Im Wechselbad der Zitronen – der Täubling in der p.m.k, hosted by skin on marble

Der Verein skin on marble ist seit 2014 mit schwieriger Musik aller Art in der p.m.k aktiv. Im Dezember präsentierten sie hier – in Kooperation mit Verschubu Records – den Täubling, ein Konzert, das sich irgendwo zwischen Hiphop, Punk und grotesker Theaterperformance bewegte. komplex nutzt die Chance, etwas mehr über den Verein in Erfahrung zu bringen und einige Impressionen eines sehr speziellen Konzertabends festzuhalten.

Der Täubling | Bild: Rene Nuderscher

„Was mache ich hier eigentlich?! Ich hätte auch einfach Germanistik studieren können!“ jammert der Mensch mit Frack und Hasenmaske, bevor er wieder zu rappen beginnt. Wir befinden uns bei einem Auftritt des Künstlers Der Täubling, welcher in der Pause zwischen zwei Songs recht überzeugend vermittelt, dass er gerade so ziemlich alles andere lieber tun würde, als für uns dieses Konzert zu spielen. „Wir sind hier ja eigentlich gar nicht in der Provinz! Aber alles sieht so aus! Sogar die Leute!“ schreit er und starrt uns in unsere so schrecklich durchschaubaren, provinziellen Gesichter. Die Musik lässt sich wohl am einfachsten als Hiphop beschreiben, wohlüberlegte, von Referenzen übergehende Sprachkunst jedenfalls. Die offenkundige Intelligenz, die hinter den Worten steckt, das Übermaß an Bildung, macht das Ganze nur noch schlimmer – er hasst uns nicht nur, er ist noch dazu klüger als wir! Und urbaner sowieso. 

„Ich bin eine einzige Bedürfnispyramide“ wimmert er im nächsten Augenblick, während er von der zweiten Gestalt auf der Bühne in einem Akt irgendwo zwischen Fürsorge und Grausamkeit abwechselnd mit Zitronen und Sekt gefüttert wird. Der Täubling kriecht, bettelt und leidet demonstrativ, nur um im nächsten Moment wieder zu beleidigen, angebotene Zigaretten abzuweisen, nicht über wohlgemeinte Witze zu lachen, es kurzgesagt einfach völlig zu verweigern, irgendeine Form von versöhnlicher Artist-Publikum-Bindung einzugehen. Dazu ein ständiges Rotzen, Schlucken, Spucken in alle Richtungen, ein widerliches Gemisch aus jammervoll-röchelnden Geräuschen. Diese leeren Hasenaugen, eher Hasenlöcher eigentlich, verfolgen einen auch einfach überall hin, bis in die letzte Ecke des Raumes stieren sie einem hinterher. 

Einzig durchbrochen wird das Ganze von einem zarten Intermezzo des Alter Egos Jean-Baptiste Revál, das in vollendeter Zerbrechlichkeit ein kleines Lied ins Mikrophon hauchen darf, bevor es vom Hasen wieder von der Bühne gedrängt wird. An eben jenes Alter Ego ist auch das Liebeslied „Für Jean-Baptiste“ gerichtet – beim Nachlesen entdecke ich, dass der Täubling diesen schon beim Erscheinen seines Debutalbums 2017 als seinen „einzigen Vertrauten seit 25 Jahren“ bezeichnet – am besagten Konzertabend ist diese Beziehung kein Jahr gealtert. Jenseits der Zeit bleiben auf der einen Seite Zynismus und Perversion ebenso konstant, wie auf der anderen Verletzlichkeit und Hingabe. 

So taumelt der Täubling irgendwo zwischen maßloser Selbstüberhöhung und bodenlosem Selbsthass auf der Bühne herum, gefangen in einem kranken Zyklus des Erniedrigens und Erniedrigt-Werdens. Und frisst dabei eine unmenschliche Menge an Zitronen. Ein Großteil davon findet nach und nach in hohem Bogen den Weg ins Publikum – einmal erwischt mich eine ganze Ladung Zitronen am Kopf, die mich beinahe ins Straucheln bringt. Jeder Moment auf diesem Konzert eine geladene Metapher. Man will hinausflüchten und die Tür hinter sich schließen, bevor die Metaphern nachkommen. Gleichzeitig verführt der Auftritt mit einem hypnotischen Charme, der zynische Humor reißt nicht ab, jedes Wort trifft ein Ziel, die Musik wirkt umgarnend, die kollektive Verstörung verbindend, wir tanzen und grausen uns simultan. Unnütz die Fragen, die uns nach dem Konzert umtreiben – wie ist der Täubling wirklich? Der Täubling ist nicht wirklich. Als ich erwähne, dass ich über das eben Erlebte etwas schreiben werde, meint eine meiner Freund:innen: „Ich war so aggressiv, dass ich ihn schlagen wollte. Es war toll!“

