Sie werden tagtäglich en masse unreflektiert versendet, doch kaum jemand setzt sich tiefgreifender mit den aufheiternden, gesellschaftskritischen Inhalten sogenannter Memes als Bild-Text-Kompositionen auseinander. Die philippinische Kuratorin Alice Sarmiento nimmt sich dem Thema vor dem Hintergrund des Postkolonialismus und ihres autoritär regierten Heimatlandes an und zeigt im Zuge ihrer Fellowship im Künstlerhaus Büchsenhausen Innsbruck, dass diese ephemeren Dinger nicht so harmlos sind wie gedacht. Sie haben in ihrem manipulativen Potential, ihrer Lenkung von Emotionen, unmittelbaren Effekt auf politische Landschaften, aber auch subversive Kraft, greifen sie doch Mythen auf und bauen sie weiter oder kippen sie sogar um.

Auf dem Bildschirm tut sich eine 9-minütige Video-Sound-Assemblage des Künstlers Cian Dayrit mit dem Titel „BAD ROADS MAKE YOU SORE AND STIR MEN UP TO FIGHT“ auf, in ihr erkennt man anhand von digitalisierten Landscapes und Karten die Nachwehen vergangener Imperien, wie sie Ungleichheit manifest machen. Die Atmosphäre mutet wie in einem Videogame an, doch ist mitten in unserer Lebenswelt verhaftet. Man muss sich das dystopische Gleichnis erst mal vor Augen führen: Auf Basis von Kartierungen und Aufnahmen wurde koloniale Ausbeutung und Unterdrückung anno dazumal legitimiert, auch und in besonderem Maße in den Philippinen. Ihr Erbe lebt gewissermaßen aber noch heute weiter, wird fortgeschrieben. Die in Zusammenarbeit mit Jon Olarte und Auspicious Fam kreierte Arbeit führt die Beständigkeit von Mythen der Geschichte vor, wie sie sich auch in der modernen, digitalen Welt festgeklebt haben und sogar Eingang in die virtuelle Realität finden, um sie letztlich zu dekonstruieren. Dayrits bricht bewusst mit diesen Bildern, sucht den kritischen Blick auf und stellt sich die Frage, ob das Potential virtueller Realität nicht auch als Chance auf Revision und Umschreibung, auf Kreierung alternativer Territorien, genutzt werden kann. In diesem Sinne lässt der Multi-Media Artist aus Manila Ebenen überlagern. Er betreibt „Counter-Mapping“, deutet Bilder neu, um Perspektiven zu unterlaufen und kolonial geprägten Narrativen entgegenzutreten.
Cian Dayrits Arbeit bringt Alice Sarmientos Ausgangslage ihres Fellowship-Projektes „A Meme Is Not a Monument But Can It Make a Myth of a Man?“ gut auf den Punkt. Doch sind Umdeutungen von Narrativen nicht immer, wie im Fall von Dayrits Ansatz, zurechtrückend, sondern nach wie vor manipulativ. Memes sind dafür das beste Beispiel. Beginnt Sarmientos Untersuchung in Analogie zu Dayrits mit der Frage sozialer (De)Konstruktion von Denkmälern im zunächst physischen Raum und ihre Rolle bei der Prägung kollektiver Gedächtnisse, politischer Meinungen und Machtstrukturen, hangelt sie sich schließlich bis hinein in virtuelle Sphären. Memes sind nicht nur lustig, sondern vor allem politisch. Sie können Wahlen mitentscheiden und politische Erdbeben auslösen, nur sind wir uns dieser Gefahr gesellschaftlich zu wenig bewusst. Sarmiento kennzeichnet in diesem Zusammenhang die paradox erscheinende analog-digitale Verwobenheit dieser aus der Hand flutschenden Gebilde und hinterfragt sie kritisch: Können Internet-Memes in ihrer Flüchtigkeit doch monumental sein, wenn ja, auf welche Weise? Inwiefern prägen sie durch das Verhaften in Zwischenräumen zwischen Fiktionalem, Präsentem, Mythos und Erfindung Anschauungsweisen und Meinungen? Nicht weit entfernt ist dann der Link zu neokapitalistischen Strukturen, die diese Wege des Kommunizierens ebnen und maßgeblich beeinflussen.
