„Ich glaube, die wenigsten Autoren würden ihren Figuren gern im realen Leben begegnen. Man müsste dann umständlich erklären, was man sich dabei gedacht hat. Müsste Verantwortung übernehmen. Vielleicht ist das auch der Grund, warum Gott sich uns nicht zeigt. Er würde sich schämen für das, was wir durchmachen müssen…“ (Tschupa, S. 197)
Oleksij Tschupa hat in seinem Roman „Märchen aus meinem Luftschutzkeller“ Gott gespielt und den Charakteren seines Wohnhauses im ostukrainischen Makijiwka die absurdesten Geschichten zwischen Anarchie, Liebe und Gewalt zugeschrieben. Sein popliterarischer Roman erschien 2019 im Innsbrucker Haymon Verlag als erstes seiner Werke in deutscher Übersetzung. Die Übersetzerin, Claudia Dathe, wurde 2021 für ihre Arbeit mit dem Drahomán-Preis ausgezeichnet. Sie ist auch Mitglied des Vereins translit, der sich für Sichtbarkeit ukrainischer Literatur im deutschsprachigen Raum einsetzt. Wir haben uns mit ihr unterhalten – über ihre Eindrücke zum Roman, aber auch über den ukrainischen Buchmarkt und allgemeine Mechanismen der Literatur- und Übersetzungspolitik.


Claudia Dathe: Es ist ein interessantes Buch, das du zur Vorstellung ausgewählt hast. Schon durch den Titel „Märchen aus meinem Luftschutzkeller“ – wir denken dabei natürlich an den Krieg. Der Krieg ist aber nur die Rahmenhandlung. Es gibt viele Dinge – viele politische, viele strategische, viele militärische Dinge –, die zum Krieg gesagt sind. Was uns in unserem Unbehagen unterschwellig auch klar wird, ist, dass ein Grund, warum es zu dem Krieg gekommen ist, ja auch jener ist, dass wir nur sehr wenig über die Ukraine wissen. Tschupas Buch ist eins, das eine Brücke schlagen kann: Der Krieg wird thematisiert, aber es werden gleichzeitig auch Dinge aus der Gesellschaft gezeigt, die auf den ersten Blick nichts mit dem Krieg zu tun haben.
komplex: Unser Unwissen über die Ukraine wurzelt vermutlich mitunter auch darin, dass wir kaum Zugang zu ukrainischer Kunst und Kultur haben. Es wird wenig ukrainische Literatur ins Deutsche übersetzt. Was ist da dein Eindruck?
Ja, was mir im Kontext meiner Arbeit als Kulturmanagerin immer wieder aufgefallen ist: Wir unterliegen Zirkulationsmechanismen, die von bestimmten literarischen und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen gespeist werden. Das erkennt man gut, wenn man sich anschaut, was aus den osteuropäischen Literaturen übersetzt wird. Es wurde ja bereits sehr viel gesprochen über Diskriminierung, Rassismus, Frauen etc. und wir wissen, dass der Grundaspekt der Diskriminierung jener ist, dass das in der Bezeichnung des „Anderen“ immer auch Abgrenzung mitschwingt. Wir schauen es uns an, weil es anders ist als wir – es gibt keine Kommunikations- und Literaturerwartung auf Augenhöhe.
Wir erwarten von dem weiblichen Schreiben, dass es gefühlvoll ist und wir erwarten von osteuropäischen Literaturen, dass sie sich in besonderer Weise mit gesellschaftlichen Phänomenen auseinandersetzen. Wir wenden uns der Literatur zu, wenn sie uns entweder die Welt erklären kann oder wenn sie uns Phänomene präsentiert, die wir im weitesten Sinne auch als exotisch, als anders und als das, was uns im Weitesten Sinne nicht betrifft, wahrnehmen. Wir haben bestimmte Rezeptionserwartungen. Und eines können wir jetzt im Krieg gut beobachten: dass genau in dem Moment, in dem irgendwo politisch etwas passiert, es plötzlich ein riesiges Interesse gibt. Diese Einengung der Literatur ist ein ganz großes Problem.
Wie verhält es sich da anders mit Literatur, die etwa aus dem englischsprachigen Raum übersetzt wird?
