DIAMETRALE 2019 – Short Film Competition

Am Samstag, 13.04. fand das Screening des Kurzfilm-Wettbewerbs der DIAMETRALE im Cinematograph statt. Der Kinosaal war bis auf den letzten Platz gefüllt. Aus über 300 Einsendungen haben die Veranstalter zehn Filme ausgewählt, die ganz im Zeichen der DIAMETRALE 2019, nutzlos und schön, standen. Eine Fachjury wählte den Film BULLET POINTS FOR A REVOLUTION von Tiago Rosa-Rosso als Gewinner des diesjährigen GOLDENEN RAHMEN aus. Diese Entscheidung begründeten sie wie folgt:

„BULLET POINTS FOR A REVOLUTION is kitchen sink revolution at its best. It is a tutorial for the theatrics of being a revolutionary subject. It turns method acting into a shamanistic performance meets modern dance. It offers a revolutionary lesson in countenance, attitude and spirit and their deconstruction by social media templates. Yet, BULLET POINTS FOR A REVOLUTION is also a surprisingly coherent film in which script, acting, mise-en-scene, cinematography and sound complement and reinforce each other and show us what it means to live our contradictions in the 21st century.“ (Christian Quendler)

Bullet-Points-For-A-Revolution

„Bullet Points For A Revolution“ (Filmstill)

 

komplex hat sich mit zwei der Jurymitglieder, Christoph Hinterhuber (Visual Artist, 1969, Tirol) und Christian Quendler (Universitätsprofessor, 1975, Kärnten) unterhalten:

komplex: Nach welchen Kriterien haben Sie die zehn Kurzfilme bewertet?

Christoph Hinterhuber: Ich habe mich gefragt: Welche Idee steht dahinter? Wie ist die Idee umgesetzt worden? Inwieweit gelingt es, in diesen relativ kurzen Filmen, die Idee zu transportieren? Inwiefern ist der Film kohärent? Schließen sich die Bögen innerhalb der Geschichte? Wie ist der schauspielerische Aspekt zu bewerten?
Ich versuche in meiner Beurteilung möglichst komplex zu sein und viele verschiedene Parameter miteinfließen zu lassen. Die wichtigste Frage für mich war aber: Inwieweit fesselt mich der Film?

Christian Quendler: Das Festival selbst gibt natürlich einen Rahmen vor. Für mich geht es aber vor allem darum, was man spürt. Ich versuche jeden Film für sich zu bewerten. Was er aussagen möchte und wie er es macht. Ein Kriterium für mich ist, welche neuen Sinneseindrücke und Gefühle man bekommt, sozusagen das „Neue-Sehen“.
Wir hatten alle unterschiedliche Favoriten. Im Endeffekt haben wir uns für einen Film entschieden, der sehr gut zum Motto des Festivals passt.

k: Gab es verbindende Elemente zwischen den Filmen?

CH: Mir sind Überschneidungen bei den Themen der Filme aufgefallen. Es scheinen Themen zu sein die Leute, die im Experimentalfilm arbeiten, generell beschäftigen.
Symbolismus, Zeitabläufe und Lebensalter, Parallelität, Leben und Tod. Es war auch auffällig, dass die Filme sehr analog waren. In Sachen Kostüme, Settings und Thematik erschienen sie mir wie eine Rückschau. Es gab auch Bezüge auf schon Dagewesenes in der Kunst.

CQ: Keiner der Filme setzt sich mit der Digitalität auseinander, das hat mich sehr gewundert. Der Fokus lag zumeist auf dem Zwischenmenschlichem. Auch Horror-, Slasher und Gothic-Elemente sind bei einigen der Filme sehr präsent. Auf jeden Fall haben die zehn ausgewählten Kurzfilme gut zusammengepasst, was für die Kuratoren der Veranstalter spricht.

k: Was macht für Sie den Experimentalfilm aus?

CH: Anders als in klassischen Erzählfilmen werden im Experimentalfilm mehrere Ebenen vermischt. Es sind oft assoziative und kurze Ausdrucksformen.
Es gibt auch noch Raster von früher die immer noch einen Einfluss haben. Sie sind von Künstlern wie Kurt Kren (österreichischer Filmemacher, 1929-1998) oder Luis Bunuel (spanisch-mexikanischer Filmemacher, 1900-1983) geprägt. Auch sie haben schon versucht mit Verschiebungen in der Erzählstruktur und im Sound und Surrealismus im Film zu arbeiten. Der Experimentalfilm ist einerseits ein Format, andererseits ist es dem Experimentalfilm innewohnend, dass es keine strikten Vorgaben gibt. Es ist ein Labor um Neues im Film auszuprobieren. Gleichzeitig hat er eine lange Tradition.

Q: Was experimentelles Kino vom großen Illusionskino unterscheidet ist, dass die Grenzen zwischen Realität und Illusion flüssig sind. Wir spüren den Austausch zwischen Realität und Kinowelt ganz stark. Er wird spürbar durch Interferenzen und Brüche. Das kann irritieren oder eben zum Lachen bringen. Das Experimentalkino zeigt uns was Kino ist, indem es reduziert, zum Beispiel auf einzelne Bewegungen bis hin zum Flackern. Oder es werden Konventionen so schlecht nachgemacht, dass sie erkennbar werden. Das Experimentalkino ist das wichtigste Kino für das Kino. Obwohl es experimentelles Kino heißt, ist es oft kein blinder Versuch. Es ist oftmals sehr überlegt theorielastig.

k: Gibt es heutzutage viel Raum für das experimentelle Kino?

