Kunst abseits des White-Cube: Die in der Burg Hasegg beheimatete Galerie IM VEKTOR nützt mittelalterliche Räumlichkeiten, um mit kuratorisch durchdachten Konzepten alternativ zeitgenössische Kunst zu vermitteln. Die aktuelle, bis 15.7.2023 laufende Ausstellung „Safe_Crash“ – eigentlich ein Widerspruch in sich – kreist basierend auf die gleichnamige Buchneuerscheinung von Gilbert, Gitti und Tillman Schneider um den Begriff der Sicherheit als ein vom Menschen gemachtes Konstrukt, das Halt gibt, doch urplötzlich ins Gegenteil verkehren kann.

Das Maulbeerbaumpapier der sich teils über sieben Meter erstreckenden Arbeiten Gitti Schneiders ist bezeichnend: Bekommt es zu viel Wasser ab, löst es sich auf und zerfetzt, doch behandelt man das Material liebevoll und trägt stärkende Farbschichten auf, festigt es sich und wird robuster. Die Werkserie mit dem sprechenden Titel „Fragile“ ist fast wie das Leben selbst oder besser gesagt wie der Umgang der Menschen untereinander, der nur aufblüht, so er auch gepflegt wird. Sie wurde zum Ausgangspunkt einer Idee, die nach Parameter einer unsicheren, nur scheinbaren Sicherheit suchte, die wir uns fast religiösen Grundsätzen gleich auferlegen, weil sie einen Schutz geben und glauben lassen, dass alles gut ist. Ein Schutz, der jedoch einknickt, sobald der Blick geschärft wird und Fragen aufwirft: Was kann überhaupt als stabil angesehen werden? Was macht nur den Anschein davon und muss aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden? Und wie kommen die Risse und Brüche, die der gewohnten Perspektive entgleiten, überhaupt zustande? Gerade durch diese Komplexität an Fragestellungen, die durch die Beschaffenheit und Konsistenz des fragilen, japanischen Maulbeerbaumpapiers emporkeimte, war das Vorhaben prädestiniert für eine vertiefte Auseinandersetzung. Zu Gitti Scheiders bildender Kunst gesellten sich dann Arbeiten ihrer Söhne, die sich in die Auseinandersetzung mit eingeklinkt haben und so zu einem genreübergreifenden künstlerischen (Familien)Projekt werden ließen, mit Buchband als Resultat. Der von Im Vektor in Kooperation mit dem WEI SRAUM Designforum Tirol organisierte Abend – am 13.6 fand die Werkpräsentation und gleichzeitige Eröffnung der Ausstellung zu „Safe_Crash“ statt – nimmt das neuerschienene Buch als Ausgangspunkt, um sich einer gesellschaftlichen Realität zu nähern, die existentiell ist.
Die Ausstellung gibt sich durch interessante kuratorische Eingriffe in gewisser Hinsicht als mehr als eine bloße Begleitschau zur Buchpublikation. Mit dabei sind neben Gitti Schneiders abstrakter Malerei Fotografien Tillman Schneiders, mit unvereinbaren, zum Zweck des Widerspruchs vereinten Orten, die von ambivalenten, verwirrungsstiftenden Relationen wie gefestigten und zeitgleich abgetragenen Häusern oder Spiegelungen erzählen, sowie Gilbert Schneiders Siebdrucke und Medieninstallationen, wobei auch hier das Spiel mit Demontagen und Hausabbrüchen ins Auge fällt. In allen drei künstlerischen Positionen geht es um das Spiel mit der Uneindeutigkeit zwischen Fragilität und Stabilität. Was gewichtig erscheint, kann sich als federleicht erweisen, Massives wird in seiner Zerbrechlichkeit entschleiert. Man nehme nur das Farbspiel in Gitti Schneiders luftigem Werk auf durchlässigem Papier. Eine Installation von nacheinander angereihten Flaschen, die mal auf stabilen Boden stehen, dann wieder umgekippt sind, bringen das, was unter „Safe_Crash“ gemeint ist, dann am Beispiel ein und desselben Gegenstandes auf den Punkt. Mittendrin schweift der Blick auf Fotografien mit massiv anmutendem Haus in der Bildmitte, kontrastiert durch ein Gerüst im Vordergrund. Weil die alleinige Anwesenheit von etwas Fragilem plötzlich die gesamte, als logisch angenommene Unerschütterlichkeit hinterfragen und zum Beben bringen kann.