Der Täubling verlangt nicht danach, verstanden oder gemocht zu werden. Alle, die Hass oder Ekel oder Mitleid oder Liebe oder irgendein anderes Gefühl an diesen Moment spenden können, sind am richtigen Ort, und die Gefühllosen sowieso. Ich fühle ich mich an einen alten Sticker des Veranstaltervereins erinnert: „Für den sehr Einsamen ist schon Lärm ein Trost“so die Aufschrift (ein Zitat von Friedrich Nietzsche). Bei skin on marble-Veranstaltungen ist dieser Lärm oft eine harte Geräuschkulisse, in die man abtauchen kann – der Ton übertüncht, übernimmt alles, nimmt es einem kurz ab, zu sein, einsam oder sonst wie. Aber auch dieses ganze leidvolle Tamtam, dieses zügellose Zelebrieren des eigenen Schmerzes ist ein solcher Lärm und Trost; es verzaubert wie verstört uns und reißt uns gleichzeitig aus unserer Taubheit, unserem Täubling-Sein vielleicht, in seiner grausigen Komik.


Wie ist skin on marble entstanden? Erzählt ein bisschen von der Idee hinter dem Verein. 

Unser Verein ist vor knapp zehn Jahren in etwa zur gleichen Zeit entstanden, als unsere Mitglieder Rene, Ricardo und David gemeinsam das Harsh-Noise-Projekt KREUZ 17 gegründet haben. Das mittlerweile etablierte HEART OF NOISE Festival war damals noch recht jung und in Innsbruck gab es endlich wieder vermehrt offene Ohren für musikalische Abenteuer. Wir wollten Shows machen, bei denen es um eine Art von Intensität und Atmosphäre ging, die wir damals zu wenig vertreten sahen. Wir wollten auf der Bühne mehr düsteres Zeug und weniger ‚Rock Shows‘ sehen und vor allem Klänge hören, auf die man sich länger als nur für ein paar Minuten einlassen muss. Nichts zwingend Elitäres, aber halt auch keinen Klamauk und ewig Abgedroschenes. Da war von Anfang an von vertrackter Elektronik über Black Metal bis hin zu Noise Rap alles Mögliche dabei. Es kommt nicht von Ungefähr, dass eine unserer ersten Veranstaltungen den Titel “DAS IST KEINE PARTY, DAS IST DISZIPLIN” getragen hat.

Wie stellt ihr euer Programm zusammen?

Alle im Verein sind heavy user wenn es um den neuen heißen Scheiß in Musik und/oder sonstigen künstlerischen Ausdrucksformen geht; außerdem sind wir Teil eines aktiven Netzwerks von Menschen, die ähnliche Obsessionen pflegen. Zusätzlich fahren einige von uns selbst oder unserer Alliierten auf mehrere Festivals pro Jahr (donaufestival, Unlimited, HEART OF NOISE, Unsound, Unsafe & Sounds, Roadburn, etc.) – so sieht und hört man über das Jahr verteilt dann doch recht viel. Und natürlich gibt es auch die jahrelange Zusammenarbeit mit diversen Booking-Agenturen, die regelmäßig neue Künstler:innen vermitteln. Irgendwie ergibt sich das Jahresprogramm dann immer recht organisch. Wichtig ist uns, nichts zu überstürzen und lieber ein paar Shows weniger zu machen. Dann aber welche die knallen.

Die letzte Veranstaltung habt ihr mit den Verschubus gemeinsam gemacht. Wie funktioniert so eine Kooperation bei euch und was sind da die Vorteile? 

Kooperationen sind in der p.m.k meistens ein recht unkomplizierter Weg, um kosten- oder arbeitsintensivere Abende überhaupt erst stemmen zu können. Kurz gesagt teilt man sich die Arbeit und das finanzielle Risiko auf – versucht aber auch das Stammpublikum beider Vereine zu erreichen. Das haben wir im Laufe unseres Bestehens immer wieder gemacht, beispielsweise bei Wiegedood und Chaostemple oder auch bei the body und Uniform. Innsbruck ist zwar ein recht gutes Pflaster für Spezialitätenprogramm, aber die Anzahl an Menschen, die wir erreichen (können) ist trotzdem begrenzt. Leute aus Bayern, Südtirol oder aus anderen Bundesländern kommen zudem nur selten, bzw. eher für die populäreren Acts oder Genres wie Stoner und Psychedelic Rock. Sobald Sachen in die fiesere Richtung gehen, muss man meistens mit finanziellen Rücklagen arbeiten. Man bekommt recht schnell ein gutes Gefühl dafür, was finanziell noch abzufedern ist und wofür man sich Partner:innen suchen muss.