Aus dem Englischen werden ausnahmslos alle Genres übersetzte – Liebesromane, Sachbücher, Bilderbücher – alles wird integriert. Da hat man Scouts [Literaturagenten, die Werke an Verlage heranbringen] und da würde man nie sagen – „Jetzt wollen wir aber mal gucken, was jetzt in Großbritannien zur Finanzfrage der europäischen Union geschrieben wird“ – nein, man nimmt das einfach als allgemeines Teil zur Kenntnis, während man bei Osteuropa im Speziellen immer bestimmte Gesellschaftserwartungen hat und es deswegen auch unheimlich schwer ist, deren Literatur in Zirkulation zu bringen. Die Vermittlungswege sind durch diese Lektüre-Erwartungen sehr beschränkt.
Literatur hat verschiedene Funktionen, eine Funktion ist sicherlich, dass wir gesellschaftlich neue Erkenntnisse schöpfen. Aber Literatur hat auch andere Funktionen – ästhetische, gemeinschaftsbildende, unterhaltende – diese Funktionen werden aber an die osteuropäischen Literaturen oft gar nicht herangetragen, gar nicht mitbedacht. So entsteht der Eindruck, osteuropäische Literaturen sind immer so schwer mit diesen politischen Themen, bei denen es immer um Leid und Gewalt geht. Wir reproduzieren mit unseren Stereotypen auch eine gewisse Auswahl von Literatur.
Große Ereignisse wie Kriege tragen dann dazu bei, dass Werke aus jenen betroffenen Ländern übersetzt werden, sofern sie Antworten auf Ursachen und gesellschaftliche Entwicklungen versprechen…
Gesellschaftliche und politische Konjunkturen ermöglichen eben bestimmte Dinge wie auch Übersetzungen. Ein allgemeines Beispiel: Ein Kinderbuchverlag entdeckt ukrainische Autoren/Illustratoren für seinen Verlag. 2017 machen diese Autoren/Illustratoren ein Buch zum Thema Krieg, der damals in der Ukraine schon lief. Der deutsche Verlag sagt, das Thema sei nichts für Kinder, das wollen sie nicht bringen, obwohl die Qualität der Autoren außer Frage steht. Nachdem es im Februar 2022 zu dem offenen Angriff Russlands auf die Ukraine gekommen war, wurde das Buch sofort ins Programm genommen. Diese Art von direkter gesellschaftlicher Relevanz ist sehr schädlich und zeigt eben auch eine sehr starke Festlegung. Es ist klar. Die Bücher müssen verkauft werden und wenn sich die Verkäuflichkeit nicht vorstellen lässt, ist es ganz schwer, ein Buch zu publizieren.
Kannst du schon veränderte Entwicklungen am Übersetzungsmarkt durch Ausbruch des Krieges in der Ukraine beobachten?
Jein. Das ist jetzt ja alles erst im Entstehen, der Krieg dauert jetzt zwei Monate, man merkt, dass es ein verstärktes Interesse an der ukrainischen Literatur gibt, aber ob es von Dauer ist, lässt sich noch nicht sagen. Im Hanser Verlag erscheint jetzt eine Biografie von Selenskyj, das war eine ganz spontane Aktion. Natürlich versuchen auch die Verlage, die dahingehend schon aktiv waren, ihre Aktivitäten zu bündeln und zu erhöhen, wobei man auch sagen muss, dass der Krieg die reibungslosen Geschäftsabläufe wie Lizenzerwerb natürlich erschwert. Ich gehe allerdings davon aus, dass es zu mehr Zusammenarbeit zwischen deutschen und ukrainischen Verlagen kommen wird.
Weil wir gewissermaßen bereits kurz angeschnitten haben, wie ukrainische Literatur wahrgenommen wird – im Romankapitel Wohnung 18: Die Mutterfigur in der ukrainischen Gegenwartsliteratur beschreibt Tschupa diese Literatur ganz pauschal:
„Wenn man sich ständig mit diesen endlosen, tragischen Heldengeschichten und diesem ewigen sozioökonomischen Sadomaso befasst, sind psychische Schäden kaum zu vermeiden. Einmal eingetaucht in den Ozean ukrainischer Bücher, erreicht man das andere Ufer nur schwerlich als gesunder und glücklicher Mensch. Gesundheit, Glück und Zufriedenheit sucht man in der ukrainischen Literatur vergebens. Dafür findet man monumentale Werke über das komplizierte Verhältnis zur Wirklichkeit und den Kampf um hohe und unerreichbare Ideale, der sich irgendwann in den Kampf um des Kampfes willen verkehrt.“ (S. 104)
Wie hast du als Kennerin der ukrainischen Gegenwartsliteratur diese Stelle beim Lesen empfunden – warst du irritiert oder hast du dem gleich zugestimmt?
