Transgression, Ekstase und ganz viel Liebe – Pop meets HEART OF NOISE

Die bereits vierte Veranstaltung der sechsteiligen Diskurseihe „gegen:WART //// es geht bergab“ unter dem Aufhänger „Pop hat (k)ein Problem“ erkundete die Vielfalt von Pop als massenkulturelles Phänomen. Als Warm-Up des Heart of Noise Festival (25.-28.5.23) angelegt, stand dieses Mal ganz die Musik im Fokus der Debatte. Was die Berliner Black-Metal Szene mit Romanos alternativ-fluidem Musikverständnis und das Mental-Health-Konzept mit neuartigen Sounds zu tun hat, wurde dabei nicht nur in einem abwechslungsreichen Talk auf Augenhöhe thematisiert – das Kulturkollektiv ContrApunkt demonstrierte an jenem Abend, wie sich ein Mix aus Theorie und Praxis gegenseitig befruchten kann. Ein Nachbericht vom 12.5.2023 aus der p.m.k.

(v.l.n.r.) Martin Fritz, Romano, Katharina Seidler, Beate Flath, David Prieth | Bild: Ennio Fabro

„Was ist der Unterschied zwischen einem Popstar und einem Terroristen? Mit einem Terroristen kann man verhandeln“, brachte es einst Kult-Ikone Madonna auf den Punkt und nahm sich selbst in die Mangel. Madonnas Aussage ist bezeichnend: Pop ist kein harmloser Kitsch, sondern politisch und bedingungslos. Vor allem ist Pop aber unklar definiert: Laut Populärkulturforschung bezieht sich der Begriff per se auch nicht ausschließlich auf jene uns geläufige Popmusik, die im Radio auf und ab gespielt wird. In einem erweiterten Kontext – das ist wichtig, um die Basis des Phänomens „Pop“ zu verstehen – können auch andere Strömungen wie Rock oder Metal unter den Begriff fallen, sofern sie nur auf eine größere Masse abzielen und kommerzielle Strukturen bedienen. In diesem Sinne ist Pop immer mit den gesellschaftlichen Entwicklungen verschränkt, kann Reaktion oder Antwort darauf sein. Anders gesagt: Weil Pop immer schon Spiegelbild gesellschaftlicher Phänomenewar, die in ihren Überschreitungen gegebene Grenzen ausloten, lässt das, was dort passiert unmittelbare Rückschlüsse auf das soziale Gefüge zu. Mit Blick auf die heutzutage immer größer werdenden Kluften ist die Gefahr natürlich groß, dass auch Provokationen der Massenkultur in die falsche Richtung driften. Grenzüberschreitungen können dann in sexistischen, rechtsextremistischen Statements oder Texten münden, die aufkeimende Feuer der Gesellschaft zum Lodern bringen. Doch wie geht man nun mit Pop als negativer Grenzüberschreitung um? Führt ein erhöhter Grad an Aufmerksamkeit dazu, dass man nur dessen Intentionen bedient, so können andererseits gesellschaftsgefährdende Tendenzen nicht einfach ignoriert und übergangen werden. Diese Zwangslage ist bezeichnend. Wenn Pop schon kein Problem haben sollte, dann allenfalls die Gesellschaft um ihn herum. In diesen Zusammenhang stellt sich aber auch die Frage, wo die Grenzen der Kunst liegen. Was ist noch Kunst, was schon Manipulation und was Propaganda? 

 „Pop hat (k)ein Problem“ berücksichtigte die vielen unterschiedlichen Zugänge zu Pop und versuchte sie in ihrer Breite anklingen zu lassen. Man nehme dazu die Debatten über die problematischen Texte im Hip-Hop, eine vorgeführte Vergewaltigungsszene aus dem Film „Irreversible“, der auf eine Grenzüberschreitung im radikalen Sinne Bezug nimmt oder aber Anspielungen auf zu Sexismus und Gewaltverherrlichung als Beispiele.

