Gesellschaftskritik vermengt mit virtuoser Musik: Der Kunstraum Innsbruck hievt mit „Two Sonic works“ nicht nur die hinter den Videoarbeiten stehende Künstlergruppe THE OTOLITH GROUP und damit archivalische Vermittlungsarbeit wie militanten Kampf für Freiheit und Gleichheit in den Fokus, sondern zeitgleich Komponist:innen, die viel zu lange unter dem Radar geschwommen sind und endlich gehört werden müssen. In den Künsten ihr Sprachrohr suchend, fügt sich eine Klammer zwischen den filmisch präsentierten Musikschaffenden und dem Künstlerduo selbst. Was sie alle eint, ist ihr unermüdlicher Einsatz für benachteiligte Gruppen der Gesellschaft, dessen Netz sich weit spinnt. Die Werkpräsentation läuft noch bis zum 19.11.2022 und genießt ihre Stärke in der Reduktion.

Schon mal von Julius Eastman gehört? Der Name dieses virtuosen Komponisten neuer Musik wird wohl nur den größten Musikfanatiker:innen ein Begriff sein. Das Künstlerduo THE OTOLITH GROUP, bestehend aus Anjalika Sagar und Kodwo Eshun, möchte das mit ihrem Kurzfilm The Third Part of the Third Measure ändern. Und zwar mit Pauken und Trompeten.
„Den Künstler:innen geht es in erster Linie darum, in der Gesellschaft relativ unsichtbare Avantgardegeschichten vom Rande in die Mitte zu befördern und augenscheinlich zu machen. Ihr Ansatz, authentisch Sound wie auch die zugrundeliegenden Geschichten hinter der Musik zugänglich zu machen, ist durchwegs revolutionär“
so Ivana Marjanović, die Kuratorin des Kunstraumes Innsbruck. Für THE OTOLITH GROUP kam es fast einem Schock gleich, selbst erst nach so langer Zeit im Jahre 2007 erstmals auf den 1990 völlig unbemerkt von der musikalischen Öffentlichkeit verstorbenen Eastman zu stoßen, sie begannen zu hinterfragen. Wie kann es sein, dass ein Komponist der Klasse Beethoven so unentdeckt blieb? Mit der Problematik, die Eastman als queere wie afroamerikanische Person Zeit seines Lebens ausgesetzt war, ergeben sich dann Antworten, die jedoch zeitgleich nur noch mehr Fragen bezüglich Gesellschaft und Ausgrenzung aufwarfen und Futter gaben für eine vertiefte Auseinandersetzung. Für die politisch und sozial so engagierte Gruppe ein gefundenes Fressen.
„Es ist wie ein Abbild der Geschichte rund um den strukturellen Rassismus, der in der Musik passiert ist“
betont Marjanović. Intensive Recherchetätigkeiten und eine gemeinschaftliche Zusammenarbeit mit britischen Musiker:innen ließen dann eine umfassende Videoarbeit mit den Titel The Third Part of the Third Measure entstehen, mit einer kolossalen Performance, umrahmt von Interviewsequenzen und Redebeiträgen, in denen die klanglichen wie auch soziopolitischen Momente sich zeitgleich befruchten und voneinander zehren. Kunstgenuss geht damit einher mit klarer politischer Message, im Kollektiv erschallend. Julius Eastman zeigt als Komponist eindrücklich, wie viel Inhalt in Minimal Music stecken kann. Er spielt uns quasi in Trance und lässt uns auf einer Wolke schweben, ohne jedoch die Realität aus dem Augenlicht zu verlieren. Gleichzeitig eckt er mit seinen Musiktiteln an, kann er sich doch als Angehöriger der afroamerikanischen Community leisten, der schonungslosen Welt da draußen den Spiegel vorzuhalten, nicht selten bewusst auch mit Zerrbild. Es gibt wahrlich selten so ergreifend schöne Kunst, die träumerisch in jenseitige Sphären abtauchen lässt, wie sie zeitgleich auch aufwühlt und zum Nachdenken über Missverhältnisse anregt.

Was THE OTOLITH GROUP mit Eastman eint, ist der unermüdliche Kampf für eine bessere Welt ohne jegliche Ausgrenzung. Zeitgleich ist es aber auch das utopische Moment, dass dieses Wunschdenken lediglich in der Sphäre der Kunst voll aufgehen kann und bis dato vielleicht auch nur dort uneingeschränkt realisierbar ist. Gibt es einen Ausblick auf Besserung? Die auch als Performance angedachte Arbeit des Künstlerduos gibt dann den wie aus der Zukunft anmutenden Akteur:innen Raum, Geschichten zu erzählen und Zukunftsvisionen darzulegen. Aus ihren Bewegungen ertönt und schreit quasi der Drang nach der Verteidigung von Freiheit in der noch stets zu einseitigen Gesellschaft. Sie gehen militant vor, spielen sich in einen Rausch, wie sie parallel mit ihrer Mimik und Gestik visuell untermauern, was die Musik bereits anklingen lässt. Auch wenn sich viel zum Guten gewendet hat, die Probleme in der Gesellschaft sind ähnlich geblieben, in Eastmans Zeit der 1960er bis 1980er Jahre wie scheinbar so progressiven Gegenwart. Doch der Funke der Hoffnung lebt weiter, in der Musikdieses einzigartigen Klanggenies, wie auch in den Bestrebungen des britischen Künstlerpaares.
Bereichert wird das große Videokunstwerk des spartenübergreifend arbeitenden Künstlerduos im Kunstraum Innsbruck mit einer weiteren Arbeit, die sich mit freien Zugängen, künstlerischer Offenheit und kulturübergreifenden Aspekten auseinandersetzt. People to be Resembling ist eine Fusion von Jazzklängen aus Lateinamerika, Südamerika und Nordafrika, bringt Traditionen zusammen und versteht sich als unglaubliche Öffnung kulturellen Lebens. Nicht zuletzt schlägt sie jedoch einen runden Bogen durch die ebenso minimalistisch wie maximalistische Ausstellung:
„Die beiden Kurzfilme beschäftigen sich jeweils auf ihre Weise mit Musik afroamerikanischer Kunstschaffender, bringen Ausgeklammertes zum Vorschein und zeigen zeitgleich die Arbeitsweise von THE OTOLITH GROUP auf.“
Die Überwindung des kolonialistischen Denkens, die akribische Analyse des gesellschaftlichen Lebens, Zukunftsfragen wie Afrofuturismus und die Ästhetik der schwarzen Avantgarde ziehen sich wie ein Faden durch ihre Werke hindurch, der nicht abreist. Das wird in breiter Dimension in den beiden Zweikanalvideos in der Ausstellung ersichtlich. Ein geschickter Schachzug der Kuratorin Ivana Marjanović, fügen sich doch die beiden Werke wie angegossen aneinander: Jedes steht für sich selbst, doch die Parallelen sind tiefgreifend. So benötigt es auch nicht mehr als zwei Videoinstallationen als intensive, raumfüllende wie ekstatische (Klang)Erfahrungen, die Perspektiven geraderücken und den Blick verschieben können. Die erste Solo-Show von THE OTOLITH GROUP in Österreich lässt Augen öffnen und Ohren spitzen und zu dem vorrücken, was in der Gesellschaft wirklich bitternötig scheint.