Der Blick durchs Schlüsselloch in fremde Wohnzimmer: „Lock Peeking“ von LUKAS LADNER und SARAH MILENA RENDEL

Wie wir wohnen, formt sich aus unseren ursprünglichsten Bedürfnissen, spiegelt unsere tiefsten Sehnsüchte wider. Mietverträge, Möbel und Beton schweißen gelebte Erinnerung und zukünftige Beständigkeit zusammen. Wohnen ist Gestaltung, die sich individuell wie gesellschaftlich vollzieht und letztlich doch eine zutiefst intime Angelegenheit. Wie man Wohnen (anders) denken und erleben kann, zeigen Lukas Ladner und Sarah Milena Rendel in ihrer Virtual-Reality-Installation „Lock Peeking“ – die aktuell in der HTL für Bau & Design ausgestellt wird. 

Der Webbanner zur Veranstaltung „Lock Peeking“ | Grafik: Kulturverein giskihtLAB

Der Ausgangspunkt: ein langer Gang, links und rechts begrenzt durch eine weiße, kahle Wand, von dem zwei, drei Türen abzweigen. Plötzlich beginnt sich das Ende des Ganges zu verzerren, zu drehen, alles wird schwarz, und es tut sich ein völlig neuer Raum auf – ein kleiner Schreibtisch mit Laptop am Fenster, die offene Balkontür zu einer gemütlichen Loggia, eine bunte Couch. Eine Stimme ertönt, die davon erzählt, was Wohnen für einen jungen Menschen in der Gegenwart bedeutet, welche Wünsche und Ängste daran geknüpft sind. Das Ganze spielt sich allerdings nicht in der Wirklichkeit ab, sondern wird durch die Displays und Lautsprecher einer VR-Brille vermittelt.

Multimediales Erlebnis: Virtuelle Einblicke in die Kulturtechnik „Wohnen“

Mit ihrem Projekt „Lock Peeking“ entführen Lukas Ladner und Sarah Milena Rendel in unterschiedliche Schauplätze und Lebenswelten. In den virtuellen Räumen können sich die Besucher:innen bewegen, sich vorantasten und ihre Position mittels Hand-Tracking steuern. Erreichen sie bestimmte Punkte in den Räumen, werden Ausschnitte aus den Interviews, die die beiden Künstler:innen mit Menschen in unterschiedlichen Wohnsituationen geführt haben, abgespielt. So können die Besucher:innen in die verschiedenen Räume und Geschichten eintauchen.

„Die Räume, die die Zuseher:innen zu Gesicht bekommen, reichen von den Zimmern der Protagonist:innen bis hin zu öffentlichen Plätzen“, verrät Lukas Ladner, Drehbuchautor und Regisseur, noch bevor wir das VR-Erlebnis selbst austesten dürfen, und während seine Kollegin Sarah Milena Rendel, ihres Zeichens Theatermacherin, gerade einem Besucher beim Erkunden der Räume assistiert. Ladner erklärt die Herangehensweise: „Unser Vorhaben war vor allem, künstlerisch mit Dokumentarischem umzugehen, und so ist auch unser gesamter Materialpool dokumentarisch entstanden.“ Es wurden Interviews geführt, Töne aufgenommen, Räume gescannt. Die Auswahl der Personen erfolgte dabei nach dem Schneeballprinzip: Menschen mit unterschiedlichen Lebenssituationen aus dem Bekanntenkreis der beiden Künstler kommen zu Wort, ebenso wie andere Persönlichkeiten, an die die beiden weitervermittelt wurden.

Insgesamt bekommen die Besucher:innen davon aber nur einen Bruchteil zu hören: „Wir haben von knapp 10 Stunden Audiomaterial auf eine Dreiviertelstunde gekürzt“, sagt der Filmemacher, etwas wehmütig. Aber die restlichen Interviews sollen nicht verloren gehen: Sarah Milena Rendel betont, dass sie unbedingt noch weitere Projekte mit dem gesammelten Material realisieren möchten, sofern es möglich sein wird. Immerhin sind das ganz viele Geschichten, Standpunkte, Perspektiven, die die beiden da eingefangen haben – und das zu einem Thema, das alle betrifft.

Bei dem Projekt geht es nicht darum, die wahrgenommene Realität wiederzugeben, sondern mehr die empfundene Realität. Für mich geht es darum, neue Formen des Geschichtenerzählens zu finden. Das Dokumentarische ist als Ausgangspunkt, als Vehikel und Spielraum immer spannend, soll aber dann seine eigene Form finden. Die ganze Erfahrung soll für die Zusehenden aber dennoch lesbar bleiben, es soll immer eine Kommunikation bleiben.