Man muss das im Kontext des Ausschnitts betrachten. Diese Erzählung ist ja total skurril und lustig. Die Protagonistin ist Ukrainisch-Lehrerin in einer russischsprachigen Umgebung und der Witz des Originaltexts besteht darin, dass sie Ukrainisch mit Fehlern spricht – sie ist sozusagen das Flaggschiff der ukrainischen Sprache und Literatur, spricht aber selber in so einem Misch-Masch. Die Figur – eine pensionierte, ältliche Dame – ist grotesk. Man kann sie sich lebhaft vorstellen. Alle Ukrainer:innen, die an den Literaturunterricht ihrer Schulzeit zurückdenken, denken immer an diese ältlichen, leicht skurrilen, irgendwie befremdlichen Lehrerinnen, die versuchten, den Schüler:innen etwas nahezubringen, das die Schüler für nebensächlich hielten. In diesem Kontext muss man auch diese Passage verstehen. Das ist tatsächlich eine Ironie auf diese gesamte Schulsituation, mit der versucht wird, anhand der ukrainischen Literatur eine Nationsbildung zu unterstützten, denn für Lehrpläne werden bewusst solche Werke ausgesucht, die diesen Leidensweg des ukrainischen Volkes betonen.
Diese Stelle ist für mich auch ein gutes Sinnbild für die schwierige Lage, in der sich die ukrainische Literatur bis zu Kriegsausbruch befand.
Was waren diese Schwierigkeiten?
Wir haben das ja mitbekommen, dass das Ukrainische Buchinstitut sowie ukrainische Autorinnen und Autoren zum Boykott russischer Literatur aufgerufen haben. Das hat uns im Westen sehr befremdet, wir müssen aber auch berücksichtigen, was hinter diesem Boykott steht – dass es über viele Jahre hinweg kaum gelungen ist, mit bildenden Maßnahmen eine breite Kenntnis der ukrainischen Literatur herbeizuführen. Schulprogramme waren tatsächlich so gestaltet, wie es Tschupa beschreibt und die Leute hatten da keine Lust drauf, so haben sie sich oft russischen Publikationen zugewandt. Diese machten bis 2014 den größten Anteil an Literatur auf dem ukrainischen Buchmarkt aus, weil Russland große Exportsubventionen für die eigene Literatur in postsowjetische Länder gezahlt hat, d.h. Russland hat mit Subventionen eigene Bücher in den Markt der postsowjetischen Nachbarländer gedrückt und damit ukrainische Bücher verdrängt. Ukrainische Verlage hatten viel weniger finanzielle Mittel, um ihre Bücher ukraineweit umfangreich zu vermarkten. Ihre Werke wurden aus rein ökonomischen Gründen verdrängt, nicht weil die russischen literarisch besser waren.
Ich war kürzlich in Armenien und habe dort einen ähnlich starken Einfluss Russlands am armenischen Buchmarkt wahrgenommen. Gleichzeitig sind kaum Übersetzungen armenischer Literatur in die deutsche oder auch in die englische Sprache verfügbar…
Wir bemühen uns immer sehr, die Dinge zu sortieren und versuchen, diese ganze Propaganda zu durchschauen, aber solche Aspekte fallen irgendwie immer hinten runter. Natürlich ist es nicht verboten – es kann alles subventioniert werden, aber das sind eben auch Einflussnahmen und man muss diese scharfen Reaktionen, die die ukrainischen Kultureinrichtungen eben gezeigt haben, im Kontext dieser imperialen Maßnahmen Russlands begreifen. Es ist nicht wie ein Austausch zu verstehen – dort die russische Literatur und dort die ukrainische, die schön nebeneinander existieren – nein, es waren immer Versuche, imperial zu intervenieren, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und dass dann in einer solchen Kriegssituation den Leuten mal der Kragen platzt und man sagt, das reicht jetzt einfach, ist verständlich. Man muss sich das mal vorstellen, was es ausmacht, wenn andere Länder massiv auf die intellektuelle Entwicklung Einfluss nehmen – das sind Kollateralschäden.