Abgerissene Häuser sind dann auch das Stichwort der Schau, weil sich diese eben ganz gut auf Gemütszustände rund um Unsicherheit übertragen lassen – man beachte nur die eigenen Erfahrungen rund um die Covid-Pandemie und Kriegsrealität in der Ukraine. Im Raum selbst erhebt sich zu diesem Zwecke ein prägnant emporragendes Baugerüst, das mit der Höhe des Rittersaales spielt und wie ein Bruch mit dem mittelalterlichen Raum selbst fungiert, wiewohl es zeitgleich auf Balken, Giebel und Strebewerk Bezug nimmt und sich nicht zuletzt an diesen widersprüchlichen Kontrasten auflädt. Man nimmt sofort die Polarität zwischen dem eisernen Stahl und dem Holz wahr, sich gegenseitig abstoßend, doch auch anziehend. Nicht nur haben solche Gerüste etwas Stützendes, sie sind auch wackelig, fragil und geben nur vordergründig Halt– man muss Angst haben das einem nicht am Ende etwas auf den Kopf fällt: Werden sie zur Restaurierung alter Gebäude eingesetzt, beinhalten sie neben dem Moment der Wiederherstellung und Erneuerung des Baufälligen immer auch die Unsicherheit, jederzeit selbst einstürzen zu können. Diese Konstruktion bildet so quasi das gedankliche Gerüst, mit, auf und um dem herum die Werke der Künstler:innen in Dialog treten können. Auf der Konstruktion selbst sind auch Siebdrücke, Fotografien und Bildschirme montiert, die dann in den Raum ausgreifen und erfahrbar werden, weil sie unsere Realität widerspiegeln. Sie zeigen, dass alle Sicherheit auf brüchigem, weil losem Fundament gebaut ist. Sehnt sich nicht jede:r nach dieser Geborgenheit, die es eigentlich gar nicht gibt? Spielerisch geht die Schau gesellschaftsrelevanten Fragen nach, doch in diesem Falle mit einer leicht verdaulichen Lockerheit, die, nimmt man nochmals das Beispiel der leeren Flaschen, bei genauerem Hinsehen all die Schwere und Ambivalenz nicht ausklammern wollen, es gar nicht können.
Die Galerie Im Vektor, die seit 2020 in der heutigen Form existiert, ist Raumspielereien zugeneigt. Die hohen Räume der Rittersäle im Erdgeschoss mit Giebeln und Strebewerk wie auch der diesmal aufgrund der Kongruenz und Schlüssigkeit nicht bespielte Turm der Burg Hasegg lassen Möglichkeiten für Ungewöhnliches jenseits des klassischen Ausstellungsformates zu. In unmittelbarer Nachbarschaft zum von der Hall AG betriebenen Münzmuseum und teil bewusst als Gegenpol zu dieser geschichtsträchtigen Sammlung, verfrachtet Im Vektor die Burg gewissermaßen in zeitgenössische Sphären. Und bringt frischen Wind in die Schlossräume. Wobei sich die Galerie, die von der Versicherungsfirma Steinmayr & Co betrieben wird, nicht alleine auf die Burg Hasegg selbst beschränken möchte: „Wir haben die Galerie in der Burg aufgeschlagen, sehen es jedoch als mobiles Projekt. So gibt es auch einen Raum am Bozner Platz für Kunst und Kultur, sowie wir uns immer auch in Form von Kooperationen auch kreativ bei Veranstaltungen wie der Innsbruck International mit eigenen Ideen und Programmpunkten einbinden. Unter anderem haben wir im letzten Jahr in Kooperation mit der Biennale of Arts im Musikpavillon einen Tag des Tanzes mit Choreographinnen wie Akemi Takeya und Enrique Gasa Valga ausgerichtet“, erzählt die Im Vektor-Kuratorin Maria Köfler, die seit 2018 die Kunst- und Kulturagenten der Firma übernommen hat. Diesen Weg möchte man konsequent weiter gehen: „In den nächsten Jahren soll das Engagement noch stärker in die Organisation von Pop-Up Ausstellungen fließen“, so die Zukunftsperspektive.
| Florian Gucher