Sommer, Sonnenbrille, Eis am Stiel. Jetzt ist der ideale Zeitpunkt, um ans Mittelmeer zu düsen, die Zehenspitzen in Salzwasser zu tauchen und sich dem verdienten Nichtstun hinzugeben. Oder? Wären da nicht die Untiefen des Meeres. Die düstere Realität von Massentourismus und tödlichen Fluchtwegen. Selbstvergessene Tourist:innen am Ufer, kenternde Flüchtlingsboote auf rauer See. In ihrem experimentellen Hörspiel HOW DEEP IS THE SEA spüren der Tiroler Regisseur Peter Lorenz und der Schweizer Sounddesigner Peter Hofstetter dieser Gegenüberstellung von Heilsversprechen und Hilflosigkeit, von trügerischer Urlaubsidylle und ungehörtem Überlebenskampf nach.
Zu hören gibt es das Klangtheater noch bis 17. Juni an fünf Strandliegen-Hörspielstationen in Innsbruck. Also schnell noch die Hitzetage nutzen, um in gemütlicher Atmosphäre ins Nachdenken zu versinken. Oder: Kopfhörer einstöpseln und auf dem Balkonsessel dem vielschichtigen Meeresrauschen lauschen.
Wir üben uns inzwischen in einem Annäherungsversuch. Und probieren, die vielsagenden Klänge in Worte zu fassen. So viel sei gesagt: Wer nach diesem einprägsamen Hörerlebnis die Kopfhörer abnimmt, die Füße von der Liege auf den Boden der Tatsachen stellt und aufsteht, den:die wird eher ein Frösteln überkommen als ein wohliges Sonnenprickeln auf der Haut …
TOTAL SCHÖN HIER! – JA. SONNENCREME?
Meeresrauschen. Möwenschreie. Zufriedenes Seufzen. Dosen, die zischend geöffnet werden. Atem, der geholt wird, um etwas aufzublasen. Ein Strandball, der hin- und hergespielt wird. Vor dieser harmonischen Geräuschkulisse entspinnt sich ein Zwiegespräch, das schnell zwischen wunschloser Glücklichkeit und urlaubsfauler Unentschlossenheit wechselt. Die beiden Protagonisten prosten sich zu, cremen sich ein, beobachten den Sonnenuntergang, bestätigen sich in ihrem Vorhaben, dem kompromisslosen Müßiggang zu frönen. Es ist das belanglose Geplänkel von Strandliegentouristen, gepaart mit der wortkargen Gereiztheit und der lustlosen Unzufriedenheit, die aus dem Imperativ der Entspannung und dem touristischen Perfektionsanspruch wohl zwangsläufig entstehen. Immer dieser Wind. Immer noch so heiß. Dann gehen wir eben morgen ins Museum.
Eine wehmütige, vielleicht sogar aufwieglerische Pfeifmelodie erklingt. Und dann: Ein Scheppern. Ein explosionsartiges Geräusch. Ein Dröhnen, Grollen. „Dass die immer noch kämpfen.“ – „Ja.“ Da Capo: Ein neuer Strandtag beginnt. Die Gespräche sind dieselben. Zwischendrin wird die Szene gedanklich kurz in Richtung der Grausamkeiten, die sich in der Ferne abspielen, verlassen – nur, um wieder in reuelose Selbstbestätigung zu münden. Das brauchen wir nicht. Hier müssen wir nichts leisten. Einfach liegen, einfach Freiheit.
Diese Szenen wiederholen sich mit zunehmender Intensität und Abgehacktheit. Die Geräusche überschlagen, überrumpeln sich, der Dialog steigert sich zu einer sinnentleerten Einsilbigkeit, die ständige Bestätigung, das repetitive „Ja“ gleicht den Rufen von Geiern, die kreisen, abwarten und sich an dem Unheil laben.
An ihre Stelle tritt sodann das Dröhnen eines Signalhorns aus der Ferne. Ein anhaltendes Grollen. Dann ertönt ein Sprechgesang, das sich fast ein bisschen anhört wie ein Rezitativ, oder wie das Evangelium, das der Pfarrer am Altar verkündet. Es stellt die Frage nach der Rolle des Meeres. Ist es Zuschauer, Mittäter, Beschützer? Ist es grenzenlos, oder werden hier Grenzen gelost?
