Über Ruhm, Sucht und Fremdbestimmung in „Romy + Judy“

Das BRUX / Freies Theater Innsbruck versprüht derzeit mit seiner neuen Produktion von Triebwerk 7 ganz besonderen Glamour. Da heuer der 100. Geburtstag von Judy Garland wäre, sich das Todesjahr von Romy Schneider zum 40. Mal jährt und vor genau 25 Jahren der Film „Romeo + Juliet“ von Baz Luhrmann in die Kinos kam, scheint es für Martin Fritz, den Autor des Stücks „Romy + Judy“, völlig alternativlos, sich in diesem Jahr mit nichts anderem zu beschäftigen.

Romy + Judy | Bild: Daniel Jarosch

Das Stück, das von Philipp Rudig inszeniert wurde, handelt also von keinen geringeren Persönlichkeiten als Romy Schneider und Judy Garland, gespielt von Wiltrud Stieger und Katharina Gschnell. Recht unspektakulär kam es zu dieser außergewöhnlichen Auswahl: Martin Fritz blätterte bei der Produktion „Mermaids“ im Backstagebereich zur Beruhigung vor seinem Auftritt in einer zufällig herumliegenden Biografie von Romy Schneider aus den 80ern. Da war es um ihn geschehen. „Weniger Romy Schneider, als die Beschäftigung mit Romy Schneider war, was mich gereizt hat. Judy Garland passte deswegen so gut dazu, weil die beiden einfach wahnsinnig viele Parallelen in ihren Biografien aufweisen – beide wurden als Kinderstars bekannt, hatten Abhängigkeitsprobleme mit verschiedenen Substanzen und litten unter dem Showgeschäft und beide verstarben in jungen Jahren“, so Fritz. Was nicht bedeute, dass alles im Stück auf wahren Begebenheiten beruhe, vieles sei auch ausgedacht. „Es steckt aber extrem viel Recherche dahinter und das war auch wichtig, denn nur, wenn ich weiß, wie es wirklich war, kann ich mir die Freiheit herausnehmen, Dinge abzuändern.“

„Als Zuschauer:in muss man sich immer die Frage stellen, ob die Figur erlebt hat, was sie behauptet“

Eine Besonderheit am Stück ist, dass die Schauspielerinnen zum einen beide Rollen spielen – also beide spielen Romy Schneider und beide spielen Judy Garland – und zum anderen, dass sie sich selbst spielen, wie sie Romy und Judy spielen – sie nehmen also eine Perspektive von außen ein, die im Gegensatz zu herkömmlichen Figureninszenierungen Reflexion ermöglicht. Letztere Entscheidung beruhe hauptsächlich darauf, dass es für den Autor etwas völlig Neues gewesen sei, sich an real existierten Personen heranzuwagen. Das Suchen nach der Art, wie die Figuren sprechen könnten, spiegle sich auf diese Weise wider.  „Außerdem ist es kein klassischer Theatertext“, so der Regisseur dazu, „sondern eine vielschichtige Welt, die mehrere Ebenen bedient. Man beschäftigt sich mit zwei Figuren, die existiert habenden Menschen entlehnt sind. Als Zuschauer:in muss man sich immer die Frage stellen, ob die Figur erlebt hat, was sie behauptet. Es geht viel um Fehlleistungen beim Denken. Das wollten wir auch an anderen Stellen in der Inszenierung zeigen.“ 

„Was ist das für eine Gesellschaft, wo sogar so privilegierte Menschen so behandelt werden? Wie wird dann erst mit weniger privilegierten umgegangen?“

Wegen ebendieser vielen Ebenen wolle Rudig das Stück auch keinesfalls auf ein Haupt-Thema beschränken, da für ihn gerade dieses individuelle Seherlebnis, bei dem sich jede:r von etwas anderem angesprochen fühlt, im Mittelpunkt stehe: „Jedem erscheint etwas anderes als wichtig und genau das wollte ich mit der Spielart unterstützen.“ Dagegen sei für Fritz das zentrale Thema, auf das er aufmerksam machen wolle, die Gewalt, die beiden Frauen in jungen Jahren angetan wurde sowie die ihr innewohnende Ambivalenz. „Dass ihnen Substanzen verabreicht worden sind, ohne dass sie sich dafür entschieden hätten, von welchen sie dann ein Leben lang abhängig waren, ist eine Form von körperlicher Gewalt. Zugleich haben sie aber ein sehr privilegiertes Leben geführt, haben beeindruckende Dinge erlebt, die niemand sonst so erlebt hat. Diese Widersprüchlichkeit hat mich fasziniert. Was ist das für eine Gesellschaft, wo sogar so privilegierte Menschen so behandelt werden? Wie wird dann erst mit weniger privilegierten umgegangen?“

