The thrill of flying high in the blue sky eventually kills me.
My legs have been chained underground for a long time,
robbing me of my ability to fly.
No one can imprison, limit, or take away the dream
of sunlight shining on my wings when I sleep.
How wonderful it is to fly, to be free, and to enjoy freedom.
With each passing day, the sweetness of free life and freedom
fades under my tongue.
Make a solution, oh you who can, that this spirit,
who was full of the spirit to live and vivacious,
is taking its last breaths.
– Tahera Rezaie
Am Anfang war der Wunsch nach Shakespeare. Ein Stück von niemand Geringerem sollte es werden, das Regisseur Robert Schuster auf die Bühne der Vereinigten Bühnen Bozen bringen sollte. Er entdeckte Shakespeares nahezu unbekanntes Textfragment „Die Fremden“, das sich mit einem Aufstand in London am sogenannten „Evil May Day“ beschäftigt. Arbeiter, Lehrlinge und Gesellen gingen am 30. April 1517 auf die Straße, um sich gegen Fremde und Zuwanderer zu wehren. Gewaltsame Ausschreitungen, brennende Häuser und Flucht waren die Folge. Während seiner Auseinandersetzung mit diesem Text war Robert Schuster zudem damit beschäftigt, Schauspielerinnen aus dem Simorgh Theater in Herat in Afghanistan aus ihrem Land zu befördern, in welchem sie vor den Taliban schutzsuchend im Untergrund lebten. Bis ihm die Parallelität dieser beiden Vorhaben derart absurd erschien, dass er sich kurzerhand dazu entschloss, beides zu verbinden. „Das Simorgh ist ein Theater, von dem nichts mehr übrig war, als die Taliban die Macht übernommen haben“, erzählt der Regisseur.
„Die Frauen, die dort gearbeitet haben, mussten untertauchen, weil sie sich in der Öffentlichkeit exponiert haben. Als die aliierten Truppen im August letzten Jahres noch Menschen evakuiert haben, hatte ich versucht, Künstler:innen zum Flughafen zu lotsen, damit sie noch rauskommen – einige der Frauen haben das aber nicht mehr geschafft. Es lag auf der Hand, die beiden Dinge miteinander zu verbinden, denn die Probleme Vertreibung, Flucht, Angst beim Ankommen und sich Begegnen sind heute im Gegensatz zu 1517 quantitativ ja noch größer geworden. So haben wir Shakespeares Text und die gegenwärtige Problematik miteinander verbunden.“

Daraus entstand „Underground Birds“, eine Stückentwicklung, die also auf Shakespeares Text fußt und die Schauspielerinnen aus dem Untergrund Afghanistans mittels Beamer-Projektionen auf die Bühne holt. Was mit einem passiert, wenn man diese Frauen über ihr Schicksal reden hört, ist schwer zu beschreiben. Rover, die Hauptfigur des Stücks, zündet ein bewohntes Haus an, begibt sich sodann auf die Flucht und damit auf eine Reise von der Vergangenheit in die Gegenwart und zugleich von London nach Afghanistan, wo er seine Liebe zu finden glaubt. Dass er dabei bisweilen in die Falle tappt, den Westen als überlegen darzustellen, ist nur eines der Probleme, die sein Unverständnis für seine privilegierte Position mit sich bringen.
Und ich schmiede dir eine Feuerschale in der wir jeden Abend Feuer machen können, mitten im Tulpenfeld und dort machen wir dann Stockbrot. Ich mache dich zur Chefin meiner Werkstatt und vom Hindukusch über Kabul bis Islamabad, von Islamabad bis Duschanbe und von Asgabat bis Teheran nach Bagdad und Jerusalem werden wir uns ein riesiges Imperium aufbauen, bis alle Pferde in der Region unsere Hufeisen tragen. Dann holen wir Randall, meinen Lehrling nach. Dem musst du Dari beibringen und dann bildet er eine ganze neue Generation von Schmieden aus und so werden wir Afghanistan aufbauen und zum Hauptexporteur für die ganze Welt machen. Bis Made in Kabul zum Qualitätszeichen für jede Art von verarbeitetem Metall wird. Und wir ziehen uns dann zurück und bauen uns eine kleine Hütte am See in der Nähe der Tulpenfelder. Gefällt dir das Negar? Sag mir, gefällt dir das?
