Die Hortung von Abfall findet als künstlerische Strategie gegenwärtig in zahlreichen Ausformungen Niederschlag – man nehme Nana Petzet, Joshua Sofaer, Mierle Laderman Ukeles oder Sarah Vanhee als Beispiele, die mit Müll als bleibende, sinnliche und exzessive Erfahrung experimentieren. Die Kuratorin Bettina Knaup setzt sich basierend auf ihre Promotionsarbeit „performing (as) waste“ im Zuge ihres laufenden Fellowship-Programms „common wastes“ im Künstlerhaus Büchsenhausen mit bewahrenden Positionen auseinander, die von einer fluiden Lebendigkeit von Müll ausgehen. Sie bringen den Abfall-Strom partiell zum Stillstand, indem sie die Welt nicht mehr verpesten, doch aufzeigen, wie konsumorientiert jede:r einzelne ist. In der am 1.02 stattgefundenen Veranstaltung „suspending descarding“, bestehend aus einem hybriden Teil und einem anschließenden Workshop vor Ort, breitete Bettina Knaup ihr Projekt aus – diskursiv wie praktisch.

Zimmer, Ateliers und Bühnen, private wie öffentliche Räume, sind voll mit diesen „klebrigen Undinglichkeiten“. Sarah Vanhee, eine belgische Künstlerin, hat beispielsweise ein ganzes Jahr ihren selbst produzierten Abfall gesammelt und in Kisten und Boxen sortiert, um ihn schließlich als Performanceakt im Zuge der Wiener Festwochen 2019 in den Gösserhallen auf der Bühne groß auszulegen. Selbst Headlines, Zeitungsausschnitte und Spam-Mails waren dabei. Müllberge –von Vanhee vorab hygienisch gereinigt – türmten sich am Boden auf, sodass die Künstlerin angesichts dieser Wucht an Materialien nebenstehend klein aussah, sie zeigen, wie tief versunken wir im Müllmeer unseres westlichen Konsumlebens sind – Kunstschaffende nicht ausgenommen. Die Künstlerin Jennifer Nelson hingegen kleidete sich im gehorteten Verpackungs- und Materialabfall ihrer Familie ein. Ein solcher Umgang scheint mehr realitätsbewusst als unterweisend und nähert sich dem unliebsamen Müll plötzlich aus anderem Blickwinkel. Man wäre geneigt von einer Schönheit des Schreckens zu sprechen, die auf den Punkt zurückkommt, dass Abfall in seiner Allgegenwärtigkeit die Lebenswelt prägt, ja umgibt, verschlingt und zeitgleich bereichert und es vermessen wäre, ihn als Präsente unseres Lebens zu leugnen, sähe ihn die Menschheit nicht als Last, Peinlichkeit und Abartigkeit.
(Künstlerische) Positionen des Müllhortens widerlegen: Müll ist nicht nur zerstörerisch und destruktiv, weil Zurückgelassenes – ganz gleich was es ist – schlichtweg wie ein kulturelles Erbe funktioniert, das mit all den eingeschriebenen Geschichten und Erzählungen bewahrungswürdig ist:
„Es gibt so vieles, dessen wir uns entledigen. Das kam mit der Konsumkultur. Wir werfen viel weg, wir wollen nichts mehr damit zu tun haben. Aber wir verlieren auch viel, unser Gedächtnis, unsere Vergangenheit“,
so Künstlerin Vanhee im Kontext ihrer Arbeit „Oblivion“. Bettina Knaup nimmt solche Positionen – in der Gegenwartskunst gibt es sie zuhauf – in ihrem Projekt „common wastes“ auf, um einen globalen, gesellschaftlichen Diskurs über die Omnipräsenz und dem Wert von Müll einzuleiten. Sie will künstlerisch Wege ergründen, Müll als Vermächtnis der Menschheit, sowie Gemeingut und Kulturerbe anzuerkennen. „common wastes“ steht dafür, das Positive aus dem Ausgemusterten des Alltags zu ziehen. Eine eigene Wendung erhält „common wastes“, indem es Kunstinstitutionen und Abfallinfrastrukturen in einen komplementär aufgeladenen Austausch bringen möchte, womit das temporäre Projekt etwas Dauerhaftes hinterlassen soll. Knaup befasst sich in diesem Zusammenhang mit einem umweltpolitischen Thema der Gegenwart, das in Kunst und Wissenschaft gleichermaßen Einzug fand und vor allem in Zeiten des globalen Klimawandels gesellschaftlich akut wurde, bedient aber auch andere, poetischere Ebenen. So ist das Sammeln von Weggeworfenem durchaus auch als eine Metapher zu verstehen. Man denke an ein gedankliches Sinnbild der Verwertung von Ideen und Eingebungen, die beim Überblättern der Zeitung kurz da sind und ebenso schnell wieder verschwinden. Hier werden sie eingefroren.

