Das Beste aus zwei Welten – zum Filmfestival im Waldhüttl

Seit November 2012 schon beherbergt das Waldhüttl in Innsbruck als 61. Vinzenzgemeinschaft in Tirol Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind. Dutzende Heimatlose, Arme und Asylwerber:innen fanden und finden dort ein bisschen Heimat. Gärtner:innen brachten das Umfeld zum Blühen, Besinnungsweg und Friedenskapelle laden zum Nachdenken ein, die Kulturscheune erfüllt das Haus mit Leben. Menschen, die akut ein Bett brauchen, finden sich dort genauso wie jene, die Jahre ihres Lebens an diesem Ort verbringen. Zumeist sind es Menschen aus Rumänien und Ungarn, viele Roma und Romnija, viele Menschen, die hier arbeiten wollen.

Film, Soziales, Kultur und Kunst treffen in diesem Jahr drei Tage lang – von 19. bis 21. Mai 2023 – aufeinander. Das Filmfestival im Waldhüttl, das heuer zum ersten Mal stattfindet, zeigt Filme rund um die Themen Armut, (drohende) Wohnungslosigkeit, Migration und Existenzängste.

Durch den sozialen Schwerpunkt dieses Filmfestivals und dem emotionalen Bezug der beteiligten Menschen soll von einem herkömmlichen Wettbewerb Abstand gehalten werden. Stattdessen werden die gezeigten Filme mit einem Anerkennungszertifikat prämiert. Unter dem Motto „Kultur & Kunst gegen Armut“ wird außerdem ein Rahmenprogramm mit diversen Möglichkeiten zum gesellschaftlichen Austausch angeboten.

Die Menschen, die dort am Rande der Stadt leben, prägen das Innsbrucker Stadtbild. Sie verkaufen den „20er – Die Tiroler Straßenzeitung“, bringen als Straßenmusikant:innen gute Laune oder beleben die Innenstadt mit Pantomime und Straßenkunst. Die Bewohner:innen des Waldhüttls wurden auch von Anfang an bei den Planungen des Festivals miteinbezogen, sie sind sowohl Ideen- und Impulsgeber:innen für das Rahmenprogramm als auch direkt an der Filmauswahl beteiligt.

Eindrücke vom Leben im Waldhüttl | Bild: Waldhüttl

komplex hat mit Matthias Windischer, dem Festivalleiter, und Sarah Milena Rendel, Mitorganisatorin des Filmfestivals, gesprochen.

k: Wie kam es zur Idee, im Waldhüttl ein Filmfestival zu veranstalten? Eigentlich wird der Ort als Zuhause für Roma und Romnija genutzt, oder?

Matthias: Genau, das Waldhüttl gibt es schon seit 10 Jahren und ist als Wohnprojekt gedacht. Die Idee zum Filmfestival entstand deshalb, weil wir das Waldhüttl bekannter machen möchten. Wir wollen einerseits die Kunst und die Kultur zum Waldhüttl bringen, andererseits aber auch den Hausbewohner:innen ermöglichen, Kunst und Kultur kennenzulernen.

Es finden schon lange Veranstaltungen im Waldhüttl statt, aber das Filmfestival gibt es heuer zum ersten Mal. Wir sehen den Film als Werkzeug zur Kommunikation, da man der Sprache nicht unbedingt mächtig sein muss, um zu verstehen. Analphabet:innen oder Menschen, die die jeweilige Sprache nicht sprechen, können durch das Medium Bild kommunizieren.

Sarah: Wir haben das mit einem sehr kleinen Budget auf die Beine gestellt und wir hoffen, dass das in Zukunft höher ausfallen wird, damit es nicht das letzte Mal sein wird, dass das stattfindet. Denn das Waldhüttl soll als Begegnungsort etabliert werden.

k: Welche Chancen könnten sich dadurch für das Waldhüttl oder die dort lebenden Menschen ergeben?

Matthias: Es ist kein klassisches Filmfestival, es gibt keinen roten Teppich und keine Sieger:innenpreise oder ähnliches; alles ist sehr einfach gehalten. Der Ort ist etwas Besonderes, es ist ein umgebauter Bauernhof am Waldesrand, der von den Hausbewohner:innen wieder hergerichtet worden ist. Dieser Ort ladet ein zum Verweilen; es gibt den Gemeinschaftsgarten, es gibt eine Scheune, eine Lagerfeuerstelle, ein Tipi, eine Laube, eine kleine alte Hollywoodschaukel und so weiter. Und es sollte viel Zeit geben für Gespräche und Begegnungen. Die Hausbewohner:innen haben sich bereit erklärt, für die Verpflegung zu sorgen. Der Zugang dazu soll auch Menschen, die kein Geld haben, ermöglicht werden. Daher ist es kostenlos. Natürlich sind wir aber angewiesen auf Spenden; sämtliche Einnahmen nach der Kostendeckung gehen an das Projekt Waldhüttl.

