Das schillernde Leben der alleinstehenden Frau – diesem Thema hat Katja Kullmann ihr neues Buch gewidmet. „Die Singuläre Frau“ ist 2022 bei Hanser Berlin erschienen. Mit komplex hat sich die Autorin nun im Rahmen der Interviewreihe Literatur im Kon[TEXT] über das Konzept der Singulären Frau und deren kulturelle Entwicklung unterhalten.

V: Weibliche Singles werden im Fernsehen häufig so dargestellt, als wären sie unvollständig und immer auf der Suche. Auf der anderen Seite gibt es männliche Charaktere, die als ewige und coole Junggesellen inszeniert werden. Die Männer brauchen niemanden, feiern ihr Leben und machen, was sie wollen. Da liegen doch Welten dazwischen, oder?
K: Genau, das wollte ich auch zeigen. Vorab noch kurz: Ich habe nie geplant, dieses Buch zu schreiben. Auf den ersten Seiten steht ziemlich authentisch, wie sich das alles ergeben hat. Anfangs waren es fünf, dann sechs, sieben, acht Jahre. Dann war ich schon zehn Jahre lang ohne feste Partnerschaft und so ging es weiter. Irgendwann fragte ich mich selber: Bin ich jetzt also auch so eine alleinstehende Frau geworden? Aber es war doch alles in Ordnung in meinem Leben, es gefiel mir – und da fing ich an zu recherchieren. Zuerst fand ich viel Blödsinn, pinkfarbene Prosecco- und Vibrator-Geschichten, aber dann entdeckte ich die Literatur, die Musik, die Kunst und auch die Filme, die alleinlebende Frauen über die vergangenen 200 Jahre geschaffen hatten. Das alles wollte ich beleuchten. Deshalb der große Anhang. Darüber freuen sich viele Menschen, weil sie so weiterlesen können. Es gab nämlich schon immer viele Frauen, die ihr Leben alleine gemeistert haben, und viele taten es vollkommen freiwillig, weil sie es so wollten. Es ist keineswegs so, dass solche Frauen permanent nur über ihren Beziehungsstatus nachdenken. Das ist nur ein Klischee.
V: Was genau beschreiben Sie mit dem Begriff Singuläre Frau?
K: Das Ausdruck singulär schillert: Einerseits meint er einzigartig und unvergleichlich. Andererseits steckt natürlich auch die Vereinzelung darin. Zwischen diesen beiden Polen bewegt sich dieser Begriff für mich. Ich selbst habe mich als alleinlebende Frau immer über das Wort Single geärgert. Da steckt eine ganze Industrie dahinter, die das Bild des Suchenden, der Suchenden vermittelt und suggeriert, dass ein Mensch, der keine Liebesbeziehung führt, nicht vollständig sein kann. Dieses Bild ist in den vergangenen Jahrzehnten von weiblichen Single-Figuren wie Bridget Jones stark mitgeprägt worden. Und gerade mit diesem Typ Frau, der zirka dreißig Jahre alt und ständig auf der Suche nach Mr. Right ist, konnte ich mich nie identifizieren, auch nicht mit Mitte 30, als ich begonnen habe, mich mit dem Thema zu beschäftigen. Der Begriff singulär soll also darlegen, dass jede Frau, die allein lebt, ihre eigene Geschichte hat. Es gibt Menschen, die unfreiwillig allein leben und dann gibt es jene, die sich dieses Lebensmodell ausgesucht haben. Die Vielfalt der Einzigartigkeiten wollte ich mit dem Begriff beschreiben. Es ist also Absicht, dass er ein bisschen schillert und glamourös klingt. Denn das Leben der alleinlebenden Frau ist vielschichtig, interessant und durchaus ein vollständiges Leben.
V: Diese typische Darstellung der alleinstehenden Frau wird ja auch durch populäre Kultur verbreitet. Da frage ich mich, was das jungen Frauen sagt, die vielleicht noch gar keine Dating-Erfahrungen gemacht haben?
K: Ich bin mittlerweile optimistischer. Tatsächlich hat der queere Feminismus, der Konzepte wie Geschlecht hinterfragt, einiges bewegt. Es gibt inzwischen auch andere Serien, die ein besseres Bild von alleinlebenden Frauen vermitteln und ich glaube zudem auch neue Trends in der Literatur zu entdecken, die sich beispielsweise mit alleinlebenden Müttern beschäftigen oder mit Single-Frauen, die zwar keinen Mann aber ein Kind wollen. Und auch auf der begrifflichen Ebene verändert sich viel. Da gibt es einige neue Ausdrücke, die Festschreibungen aufbrechen und Fragen stellen. Vieles ist gerade kompliziert und manche Menschen überfordert das. Aber ich glaube, wir stecken gerade mitten in einem historischen Prozess, in dem die Gesellschaft wieder einmal ein paar Grundsatzfragen verhandelt: Wie wollen wir leben? Wie können wir solidarische und verlässliche Bande schaffen – auch jenseits des alten Pärchenmodells? Die Zeiten für alleinlebende Frauen brechen gerade erst an und sind zugleich nie besser gewesen. Das hängt auch mit der Beteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt zusammen.
V: Vor einigen Monaten hat die Zeitschrift emotion eine seitenlange Reihe veröffentlicht, die Beziehungs- und Lebensmodelle abseits der heterosexuellen Norm würdigte. Da dachte ich mir auch, dass das vor zehn Jahren, als ich angefangen habe, Zeitschriften zu lesen, wahrscheinlich noch nicht möglich gewesen wäre.
K: Es freut mich, dass Sie das sagen. Die singuläre Frau ist in diesem Feld ja auch eine Akteurin. Sie ist kein Opfer der Einsamkeitswelle, die Leute, vor allem nach Corona, zu bemerken scheinen. Da heißt es dann: Alles ist so individualisiert! Die bürgerlichen Werte gehen verloren! Wir werden alle vereinsamen! Dabei ist das Modell, das vor allem konservative Kräfte feiern, also die bürgerliche Ehe, historisch betrachtet relativ jung. Im Grunde kann man sagen, dass sich das Modell mit der französischen Revolution und der Schaffung der bürgerlichen Gesellschaft entwickelte. Mit der Folge der Überhöhung von einem einzigen Gegenüber, denn mit einem Mann oder einer Frau das alleinige Glück zu finden, ist eine restromantische Vorstellung, die das Rezept dafür liefert, dass solche Paarbeziehungen scheitern können und wahrscheinlich sogar müssen.
| Christina Vettorazzi