Immer wieder drängt sich die Frage auf, wovor wir eigentlich so große Angst haben, wenn wir das Fremde fürchten. Ist es der Verlust einer erfundenen Identität? Schon in Jugendjahren merken wir: Die Definition von richtig und falsch schafft Gruppenzugehörigkeit, die wiederum fast automatisch Abgrenzung zu anderen kreiert. Dadurch wird eine Identität konstruiert für all die, die noch nicht so recht wissen, wer sie sind. Doch was, wenn das für immer bleibt?

„Wegen der Zunahme des uns Fremden werden wir uns der Solidarität der uns Verbündeten ungewiss. Wir fragen uns: Wer bin ich und zu welchem ‚Wir‘ gehöre ich? Das wird in ganz Europa zur Belastungsprobe – nicht nur durch die Menge der zu uns Fliehenden, sondern weil wir uns insgesamt in einem Umbauprozess, in einer polykulturellen und somit auch polyethischen Gesellschaft befinden“,
meint Robert Schuster.
Im Stück spielt unter anderem die Figur der Wahrheit eine bedeutende Rolle. Sie hinterfragt sich selbst und zeigt ihre eigene Arbitrarität auf, indem sie selbstironisch die ihr zugeschriebene Deutungshoheit zur Schau stellt. Dennoch scheint jene willkürlich gedachte Wahrheit plötzlich wieder in Mode zu kommen. Die Sehnsucht der Menschen nach einfachen Antworten?
Zu Recht, findet die Figur der „Tochter des Gastes“, die die surreal anmutende Szenerie der Reise unterbricht. Sie würde sich wie viele andere auch beim Ansehen dieses Stücks nicht verstanden fühlen, weil das Ganze nichts mit ihr zu tun hätte. Sie stellt die Frage, warum privilegierte Menschen begleitet von einem dauerhaften, latenten schlechtes Gewissen stets an das Unglück der Benachteiligten denken müssten.
Soll ich mich schämen, dass ich manchmal traurig bin? Dass ich Gefühle habe, die überhaupt nicht im Verhältnis zu den Frauen in Afghanistan stehen? Das kann ich nicht nachvollziehen. Es schwingt nicht in mir mit, und das ist die Wahrheit.
Gibt es hier jemanden, der den größten Teil seines Lebens im Krieg und nicht im Frieden verbracht hat?
Nein.
Wir sind nicht alle nur Menschen, die Häuser anzünden oder Soldaten, die Befehle ausführen. Wir sind ganz normale Menschen mit ebenso ernsten Problemen, Wünschen, Sehnsüchten und Hoffnungen. Ja, wir können sagen, dass wir Glück haben, aber sollten wir uns schlecht fühlen, weil wir gesund in einem reichen und sicheren Land geboren wurden? Natürlich kann ich wie jeder andere auch mal traurig, wütend oder glücklich sein – ist das nicht auch im Theater erzählenswert?
Wenn ich mich danach sehne, einfach ganz flach am Strand zu liegen. Muss ich mich dafür schämen? Mich deswegen schuldig fühlen?
Das wirft natürlich Fragen auf. Wenn Menschen aufgrund ihrer privilegierten Lebensumstände das Gefühl haben, keinen Anspruch auf ihre Ängste und Wünsche zu haben, schafft das jene Distanz zu benachteiligten Menschen, die gerade verhindert werden sollte, da genau sie häufig die Basis für Diskriminierung bildet. Wie kann eine solche Tendenz verhindert werden und an ihre Stelle ein Grundgefühl von Solidarität und Gemeinschaft treten – ganz frei von Schuldzuweisungen egal in welche Richtung?

