deren Sanierungskosten fast 1 Milliarde Schweizer Franken betrugen.
Hier ist allerdings nur die Rede von Österreich bzw. seinen Nachbarländern, in denen vergleichsweise strenge Gesetze zur Abfallverwertung, zum Umweltschutz und zur Altlastensanierung gelten. Daneben sei gesagt: In anderen Ländern, in denen die Abfallwirtschaft weniger geregelt ist, bietet sich ein ganz anderes Bild. In den besonders großen Müllhalden der Welt am Rande der Millionenstädte vor allem im Globalen Süden kommt es zur unkontrollierten Verseuchung der Umwelt und zu einer ungeheuren Gefährdung der Anwohner:innen. Die Klimaschäden durch den Methanausstoß solcher Deponien sind mitunter die größten Verantwortlichen im anthropogenen Treibhauseffekt.
Darüber hinaus ist nicht klar, wie lange Deponien noch nachbetreut werden müssen. Auch bei solchen, die nach dem neuesten Stand der Technik abgesichert sind, gibt es ungewisse Faktoren. Wie lange beispielsweise halten die Kunststoffdichtungsbahnen unter den Müllmassen? Das kann man auch im Vorhinein nicht für die Bedingungen, für die sie eingesetzt wird, mit Sicherheit testen. Damit werden wir uns also auch in Zukunft noch beschäftigen müssen.
Es bleibt uns nichts anderes übrig als Müll. Deswegen: Turbokapitalismus runterschrauben
Nach einem Nachmittag zwischen Müllbergen, Förderbändern voller Abfall und Radladerschaufeln, die vor Schrott und Plastik überquellen, kommt man dem schon etwas näher, was Bettina Knaup mit der „Fiktion der Ent-Sorgung“ meint. Auf der einen Seite ist sie in den Köpfen der Menschen, die mit dem Schließen des Containers im Hinterhof ihren Müll loswerden und gleichzeitig jeglichen Gedanken daran, also als Entledigung der Sorgen. Auf der anderen Seite gibt es die dann natürlich ja doch nicht, weil der Müll bleibt, besteht, weil wir uns seiner ja doch nicht entledigen können. Egal, ob er als heruntergebrannter Reststoff friedlich unter der Erde schlummert oder in Form von riesigen Müllinseln durch die Ozeane driftet.
Als vielschichtiger Begriff lässt sich Müll auch im Kontext der künstlerischen Produktion und Kulturinstitutionen denken, die gerade den Gegenpol zu Wettbewerbs-, Output- und Effizienzorientierung darstellen sollen, aber ebenso immer mehr davon bestimmt werden. Was ist gut, fruchtbar – gewinnbringend? – was für die Tonne? Oder auch ganz grundsätzlich: Was passiert mit Ungenütztem, Liegengelassenem, Unrealisiertem oder Unnützem – nicht nur im Hinblick auf tatsächliche Gegenstände, sondern auch Immaterielles: Ideen, Projekte, Gedanken?
Die Frage danach, wie wir uns mit der immer weiter ausufernden Müllthematik befassen, ist eng verbunden mit jener danach, wie wir uns als Gesellschaft in Zukunft zum Konsum positionieren. Bis dato ist er der Heilsbringer für die Wirtschaft und Zerstörer für die Umwelt, aber das können wir noch ausblenden, auch wenn es uns – nicht zuletzt durch die Bemühungen von aktivistischen Gruppierungen wie Fridays for Future – immer schwerer fällt und es nach und nach doch ins öffentliche Bewusstsein sickert, dass wir nicht unbegrenzt verbrauchen und wegwerfen können. Und das nicht nur aus Umweltgründen – da eröffnet sich noch eine ganz andere Fraktion an ethischen Fragestellungen dazu, unter welchen Bedingungen wir produzieren, arbeiten, leben wollen, welchen Wert Klimagerechtigkeit und Fairness hat und wie wir mit sozialer Ungerechtigkeit umgehen. Für Bettina Knaup ist klar: Wir müssen uns mit Theorien und Praktiken zum Postwachstum beschäftigen.
| Julia Zachenhofer

INFOS ZUR AUSSTELLUNG
Die Ausstellung FAULTS AND BRIDGES ist noch bis 05.08. im Kunstpavillon im Hofgarten geöffnet. Hier präsentieren die Teilnehmer:innen des Büchsenhausener Fellowship-Programms ihre Arbeiten und Projekte, die sie im Zuge ihres Aufenthalts entwickelt haben. Neben Bettina Knaup sind das Luis Guerra, Alice Sarmiento und Endi Tupja, mit Beiträgen weiterer Künstler:innen und Expert:innen.
Alle Infos dazu: https://www.buchsenhausen.at/event/faults-and-bridges/