CH: Ich glaube, es wird das Format des Experimentalfilms immer geben, weil es immer Menschen geben wird, die sich mit Möglichkeiten auseinandersetzen. Die versuchen etwas draufzusetzen. Ich glaube auch, dass es heutzutage auf allen schöpferischen Ebenen so viel gibt wie noch nie. Kunst, Film, Sound. Die Produktionsmittel haben sich demokratisiert. Jeder der einen Computer besitzt kann eigentlich schon los starten.
Es ist aber andererseits schwierig, weil alles kapitalisiert ist. Die Kohärenz geht verloren. Eine Marvel-Produktion und ein Untergrund – Experimentalfilm haben kaum noch etwas miteinander zu tun. Sobald aber kritische und subversive Filme ein gewisses Niveau haben und erfolgreich sind, werden sie vereinnahmt. Die experimentellen Strategien finden wir dann plötzlich in Großproduktionen.

CQ: Ich glaube es gibt viel Raum. Früher hat man Kunst eher in Sparten gedacht. Avantgarde Filme verband und verbindet man noch heute mit Ö1 Sendungen um Mitternacht. Aber ich glaube, dass Experimentelles mittlerweile in weiten Bereichen gegenwertig ist, sei es in der Werbung oder in der Popkultur. Alles ist fließender. Darum ist Experimentelles auf der audiovisuellen Ebene zwar sehr präsent aber für viele nicht wirklich sichtbar.
Experimentalfilme sind keine Blockbuster. Ich glaube aber, dass es durchaus ein Bedürfnis gibt sich solche Filme anzusehen. Ein Grund dafür ist, später darüber reden zu können. Es ist eine Art dialogisches Kino.

k: Was sagen Sie Menschen, die experimentelle Filme mit dem Satz: „Das verstehe ich nicht.“ ablehnen?

CH: Verstehen wird überbewertet.  Man sollte versuchen etwas einfach mal hinzunehmen. Außerdem ist ein Film kein theoretischer Text. Es ist ein synthetisches Medium. Es gibt verschieden Möglichkeiten des Zugangs, die eine Art von Verständnis zulassen.

CQ: Wenn man den Dingen, die man nicht versteht die Berechtigung abstreitet, dann reduziert sich die Welt schon radikal. Bevor man sich zu sehr auf das Verständnis versteift, sollt man sich überlegen: Was macht der Film mit mir? Wie fühle ich mich dabei? Wie reagiert mein Körper? Experimentelle Filme lösen Gefühle aus, die wir nicht kennen und vielleicht auch nicht mögen. Sie können uns aber bereichern.
Sich zu sehr auf das Verständnis zu konzentrieren kann Angst machen. Wenn man etwas nicht versteht fühlt man sich dumm. Das projiziert man dann auf den Film.
Ich sage meinen Studenten, dass das Nicht-Verstehen bei Experimentellen Filmen schon 50% der Interpretation ist.

k: Humor ist im Alltag besonders im Umgang mit unangenehme Dinge und heiklen Themen wichtig. Der Experimentalfilm hat kaum Schamgefühle. Bei der DIAMETRALE verbündet sich der Experimentalfilm mit dem Humor. Wie funktioniert dieses Bündnis?

CH: Humor in der Kunst ist möglich aber nicht essentiell. Es gibt natürlich Leute die sich darauf fokussieren. Das kann aber schwierig sein. Zum Beispiel, dann wenn bei einem Sammelkatalog 100 Jokes aufeinander folgen. Ich persönlich mag es gern, wenn jemand mit Humor arbeitet. Für mich heißt das, dass das Welterklärungsmodell, das oft mitgeliefert wird, mit einem Augenzwinkern versehen ist. Humor ist auch publikumswirksam, wie man am Beispiel Erwin Wurm sieht. Humor sinkt die Eingangsschwelle von Kunst und macht sie zugänglicher.

CQ: Experimentelles Kino und Humor verbindet ein wichtiger Aspekt und zwar, dass sie nicht legitimiert werden müssen.
Das große Dilemma des experimentellen Kinos ist, dass es alles darf aber keiner es will. Humor kann da vielleicht helfen.

k: Darf experimentelles Kino alles oder muss es sich politisch korrekt verhalten?

CH: Manche Aspekte der Political Correctness sind mittlerweile schon selbstverständlich. Zum Beispiel, dass man in der Sprache Rücksicht auf andere nimmt.
Jede Grenze darf nicht überschritten werden. Aber es sollte natürlich möglichst offen sein. Ich habe bei den 10 ausgewählten Filmen des Kurzfilm-Wettbewerbs nicht das Gefühlt gehabt, dass sie irgendwie gehemmt sind oder auf irgendeinen Kodex Rücksicht nehmen. Es war aber auch kein Film dabei, der mit dem Feuer spielt. Sie beziehen sich auch nicht konkret auf tagespolitische Themen. Die Aussagen der Filme sind sehr verschlüsselt und dadurch bekommen sie ein allgemeineres Niveau. Mir gefällt das gut, weil so allgemeine Dinge von grundlegender menschlicher Interesse thematisiert werden. Wenn man sich zu stark an Tagespolitik bindet, wird das Werk zu einem Zeitdokument. Es erschöpft sich schnell und wird uninteressant.

CQ: Politische Korrektheit im guten Sinn ist ja erstmal Bewusstsein schaffen. Sich bewusst machen: Welche Worte verwende ich und wo kommen sie her. Es ist kein tabuisieren von Dingen. Tabuthemen aufzugreifen und transgressive Dinge zu sagen, um sie dann in einem Freiraum zu reflektieren, ist aber sicher ein Vorzug von künstlerischen Räumen. Dieser gesellschaftliche Raum ist wichtig, wobei man auch hier die Grenzen erkennen muss.

JH

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