Was war eure Lieblingsveranstaltung bisher?

Schwer zu sagen, denn es gab wirklich einige sehr besondere Abende, die uns von der Intensität her umgehauen haben. Der Abend mit the body und Uniform zum Beispiel, oder auch das MASKHARAT Festival, das wir 2016 veranstaltet haben. Wir sind auf jeden Fall extrem froh darüber, dass wir letztes Jahr wieder ein paar so Momente hatten, in denen uns bewusst wurde, weshalb wir das alles machen. Der Abend mit DUMA, Ecko Bazz, Abu Gabi und Klimentina Li zum Beispiel. Oder diese absolut irre Show von GEWALT. Von solchen Erlebnissen zehrt man lange und dann hat man auch wieder Bock die nächsten Sachen zu planen.

Gibt’s vielleicht auch irgendein amüsantes Malheur aus der Veranstaltungsgeschichte zu erzählen?

Die Malheure von damals sind die guten Geschichten von heute. So waren bei unseren Shows anfangs oft nur sehr wenige Zuschauer:innen zugegen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Show mit FULL OF HELL, bei der wir lediglich 14 Leute im Publikum hatten. Und das zu einer Zeit, als sie gerade dabei waren, im Powerviolence- und Hardcore-Bereich richtig groß durchzustarten – die Band spielte Headliner-Slots auf internationalen Festivals. Nach dem Gig haben wir irgendeine sturzbetrunkene Polter-Gruppe in die p.m.k gelotst und ihnen mit aller Gewalt Tequila Shots verkauft, um noch irgendwie etwas Kohle reinzubekommen. Die Band inklusive Vorband übernachtete anschließend in Davids damaliger 4er-WG, weil wir uns keine Hotel-Übernachtung für so viele Menschen leisten konnten. Good times.

Anfangs haben wir vielleicht selbst ein bisschen zu viel mitgefeiert und nach einer Veranstaltung mal die Kassa mit der kompletten Veranstaltungs-Kohle einfach auf dem Gehsteig vor der p.m.k liegen lassen. Irgendeine herzensgute Straßenreinigungskraft hat die dann zur Polizei gebracht. Diese hat dann zuerst in der p.m.k, und anschließend über Umwege bei mir (David) angerufen. Als ich dann, recht angestochen und mitgenommen vom Vorabend, bei der Polizei aufgetaucht bin, wollten sie die Kassa aber nicht mehr rausgeben, auch nicht als ich recht genau beschreiben konnte, wie sie aussieht, welche Sticker draufkleben und wie viel Geld in etwa drin sein müsste. Ich habe dann irgendwann entnervt gesagt: „Aber IHR habt ja MICH angerufen – wofür bin ich denn sonst hier? Was wollt ihr denn noch von mir hören?!“. Irgendwann haben sie die Kasse dann rausgerückt. Sehr nervig war das.

Was habt ihr in der Zwischenzeit übers Veranstalten gelernt? 

Im Lauf der Jahre sind wir um einiges gelassener geworden. Wir wissen mittlerweile, wo wir auch kurzfristig noch etwaige Technik auftreiben können, haben besser im Gefühl, was von einem Hospitality-Rider wirklich wichtig ist und wie wir Künstler:innen schnell eine Atmosphäre bieten können, damit sich diese wohl fühlen. Mittlerweile haben wir deshalb mehr Zeit für die Feinheiten und Details. Schön ist aber vor allem, dass wir noch nicht betriebsblind geworden sind und uns noch immer wie die Teenager über eine gelungene Veranstaltung freuen können. Da wir alle nebenher auch andere Jobs haben, ist der gemeinsame Spaß an der Sache das Wichtigste, denn sobald der fehlt, müssten wir damit aufhören. Bei uns bekommt keiner Kohle für irgendwelche Vereinstätigkeiten, deshalb muss sich die Arbeit zumindest emotional lohnen.

| Delia Salzmann

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Der Täubling auf Bandcamp

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