Appell an das Zuhören – „Listening closely together“ in Wattens

Die heutige Reizüberflutung macht Ohren taub. Eine neue Veranstaltungsreihe in Wattens unter dem Aufhänger „Listening closely“ will dem entgegensetzen, pocht auf das genaue Zuhören und zeigt sich dazu noch im modischen Gewand. Das vom 17. bis 21. Mai 2023 laufende Festival kreiert neue Hörerlebnisse – und das nicht nur mit Uraufführungen und erstmals gespielten Werken, sondern auch mit Klassikern, darunter Bach, Beethoven, Schubert und Shostakovich.

Festivalgründer Thomas Larcher | Bild: Richard Haughton

Der Grundgedanke ist einfach zu beschreiben: Da wir tagtäglich mit auf optische Wahrnehmung gerichteten Content zugeschüttet werden und das allen anderen Sinnen zusetzt, hat sich der Komponist Thomas Larcher gedacht, man müsse dem etwas entgegensetzen und (klassische) Musik wieder als intensiveres Erlebnis zugänglich machen. Auch weil das von ihm geleitete Kammermusikfestival „Musik im Riesen“ in den Swarovski Kristallwelten nicht mehr auf die Beine gestellt werden konnte, musste eine Alternative her. Und die hat es in sich: Denn daraus entsprang die Idee einer kleinen, aber feinen neuen Reihe mit dem Titel „Listening closely“, die aus dem Schattendasein der Mainstream-Events springen möchte: „Wir wollen mit dem Festival Voraussetzungen schaffen, dass sich Besucher:innen in gut funktionierenden Räumlichkeiten mit spannenden Acts ins Hören versenken können“, betont Thomas Larcher als Programmleiter der Veranstaltungen und seines Zeichens selbst Komponist vornehmlich kammermusikalischer Werke. „Listening closely“ geht dabei dialogisch vor, weil es dem Festival darum geht, Stile, Musiker:innen und Zuhörende miteinander zu verbinden. Nicht überraschend ist daher, dass die Abende einerseits aus Re-Interpretationen barocker und klassischer Klänge bestehen, sich diese dann aber mit zeitgenössischer Musik treffen. Zeitgleich ist es die Intention, in der alten Musik etwas Neues zu entdecken, die dem Festival zugrunde liegt. Sowie Johann Sebastian Bach und Ludwig van Beethoven auf Originalinstrumenten wie einer mit Darmseiten bezogenen Geige und einem historischen Hammerflügel ertönen, treten sie dann in den Dialog mit dem Hier und Jetzt. Mutet es zunächst eigentümlich an, unmittelbar nach Bach zeitgenössische Musik eines Matthias Bartolomey oder Arturo Fuentes zu hören, geht es gerade um diese musikalischen Kontraste. Besucher:innen werden hier nicht berieselt, sondern zum intensiven Lauschen hingeführt. 

Interessant ist dann aber, wie offen und vielfältig sich „Listening closely“ gibt. Insbesondere kostet es schon an Mut, experimentelle Musik eines Arvo Pärt oder György Ligeti spielen zu lassen – letzterer erlangte vor allem durch sein Werk Lux Aeterna Bekanntheit, welches sich allen Regeln der Chormusik widersetzt, sowie Rhythmen völlig auflöst und ins Leere laufen lässt. Im Kontext eines klassischen Festivals ist das durchaus gewagt, gerade weil sich „Listening closely“ nicht auf ein bestimmtes Genre oder eine bestimmte Zielgruppe beschränken möchte. Doch nicht nur in diesem Sinne zeigt sich das Festival progressiv. Dass „Listening closely“ die Fäden bis ins Heute zieht, demonstriert eine eigens für die Veranstaltungsreihe kreiertes Auftragskomposition mit dem Titel Aus dem Nebel heraus von Erwan Borek, einem gebürtiger Tiroler, der nun in Wels lebt und als Shootingstar der jungen österreichischen Musik- und Komponierszene gilt. Dass sein Werk inhaltlich auf den Veranstaltungstitel referiert, ist mehr oder minder einem Zufall zu verdanken, wie er es selbst beschreibt:

„Es ist ein Stück, das mit der dem Gefühl der Stille als atmosphärische Gegebenheit experimentiert. In meinem Heimatort in Wels ist es im Winter bedingt durch einen nahgelegenen Fluss ständig nebelig und es macht sich dadurch eine Stimmung der Ruhe breit, die Aufmerksamkeit auf den Plan ruft. Diese Stimmung wollte ich in ihren unterschiedlichen Facetten klanglich in abwechslungsreichen Passagen zum Ausdruck bringen und in eine Komposition gießen, die, wie viele meiner Werke, mit Elementen des Mysteriösen spielt.“

– Erwan Borek
Komponist Erwan Borek | Bild: EA FOTO

Die Uraufführung dieses achtminütigen Werkes findet am 19. Mai ab 20 Uhr, gespielt von Valerie Fritz (Violincello) und Josef Haller (Piano), im Business Building Brandgut (BBB) Wattens statt. 

Insgesamt will das Festival aber nicht nur musikalisch Grenzen überschreiten. In diesem Sinne sind nicht nur die eingeplanten Gespräche eine Stunde vor dem Konzertbeginn erwähnenswert, die in einigen der Events als selbstverständlicher Teil hinzukommen, um den Dialog zu forcieren. „Listening closely“ möchte letztendlich über die Klangkunst hinaus genreübergreifend werden und flechtet auch andere Kunstgattungen mit ein. So wird es am 20. Mai im ORF Tirol Studio 3 in Innsbruck eine Lesung Christian Ransmayrs aus dem Lyrikband „Unter dem Zuckerhimmel“ mit musikalischer Untermalung von Wolfgang Muthspiel auf der Gitarre und Bildprojektionen des Künstlers Anselm Kiefer geben. Doch auch im Hinblick auf die Auswahl der Räumlichkeiten fällt die Perspektivenvielfalt ins Auge. Mit dabei sind klassische Säle wie die Musikschule Wattens aber auch welche, die konkret den Dialog mit dem Außermusikalischen suchen wie die Beletage über dem Daniels oder der Gasthof Neuwirth. Am Ende ist es die Niederschwelligkeit, die „Listening closely“ ausmacht. Als innovative Musikdarbietung betritt sie alternative Wege abseits des Altbekannten: „Es ist ein Faktum, dass, wenn 1000 Ohren ein Stück im Konzertsaal hören, 500 verschiedene Stücke gehört werden. ´Listening closely‘‘ wird so gesehen zu einer Expedition, zu einer Forschungsreise in die Kunst des Zuhörens“, so Larcher. 

| Florian Gucher

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