Zu Besuch in Telfs bei HANNAH PHILOMENA SCHEIBER – ein Rundgang im Art-Studio

In der Telfer Fußgängerzone ist mir letztens etwas Neues aufgefallen. Dort, wo sich gerade noch der Wollladen befand, ziehen in den Auslagefenstern mir bekannte blau-weiße Berglandschaften, begleitet von frech beschrifteten Porzellantellern, meine Aufmerksamkeit auf sich: die unverkennbare künstlerische Handschrift von Hannah Philomena Scheiber. Die 31-jährige Ötztalerin ist vor gut einem Monat mit ihrem Atelier nach Telfs übersiedelt, wo sie mit starken Kontrasten frischen Wind ins Dorfzentrum bringt. Fürs komplex führt sie durch ihr neues Art Studio und erzählt dabei, was Lawinenverbauungen mit Porzellan gemeinsam haben und warum sich gerade das Pigment „oltremare scuro“ (Ultramarinblau) dafür eignet, Mutter Natur angemessen zu würdigen. 

Hannah Philomena Scheiber in ihrem Art-Studio in Telfs

Blau-Weiß. Die Farbkombination aus den unverkennbaren Berglandschaften von Hannah Philomena Scheiber sticht beim Eintritt ins Studio gleich ins Auge. Rechts neben dem Eingang eine Sitzecke in den Farben gehalten, dahinter ein paar ihrer Landschaftsbilder. Die Reduzierung auf zwei Farben, ein Spiel zwischen Licht und Schatten, wie Scheiber selbst betont, lässt die individuelle Form eines jedes Berges definiert zur Geltung kommen. 

Wieso gerade blau-weiße Berglandschaften? Eigentlich bin ich über Trachtenstoffe dazu gekommen. Ich habe damals hauptsächlich blau-weiße Falten gemalt, die für die traditionellen Ötztaler Trachten typisch sind. Ein Professor meinte dann, es schaue aus wie Berg und Tal. Das hat mich beschäftigt. Vor allem, weil das Malen von Bergen ja seit der Romantik ein schwieriges Thema in der Kunst ist. Ich wollte mit der idealisierenden Konnotation brechen, indem ich mit Abstraktion und Realismus spiele. Ursprünglich komme ich ja aus dem Fotorealismus, durch mein Studium bei Franziska Maderthaner. Das realistische Malen hat mich aber nicht befriedigt, es passt einfach nicht zu meiner Persönlichkeit, so bin ich dankbarerweise durch die Landschaft in die Abstraktion gekommen. Hast du einen Lieblingsberg bzw. eine Lieblingsbergform? Nein, ich musste erst vor kurzem mal lachen, weil ich irgendwo „What Everest“ gelesen habe, das ist ganz passend. Wie der Berg heißt, ist mir eigentlich so wurst. Mir geht’s nicht darum, eine bestimmte Form darzustellen, sondern um das Spiel von Licht und Schatten. Ich male auch wegen des Prozesses der Selbsterfahrung im Malen, nicht wegen des Motivs. 