Die Kuratorin untersucht das sehr praxisbezogen, mit Einbeziehung von philippinischen Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen, die unmittelbar Bezug auf Geschichte und Gegenwart des Jahrzehnte von den USA besetzten Landes nehmen. Zu ihrem Forschungsansatz gesellen sich nicht nur dekonstruktive Arbeiten und Beispiele des oben genannten Cian Dayrit, sondern auch Positionen der Kulturwissenschaftlerin Lisa Ito-Tapang aus Manila, die sich unter anderem mit Effigys als Protestpuppen auseinandergesetzt hat. Was sie eint, ist nicht überraschend die Verbindung zu den Philippinen, aber auch die Verortung im physisch-digitalen Spannungsfeld. Das ist nicht zufällig so: Der Sachverhalt macht natürlich vor dem Hintergrund der politischen Situation im Land, vor allem seit der Covid-Pandemie und den verschärften Antiterror- und Versammlungsgesetzen des damaligen autoritär regierenden Staatschef Rodrigo Duterte besonders Sinn, sind doch öffentliche Plätze als Orte des Austausches rar geworden. Vieles verlagert sich ins Netz, Memes vom Staatsoberhaupt, die aber mehr als Totschlagargumente dienen und gesellschaftliche Spaltung vorantreiben, machen die Runde. Sarmiento zieht den Faden weiter, von konkreten Beispielen ihres Heimatlandes hin zu allgemeinen globalen Phänomenen. Man denke nur an bestens bekannte Memes von politischen Träger:innen, Wissenschaftler:innen oder Berühmtheiten wie Trump, Putin, Selenskyj oder Gates, wie sie in ihrer Oberflächlichkeit und Klischeehaftigkeit, gefährliche Züge annehmen können.

Es wurde bereits angedeutet, doch kann man sich vor dem Hintergrund der Büchsenhausen Fellowships, der als Open Call und Residency immer den lokalen Bezug im großen Ganzen sucht, durchaus die Frage stellen, wo hier dieser Link verborgen liegt. Neben den Memes als globale Erscheinungen muss man sich dafür näher mit dem Land der Philippinen und seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Die Rede ist von historischen, mit kolonialistischen Fragestellungen zusammenhängenden Bezügen, die den Bogen bis zu uns spannen. Nicht zuletzt der Name selbst als unmittelbare Referenz zu Kronprinzen und König Philipp II, zu dessen Ehren das Land „Las Islas Filipinas“ getauft wurde, spricht Bände. Dem Projekt obliegt es, gerade solche Querverweise, an die nicht unmittelbar gedacht wird, diskursiv offen zu legen.
Ergebnisse des Fellowship-Programms 2023 werden in der bis 5.8 2023 laufenden Ausstellung „FAULTS AND BRIDGES. Prospecting Paths To Surmount Formative Antinomies of the Present” im Kunstpavillon Innsbruck gezeigt, die kommenden DO, 11.5. um 19 Uhr eröffnet. In diesem Kontext wird auch ein Beitrag Alice Sarmientos zu sehen sein.
| Florian Gucher
Alice Sarmiento
Geboren in der philippinischen Hauptstadt Manila, arbeitet sie nicht nur als Autorin und unabhängige Kuratorin, sondern engagiert sich auch als Tierschutzaktivistin. Sie studierte Bekleidungstechnik und Museumswissenschaft, ihr Masterstudium an der Kunstwissenschaftlichen Fakultät ebnete ihr schließlich den Weg zu kuratorischen Projekten. Sarmiento wurde 2015 mit einem Stipendium des Japan Foundation Asia Centers ausgezeichnet, zudem kuratierte sie die ersten Manila-Biennale 2018 mit, war Teil des Kurator:innenteams von ESCAPE from the SEA und initiierte 2017 mit Living Spaces ihr erstes eigenes kuratorisches Projekt in der Vetro Gallery in Quezon, wo sie sich mit Problematiken des Wohnens und der Immobilienbildsprache auseinandersetzte. Schließlich war sie 2019 Stipendiatin im Bereich Kulturjournalismus an der Akademie Schloss Solitude in Stuttgart. Ihre Texte erscheinen u.a in in Ideas, das Onlinejournal des asiatischen Kunstarchivs, Plaridel: A Journal of Communication, Media, and Society, einer kunstwissenschaftlichen Reihe des Japan Foundations Asia Center sowie in CNN Philippines Life.