Aber der Westen hat das im Kolonialismus genauso betrieben und auch heute sehen wir noch die Spuren. Ich denke da zum Beispiel auch an das deutsche Goethe Institut, das weltweit vertreten ist und quasi Lobbying für die deutsche Sprache, Kultur und Literatur im Ausland betreibt. Die meisten dieser Zielländer könnten sich das bei uns nicht leisten, die haben nicht die finanziellen Mittel dafür, was ja auch im Imperialismus wurzelt und das Ungleichgewicht aufrecht hält.
Absolut. Die Gründung des Buchinstituts in der Ukraine 2014 war da auch eine große Sache zur Emanzipation der Repräsentation ukrainischer Kultur im Ausland. Überall dort, wo sozusagen fremde Gelder im Spiel sind – das betrifft nicht nur Russland, das betrifft Deutschland und Europa genauso – wird Einfluss auf die Menge und die Art der Werke genommen, die vertreten sind. Es gibt Förderprogramme für Literatur und wenn wir uns dafür bewerben, sind bestimmte Kriterien relevant, ob jemand eine Förderung bekommt oder nicht.
„Die Zwölf lag im Nebel. Trubel, Tumult, Radau, Tohuwabohu – das traf es alles nicht. Nebel. Punkt. Die anderen Hausbewohner konnten nicht erklären, wie sie auf das Wort gekommen waren. Doch tief in ihrem Unterbewusstsein schwebten – wie Wale im Ozean – traumatische Erinnerungen, dass Vira, die Kanaille aus der Zwölf, das Haus schon viermal in Brand gesetzt hatte. Das Trauma saß tief, und die anderen Bewohner assoziierten die unselige Wohnung im Erdgeschoss für alle Zeiten mit Nacht und Nebel.“ (Tschupa, S. 9)
Mir fiel es beim Lesen der ersten drei Romanerzählungen Erdgeschoss / Wohnung 12,13,14 etwas schwer, reinzukommen. Ich habe sozusagen bis zum zweiten Stockwerk gebaucht. Wie ist es dir beim Lesen ergangen?
Mir hat die erste Erzählung schon ganz gut gefallen, die ist auch ein bisschen in der Tschechow’schen Manier geschrieben, das fand ich witzig und sie hat für mich viel Landeskundliches koloriert: Da will so ein junger Schnösel von der Bank an einem Samstagmorgen einer Klientin einen Besuch abstatten, um die fehlenden Kreditraten einzutreiben, landet vor einer Wohnungstür mit einem versifften Fußabtreter, und dann zielt man mit einem Gewehr auf ihn, um ihn zu vertreiben …
Und ich fand auch den Aufbau, also die Idee mit dem Haus schön, weil sich dadurch viele verschiedene Charaktere und gesellschaftliche Aspekte zeigen lassen. Das Buch hat allgemein etwas Mosaikartiges, was einen großen Reiz ausübt.
Es liest sich auch eher wie eine Sammlung von Kurzgeschichten als ein zusammenhängender Roman. Was mir gut gefallen hat, ist, dass Tschupa auch in den Textsorten und Erzählerstimmen wechselt, so besteht eine der Erzählungen etwa nur aus einem Brief.
Das hat mir auch gefallen und die Figuren sind auch für die gesellschaftlichen Konstellationen tpyisch. In mehreren Erzählungen geht es ums Altwerden. Wie diese eine Erzählung von Familie, in der alle mit zunehmendem Alter ertauben, wo einerseits eine große familiäre Enge herrscht, auf der anderen Seite aber auch eine große Sprachlosigkeit und Formen psychischer Gewalt – die Taubheit als Metapher. Damit hat der Autor auch ein Stück Hintergrund geschaffen, um zu verstehen, warum gewisse Dinge so schwierig sind – auch in Russland. Was bedeutet es, wenn Menschen in ihrem Land über 70 Jahre uniformiert wurden und ihre Individualität unterdrückt wurde?
