Es ist da: Der dritte Streich der Oberländer Dialektrapper Von Seiten der Gemeinde: Mit „Almen aus Plastik“, veröffentlicht via Hip-Hop-Label Duzz Down San, legen die drei ein Album vor, das seinen Vorgängern in Sachen genialer Texte und Beats in nichts nachsteht, sich aber vermehrt an ernstere Themen herantastet. Was dabei herauskommt? Nicht nur hitzige Wolfdebatten, sondern auch jede Menge Ohrwürmer. Ein Album auf der Gratwanderung zwischen Widersprüchlichkeiten und Sehnsüchten, zwischen Schafblöken und augenzwinkernder Satire. Wir haben uns mit Yo!Zepp, Chrisfader und Testa über ihren Werdegang, über Dialektrap und das aktuelle Album unterhalten.

Von Seiten der Gemeinde: Wo Kuhglocken, Dialektrap und eingängige Beats aufeinandertreffen
Was vor über zehn Jahren als Spaßprojekt begann, hat inzwischen in der heimischen und darüber hinausgehenden Hip-Hop-Szene große Wellen geschlagen: Yo!Zepp, Chrisfader und Testa haben sich als Von Seiten der Gemeinde inzwischen österreichweit einen großen Namen gemacht. Als Jugendfreunde und – so sagen sie selbst – Hip-Hop-„Nerds“ der ersten Stunde sind die drei schnell auf einen gemeinsamen musikalischen Nenner gekommen und gründeten 2003 ihr erstes Musikprojekt. Über die Jahre arbeiteten sie immer wieder zusammen, auch wenn die räumliche Trennung zwischen den neuen Heimaten Innsbruck und Wien das manchmal etwas erschwerte.
Während anfangs noch auf Hochdeutsch gerappt wurde, veröffentlichte MC Yo!Zepp 2009 eine erste EP, in der Dialekttexte und Sprachsamples aus heimischen TV-Sendern eingebaut wurden – quasi der Startschuss für das VSDG-Projekt. Aus Spaß begannen die DJs Chrisfader und Testa, aus den Sprachsamples Beats zu bauen. 2013 wurde dann konkret besprochen, die über die Jahre entstandenen Basteleien als Album zu veröffentlichen, mitsamt konzeptuellem Hintergrund rund um die satirische Betrachtung des ländlichen Lebens in Tirol. 2014 erschien dann das selbstbetitelte Album „Von Seiten der Gemeinde“, stieg gleich in die FM-Charts ein und sorgte für großen Andrang bei den Live-Shows.
Dass es nicht bei einem Album bleiben wird, war den dreien dann schnell klar. Zu groß war die über die heimischen Grenzen hinausgehende Resonanz, zu zahlreich die positiven Stimmen – und zu groß war für die Musiker selbst der Spaß dabei, die Archive der lokalen TV-Sender durchzuforsten und dabei Inspiration zu sammeln. So kann man sich ihren Schaffensprozess auch tatsächlich vorstellen: Im Idealfall – und vor allem vermehrt bei der Produktion des aktuellen Albums – setzen sich die drei zusammen, stöbern durch die Archive der Oberländer TV-Sender. Dann dauert es meistens nicht lange, bis ein Spruch heraussticht, an dem sie hängen bleiben, Testa und Chrisfader fangen dann damit an, ihn in eine rhythmische, harmonische Form zu bringen. Yo!Zepp beginnt parallel dazu, eine Story dazu zu überlegen und erste Rhymes einzubringen. Das sei immer der freieste und lustigste Teil des Soundmachens, bei dem es einfach um kreative Spielereien und die Gaudi ginge, erzählt Chrisfader.
Durch die räumliche Distanz kommt es aber auch immer wieder mal vor, dass der Prozess aufgestückelt wird, sich gegenseitig Beatgerüste oder Texte zugeschickt werden, an denen dann separat weitergebastelt wird. Generell hat sich bei den dreien eine „strikte“ Arbeitsteilung im Laufe der Jahre etabliert, erzählen die drei lachend. Yo!Zepp ist für Texte und Gesang zuständig, Chrisfader und Testa bauen die Beats, wobei ersterer sich eher um das DJing selbst, das Einbauen der Samples und das Scratching kümmert und letzterer sich häufig mehr auf den technischen Aspekt und das Mischen konzentriert. Die Do-It-Yourself-Mentalität des DJing, die Möglichkeit, sich kreativ auszuleben, finden die beiden am coolsten daran – das Tolle ist, dass man keine klassische Musikausbildung dafür braucht, sondern in erster Linie musikalisches Gehör und ästhetisches Gespür braucht und sich die Technik einfach nach und nach aneignen kann, immer wieder was Neues entdecken kann, erzählen die beiden.