Das gewählte Thema sowie die Kooperation dieser Einzelveranstaltung mit dem „Heart of Noise Festival“ und der Workstation Innsbruck ließ bereits vermuten, dass es an jenem Abend vornehmlich um Musik gehen wird. Am Programm standen Live-Acts von Romano und DJ Tessi sowie Diskussionen mit eingeladenen musikaffinen Expert:innen wie der Musikjournalistin Katharina Seidler vom Radiosender FM4 oder Beate Flath, einer Professorin für Eventmanagement der Universität Paderborn, die den Abend musik-lastig, doch nicht minder vielfältig machten. Durch den Abend hindurch führte übrigens mit dem Literaturwissenschaftler Martin Fritz ein absoluter Kenner der Popkultur, der eine Dissertation zum Thema „Systemtheorie, Popkultur und Web 2.0“ verfasste  Immer wieder wurde der Blick auf gesellschaftliche Gefilde per se als Nebenerscheinungen oder Bedingungen popkultureller Phänomene gerichtet. Da die beiden im Radio- und Eventmanagement tätigen Diskutant:innen direkt aus der Praxis kommen, konnten sie das Treiben im Popsektor gewissermaßen von innen beleuchten:

Die Popkultur ist seit jeher geprägt von der Suche nach einem „Mehr“ (mehr Lautstärke, mehr als der blöde Alltag, mehr Sex, mehr trinken, sich mehr trauen, usw.). Wenn aber alle auf harder, better, faster, stronger setzen, muss man sich irgendwann noch was Anderes ausdenken, um aus der Masse hervorzustechen,

so das Statement von Seidler. Beate Flath ging darauf basierend sehr stark auf indiskutable Aussagen im Battle-Rap ein und analysierte sie vor dem Hintergrund bedrohlicher Provokation. Bemerkenswert war dann, wie sehr ineinander verstrickt sich die einzelnen Positionen der Veranstaltungen zum großen Ganzen zusammenfügen konnten.

Romano aka Roman Geike, ein Sänger und Rapper aus Berlin, brachte im Talk persönliche Perspektiven aus dem Ost-Berlin seiner Jugend ein. Er unterstrich Thesen des Eskapismus von Pop, wenn er auf die in die Black-Metal-Szene abgedrifteten Jugendlichen seiner Stadt einging, die in erster Linie eine Nische suchten, um zu verstören und aus ihrem Alltag auszuscheren. Das Beispiel bringt abermals die Gefahr der Popkultur zum Vorschein. Die Jugendlichen glitten in ein rechtes Eck ab, doch nicht, weil sie ideologisch so viel damit zu tun hatten, sondern weil sie sich schlichtweg vom Hype anstecken ließen.

Dass Pop jedoch per se nicht negativ sein muss, zeigten konkrete Beispiele auf, die als Grenzüberschreitungen mit gesellschaftspolitisch relevanten Statements aus der Komfortzone locken möchten. Randthemen können zu begrüßenswerten Trends werden, man denke nur an den heutigen Stellenwert mentaler Gesundheit. Nicht zuletzt ist Romano selbst Prototyp dafür, lässt er doch in seiner Musik unterschiedliche Stile und Genres aufeinanderprallen – vom ehemaligen Drum and Bass DJ und Rapper bis hin zum schlageresken Pop mit Metal-Affinität spielt er geradezu mit Grenzübertritten. Romano zeigte dann in seiner Performance unmittelbar nach dem Talk, in welche Richtung es idealerweise gehen kann. Und das sowohl textlich und inhaltlich als auch der Klangebene mit neuartigen Experimenten. Sein neues, bereits drittes Album „Vulkano Romano“ kreist um die Thematik der Liebe, weil es die Liebe als alternative Grenzüberschreitung alles wieder geradebiegt, was schief hängt.  In diesem Sinne will der deutsche MusikerMenschen verschiedener Szenen und Milieus zusammenbringen und soziale Grenzen in Zeiten von Spaltungen aufbrechen. Romano ist sich sicher, dass die heutige Gesellschaft eine kräftige Portion an Liebe verträgt. Sein Album startet den Versuch und begibt sich dabei in ganz neue musikalische Sphären der Elektroekstase. Was sich fast wie eine Reaktion gegen zu radikale Tendenzen des Pop liest, doch selbst Grenzüberschreitung in einem anderen Sinne ist, spannt ganz gut den Bogen dorthin wo Pop (k)ein Problem hat. Um es mit den Worten Romanos zu sagen: „Die Leute brauchen jetzt ein bisschen Wärme, wie abends eine heiße Wanne.“ 

| Florian Gucher

Die nächste Diskussions-Veranstaltung der Reihe gegen:WART findet am 7.6.2023 im aut. architektur und tirol zum Thema „gegen:WART // Extremismus // Fanatisierung im Homeoffice“ statt. 

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