#frauenzählen weil frauen zählen

Ein Gedankenexperiment: „Wie viele weibliche Literaturnobelpreisträgerinnen fallen Ihnen auf die Schnelle ein?“, fragte Moderatorin Gabriele Wild beim Montagsfrühstück im Literaturhaus am Inn. Eine stutzig machende und dennoch lediglich einleitende Frage in ein hochaktuelles Thema: Die Sichtbarkeit und Präsenz von Frauen in den Medien und der Literatur.

Eine dazu initiierte Studie mit dem Namen #frauenzählen untersucht in Deutschland die Geschlechterverhältnisse im Literaturbetrieb. Auch die Literaturwissenschaftlerin Veronika Schuchter, eine der Diskutantinnen, beschäftigt sich beruflich mit diesem Thema. Sie forschte in einer viel beachteten Studie zur Präsenz von Frauen in der Literaturkritik. Als zweite diskutierte die Krimiautorin Anne Goldmann, die im politisch-feministischen Ariadne Verlag publiziert und an der Initiative „herlandnews“ zu Feminismus in der Kriminalliteratur beteiligt ist. Eine hochspannende Debatte mit einigen Einsichten und Nachsichten. komplex hat sich mit den beiden Vortragenden im Anschluss noch ein wenig näher unterhalten.

Warum werden Frauen im Literaturbetrieb vernachlässigt?

Goldmann: Frauen dominieren in dem Bereich zwar, sind aber oft auf den unteren Etagen festgeklebt und schaffen es nicht, diesen Filter zu durchdringen, wo es dann um Entscheidungen und Macht geht. Die Plätze sind fest besetzt, die Seilschaften und Männernetzwerke funktionieren. Ich habe ja immer gedacht, dass gerade der Bereich, wo Bücher gelesen werden und man sich mit dem Leben auseinandersetzt, offener sein müsste, er ist aber erstaunlich unflexibel und starr.

Was hat Sie dazu veranlasst, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen? Gab es da ein bestimmtes Schlüsselereignis?

Schuchter: Da gab es eigentlich mehrere. Eines davon war, dass mein Doktorvater gesagt hat: „Du interessierst dich doch so für Machtverhältnisse, schau dir mal an, wie das in der Literaturkritik läuft.“ Außerdem arbeite ich ja im Innsbrucker Zeitungsarchiv, wo wir jeden Tag mit dem Feuilleton zu tun haben. Und da ist mir einfach aufgefallen: Irgendetwas läuft da schief. Das kann’s nicht sein und das muss man festhalten. Den ersten Artikel darüber habe ich dann vor fast zehn Jahren geschrieben. Und seit letztem Jahr haben wir endlich auch konkrete Zahlen dazu.

Wünschen Sie sich eine Frauenquote in den Medien und im Literaturbetrieb?

Goldmann: In bestimmten Bereichen wird es nicht ohne gehen, zum Beispiel bei öffentlichen Förderungen, oder um Frauen in die Chefredaktionen zu bringen. Das erfordert nicht nur kleine Maßnahmen, da muss man über den Rand malen und nicht in dem Rahmen bleiben, der hingeklotzt wird und seit ewig hält. Man muss diesen Schiefstand immer wieder thematisieren. Ich würde auch die Leser*innen mit ins Boot holen. Frauen kaufen viel mehr Bücher als Männer, sie müssen sich dessen bewusst sein, dass ihre Kaufentscheidungen Gewicht tragen.

Gibt es denn fundamentale Unterschiede zwischen den Geschlechtern, die sich auch auf die Medien und den Literaturbetrieb niederschlagen?

Schuchter: Es gibt Unterschiede. Wie fundamental die sind, das ist die Frage. Größtenteils geht es um Sozialisierung, das ist nichts Essentialistisches. Das fängt schon mit der Geburt an. Und natürlich schlägt sich die später nieder: Im Blick auf die Welt, im Wiedergeben von dem, wie wir die Welt wahrnehmen. Und wenn man da früh ansetzt, dann könnte man das auch ändern. Das heißt nicht, dass alle gleich sein sollen, wie man ja oft vorwirft. Es soll jede*r so sein wie er*sie halt ist. Man sollte das Individuelle mehr betonen und nicht zwei gesellschaftliche Gruppen aufmachen und denen irgendwelche Eigenschaften zuschreiben.

Wie werden Männer und Frauen in der Literatur dargestellt? Welche Rollen haben sie?

Goldmann: Ich erlebe weibliche Figuren immer als etwas blass. Es fehlen viele Facetten: es fehlen der familiäre Hintergrund, die Lebensrealität. Frauen sind immer ein bisschen ohne Grund, ohne festen Boden, wie Schablonen. Sie sind schön, sie sind Opfer, sie sind hübscher Aufputz. Man hat das Gefühl, ein Autor schreibt vom anderen ab, und dann heißt es immer: Ich versteh‘ die Frauen nicht. Ich meine, es gibt da draußen Dinge, zu denen ich keinen Zugang habe, oder die ich nicht verstehe, dann kann ich allenfalls noch sagen: Interessiert mich nicht. Aber wenn ich mich darauf einlasse, dann bewegt sich schon was. Aber das grundsätzlich auszuschließen, ist eigentlich arm.

Warum glauben Sie, dass zur heutigen Veranstaltung mehr Frauen als Männer gekommen sind?

Schuchter: Tja, erstens ist es mal ein bisschen unangenehm: Macht abzugeben ist nie schön, und die eigenen Privilegien aufgezeigt zu bekommen schon gar nicht. Und man beschäftigt sich lieber mit dem, was einen selbst bestätigt als mit etwas, das einen verunsichert. Und die, die es brauchen würden, die kommen sowieso nicht. Aber es ist nicht nur bei Geschlechterfragen ein Problem, über den eigenen Tellerrand zu gehen und sich selber bewusst zu machen, dass man Privilegien hat und die vielleicht abgeben sollte. Wir als Frauen haben ja auch oft das Gefühl, dass die Männer so überprivilegiert sind. Dabei nehmen wir unsere eigenen Privilegien zu wenig wahr. Ganz allgemein den Blick für die eigenen Privilegien zu schärfen wäre sehr wichtig.

JZ

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