„Kuar va enk vasteaht mi“: Rappen im Dialekt
Die Entscheidung dafür, im Dialekt zu rappen, steht nicht nur in enger Verbindung mit den ohnehin im tiefsten Oberländer Dialekt vorliegenden Sprachsamples, sondern ist für MC Yo!Zepp einfach die authentischste Art und Weise, sich auszudrücken. In seinen Anfangsjahren gab es schlicht keine Dialektrap-Vorbilder, jede:r in Österreich rappte auf Hochdeutsch, erst nach und nach gab es Versuche, auch Regionalsprache einzubinden. Ausschlaggebend für Yo!Zepp waren dabei „Markante Handlungen“ bzw. „Rückgrat“ und MC Markee (heute auch als Kroko Jack bekannt), letztere sorgten mit der Single „Dreckige Rapz“ für viele österreichischen Rapper für einen Turnaround-Moment. 2005 begann Yo!Zepp selbst, in seinem eigenen Dialekt zu rappen – etwas, das es bis dato ebenfalls noch nicht gab. Es eröffnete sich eine ganze neue Welt, eine ganz eigene Gedankenwelt und damit auch die Themen, die den eigenen Sprachraum betreffen. Für die drei bietet er eine Möglichkeit, tiefer ins Landl, in die Täler, Dörfer, Wirtshäuser und Kirchen hineinzuschauen und so Urtirolerisches wie Absurdes aufzudecken.
Wie sehen sie nun aus, die Tiroler:innen, die VSDG in ihren Tracks porträtieren, karikieren? Die echten Tiroler:innen haben keine Angst, sind fleißig und folgsam, „buggeln“ und beten, scheuen aber nicht davor zurück, sich selbst zu bereichern auf Kosten anderer, locken „mit List und Verstand viele Touristen ins Land“ (wie es in „Gemeindetraktor“ aus dem zweiten Album „State of Gmeind“ heißt). Das ist eine Darstellung, die den Blick von außen wie die Selbstinszenierung von innen inkorporiert – und in gewissen Punkt auch den Kern der Sache trifft. Es geht um das bewusst wie unbewusst reproduzierte und von außen wahrgenommene Image. Und was machen VSDG damit? Sie überspitzen diese Phänomene, legen noch eine Schippe drauf, holen die Essenz der Aussage raus und halten sie uns unmissverständlich vor Augen. Nichtsdestotrotz ist sie überzogen, satirisch verzerrt, und das macht unter anderem auch den Reiz aus, der von ihrer Musik ausgeht.
„Almen aus Plastik“: von ländlicher Idylle bis zur brennenden Schneekanone
Das neue Album brodelte schon länger unter der Oberfläche, nach der Veröffentlichung ihrer zweiten Platte „State of Gmeind“ (2017) stand für die Gruppe fest, dass sie noch ein weitere Album machen möchten. Im Sommer 2019 fand eine erste Session statt, im Zuge derer bereits das Grundgerüst für „Wolffreie Zone“ entstand. Das Vorhaben: nicht nur Comedy, nicht nur die Lacher, die die beiden vorigen Alben dominiert haben – mit diesem Album wollen sie auch ernstere Themen aufgreifen. Da kam das titelgebende Wortspiel gerade recht – als Verweis auf einerseits das kommerziell erfolgreiche Rapalbum „Palmen aus Plastik“, andererseits auf den vierten Teil der Piefke-Saga-Filme von Felix Mitterer, in der die wiederhergestellte Idylle der Tiroler Tourismusdestination Lahnenberg zu bröckeln beginnt, als aufkommt, dass alles auf Müll gebaut wurde und Tiere und Bäume aus Plastik bestehen. Geliefert hat dieses Wortspiel der befreundete Rapper Thomas A. Wisser (bekannt als Worst Messiah oder Wisdom). Künstler Leonhard Kotschy (EYS) brachte die grafischen Ideen rund um die Plastikalmen und Plastikfiguren ins Spiel. Und schon gab es eine thematische Verbindung, entstand ein Konzept vor den Augen der Musiker – das Projekt war nicht mehr aufzuhalten.
