kinovi[sie]on – Frauen zeigen Frauen zeigen Frauen

Am 11. & 12. Juni startet kinovi[sie]on wieder durch – eine Filmreihe im Leokino, die Frauen als Filmemacher:innen in den Vordergrund stellt. Fünf mehrfach prämierte Filme feiern heuer in diesem Rahmen ihre Österreich- bzw. Tirolpremiere. Nach so langer Kino-Dürre freuen wir uns umso mehr, uns wieder in einem dunklen Saal voller Menschen, bei Sportgummis und Prosecco, in eine tollkühne (Film-)Heldin zu verlieben.

Gerlinde Schwarz und Gertraud Eiter riefen am 8. März 2005, dem internationalen Frauentag, das Projekt kinovi[sie]on ins Leben. Seitdem präsentierte das Leokino im Rahmen der Filmreihe 425 Lang- und Kurzfilme von weiblichen Regisseur:innen. 2018 wurden die beiden Gründerinnen bei den FrauenFilm Tagen in Wien mit dem Ehrenpreis für besonderes Engagement im Bereich „Frauen* – Gesellschaft – Film“ ausgezeichnet. Im komplex-Interview erzählen sie uns, was sich seit 2005 in der Kinobranche verändert hat und welche Regisseur:innen sie besonders inspirieren.

Wie kam es zu der Idee, das Projekt kinovi[sie]on zu starten?

Gerlinde: Als Mitarbeiterinnen des Leokinos – ich als Vorführerin, Gertraud hat damals an der Bar und beim IFFI gearbeitet – haben wir festgestellt, dass kaum Filme von Frauen gezeigt wurden. Und das wollten wir ändern. Mit kinovi[sie]on haben wir eine große Leerstelle ausgefüllt.

Was war der erste Film, den ihr gezeigt habt?

Gerlinde: Unser Archiv sagt, dass der erste Film, den wir am Internationalen Frauentag 2005 gezeigt haben, EMPORTE-MOI / NIMM MICH MIT von Léa Pool war.

Wie wählt ihr die Filme aus?

Gerlinde: Wir recherchieren im Internet, gehen auf Festivals, sichten alle Filme, die in Frage kommen, diskutieren und fällen zu zweit die Entscheidung.

Wie habt ihr die lange Kinopause in diesem Jahr erlebt?

Gerlinde: Privat habe ich die Kinopause als überaus entspannend erlebt. Ohne Fernseher, ohne Streamingabo, ohne Social-Media-Bilder und dann auch noch ein halbes Jahr ohne Kino war das für mich wie eine Zeitreise ins 19. Jahrhundert. Wäre da nicht das Homeoffice und das hauptberufliche Hometeaching gewesen. Als kinovi[sie]onärin empfand ich die Kinopause allerdings als mühsame Sisyphusarbeit: Wir haben zum Jahresende 2020 schon begonnen, die Finanzierung abzusichern und ein Programm für den Internationalen Frauentag 2021 zusammenzustellen. Die vielen Verschiebungen waren da noch nicht absehbar, deshalb freue ich mich sehr, wenn es nun am 11. und 12. Juni klappt.

Gertraud: Die Inspirationen, Denkanstöße, Auseinandersetzungen, Träumereien und Reisen im Kopf, die das Medium Film ermöglichen, habe ich sehr vermisst. Zeitgleich gibt eine derart lange Pause ohne Kino auch Raum für Neues frei.

Was erwartet uns bei der kinovi[sie]on Reihe am 11. & 12. Juni?

Gerlinde: Das Publikum erwartet fünf Filme unterschiedlicher Genres, die alle mehrfach ausgezeichnet wurden. Alle Filme werden zum ersten Mal in Innsbruck gezeigt, neben 3 Tirolpremieren feiern 2 Filme ihre Österreichpremiere im Rahmen von kinovi[sie]on. Bei zwei Filmen sind die Regisseurinnen trotz plötzlich übervoller Terminkalender via Skype anwesend, was uns sehr freut. Und die Filme dieser beiden Regisseurinnen haben eine Nähe zu Innsbruck. In THE DIARY OF DIANA B. von Dana Budisavljević geht es um die in Innbruck geborene und dort verstorbene Frieda Olga Diana Obexer, spätere Diana Budisavljević, die während des Zweiten Weltkrieges Tausende Kinder aus den Lagern des Ustacha-Regimes retten konnte. Und in WALCHENSEE FOREVER geht es um ein Jahrhundert Frauengeschichte, das sich am Walchensee in Bayern, praktisch hinter der Nordkette, immer wieder sammelt.