Was hat es mit dem Blauton Ultramarin auf sich? Das ist ein Mitbringsel aus meinem Auslandsjahr an der Accademia di belle Arti in Florenz. Da gibt es die Familie Zecchi, die bereits seit Generationen, seit der Renaissance, Farbpigmente herstellt. Das Originalpigment des Ultramarinblau war früher teurer als Gold. Man musste bei allen Marienbildern die Mäntel in diesem Blau malen, um sie ausreichend zu würdigen. Da gab es sogar klare Vorschriften, wie viel Gramm Ultramarinblau enthalten sein müssen. Ich verwende diesen Farbton, um symbolisch Mutter Natur zu würdigen – mit der kostbaren Farbe, die damals auch für die Mutter Gottes verwendet wurde. Wieso hast du dich für ein Auslandsjahr in Florenz entschieden? Wegen der Malerei. Ich liebe die Altmeistertechniken. Ich bin der totale Technik-Junkie. Auf der Angewandten in Wien habe ich auch viel länger Farbchemie gemacht, als ich es gebraucht hätte. Das Fachwissen fasziniert mich einfach. Was hast du – bis auf diesen Farbton – sonst von deinem Studium in Florenz mitgenommen? Die Erkenntnis, dass ein ästhetischer Anspruch an die Arbeit schon genügt. In Wien war eine Arbeit nie gut genug, unser Professor in Florenz hat uns aber darin bestärkt, dass, wenn man etwas technisch sauber umsetzt, es auch genügen kann. Dort habe ich gelernt, dass ich einfach mal was gut sein lassen und herzeigen kann, dass etwas fertig ist. Die Ausbildung in Wien und deren Ansätze waren da total destruktiv. Viele haben deswegen auch abgebrochen. Ich war die meiste Zeit im Ausland, sonst hätte ich es glaub ich auch nicht fertig gemacht – Konkurrenzdruck, Leistungsdruck, Psychoterror durch die Professor:innen… Außerdem hört man ständig: „Nur 3% können danach von der Kunst leben“ – aber alle, die ich kenne, die jetzt von der Kunst leben, zu denen hat man im Studium gesagt, sie seien nutzlos und machen nur scheiße…  

Mitten am Tisch bringt mich eine kitschige Madonna-Kerze mit der Aufschrift „Work Bitch“ zum Lachen, deren Ästhetik an Hannah’s Porzellanteller erinnert. 

Ist die auch von dir? Nein, die Kerze habe ich in New York gekauft. Ich habe fast geweint vor Lachen, als ich die gesehen habe. Warst du für längere Zeit in New York? Ja fast acht Monate, da war ich Artist-in-Residence bei der SVA-school for visual arts. Der Kontrast war schon zach, aber insgesamt war es eine mega Erfahrung. Wie hast du den Kontrast wahrgenommen? Zum einen wird dort im künstlerischen Bereich viel mehr zusammengearbeitet als gegeneinander. Neid gibt’s da einfach nicht, das hat mich so fasziniert. Es gibt so viel Support auf allen Ebenen, was bei uns völlig fehlt. Bei uns ist jede:r Konkurrent. Zum anderen wird dort nicht so sehr zwischen Kunst und Deko differenziert. Es geht mehr darum, einfach etwas zu machen. In Amerika sind sie viel entspannter, was das angeht. Wie siehst du das als bildende Künstlerin, wenn deine Werke als dekorative Kunst wahrgenommen werden? Ich habe kein Problem damit, weil ich da den Zugang von Amerika teile. Der Kunstmarkt bei uns in Österreich und Deutschland ist schon sehr speziell. Dabei lautet es in allen romanischen Sprachen die „schöne Kunst“, nur wir haben es in die „bildende Kunst“ übersetzt. Bei uns geht es viel zu viel um Ausschluss und darum, wer etwas richtig oder falsch macht. Davon habe mich bewusst schon früh distanziert. Ich finde, es hat alles seine Berechtigung, solange man niemandem schadet. Ich habe auch kein Problem damit, mal ein Hotel auszustatten oder ein Sportgeschäft. Ganz im Gegenteil, ich find‘s voll geil, dass die sagen, wir nehmen Geld in die Hand und investieren in Kunst. 

Neben der Kerze stapeln sich verzierte Porzellanteller, die bald mit Hannah’s frechen Sprüchen beschriftet werden. Ein paar fertige Exemplare sind im Regal ausgestellt. 