Das Konglomerat all dieser Themen nicht ohne dem Verlust von Witz und Unterhaltung auf die Bühne gebracht zu haben, ist nicht die einzige Besonderheit dieses außergewöhnlichen Stücks. An der Produktion waren unterschiedlichste Theatergruppen und Schauspieler:innen aus Afghanistan, Israel, Norwegen, Frankreich, Italien und Deutschland beteiligt und ebenso vielfältig ist auch die Sprachverwendung im Stück: Werden beispielsweise auf französisch Fragen gestellt, werden sie auf dari beantwortet, denn alle Beteiligten sprechen in ihrer Sprache. Außerdem haben die Schauspieler:innen die Texte für ihre Figuren in einer Art „writers room“ selbst verfasst. Keine Hierarchien, kein Ausschluss, stattdessen ein Miteinander auf Augenhöhe – dass so etwas nicht nur möglich, sondern vielmehr unabdingbar ist, um etwas entstehen zu lassen, dass sich im besten Sinne von allem Bestehenden unterscheidet, hat diese Produktion eindeutig bewiesen.
Umso interessanter scheint es, dass diese Information in so vielen Teilen des Kulturbetriebs immer noch nicht angekommen ist. Gerade das Theater hat, entgegen vieler Vermutungen, ein großes Problem mit veralteten, patriarchalen und zutiefst hierarchischen Strukturen – insbesondere den Klassismus betreffend. Dies gilt nicht zuletzt auch innerhalb ein und desselben Betriebs: In vielen größeren Häusern herrschen nach wie vor degradierende Umgangsformen von Personen in vermeintlich höheren Positionen gegenüber jenen in als niedriger angesehenen. Der Regisseur, der die Hand hebt, um die Regieassistentin zum Schweigen zu bringen oder, je nach Laune, seinem Bedürfnis nach Kaffee Ausdruck zu verleihen, gehört leider zu jenen Klischees, die nach wie vor allzu regelmäßig erfüllt werden. Schauspieler:innen, die von Regisseur:innen auf ihre nicht zufriedenstellenden Körpermaße hingewiesen werden, lassen ihren Frust an Ausstattungsassistent:innen aus, wenn zu Probenbeginn nicht das gewünschte Paar Schuhe unter jenem Stuhl auf sie wartet, den sie als den ihren auserkoren haben. Es wird von oben nach unten getreten, wie in vielen anderen Bereichen unserer Berufswelt auch – dennoch schockiert es in einem kreativen Umfeld umso mehr, da sich die Frage stellt, wie künstlerisches Wachstum auf diese Weise vonstatten gehen soll.
Die KULA Compagnie, die in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Bühnen Bozen, dem Hålogaland Teater Tromsø in Norwegen und dem genannten Simorgh Theater in Herat „Underground Birds“ erschaffen hat, beweist die Notwendigkeit, genau diese veralteten Formen abzulegen, Theater auch in seiner Produktionsweise neu zu denken und jedem einzelnen Mitglied einer Produktion genau dieselbe Aufmerksamkeit und Dankbarkeit entgegenzubringen – denn ohne nur ein einziges dieser Mitglieder wäre das Ergebnis nicht dasselbe geworden. Und das wäre im Falle von „Underground Birds“ wirklich schade.
| Sarah Caliciotti (als Dramaturgin des Stückes)
Regie: Robert Schuster
Ausstattung: Sascha Gross
Bewegung: Slava Kushkov
Musik und Sounds: Max Bauer
Licht: Micha Beyermann
Dramaturgie: Zainab Qadiri, Sarah Caliciotti, Morten Kjerstad
Regieassistenz, Inspizienz, Übertitel: Hutham Hussein
Kostümassistenz: Astrid Gamper
Regiehospitanz: Michaela Wolfsgruber
Mit:
Azar, Mahuba Barat, Zahra Barat, Fariba Baqeri, Ingrid Mikalsen Deinboll, Hadar Dimand, Pasquale Di Filippo , Céline Martin-Sisteron, Sarah Merler, Tahera Rezaie, Alexandre Ruby, Jonas Schlagowsky, Peter Schorn, Sindre Arder Skildheim
*Aus Sicherheitsgründen mussten einige Namen der mitwirkenden Schauspieler:innen geändert werden.