Nun kann ein geschriebenes Werk natürlich auf unterschiedlichste Weisen inszeniert werden. Dass das vollendete Bühnenstück mitunter nicht ganz dem entspricht, was der Autor/die Autorin im Kopf hatte, läge nahe. In diesem Fall dürfte das aber keine Rolle gespielt haben. „Für mich ist es eine beglückende Erfahrung zu verstehen, was andere Personen in dem Text sehen. Die unterschiedlichen Perspektiven machen das Ganze nur größer und besser“, meint Fritz. Auch Rudig sieht das ähnlich: „Es ist ohnehin alles immer eine Frage der Interpretation; jeder einzelne Satz wird von unterschiedlichen Menschen unterschiedlich verstanden. Das Schöne ist, wenn alle an einem Strang ziehen und wir einander am Ende wiederfinden, obwohl kein ununterbrochener Austausch stattfinden muss.“

Katharina Gschnell, Wiltrud Stieger | Bild: Daniel Jarosch

Wie aber kommt es überhaupt zu den Ideen für das Stück, das die Zuschauer:innen schlussendlich auf der Bühne zu sehen bekommen? „Wenn ich einen Text lese, läuft im Hintergrund immer ein innerer Film dazu ab. Den versuche ich dann nach außen zu tragen. Allerdings bin ich auch ein großer Freund davon, vieles im Prozess entstehen zu lassen. Es würden einem sonst wahrscheinlich viele bereichernde Ideen entgehen, die man selbst nicht hatte. Ich habe darauf vertraut, dass die Schauspielerinnen ihren Weg finden.“ Für diese wiederum war es zunächst eine Herausforderung, in solch große Fußstapfen zu treten. „Ich hatte anfangs Angst, dass die Menschen erwarten würden, dass wir ein genaues Abbild von Romy Schneider darstellen, weil so viele sie kennen. Das ist natürlich unmöglich“, erzählt Wiltrud Stieger. Nachdem sie diese Erwartungshaltung abgelegt hätte, konnte sie sich aber gut in die Rollen hineinversetzen. „Ich fand es faszinierend, dass bei Judy alles so groß ist und sich um die Wirkung nach außen dreht, während Romy ganz auf ihr Inneres fokussiert zu sein scheint. Die Möglichkeit zu haben, das beides zu spielen, finde ich toll. Und dann noch als Wiltrud! (lacht) Das ist schon sehr besonders.“ Auch Katharina Gschnell konnte für sich einiges daraus mitnehmen. „Ich finde die vielen Ebenen, die aufgebrochen werden, so interessant. Ich habe mich oft gefragt: Welche Ebenen haben mit mir zu tun, gibt es auch zu mir Parallelen?“

Ein wichtiges Thema im Stück ist die männliche, großteils öffentliche Macht, die über die beiden Frauen ausgeübt wurde. Es ist von Regisseuren die Rede, die Schauspielerinnen „ihre Weiblichkeit und deren Möglichkeiten“ bewusst machen würden. „‘Die wachsame und bewegliche Kamera verfolgt jede Bewegung des neuen von Visconti geformten Erotiksymbols‘ “ steht da zum Beispiel, zitiert aus einer Biografie über Romy Schneider. „‘Romys Körper interessiert – zu Recht – so manchen Regisseur, seit sie sich vor der Kamera auszieht.‘ Zu Recht…Wie gut, dass du diese Einschätzung hier reingeschrieben hast, lieber Biograph, es hätten sich sonst sicher viele gefragt, ob so mancher Regisseur sich zu Unrecht für Romys Körper interessiert. Für meinen Körper. Für einen Körper, der für all diese Meinungen all dieser Männer da ist. Der sichtbar ist für all diese Meinungen!“ 

Es drängt sich die Frage auf, ob sich an diesen patriarchalen Mustern im Showbusiness (nicht, dass sie nicht auch überall sonst vorhanden wären) zumindest ein bisschen etwas geändert hat in der Zeit zwischen der Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts und heute. „Ich denke, die Me-Too-Debatte hat schon sehr viel aufgebrochen; auch Hollywood kann sich dem nicht entziehen. Natürlich leben wir aber nach wie vor in vorwiegend patriarchalen Strukturen und auch gewisse Formen der negativen Machtausübung von Männern gegenüber Frauen kommen leider immer noch viel zu häufig vor“, meint Gschnell dazu. Die Hierarchie als solche im Kunstbetrieb sei aber nicht das eigentliche Problem, so Rudig. „Ich glaube, wenn man zum Beispiel über einen professionellen Theaterbetrieb spricht, braucht es strukturell ein gewisses Gefälle, damit Theater stattfinden kann. Es geht aber darum, diese Machtposition nicht zu missbrauchen, sondern auf Augenhöhe zu handeln. Das ist am Ende aber keine Geschlechterfrage, sondern wie bei allem anderen im Leben eine Frage von Empathie und Charakter.“

Martin Fritz, Katharina Gschnell, Wiltrud Stieger und Philipp Rudig | Bild: Daniel Jarosch

So bleibt die Hoffnung, dass am Ende Charakter über die veralteten, starren Denkmuster unserer Gesellschaft siegen wird.

| Sarah Caliciotti

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