Was war zuerst da – die Porzellanteller oder die Berglandschaften? Ich habe relativ zeitgleich damit begonnen. Mich fasziniert die Popkultur sehr. Mit den Tellern wollte ich etwas kreieren, das viele Menschen anspricht und leicht unter die Leute geht. Die meisten sehen den roten Faden zwischen den Porzellantellern und den Bergbildern nicht, aber für mich hängt das beides zusammen – es geht um Fragilität. Inwiefern spielt da das Material Porzellan für dich eine Rolle? Am Material fasziniert mich, dass es so hart ist aber doch so fragil – es hat Beständigkeit, zerbricht aber sofort, wenn man es runterschmeißt. Mit den Bergen ist das ähnlich: Der Fels scheint stabil, aber er ist eigentlich dauernd in Bewegung. Mich interessiert dieses Thema der vermeintlichen Sicherheit, deswegen habe ich mich in meiner Malerei auch mit Lawinenverbauungen beschäftig. Wir meinen, wir müssten die Natur kontrollieren, aber eigentlich verursachen wir damit noch mehr Troubles, weil der Schnee, der dadurch zurückgehalten wird, in den Stein einsickert, wo er eigentlich nicht hingehört. Und so wird das Material zunehmend instabiler. Deine Sprüche enthalten oft traditionell-religiöse Anspielungen. Provozierst du damit? Ja, das mache ich extra. Es ist oft witzig. Weil die Schrift so alt gehalten ist, denken sich die Leute zuerst nicht viel, aber wenn sie den Text lesen, dann kommt immer dieser Moment, in dem sie anfangen zu schmunzeln oder entsetzt sind. Ich find das total spannend zu beobachten. Anfangs haben mir viele ältere Leute geschrieben, wie furchtbar das sei, dass ich Blasphemie betreibe und so weiter. Ich finde es aber voll wichtig, zu provozieren, vor allem, weil ich selbst in einem religiösen Umfeld aufgewachsen bin. Wie sieht das dann deine Familie mit den provokanten Sprüchen? Wir haben eigentlich noch nie direkt darüber geredet. Ich glaube aber, es ist ihnen relativ egal, solange sie niemand darauf anredet. Bei uns geht’s ja meistens darum, was die anderen von einem denken. Wie gehst du damit um? Ja, das war viel Arbeit, dieses Denken abzulegen, aber ein total wichtiger Prozess. Ich habe mir irgendwann gedacht: egal ob‘s scheitert oder ob‘s ein voller Erfolg wird, im Dorf reden die Leute trotzdem über einen, deswegen ist es eh schon egal, was ich mache. Dieser Gedanke hat mich sehr befreit. Andererseits hat mir eine sozialpsychologische Perspektive darauf geholfen. Einer meiner Professoren, Peter Stöckl, ist auch Sozialpsychologe. Der hat zu mir gesagt, jeder Mensch, inklusive er selbst, habe das Bedürfnis, zu schubladisieren. Sozialpsychologisch ist das extrem wichtig, weil man sich dadurch orientieren und mit Leuten connecten kann. Das ist gewissermaßen ein Überlebensmechanismus. Er hat dann gesagt: „Erlaube anderen über dich zu urteilen, weil du tust das auch. Und auch wenn‘s nicht böse gemeint ist, das machen wir automatisch“. Und das stimmt. Er hat mir geholfen, die Dynamik zu verstehen und es nicht persönlich zu nehmen, wenn Leute über mich reden, und stattdessen zu denken: okay die connecten sich jetzt halt alle, indem sie mich scheiße finden, haha. Aber ich habe auch lange dafür gebraucht und ganz abgelegt, habe ich es natürlich noch nicht. 

Mein Blick schweift hinüber zu den ultramarinblauen Schürzen, die auf der Wand neben der Eingangstüre hängen und deren Bestickungen mich schon vom Auslagenfenster angesprochen haben.

Das Thema Feminismus kommt in deinen Arbeiten, hauptsächlich in den Sprüchen, stark zum Ausdruck. Was hat es symbolisch mit den Schürzen auf sich? Das war eigentlich ein Gag – und ja, es ist auch ein Feminismus-Thema. Das sind die klassischen Südtiroler Bauernschürzen, die sind eigentlich nur den Männern als Arbeitsschürzen vorbehalten. Ich habe so eine Schürze als Gag für eine Freundin zum Geburtstag bestickt. Das war dann voll der Hype auf der Party, ganz viele wollten so eine Schürze haben, dann bin ich damit gleich in Produktion gegangen.

