Ehrlichkeit und Authentizität stehen immer mit ihr auf der Bühne: Michèle Jost verkörperte schon viele Figuren und blieb doch immer sie selbst. Vergangenen Monat war sie im BRUX zu sehen. Am 15. Mai tritt sie im Innsbrucker Kellertheater ins Rampenlicht.

Michèle Jost (Foto: Christina Vettorazzi)
Hinter der Eingangstür des Theatersaals warten besetzte Stühle und freie Hocker. Vier Hocker, um genau zu sein, deren Beine mit verschiedenfarbigen Klebebändern umwickelt sind. Einer trägt die Farbe der Liebe, rot. Einer ist gelb wie die Eifersucht. Einer ist blau wie die Treue und einer ist weiß, wie die Reinheit höchstpersönlich. Auch die vier Darstellerinnen kleiden sich in diese Farben. Michèle Jost steht als reine Depression auf der Bühne. Sie trägt dem Publikum den sehnlichsten Wunsch ihrer bleichen Figur vor: den Tod.
Fast einen Monat später steht sie im Proberaum vom Innsbrucker Kellertheater. Es ist 16 Uhr. In zwei Stunden beginnen, wie üblich, die Proben für das neue Stück „Showtime!“. Das musikalische und kabarettistische Theaterstück soll die traditionellen Samstagabend-Shows wiederbeleben. Die Premiere findet am 15. Mai statt. „Mehr darf ich nicht verraten“, gesteht Michèle lächelnd. Ihre Vorfreude ist groß. Schließlich war sie schon immer musikalisch und wollte ursprünglich auch im Bereich des Musicals arbeiten. Zwei linke Füße verhinderten das. Vom Kunstbetrieb konnte sie das jedoch nicht abbringen. Seit März 2017 hat sie als freischaffende Künstlerin den Weg in die Selbstständigkeit gewagt. Ihre Tätigkeitsbereiche sind Schauspiel, Regie und Lesungen. Das Marketing läuft über Empfehlungen und Entdeckungen. „Das wichtigste ist die Präsenz“, erklärt die gebürtige Innsbruckerin. So wurde sie durch Lesungen am Weihnachtsmarkt auf der Nordkette für das Stück „Die kleine Hexe“, das im Audioversum spielte, empfohlen. Doch fordert diese ständige Anwesenheit in der Tiroler Kunstbranche auch Opfer. „Das Privatleben bleibt häufig auf der Strecke“, sagt Michèle und fügt sogleich hinzu: „Aber das ist es wert!“ Sie liebt ihren Beruf und steht für diesen gerne am frühen Morgen auf. Bei Kaffee und Zigarette beginnt dann die Textwiederholung. Anschließend startet die erste Probephase. Am Nachmittag nimmt sie sich Zeit für Termine, weitere Proben oder eine Schicht im Büro der Innsbrucker Filmproduktionsfirma stubnhocker. Um 18 Uhr beginnt die zweite Probephase. Danach folgen entweder weitere Arbeitsstunden oder ein entspannter Abend vor dem Fernseher.
Dass gerade die erholsamen Zeiten wichtig sind, hat Michèle durch die Arbeit mit der Regisseurin Sarah Milena Rendel erkannt. Bereits bei der Vorbereitungsphase merkte Michèle, dass sie sich mit dem Text des Stücks „Kannst du mir die Zeit töten?“ identifizieren konnte. Seither versucht sie, entspannter zu sein und mehr Ruhe in ihr Leben zu integrieren, obwohl Stress durchaus ihr Antrieb ist. „Wenn Stress aufkommt, funktioniere ich richtig“, sagt sie. Das war schon in ihrer Jugend so, als sie noch als Kellnerin arbeitete. Die Schauspielausbildung nahm sie erst im Alter von 24 Jahren auf und das obwohl die staatliche Prüfung normalerweise niemanden zulässt, der dieses Alter überschreitet. „Es heißt, man kann Menschen danach nicht mehr richtig formen“, erklärt die heute 34-Jährige. Die Frage, die sie sich dabei jedoch stellt ist, inwiefern das überhaupt möglich ist. „Schau mich an. Ich bin keine Julia und werde auch niemals eine Julia spielen“, sagt Michèle. Sie findet es wichtig, sich weder im alltäglichen Leben noch im Theater zu verstellen. Jede Rolle ist auch ein Teil von ihr selbst. Das macht für sie das Schauspiel aus. Dort kann sie Vielfalt leben und trotzdem ehrlich sein, denn: „Du kannst alles sein, was du bist!“
CV
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