Unter der künstlerischen Leitung von Alexandra Leonie Kronberger und Claudia Ploner (Hausnummer | Verein für Erlesenes) erwacht im ehemaligen Adambräu (aut. architektur und tirol) die ernstere Seite des Haller Schriftstellers Grünmandl zum Leben. Die szenische Lesung seiner Novelle „Ein Gefangener“ findet am morgigen Sonntag, dem 19. Februar 2023, zum letzten Mal vor Publikum statt.
Otto Grünmandl, den Meisten als Schauspieler oder Kabarettist bekannt, kann auch ernst. So befasst sich seine für lange Zeit vergriffene Novelle, ausgehend von seinem persönlichen Hintergrund, mit den sinnlosen Wirren der letzten Kriegstage des Zweiten Weltkrieges. Dabei erwies sich der bereits verstorbene Autor und seine Kunstfertigkeit als sehr empfindsam und feinfühlig. So stellt Grünmandel der Grausamkeit und Kälte eine unglaubliche Menschlichkeit gegenüber. Neben dem Gefangenen erzählt die Novelle auch von einem Wachsoldaten, der einem Befehl folgen und den Gefangenen in ein Gefangenenlager bringen soll, obwohl diese Tätigkeit angesichts des nahenden Kriegsendes sinnlos erscheint. Die Verarbeitung der eigenen Erfahrungen von Otto Grünmandl sind klar spürbar, doch lässt sich die Erzählung viel mehr als Schablone für das Kriegsgeschehen im Allgemeinen sehen, die vor Faschismus und Gier warnt. Dadurch sorgt sie auch in Zeiten des Ukrainekrieges für einen Gegenwartsbezug.
Der Verein Hausnummer, geführt von einem jungen Vorstand, hat es sich zur Aufgabe gemacht, diese Novelle für ein breiteres Publikum aufzubereiten. Welche Überlegungen dabei im Hintergrund gemacht wurden, berichten die beiden künstlerischen Leiterinnen, Claudia Planer und Alexandra Leonie Kronberger, in einem Interview.

Hausnummer | Verein für Erlesenes wurde zuletzt mit der Komödie „Gebrüllt vor Lachen“ bekannt. Warum haben Sie sich als Folgeproduktion gerade ein ernsthaftes Stück ausgewählt, wo doch Otto Grünmandl auch als Kabarettist bekannt ist?
Claudia Ploner: Ich persönlich empfinde das nicht als einen großen Switch, da auch „Gebrüllt vor Lachen“ sehr gesellschaftskritisch und tiefgehend war. Der Humor und die angesprochenen Themen hatten genauso dramatische Züge.
Alexandra Leonie Kronberger: Dem gegenüber steht die Novelle von Grünmandl, die zwar dem Thema nach überhaupt nicht witzig ist und dennoch, durch den Stil Grünmandls, immer wieder komische Elemente beinhaltet und auch humorvoll ist.
Claudia Ploner: Daran erkennt man, dass Tragödien und Komödien einfach eng beieinander liegen und sich gegenseitig bedingen.
Aus welchem Grund haben Sie sich gerade jetzt, wo Kriegsgeschehen wieder unmittelbar greifbar ist, für die Aufarbeitung dieser Novelle entschieden?
Alexandra Leonie Kronberger: Um ganz ehrlich zu sein ist es dem Zufall zu verdanken, dass es gerade jetzt zur Umsetzung dieser szenischen Lesung kommt, da ich das Projekt eigentlich schon viel länger geplant habe. Allerdings kann man die Novelle hervorragend als Schablone lesen, da es nur wenige direkte Andeutungen auf den Nationalsozialismus gibt und so genauso jetzt im Augenblick in der Ukraine passieren könnte.
Besonders auffällig ist auch die Location, die Sie für dieses Projekt ausgewählt haben. Welche Rolle spielt die Szenerie im Zusammenhang mit dem Text?
Alexandra Leonie Kronberger: Für mich ist besonders wichtig, die Kälte, die die Erzählung impliziert, auch spürbar zu machen. In der Novelle spielt Schnee, kalter Wind und tristes Wetter eine große Rolle und durch die große Glasfront, die wir hier haben, holen wir dieses Bild auch auf die Bühne. Auch die Züge, die in der Erzählung beschrieben werden, werden durch die Bahnhofsnähe sichtbar.