WIR STECKEN IMMER NOCH FEST
Wieder beginnt es zu rauschen, ein ratterndes Motorengeräusch brandet auf. Die Protagonisten befinden sich in einem stehengebliebenen Sessellift. Die touristischen Schauplätze verschmelzen ineinander, ein Meer aus Schnee, Schnee aus Meerwasser, Löwen und Antilopen huschen ins Klangbild. Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen Schneekanonen und Artilleriekanonen. Das Museum muss immer noch warten. Wieder wandern die Gespräche zwischen Belanglosigkeiten und eingeworfenen Reflexionsbruchstücken, die einen Schritt hinaus aus der Urlaubsblase treten, aber immer wieder nur abgetan werden mit einem teilnahmslosen „Ja“. Die sich wiederholenden Sätze verknappen sich wieder immer mehr, wachsen gemeinsam mit der Perkussion zu einem Crescendo heran, das, von einem Flugzeuggeräusch abgelöst, mit tröpfelnden und knisternden Elementen kombiniert wird und schließlich wieder in ein Meeresrauschen mündet.




DASS MAN DAS BIS HIER NOCH HÖRT
Wer sich nach der vielschichtigen Symbolik aus dem Zusammenspiel der instrumentalen und verbalen Komposition umhört, wird nicht enttäuscht. Das Hörspiel schwelt vor subversiver Kritik und bietet unzählige Anhaltspunkte für eine Auseinandersetzung. Da wäre das Museum, dessen Besuch immer wieder verschoben wird, als Symbol für den Unwillen der beiden, sich zu informieren, sich weiterzubilden, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Auch die wiederholte Thematisierung des Feststeckens lässt sich in dieser Hinsicht deuten. Die Passage, in der die beiden über Kuchen und Zucker sprechen, betont ihren unverhohlenen Überfluss und kann somit als Konsumkritik interpretiert werden. Wenn sich die Protagonisten über die besetzten Liegen unterhalten, kann das als Spitze gegen das kleinliche Spießbürgertum, gegen die notorischen Sonnenliegen-Reservierer:innen, gedeutet werden. Hier wird außerdem noch eine Kapitalismuskritik offenkundig: Mit Geld lässt sich alles kaufen. Ganz egal, wen es dabei erwischt:
„Du verleihst meine Liegen und ich seh‘ mich schon am Boden sitzen.“
„Also jetzt sind es schon deine Liegen.“
„Meine Idee, und ich hab‘ sie bestellt und bezahlt.“
„Und deshalb hast du Anspruch auf beide Liegen?“
„Wenn man‘s genau nimmt, auf alle.“
„Aber da sitzen doch Menschen!“
„Die sind aber nur Platzhalter.“
„So?“
„Morgen kommen andere.“
Einerseits wird diese Symbolik und Kritik also auf der Sprechebene inszeniert. Genauer lassen sich hier drei verschiedene Gesprächsebenen differenzieren. Auf der ersten Ebene unterhalten sich die beiden Sprecher in einem klassischen Urlaubsdialog, man plaudert, prostet sich zu und berät sich, was noch unternommen werden soll. Auf einer zweiten Ebene führen sie eine Art selbstironischen Metadiskurs, indem sie das eben Gesagte selbst unterwandern – etwa, wenn auf die wiederholte Frage nach dem Museumsbesuch die Antwort „Unwahrscheinlich“ fällt. Dann gibt es noch die dritte Ebene, die gelegentlich durch Stichworte eingeleitet wird, dann wieder ganz unvermittelt kommt. Es sind dies die Gesprächsfetzen, in denen es plötzlich um das „Andere“ geht, das Unausgesprochene: das Leid, das die beiden Protagonisten umgibt. In der Inszenierung ist das Leid nämlich nicht weit entfernt. Es lässt sich für die Hörer:innen auf der Klangebene als herannahendes, überschwappendes Bombengrollen erahnen, auf der Sprechebene durch Andeutungen: „Dass man das bis hier noch hört.“; „Dass die immer noch kämpfen.“
Schon in der ersten Gesprächsebene ist alles nicht ganz ernst gemeint. Die Betonung des Banalen und die ständige Selbstbestätigung und Wiederholung legen die komplette Irrelevanz des Gesagten offen und stellen sie vor dem düsteren Hintergrund der kriegerischen Auseinandersetzungen bloß. Diese zänkische und gleichzeitig lethargische Unzufriedenheit, mit der sich die beiden im Dialog begegnen, verspottet das Wesen des Urlaubs in seiner vermarkteten Form zutiefst: Das propagierte Seelenheil, das Auftanken und Innehalten, wird in dieser Vorstellung der zusammengepferchten Strandliegen am 0815-Ölsardinen-Adriastrand mit dem 0815-Programm zum blanken Hohn.