(Lukas Ladner)

Von der ersten gemeinsamen bis zur letzten Wohnung

Worum geht es in den Beschreibungen der Interviewpartner:innen? Ein Ehepaar erzählt davon, wie sie sich mit dem Bau ihres Eigenheims in einem Tiroler Dorf ihren Lebenstraum erfüllen konnten, ein anderer berichtet davon, wie ihm nach Jahren ein unbefristeter Mietvertrag für seine Wohnung angeboten wurde, er dann aber große Probleme mit der Hausverwaltung bekommen hat, die ihn aus der Wohnung drängen wollten, „weil mit mir kann man ja nichts mehr verdienen“. Eine andere Person beschreibt ihre Vorstellung davon, wie antikapitalistisches Wohnen, also gemeinschaftliche Wohnprojekte mit hierarchiefreiem Zusammenleben und alternativer Finanzierung funktionieren könnten. Wiederum eine andere Person erzählt, wie sie einige Monate in einem Auto gewohnt hat und welchen Befreiungsschlag sie dadurch erlebte.

In der VR-Experience kann man sich das dann so vorstellen: Nach einigen Minuten des Erkundens im Raum, während man den Stimmen der Interviewpartner:innen lauscht, erscheint eine weiße Tür im virtuellen Raum – betritt man diese, wird man wieder in einen anderen Raum transportiert. Neben Wohnräumen gibt es auch einen Friedhof zu entdecken, der von den Berichten eines Friedhofswärters und einer Haussitterin untermalt werden, und eine Wüstenlandschaft, in der leere Chipspackungen vom Himmel fallen.

Die Technik, mit der die Räume in die digitale Welt aufgenommen wurden, nennt Ladner „ein sehr rudimentäres 3D-Scan-Verfahren, das sehr viele Glitches produziert“. Ähnlich wie beim Bildgenerator „Midjourney“ entstünden so Bilder, „bei denen man im ersten Moment das Gefühl hat, es stimmt eh alles, aber bei denen man, je länger man sich umschaut, erkennt, dass eigentlich nichts davon Sinn ergibt. Man merkt: Warte mal, das Waschbecken da hat eine komische Delle, und da hängt ein Stück Wand einfach herunter.“ Unterstützt wird dieser Eindruck von dem fragmentarischen Wesen der Räume selbst: irgendwo hören sie auf und gehen übergangslos ins Nichts über.

Als Filmemacher ist man natürlich an die äußeren Gegebenheiten gebunden, aber gerade im Spielfilm ist Raum ja nichts Zufälliges, da wird genau überlegt, welche Gegenstände wo platziert oder wie die Wände dekoriert werden. Räume fungieren als Geschichtenerzähler. Deswegen haben mich die 3D-Scans so sehr gereizt: So können Räume von ihrem Umfeld losgelöst werden – also beispielsweise ohne störende Autogeräusche rundherum – und erlebbar gemacht werden, teilweise verfremdet, mit Soundeffekten versehen. In manchen Räumen haben wir auch versucht, Gegensätze auf der visuellen und der Tonebene zu erzeugen. Mich beschäftigt in der Darstellung immer die experimentelle Frage: Was kann das Medium leisten?

(Lukas Ladner)

Sarah Milena Rendel, eine der beiden Projektverantwortlichen, beim Austesten der VR-Installation. Das schwarze „X“ neben ihr markiert den Startpunkt. | Bild: Julia Zachenhofer

Ein Problem, aktuell wie nie: Wohnungsnot und Immobilienblase

Was das Wohnen als Thema insbesondere interessant für die beiden macht, ist die Tatsache, wie die beiden in der Projektbeschreibung ausführen, dass es in den letzten Jahren immer noch mehr „sozial und ökologisch prekär“ geworden ist. Die Lage hat sich seit Projektbeginn sogar noch verschärft. Durch die immer weiter steigenden Immobilienpreise und Mieten, gekoppelt mit der aktuellen Energiekrise, wird Wohnen sukzessive unleistbar (gemacht). Dabei ist es ein Grundbedürfnis, oder wie viele auch anführen: ein Grundrecht. Eigentum wird durch neue Kreditvergabe-Richtlinien, die u.a. 20 Prozent Eigenkapital vorgeben, für den Großteil der Menschen utopisch. Und verstärkt damit noch ein weiteres akutes Problem: Die immer noch weiter auseinanderdriftende Schere zwischen Arm und Reich. Sarah Milena Rendel erklärt ihren Zugang zum Thema:

Je älter man wird, desto mehr Möglichkeiten und Unmöglichkeiten ergeben sich beim Thema Wohnen. Ich habe auch gemerkt, dass immer mehr Menschen sich schwertun, Wohnungen zu finden, und habe mich dann mit den Themen „prekär Wohnen“ und „Wohnungslosigkeit“ auseinandergesetzt, vor allem, nachdem 2016/2017 in Innsbruck immer mehr Verbotspolitiken gegenüber wohnungslosen Menschen durchgesetzt wurden. Daraus entstand dann auch der Film „Wohnen“, der sich mit Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot beschäftigt.