Auch in Büchsenhausen liegt nun auf den Boden ausgebreitet Müll- Labormüll wohlgemerkt. Es ist ein Reste- und Materiallager im Kleinen. Leere Flaschen, geschredderte Papierstreifen, Plastiktüten, Verpackungen, aber auch Broschüren, Zeitschriften und Bücher versammeln sich, geordnet in ein System des miteinander Kommunizierens und ineinander Aufgehens. Was gemeinhin aussortiert wird, mag hier ein neues Leben erhalten. Umgeben von einem Konvolut an verschiedensten Abfällen soll nun gearbeitet werden, sich Neues aus Altem, Verbrauchtem ergeben und Interferenzen entstehen, die ansonsten im Sumpf der Vergessenheit gelandet wären. Um schließlich zu Fragen existentieller Natur zu kommen: Lässt sich der endlose Abfall-Strom nicht minimieren? Kann der Umgang als Wegwerfgesellschaft nicht grundlegend hinterfragt werden? Das in gewisser Hinsicht (neo)koloniale Vorgehen, Müll in wohlstandsärmere Weltregionen auszulagern, abzuschieben und zu vergessen – es wird gegenwärtig von wissenschaftlichen wie kulturellen Instanzen überdacht – stößt materiell wie faktisch an seine Grenzen. „common wastes“ hinterfragt dieses Vorgehen untergründig, indem es all das Kleine, für unwichtig Gehaltene, in seiner Relevanz zelebriert.
Die dritte Welt ist zur Mülldeponie des Westens geworden, strahlt auf die gesamte Menschheit zurück. Auch Alternativen wie Recycling können diesen Kreislauf nur bedingt stoppen, stößt der Prozess der Wiederverwertung viel Energie in Form von CO2 aus, es geht stärker um eine Verwertung anderer Art. Der Ansatz Knaups ist es in Dialog mit den Geschichten zu treten, die vom Lokalen in Globale reichen, sowie menschlich produziertes Abfallgut als eine Art Archiv oder Kulturdenkmal hervorheben, anstatt länger in die Unsichtbarkeit zu verschieben. Weggeworfene Ressourcen, verworfene Eingebungen und Projekte – sowie sie als Energien und Kräfte nun im Künstlerhaus Büchsenhausen erneut fruchtbar gemacht werden und in neuen Relationen aufgehen sollen – haben versteckte Potentiale, die gerne am Müllhaufen landen, so sie nicht behutsam herausgefischt werden. Bleibt zu hoffen, dass sich bis Juni 2023 laufende Projekt nicht in den Müllbergen verliert. Die Richtung von „common wastes“, das zeigte Vortrag wie Workshop, ist jedenfalls auf Nachhaltigkeit hin ausgerichtet.
KURZBIO
Bettina Knaup
Die Berlinerin mit Arbeitsschwerpunkt Gender und Performance arbeitet an der Schnittstelle von Politik, Wissenschaft und Kunst. Sie hat bereits zahlreiche Ausstellungen und Festivals internationalen Charakters (ko-)kuratiert, unter anderem das International Festival of Contemporary Arts – City of Women in Ljubljana 2001-2004, das Festival Performing Proximities in Brüssel sowie das Archiv- und Performanceprojekt re.act.feminism, im Zuge dessen Knaup von 2008-2013 durch Europa tourte und mit dessen Neuauflage sie auch an der Manifesta 14 in Pristina teilnahm. Zudem war sie am transdisziplinären Laboratorium für Performancekünste in Transit (Berlin, Haus der Kulturen der Welt) beteiligt. Neben Programmkoordinationen und Ausstellungen ist ihre internationale Lehr- und Vortragstätigkeit besonders erwähnenswert. Im Fellowship-Programm für Kunst und Theorie 2022/23 im Künstlerhaus Büchsenhausen arbeitet Knaup an ihrem neuen Projekt „common wastes“.