Gertraud: Im Spielfilm MADE IN BANGLADESH werden die globalen Zusammenhänge der Bekleidungsindustrie und die Ausbeutung der Näherinnen thematisiert. Wer lieber einen leichteren Film sehen möchte, dem möchte ich den sommerlichen Queerfilm KOKON ans Herz legen. Und Trickfilmfans können sich auf MY FAVORITE WAR freuen.

kinovi[sie]on gibt es seit 2005. Inwiefern hat sich die Filmindustrie seither verändert?

Gertraud: Die Filmindustrie – insbesondere die Filmverwertung – hat sich in all den Jahren stark verändert, ist schneller und vor allem auch kurzlebiger geworden. Auch unsere Arbeit hat sich aufgrund der Digitalisierung stark verändert. Es werden zum Beispiel keine Sichtungs-DVDs mehr hin- und hergeschickt und die Filme werden inzwischen von den Verleihen über diverse Download-Programm (verschlüsselt und zeitlich begrenzt) zur Verfügung gestellt.

Gerlinde: Die größte Veränderung ist wohl die Digitalisierung und eine gewisse Beschleunigung in der Verwertung. Eine weitere Veränderung ist, dass Themen wie Celluloid Ceiling, Gender Budgeting und alle Ebenen der Diskriminierung und Gewalt im Filmbusiness an- und ausgesprochen werden.

Gertraud: Ja genau. Da war #MeToo sehr wichtig. Sexualisierte Belästigung innerhalb der Filmbranche und Benachteiligungen sind kein Tabuthema mehr. Immer wieder engagieren sich erfolgreiche Regisseurinnen und Schauspielerinnen für Gendergerechtigkeit, gegen Rollenklischees und einschränkende Schönheitsideale, wie zuletzt Kate Winslet, die sich vertraglich gegen Fotobearbeitung ihres Körpers absicherte. Zudem gibt es inzwischen die klare Forderung nach Quoten (bei Filmförderung, Filmfestivals – u.a. Wettbewerben, Besetzung von Jurys und Entscheidungsgremien…).

Gibt es einen Moment der letzten 16 Jahre kinovi[sie]on, an den ihr euch besonders gerne erinnert?

Gerlinde: Die Auszeichnung bei den FrauenFilm Tagen Wien 2018 war eine große, unerwartete Überraschung. Da haben wir gemerkt: Wir machen etwas, was weit über Innsbruck hinaus wahrgenommen wird.

Gibt es eine Regisseur:in, die euch besonders inspiriert?

Gertraud: Ich erinnere mich an viele schöne und bereichernde Begegnungen mit Regisseurinnen. Der Austausch war mir immer sehr wichtig. In all den Jahren konnten wir insgesamt knapp 50 Filmemacherinnen nach Innsbruck einladen.

Gerlinde: Ich bin ein Fan der Filmpionierinnen. Die wenigsten Cineast:innen wissen, dass Frauen von Anfang an maßgeblich die Filmgeschichte mitgestaltet haben. Alice Guy Blaché bezeichnen manche als „Erfinderin“ des Spielfilms und Esfir Schub beeinflusst mit ihren Kompilationsfilmen den Dokumentarfilm bis heute. Auch Österreich hat eine erfolgreiche Stummfilmregisseurin vorzuweisen, deren Werke in Vergessenheit gerieten und jetzt wieder entdeckt werden: Luise Kolm-Fleck. Im Herbst werden wir höchstwahrscheinlich einen Stummfilm von ihr mit origineller Vertonung zeigen.


FOKUS |
Ungesehene Geschichte: THE DIARY OF DIANA B.

[Dana Budisavljević, HR/SLO/SRB 2019, 88min]

Igor Samobor, Alma Prica, Mirjana Karanović | Bild: hulahop

Mit THE DIARY OF DIANA B. bringt die kroatische Regisseurin Dana Budisavljević eine historische Geschichte vors Publikum, die bisher wenig öffentliche Beachtung fand. Es ist die Geschichte über eine der größten Rettungsaktionen während des Zweiten Weltkriegs, initiiert von einer gebürtigen Innsbruckerin: Diana Budisavljević.