Die andere Erzählung, in der es ums Altwerden geht – Wohnung 17: Die Insel – war meine Lieblingserzählung. Obwohl darin kaum etwas passiert, wird doch sehr viel gesagt.
Genau, darin geht es um eine Studentin und ihre Großmutter, die zusammen wohnen und sich durch das Musikhören annähern. Was durchaus zeigt: Es gibt nicht nur alte Menschen, die nur in der Vorstellung ihrer Vergangenheit verharren, sondern es gibt auch immer noch welche, die sich auf den Weg machen, die sich Anderem zuwenden. Das fand ich universell, denn die Erzählung müsste nicht unbedingt in der Ukraine spielen, da ist nichts in dem Sinne Ukrainisches, außer vielleicht, dass die Enkelin bei ihrer Oma wohnt, aber sonst ist es universell und das finde ich das Schöne daran, dass es einige Erzählungen in dem Buch gibt, in die man sich einfach aus dem menschlichen Kontext heraus eindenken kann – es muss ja nicht immer alles exotisch oder anders sein.
Bei der Musik, die sie hören und von der die Großmutter so angetan ist, handelt es sich um die isländische Band Sigur Rós. Im Roman finden sich öfters internationale popkulturelle Anspielungen, was auch diese Universalität zum Ausdruck bringt und zeigt, dass Menschen in der Ukraine etwa die gleiche Musik hören wie wir.
Es ist auch wichtig, zur Kenntnis zu nehmen: Das Leben der einfachen Menschen spielt sich nicht permanent in irgendwelchen politikwissenschaftlichen Kategorien ab. Das Buch lebt von Alltagsbeobachtungen – und das finde ich wichtig, dass solche Ausschnitte auch mit im Buch sind.
Noch eine Frage zum Titel: Wie ist das „Märchen“ in den Titel gekommen – lautet das auch im Original so?
Das ist einer der ganz wenigen Fälle, bei denen der Originaltitel mit der Übersetzung übereinstimmt. Es ist tatsächlich eine wortwörtliche Übersetzung.
Es sind ja im Grunde keine Märchen, die Tschupa erzählt. Mich hat aber schon das Kontrastreiche in seinen Erzählungen an Märchen erinnert. Teilweise waren die Geschichten auch so absurd, skurril und übertrieben, dass ich sie schon wieder weit weg von der Realität empfunden habe. Was ist für dich das Märchenhafte an dem Roman?
Wahrscheinlich der Aspekt des Erzählens, also dass die da alle in dem Luftschutzkeller sitzen und er sich dann zu jedem diese Leute Bilder und Assoziationen vorstellt. Dann auch noch die Abgeschlossenheit – jede:r Protagonist:in hat seinen oder ihren eigenen Raum, niemand ist mehr oder weniger wichtig. Es gibt aber wenig Märchenhaftes in dem Sinne, dass Wunder passieren oder übernatürliche Kräfte wirken. Es bleibt dem Leser überlassen, inwieweit man etwas als realistisch oder unrealistisch einstuft. Viele Erzählungen daraus kann man auch als metaphorisch für etwas lesen.
| Brigitte Egger
KURZBIOS
Claudia Dathe
arbeitet als freiberufliche Übersetzerin aus dem Russischen und Ukrainischen. Sie studierte Übersetzungswissenschaft (Russisch und Polnisch) in Leipzig, Pjatigorsk und Krakau und arbeitete für den Deutschen Akademischen Austauschdienst in Kasachstan und der Ukraine. Sie ist auch als Kulturmanagerin tätig und Mitbegründerin des Vereins Translit (https://www.translit-portal.de) zur Verbreitung ukrainischer Literatur im deutschsprachigen Raum. Für den Haymon Verlag übersetzte sie außerdem Werke von Andrej Kurkow und Maria Matios.

Oleksij Tschupa
wurde 1986 im ostukrainischen Makijiwka geboren – der Ort liegt heute in der nicht anerkannten „Volksrepublik Donezk“. Er studierte an der Universität Donezk ukrainische Philologie und hat seit 2014 zahlreiche Romane veröffentlicht. Als Autor setzt sich Oleksij Tschupa mit der Identität und den sozialen Verwerfungen des Donbas auseinander und wendet sich dabei intensiv der Geschichte der Sowjetunion und der ersten Jahre der ukrainischen Unabhängigkeit zu.