DANCE OR DIE. Carmen Brucic über „Private Stages / Public Selves“

Am Boden ein Haufen Erde, darin stecken ein paar abgebrannte Kerzen, abgegriffene Spielkarten und Münzen unterschiedlicher Währungen. Einem Altar gleichend hängen darüber fünf Ölgemälde. Sie bringen die gespaltenen Gefühle zum Ausdruck, die den georgischen Künstler Luca Bitchikashvili in den letzten Wochen intensiv begleiteten: „Glory, War, Greediness, Love and Equality“. Als Lucrezia ist sie eine von fünf Performance-Künstler:innen aus dem Umfeld der Tifliser Raveszene, die im Rahmen des experimentellen Festival Heart of Noise in Innsbruck gastieren. Im Kubus Reich für die Insel machen sie ihre „private stages“ der Öffentlichkeit zugänglich. 

Ausstellungsansicht „Privat Stages“ – Luca Bitchikashvili | Foto: Daniel Jarosch

Während des Aufbaus treffe ich mich vor dem Kubus mit der Tiroler Künstlerin und Initiatorin des Projekts, Carmen Brucic. Wir begeben uns gleich in den etwas ruhigeren Hofgarten, wo sie mir ausführlich erzählen wird, was sie dazu bewegte, in die georgische Underground-Clubszene einzutauchen und deren Akteur:innen in ihren privaten Wohnräumen fotografisch zu portraitieren. Auf der Suche nach einer ruhigen Sitzbank begegnen wir einer Gruppe Jugendlicher, die sofort mit der Künstlerin in ein Gespräch einsteigt. „Das sind meine Schüler, ich bin auch Kunstlehrerin am Gymnasium“, klärt sie mich auf. Carmen Brucic weiß es, ihre Tätigkeiten miteinander zu verschränken. In ihrer künstlerischen Arbeit geht sie einen Dialog mit jungen Menschen ein und beschäftigt sich mit Fragen, Ängsten und Visionen, die diese Generation begleiten. 

„Das Photo Festival Tiflis hat mich eingeladen, weil ihnen die Art und Weise, wie ich Geschichten erzähle, zuspricht“, sagt die Künstlerin auf die Frage, wie sie nach Georgien gekommen ist. „Als ich von der Einladung erfahren habe, waren wir im Lockdown. Aber in meinem Kopf bin ich bereits über Nacht nach Tiflis gereist“. Zustande gekommen ist die Zusammenarbeit über den openspace-innsbruck und dem EU-Projekt Magic Carpets, eine Plattform, die Künstler:innen mit kulturellen Institutionen vernetzt und somit internationale Kooperationen ermöglicht. 

Für ihre Recherche in Georgien hat das Photo Festival Tiflis den Kontakt zu den fünf Künstler:innen aus dem BASSIANI-Umfeld hergestellt – dem weltweit berühmten Technoclub. Die Ravekultur in Georgien hat tatsächlich revolutionären und politischen Charakter. Als der Club 2019 durch die Polizeirazzia geschlossen wurde, fanden sich innerhalb weniger Stunden mehrere Tausende Menschen protestierend auf den Straßen – tanzend und begleitet von rauer Technomusik. Initiiert wurde dieser Widerstand unter anderen von Naja Orashvili, der Gründerin des BASSIANI, die ebenso in der Ausstellung von Carmen Brucic portraitiert ist. Zu sehen ist im Kubus auch der Kurzfilm „Dance or Die“ (21min), den Orashvili gemeinsam mit Giorgi Kikonishvili gemacht hat, um die tanzenden Proteste der Rave-Revolution zu dokumentieren. „In dieser noch stark konservativ geprägten Gesellschaft ist es gerade für junge Leute schwer, ihr Leben frei zu gestalten“, sagt Brucic. Die Technokultur steht auch für Offenheit gegenüber Menschen jeglicher sexueller Orientierung und für Freiheit der eigenen Lebensgestaltung, so sind deren Anhänger:innen in Georgien ständigen Anfeindungen und Angriffen ausgesetzt. 

Zu Beginn dieses Jahres hat Carmen Brucic als Teil ihres Projekts auch mit dem von ihr gestalteten Fastentuch in der Innsbrucker Universitätskirche St. Johannes für Aufmerksamkeit gesorgt. Darauf abgebildet ist der georgisch-ukrainische Künstler David Apakidze mit nacktem Oberkörper. „Es wäre in Georgien unmöglich, ein solches Fastentuch aufzuhängen, das wäre lebensgefährlich“, sagt er in einem Interview mit der katholischen Presse. Den Unterschied nimmt auch Luca Bitchikashvili in Innsbruck wahr:

„Here I feel so calm, so free, so inspired. The gothic nature of Innsbruck is relevant to my aesthetics. It inspires me and helps me create new art. I feel like dancing, drawing and creating art in the streets, I did the things that I wanted to do. It was really nice to refresh myself, because in Georgia I was feeling heavy, I didn’t go outside for a very long time, only at nights, when everybody is sleeping and no one would care about me.”  

Luca Bitchikashvili | Foto: Daniel Jarosch

Den Wert der Ausstellung “Private Stages / Public Selves“ in Innsbruck sieht Brucic darin, dass die künstlerischen Positionen für uns eine Art Übersetzung der aktuellen Kriegssituation darstellen, indem sie ihre persönlichen Erfahrungen für uns transformieren: „Alle jungen Menschen in Georgien haben bereits drei Kriege miterlebt. Sie wissen, wie es den Menschen im Nachbarstaat Ukraine gerade wirklich geht“. Die Georgier:innen leben selbst seit Generationen unter der Angst von russischen Angriffen und haben diese schon selbst erlebt, wie im Kauskasuskrieg vor zehn Jahren. Zu diesem Zeitpunkt befindet sich die russische Armee weniger als eine Stunde von der Hauptstadt Tiflis entfernt.

Carmen Brucic eröffnet die Ausstellung | Foto: Daniel Jarosch

Trotz einiger Unterschiede in den Erfahrungen der georgischen Künstler:innen, teilen wir doch eines miteinander: Die Leidenschaft für alternative Musikkultur. Carmen Brucic hat während ihres Aufenthalts in Tiflis wieder zum Tanzen gefunden: „Luca hat mich nach meiner Ankunft in die älteste Queer-Bar von Tiflis mitgenommen. Das Tanzen war so befreiend für mich“. Die Eröffnungsrede der Ausstellung beendete die Künstlerin in diesem Sinne auch mit einem Appell an das Heart of Noise Publikum: „Ich hoffe, dass Sie tanzen – das ist wichtig. Das habe ich in Tiflis gelernt“. 

| Brigitte Egger


Als Teil der Ausstellung präsentiert Carmen Brucic ihren fotografischen Filmessay „Private Stages“ über die fünf georgischen Künstler:innen Luca Bitchikashvili, God_Era, David Apakidze, Hitori Ni und Naja Orashvili – dieser ist auch hier zu finden.

Die Ausstellung “Private Stages / Public Selves” ist von 22. Juni bis 30. Juli (von 12-18 Uhr) im Glaskubus Reich für die Insel (Rennweg 4) zu sehen. 

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