Diana kam 1891 als Kind der Tiroler Handelsfamilie Obexer zur Welt. In Innsbruck lernte sie den aus Kroatien stammenden Serben Julije Budisavljević kennen, der dort Medizin studierte. Sie heirateten und zogen gemeinsam nach Zagreb. Während des Zweiten Weltkriegs stand Kroatien unter der Führung der faschistischen Ustaša. Angelehnt an die nationalsozialistische Rassenideologie wurden in den dortigen Konzentrationslagern auch serbisch-orthodoxe Männer, Frauen und Kinder interniert. Diana Budisavljević gründete daraufhin eine Aktion, unter dieser sie mit Hilfe zahlreicher anderer Personen über 10.000 Kinder aus den Lagern der Ustaša retten konnte.

“The first time I’ve heard about Diana was in 2010. Her diary was published as a book a few years earlier in a small edition aimed for historians and didn’t reach a wider audience. I got it from a manager of Jasenovac memorial site who thought we might be relatives since we have such a similar name”, schildert die Filmregisseurin Dana Budisaljvević. Daraufhin kam die Idee zum Film – nicht nur, weil es sich um eine noch unentdeckte Geschichte handelte, sondern auch, weil dieses Thema gerade für den aktuellen politischen Kontext von Bedeutung ist: “It’s a story that is very relevant to Croatia and Serbia today which are still manipulating the historical truths about WW2 and use it in daily politics to strive for extreme nationalism and hatred. I thought that Diana could bring a new perspective and can be a step towards more understanding and historical truth”. So hat vor allem auch in Kroatien die Vorführung des Films, der dort eine Gegenstimme zum gegenwärtigen Geschichtsrevisionismus darstellt, für große polarisierende Diskussionen gesorgt. Umso beachtlicher die Tatsache, dass der Film unter anderem auch am Pula Film Festival 2019 als Gewinnerfilm ausgezeichnet wurde. „I’m very proud how the film was received by the audience since that proved that there are still many of us interested in truth and reconciliation”.

Bei THE DIARY OF DIANA B. handelt es sich um eine Dokufiktion. Für diese wurden ausführliche historische Recherchen betrieben und Interviews mit KZ-Überlebenden geführt, die auch selber im Film dokumentarisch zu Wort kommen. Der Spielfilmteil wiederum basiert auf Dianas Tagebuch und erzählt die darin geschilderte Geschichte in fiktiver Weise nach.

Im Kontext von Erinnerung an historische Ereignisse wird häufig auf die Kunst als Medium zurückgegriffen. Kunst bietet die Freiheit der Narration und birgt das Potenzial, mehrstimmige Perspektiven auf die Vergangenheit zuzulassen. Dabei unterliegen ihre Produktion und Distribution jedoch häufig politischen und ökonomischen Faktoren, so die Filmregisseurin:

„Art can’t change the world, but it can bring the truth or show the things that were hidden. As an artist you decide what you want to talk about. Humanity has always remembered the past and created stories, because it was crucial for surviving and accumulating collective knowledge. It’s the same today. Unfortunately, poorer countries have less chances in cinematic dealing with the past, because historic films and books demand quite a budget for research and production.”

Welche Art von Kunst und Kultur wir konsumieren, welche Werke wir zu sehen bekommen und über welche Aspekte der Weltgeschichte wir letztendlich (aus welcher Perspektive) erfahren, hängt zu einem großen Teil von finanziellen Möglichkeiten – und damit in Zusammenhang häufig von politischen Interessen ab. Somit sind es auch Initiativen wie kinovi[sie]on, die Aufmerksamkeit auf unterrepräsentierte Themen lenken und zur Verbreitung von Werken abseits des kommerziellen Mainstreams beitragen.

THE DIARY OF DIANA B. feiert im Rahmen von kinovi[sie]on (am 11.06. um 19.50 Uhr im Leokino) seine Österreichpremiere. Im Anschluss findet ein Q&A mit der Regisseurin via Skype statt.

| Johanna Hinterholzer & Brigitte Egger


Filmprogramm kinovi[sie]on (11. & 12. Juni 2021)
Filmarchiv kinovisieon.at

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