Worum geht es also bei „Almen aus Plastik“? Die erste Single „Wolffreie Zone“ bot ab ihrer Veröffentlichung am 19.11. bereits einen Vorgeschmack: Der Wolf geht um, die Gemüter sind erhitzt, muss er weg oder kann er bleiben? VSDG schaffen es, nicht nur die in Tirol brisante Debatte facettenreich darzustellen, sie verbinden die zunehmende „Verrohung“ der Sprache rund um die Diskussion noch dazu mit der Rhetorik während der Asylkrise 2015/2016. Meisterhaft verknüpfen sie Themen rund um Grenzziehungen, Panikmache, Migration. Im dazugehörigen, sensationellen und aufwändig produzierten Stop-Motion-Video, das in Zusammenarbeit mit Fat Green Monkey Studios entstanden ist, reißen die Schafe das Kommando an sich und wollen den Wolf vertreiben.
Die Frage nach ihrer persönlichen Lieblingsnummer verneinen die Musiker. „Jeder Track hat seinen Sinn und bestimmtem Platz im Spannungsbogen, den das Album zieht“, erklärt Chrisfader. Die drei empfehlen auch oder halten die Hörer:innen dazu an, das Album im Ganzen zu hören. Und das ist tatsächlich ein besonderes Erlebnis, der Hinweis auf den dramaturgischen Bogen ist jedenfalls nicht zu kurz gegriffen, passiert doch allerhand zwischen Anfang und Ende der Platte. Es ist eine Geschichte, die die drei erzählen, die sich immer weiter steigert. Der Pinguin, der im zweiten Track aufgestellt wird, fällt im letzten wieder um; während am Anfang noch alles gut ist, wie es ist (an der Oberfläche zumindest), fangen zum Schluss hin die Schneekanonen zu brennen an und es wird eine utopische, postapokalyptische Welt gezeichnet, die auf den Trümmern von Scheinheiligkeit und Gier aufgebaut wird.
Thematisch und motivisch bietet das Album reichhaltigen Stoff: Wo früher alles besser war, geht jetzt der Tod um, die eigene Selbstverherrlichung ist nur das Ablenken von Defiziten, manchmal will man sich einfach in den Wald verziehen und gar niemanden sehen, es geht um Massentourismus, Engstirnigkeit, Stolz, Nostalgie und die Coronapandemie. Das Album porträtiert die Widersprüche zwischen dörflichem Paradies und schwelenden Konflikten, zwischen dem, was echt ist, und dem, das doch nur Täuschung ist.
Das detailreiche Artwork für das Album unterstützt den Eindruck des Künstlichen. Plastilinfiguren, Plastikbäume, die aufwändig gestaltete Almenkulisse – alles unecht. Mit „Almen aus Plastik“ dekonstruiert die Truppe dabei gewissermaßen auch das eigene Tun: Sie offenbaren damit den konstruierten Charakter dessen, was sie in ihren Texten und ihrer Musik behandeln. Umso mehr, als versucht wird, die Grenzen zwischen den Grenzen auszuloten und dabei jene zwischen Schein und Sein immer mehr verschwimmen. Ist das noch Persiflage oder tragische Realität? Sind die Plastikalmen intertextuelles Zitat, stehen sie am Anfang oder am Ende der Geschichte?
Dieses Gefühl wird verstärkt durch die unterschiedlichen Samples, Melodien und Klänge, die den Wortgesang untermalen wie konterkarieren: mal wird das Schafblöken und Glockenbimmeln zum Beat umfunktioniert, mal entführen Marimbaklänge in eine ferne Urlaubswelt während es um die paradiesische Unantastbarkeit des heiligen Landes geht, mal spielt der „Toad“ in Cowboymanier das Lied vom Untergang der Heuchelei. Das alles bildet eine hochspannende Kombination, ein gelungenes Ganzes, einen Hörgenuss von Anfang bis zum Ende.
Das Album kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, bildet die Entwicklungen und Themen der letzten beiden Jahre treffsicher ab, kracht gerade jetzt in den Zeitgeist wie nichts anderes. Freunderlwirtschaft, Augenverschließen, Schuldabweisungen – all das, was wir in den letzten zwei Jahren par excellence erlebt haben. Das dreifache (dreifaltige?) „Ålls richtig gmåcht“ reiht sich ein in die pseudoidyllische Plastikkulisse und verkommt zum reinsten Hohn.
Wo stehen VSDG der Debatte, wollen sie mit dem Album eine bestimmte Botschaft nach außen tragen? Das verneinen die drei vehement. „Wir haben schon den Anspruch, Themen aufzugreifen und zur Diskussion zu stellen, zur Diskussion anzuregen – aber wir sind keine Moralapostel, die eine besondere Message an die Welt haben“, erklärt Yo!Zepp.
Hier geht es zur Website des Albums.
Am Donnerstag, 13.01., findet die Albumrelease via Livestream aus dem Innsbrucker Club Dachsbau statt – Augen offen halten!
| Julia Zachenhofer