(Sarah Milena Rendel)

Interdisziplinäre Geschichten spinnen: inspiriert durch Film und Theater

Dass die beiden für dieses Projekt kooperieren, hat sich schon über längere Zeit angebahnt. Privat wie professionell kennen sich die beiden Kulturschaffenden seit einigen Jahren. Die Gründung des Kulturvereins giskihtLAB erfolgte vor knapp 2 Jahren mit dem Ziel, interdisziplinär und auf neue und interessante Weise Geschichten zu erzählen. Die Coronapandemie verunmöglichte ein geplantes Theaterprojekt. Als TKI open Projekt konnte nun das multimediale Projekt „Lock Peeking“ umgesetzt werden. Was das Projekt mit dem Thema der Ausschreibung „liegen“ verbindet? Ladner: „Das Projekt hat sich von der ursprünglichen Idee stark gewandelt, aber der Ausgangsgedanke war schon mitunter, dass Liegen etwas Kontemplatives hat, so ein Zurückschauen, wie es die dokumentarische Herangehensweise eben auch schafft; inzwischen könnte man sagen, dass es eine Bestandsaufnahme dessen ist, was Wohnen im 21. Jahrhundert bedeutet.“ Außerdem sei Wohnen ja doch eher etwas Statisches, wobei es auch dynamisch werden kann, wie das Beispiel der im Auto lebenden Interviewpartnerin zeigt, die damit eine, wie sie es beschreibt, „nicht-domestizierte Wohnform“ austestete. Die beiden sind sich jedenfalls einig, dass die Kollaboration von Film und Theater großes Potenzial hat:

Unsere gemeinsame Arbeit und der Verein kreisen um die Verbindung zwischen den Genres Film und Theater. Wir beide haben einen dokumentarischen Anspruch, aber eine andere Herangehensweise: Lukas interessiert sich vor allem für das Emotionale und bei mir liegt der Fokus mehr im Politischen – ich glaube da ergänzen wir uns ganz schön.

(Sarah Milena Rendel)

Die VR-Installation „Lock Peeking“ von Lukas Ladner und Sarah Milena Rendel findet noch bis 10. Dezember täglich von 17 bis 22 Uhr statt. Ort: HTL für Bau & Design (Trenkwalderstraße), 4. OG.


Kurzbios

Lukas Ladner wurde 1991 in Innsbruck geboren. 2010 Matura an der HTL Anichstraße, Zweig Wirtschaftsingenieurwesen. Von 2013 bis 2017 studierte er Film- und Fernsehregie an der Filmuniversita?t Babelsberg Konrad Wolf und hat diese mit dem Kurzfilm „Treibgut“ abgeschlossen. Sein erster Lang-Dokumentarfilm „Eva-Maria“ feierte seine Weltpremiere auf dem DOK.fest München und gewann auf der Diagonale’21 den Preis für den besten Nachwuchsfilm. Aktuell arbeitet er von Innsbruck aus an der Schnittstelle zwischen Film und Videokunst und recherchiert dank der Unterstützung des BMKÖS Startstipendiums an seinem zweiten Langdokumentarfilm.

Sarah Milena Rendel ist freischaffende Theatermacherin. Sie ist die künstlerische Leitung des Kunst- und Kulturvereins Soliarts, mit dem sie unter anderem Gastspiele im Brux /Freies Theater, theater praesent, die Bäckerei, BogenTheater, Theater tiefrot in Köln als auch in Wien im Ateliertheater. Sie schloss das Studium der Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt auf kritische Geschlechterforschung 2017 und eine Ausbildung zur Theaterpädagogin 2019 ab. Sie ist tätig in Regie, Text und Produktionsleitung und arbeitet neben theaterpädagogischen Projekten, Theaterstücken und Performances auch filmisch zu gesellschaftspolitischen Themen. Sie war mit einem Text vertreten beim STEUDLTENN Festival 2020 und war 2021 als Autorin Teil des Dramatikerfestivals.

| Julia Zachenhofer

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