Im schmalen Gang rechts neben dem Eingang befindet sich ein Mini-Atelier. Es ist allerdings nicht der Ort, wo die Künstlerin selbst arbeitet. „Mein fünfjähriger Sohn hat sich in diesem ungenutzten Raum sein Büro eingerichtet“, erzählt Hannah. Geteilt wird dieser auch mit anderen Kindern – ein Malort nach Arno Stern. 

Du bietest hier auch Kurse für Kinder an? Genau, denn das freie Malen kommt bei den Kindern heutzutage viel zu kurz. Ich werde immer grantig, wenn sie im Kindergarten und in der Schule mit der Ausmalerei kommen. Was möchtest du den Kindern vermitteln? Dass es nicht nach etwas ausschauen muss, wenn sie malen. Ich find das total schlimm, dass Kinder nach der Schule heim kommen und auf einmal nicht mehr zeichnen wollen, weil sie von den Lehrer:innen kritisiert wurden, dass sie etwas falsch gezeichnet hätten. Außerdem find ich, dass zwei Wochenstunden kreativer Unterricht viel zu wenig sind. Als Künstler:in kommt es ja darauf an, dass du etwas von dir heraus machst, nicht etwas, das du in der Schule gelernt hast. 

Die Tür öffnet sich und eine ältere Dame betritt das Studio, sie erkundigt sich nach dem Workshopangebot. „De Leut da sind so lieb, unglaublich“, schwärmt Hannah, nachdem die Dame wieder gegangen ist. 

Wie gefällt es dir hier in Telfs? Super! Ich bin voll begeistert. Es läuft hier viel besser als im Oberland. Die Leute sind offener und extrem nett, das Angebot wird viel mehr angenommen. Hierher kommen auch Leute aus Innsbruck, die sind nach Imst nicht gefahren. Außerdem ist es toll, dass es in Telfs für Lokale und Unternehmen in der Fußgängerzone eine Wirtschaftsförderung gibt. Du bist ja auch viel international auf Messen unterwegs. Wie nimmst du den Kunstmarkt im Ausland im Vergleich zu Tirol wahr? Ich merke, dass abstrakte Sachen hier schon herausfordern, sowas ist oft too much für Tirol. Darauf steigen die Leute kaum ein. Bei meiner letzten Ausstellung in der Galerie Hörmann in Imst habe ich 50% abstrakte und 50% realistische Werke ausgestellt, die abstrakten sind alle liegen geblieben. Was meinst du, wieso das hier so ist? Ich denke, weil‘s zu geistig ist. Hier wollen die Leute immer etwas, das sie klar erkennen können. Und wie ist das im Ausland? Genau umgekehrt. Bei den Kunstmessen merke ich das total, zum Beispiel letztens in Miami. Die können mit dem Realistischen gar nichts anfangen, da habe ich nur abstrakte Werke verkauft. Kannst du selbst mittlerweile von der Kunst leben? Ja voll. Ich muss halt auch manchmal Aufträge annehmen, aber davon leben kann ich schon seit ein paar Jahren. 

Bevor ich den Raum verlasse, erblicke ich noch ein seltsam anmutendes Objekt im Regal. 

Ist das ein Zauberstab? Ja, den habe ich mit Kindern bei einem Keramik-Workshop gemacht. Der Zauberstab ist für mich ich ein schönes Symbol für Selbstwirksamkeit. 

| Brigitte Egger


coming up exhibitions

“TELFS ART” – Telfs zeigt Telfer Künstler*innen APRIL 2023 Villa Schindler, Telfs

“STAY SAFE”, Gruppenausstellung im Audioversum, MAI 2023 Innsbruck

“DIE GLETSCHER UND WIR” – JUNI 2023 Ötztal Museen, Turmmuseum Ötz

“KOPP & SCHEIBER” – “Elmar Kopp & Hannah Scheiber” Vernissage 15.9 SEPTEMBER 2023 @ Kulturwinkl, Prutz

“ABSTRACT REALITIES” – OKTOBER 2023, Intercont Gallery Space, Dubai & Oman

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