„Total schön hier.“
„Da möchte man einfach alles lassen.“
„Was lassen?“
„Einfach alles.“
„Ja.“
„Zurücklassen und einfach ganz allein hier sein.“
„Mit mir.“
„Ja, mit dir.“
„Ja, mit mir.“
„Ja.“
„Da kann man uns nicht helfen.“
„Brauchen wir auch nicht.“
„Was?“
„Hilfe.“
„Ja, Hilfe brauchen wir wirklich nicht.“
„Zum Glück.“
„Und, wenn doch?“
„Aber man kann uns hier gar nicht helfen.“
„Ja, aber wenn doch?“
„Dann wär’s unterlassene Hilfeleistung.“
„Wäre uns nicht zuzumuten.“
„Nicht hier.“
„Das brauchen wir auch nicht.“
„Hier nicht.“
„Zum Glück“.
„Hier brauchen wir nichts zu leisten.“
„Gar nichts.“
„Einfach liegen.“
„Einfach Freiheit.“
„Einfach liegen.“
„Ja.“
„Ja.“
Nicht zuletzt lässt sich aus Zeilen wie diesen auch ganz deutlich und auf allen Ebenen die Unverantwortlichkeit, die Verweigerung von Verantwortung herauslesen: „Lassen wir das.“ „Bringt ja nichts.“ Dabei handelt es sich im Endeffekt um die Kommunikationslogik des „Das geht uns nichts an“. Das wird schon durch die angedeutete Distanz sowie die verbale Distanzierung deutlich gemacht: Wir sind hier, die sind dort. Das hat nichts mit uns zu tun. Daraus spricht aber nicht nur dieses gewissensberuhigende Narrativ der Wirkungslosigkeit der eigenen Taten, sondern einfach auch das bloße Desinteresse. Wir wollen damit nichts zu tun haben.
Die Urlaubsgemütlichkeit verblasst vor diesem schockierenden Zugeständnis. Unterstützt wird die Message auch auf der Tonebene: Durch die Gegenüberstellung von idyllischer Klangkulisse und Bombengrollen, durch die immer wieder auch gegensätzlichen Bedeutungsebenen, die dadurch transportiert werden. Zum Schluss bahnt sich die Katastrophe klanglich an, wird aber vom Rauschen des Meeres verschluckt. Das Wellengeräusch hüllt den Schleier des Vergessens darüber. Seine Sanftheit hat es allerdings verloren. Im Gegenteil: Es ist unheilvoll geworden. Das Meeresrauschen ist nicht länger beruhigend, sondern wühlt auf.
INFOS ZUM HÖRSPIEL
Bis 17. Juni 2021 ist das experimentelle Hörspiel HOW DEEP IS THE SEA auf interaktiven Strandliegen-Hörspielstationen in Innsbruck in der Galerie openspace.innsbruck in Wilten, der Talstation im Saggen, im Kubus vor dem Landestheater in Kooperation mit Reich für die Insel, im Rahmen von Vogelweide im Waltherpark und im Audioversum in Zusammenarbeit mit BRUX freies Theater Innsbruck zu hören.
Online ist das Hörspiel hier aufrufbar:
Wer genauer wissen möchte, wie das Projekt zustande gekommen ist, warum sich Peter Lorenz und Martin Hofstetter dazu entschlossen hatten, selber zu sprechen, und wie die Klänge produziert wurden, dem sei das Interview mit den beiden Künstlern und Moderatorin Lisa Koller, erstmals erschienen auf FREIRAD Innsbruck, ans Herz gelegt:
MITWIRKENDE
Konzept, Text, Regie & Performance: Peter Lorenz
Sound-Design & Performance: Martin Hofstetter
Ausstattung: Nick Granbacher
Dramaturgie: Michaela Senn & Lisa Koller
| Julia Zachenhofer