Sarah: Chancen durch Networking im Sinne des Austauschs ergeben sich dadurch natürlich auch. Es gibt ja auch Diskussionsrunden, wo bestimmte Themen behandelt werden sollen. Wir sind auch mit der Initiative Minderheiten in Kontakt für das Festival, genauso sollen aber auch Jam Sessions stattfinden und so weiter. Wir zeigen auch Filme von Regisseur:innen aus dem Iran und unterschiedlichsten anderen Ländern; es wäre sehr schön, wenn die Menschen sich einfach austauschen können. Und das Waldhüttl soll natürlich langfristig gesehen auch noch mehr kulturell belebt werden. Wir würden auch gern Events unter dem Jahr machen und mit unterschiedlichsten anderen Institutionen zusammenarbeiten. Durch den Austausch können natürlich viele Leute zusammenkommen, die gemeinsam weiter streuen können.

k: Warum habt ihr das Thema „Armut“ gewählt?

Matthias: Die Menschen, die das Waldhüttl nicht kennen, sollen verstehen, worum es da drin eigentlich geht. Heimat, Wohnen und Armut sind sicher die Hauptthemen, mit denen sich das Projekt Waldhüttl beschäftigt und das Filmfestival hat ja auch einen Schwerpunkt auf soziale Themen.

k: Habt ihr das Gefühl, dass die Situation rund um diese Thematik sich in Innsbruck und Umgebung in den letzten Jahren verbessert oder verschlimmert hat? Gibt es mehr oder weniger Aufmerksamkeit und Lösungsansätze für die Problematik?

Matthias: Was sich in den letzten zehn Jahren auf jeden Fall verbessert hat, ist der Ruf der Roma und Romnija – sie bemühen sich sehr, in Innsbruck Fuß zu fassen. Gerade die 20er-Verkäufer:innen haben sich Ansehen erkämpft. Aber es gilt zum Thema Wohnen politisch noch viel aufzuklären. Wohnungspreise steigen, Mietpreise steigen – die Armen sind davon natürlich am meisten betroffen. Wir haben dementsprechend 20 Filme aus 10 Ländern von insgesamt über 60 eingereichten Filmen ausgewählt, die mit diesen sozialen Themen zu tun haben.

k: Wie wurden die Filme ausgewählt? Und worauf lag der Fokus bei der Auswahl?

Sarah: Wir haben ein Filmkuratorium, das aus 11 Personen besteht. Wir haben auf einer Plattform Filme gesucht, haben die Einreichungen gesichtet und bewertet und im Team dann entschieden, was zusammenpasst und welche Themen an welchen Tagen im Mittelpunkt stehen sollen.

Lokale Künstler:innen dabei zu haben war uns auch wichtig. Das Programm ist sehr bunt und die für uns wichtigen Themen sind vertreten.

Matthias: Außerdem war uns der Sprachaspekt sehr wichtig –  die Sprache muss in den jeweiligen Filmen wie gesagt so einfach gehalten sein, dass alle Menschen den Film verstehen, auch wenn sie die Sprache nicht gut beherrschen. Deswegen ist auch die Moderation sehr wichtig, die vorab einen Einblick in die Filme geben wird.

k: Der Eröffnungsfilm beschäftigt sich mit dem Waldhüttl selbst. Wurde er extra für das Festival gedreht?

Matthias: Über den Zeitraum von März 2020 bis Oktober 2021 wurde vor Ort gedreht. Wir werden am 19. Mai eine verkürzte Version (34 min) des Filmes sehen, die heißt „Vinzenzgemeinschaft Waldhüttl – Ein zweites Zuhause“. Hier werden das Haus und seine Philosophie erklärt, außerdem wurden die Leute, die damit zu tun haben interviewt, um einen Eindruck des sozialen Projekts zu verschaffen. Unser Partnerfestival IFFI wird dann am 11. Juni die Premiere der Langversion (81 min) zeigen, die den Titel „Mein zweites Haus“ trägt.

Festivalflyer

k: Was sind eure persönlichen Highlights im Programm?

Sarah: Auf den Waldhüttl-Film freue ich mich schon besonders, weil ich es wahnsinnig aufregend finde, einen Film über einen Ort an dem betreffenden Ort selbst zu sehen. Auch wie die Bewohner:innen reagieren, wie das Publikum sich fühlt – sich auf dieser Meta-Ebene zu bewegen, ist etwas sehr Spannendes finde ich. Auf die Kurzfilme freue ich mich auch und auf „ Ružové sny/ Rosy Dreams“, weil in diesem Film anscheinend erstmals eine ernst zunehmende Roma-Figur gezeigt wurde.

Matthias: Ich glaube, am meisten freue ich mich auch auf „Ružové sny/ Rosy Dreams“ – ich bin vor allem auf die Emotionen und Reaktionen der Zuschauer:innen und Hausbewohner:innen gespannt. Außerdem freue ich mich extrem auf die Begegnungen, darauf, zu sehen, wer mit wem ins Gespräch kommt. Wird es zwischen Kulturschaffenden und Hausbewohner:innen Gespräche geben? Zwischen Politiker:innen und Gemeinschaftsgarten-Mithelfenden? Und was können daraus für neue Projekte entstehen? Ich hoffe, dass sich neue Ideen und Initiativen daraus ergeben werden. Es soll ja nicht nur ein einmaliges Flämmchen sein, sondern vielleicht auch unter dem Jahr immer wieder möglich sein, so etwas zu veranstalten.Ich freue mich sehr, dass so viele Freiwillige dabei sind, ohne die würde das ganze Festival ohnehin nicht stattfinden können.

| Sarah Caliciotti

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