Wenn wir bereits von den räumlichen Bedingungen sprechen, welche Bedeutung hat es für Sie die Regionalität des Werkes und auch des Autors?
Claudia Ploner: Das Besondere ist einfach, das jeder Otto Grünmandl kennt, aber wir trotzdem die Möglichkeit haben, eine neue Seite von ihm bzw. die volle Person Grünmandls zu zeigen. Somit weckt die Regionalität das Interesse an der Erzählung.

Eine andere Seite zeigen – das steht also im Fokus. Warum haben Sie sich dazu entschieden, eine szenische Lesung der Novelle anstelle eines Theaterstücks zu präsentieren?
Alexandra Leonie Kronberger: Es handelt sich bei dem Text um eine Novelle, das würde bedeuten, wir müssten den Text umformulieren, um ihn szenisch darzustellen, was wiederum den Stil Grünmandls einschränken würde. Diese Erzählung sticht besonders durch die literarische Arbeit Grünmandls heraus, die drei Textsorten verarbeitet hat. Neben der Erzählung selbst sind nämlich auch Tagebucheinträge und Litaneien teil der Novelle.
Claudia Ploner: Außerdem ist das Lesen einer Erzählung sehr intim. Das Publikum kann sich selbst ein Bild der Situation machen und auch die Emotionen nachspüren. So wird eine eigene Art des Berührt-Seins erzeugt.
Sie beide haben neben dem Schauspiel bzw. dem Verein Hausnummer auch eine andere Tätigkeit. Sie, Frau Ploner, schreiben ja für das Studierendenmagazin Die Zeitlos und Sie, Frau Kronberger, haben Germanistik studiert. Welche Vorteile sehen Sie darin für die Aufarbeitung der Novelle?
Claudia Ploner: Der Zugang zum Text durch das Schauspiel eröffnet mir, die sich primär mit der literarischen Aufbereitung von Texten auskennt, neue Blickwinkel auf den Umgang mit der Handlung und der Erzählweise. Es wirkt somit gesamter durch die Kooperation. Der Journalismus bietet mir zudem ein großes Hintergrundwissen, was politische und gesellschaftliche Themen angeht, welches in die Aufarbeitung und Interpretation des Textes natürlich einfließt.
Alexandra Leonie Kronberger: Ich habe den Text über die Universität in einem Seminar von Maria Piok kennen und lieben gelernt. Mein Studium hilft mir sehr dabei, Regie- oder Konzeptentscheidungen zu treffen, da es mir eine intensive Auseinandersetzung mit den Texten ermöglicht. Beim Spielen steht mir dieses konzeptionelle Arbeiten aber manchmal im Weg, da ich mich selbst dann immer wieder ermahnen muss, vom Denken ins Fühlen, also vom Kopf zurück zum Körper zu gehen.
Welches Ziel haben Sie für Ihre szenische Lesen bzw. was wünschen sich vom und für das Publikum?
Claudia Ploner: Ich wünsche mir vor allem, dass das Publikum von der Handlung berührt wird. Das Ende ist sehr offen und regt zum Nachdenken an. Besonders jetzt, wo diese politischen und gesellschaftlichen Themen wieder mehr in den Fokus rücken, ist das Reflektieren und Nachdenken ausschlaggebend. Das Stichwort hier ist vermutlich der Realitätsbezug, denn dadurch, dass das Stück so schablonenhaft ist, kann man davon ausgehen, das die Handlung immer wieder passieren kann und genau das soll dem Publikum auch vor Augen geführt werden.
Alexandra Leonie Kronberger: Ganz banal ist mein Wunsch, dass ein breites Publikum den Text kennenlernen kann, da vermutlich nicht jeder zur Werksausgabe greift. Rein thematisch gibt es so viele kleine Momente, wo in diesem eigentlich kalten Stück immer wieder Wärme entsteht und es ist so schön zu erkennen, wie wenig es dafür eigentlich braucht. Auch das möchte ich mitgeben.
| Alicia Martin Gomez