DIE FARBE DES GRANATAPFELS: lebende Bilder auf Leinwand – eine Empfehlung

Morgen wird im Rahmen der PREMIERENTAGE – Festival für zeitgenössische Kunst der Film Die Farbe des Granatapfels (Նռան գույնը / Nran Guyne) im Cinematograph Innsbruck gezeigt. Gedreht wurde der kunstvolle Farbfilm 1969 in der UdSSR vom Regisseur Sergei Parajanov. Wie es die unvergleichbare Schrift des Originaltitels andeutet, handelt es sich um eine armenische Produktion. Organisiert wird die Vorführung von der DIAMETRALE – Filmfestival für Experimentelles und Komisches. Was den Film so besonders macht und warum ihr euch dieses Kinoereignis nicht entgehen lassen solltet, in diesem Beitrag. 

Ja, es war tatsächlich Lady Gaga, durch die ich vor einiger Zeit auf den Film Die Farbe des Granatapfels aufmerksam wurde. Eher zufällig bin ich durch einen Beitrag im Internet über ihr Musikvideo „911“ gestolpert. Musikalisch nicht gerade mein Geschmack, aber die ästhetischen Farbkombinationen und surreal-schrägen Bilder im Video waren schon faszinierend (bis zur Minute 3:33, ab da panische Schreie die Stimmung zer-/verstörten und es mich etwas überforderte). Offiziell als „Short Film“ bezeichnet, schaffte die Popsängerin mit diesem filmischen Remake ein Tribut an den Regisseur Sergei Parajanov und dessen surrealistischen Kunstfilm – das habe ich auch in jenem Beitrag im Internet gelesen und mich daraufhin gleich auf die Suche nach der originalen Version des Films gemacht…  

Die Farbe des Granatapfels schaut sich wie ein Gedicht, das anstatt mit Worten und Dialogen visuelle metaphorische Bilder zu entschlüsseln gibt. Gesprochen wird kaum, manchmal aber gesungen und gebetet. Aufgeteilt in acht Verse/Kapitel werden in armenischer Schrift (mit Untertitel versehen) poetische Zwischenüberschriften eingeblendet, die auf Tiefgründigkeit der Botschaften hindeuten und verschiedene Interpretationen zulassen. Auch wenn die Darstellung sehr offen und konfus wirken mag, liegt dennoch eine bestimmte Narration dahinter: Parajanov zeichnet mit seinem Film die Biografie des armenischen Musikers und Poeten Sayat Nova, der im 18. Jahrhundert lebte. Getragen wird die Narration von christlich-orthodoxer Symbolik und Elementen traditioneller armenischer Kultur. Es ist eine filmische Erzählung vom Kindsein zum Alter, von der Geburt zum Tode, die darüber hinaus Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Ganzen stellt – Fragen, die seit jeher zentral in unterschiedlichsten Kulturen und Religionen der Welt erscheinen und bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben.

Filmstill Die Farbe des Granatapfels, Sergei Parajanov, 1969

So wie ein komplexes Gedicht lässt sich dieser außergewöhnlich künstlerische Film wieder und wieder schauen, lesen und interpretieren. Auch wenn es sein kann, dass man zwischendurch aufgrund des hypnotisierenden Effekts der Bilder und Geräusche abschweift, wird der Film nicht langweilig und gibt jedes Mal aufs Neue Details zu erkennen, die man auf wundersame Weise vorher noch nicht gesehen hat. Der Zauberei ähnlich erscheinen und verschwinden die Figuren und Gegenstände von der Oberfläche des Films, für diesen der Regisseur auf analoge und einfache Weise mit Tricks arbeitet. Dabei bedient er sich einer Technik, die an „tableau vivants“ (lebende Bilder) in der bildenden Kunst erinnert. Mit den lebendigen Darsteller:innen, zu denen auch Tiere gehören, werden künstlerische, Gemälde-ähnliche, Bilder präsentiert – kurz starr, dann in Bewegung, bis sie am Ende außeinander fallen. 

Die Farbe des Granatapfels ist tatsächlich ein ästhetischer Genuss – für Cineast:innen sowieso, aber auch für alle, die sich zwischendurch gerne in eine zauberhafte Welt begeben und in magischen Bildern versinken. Ein universelles Verstehen steht nicht an erster Stelle, vielmehr die eigene subjektive Wahrnehmung. Somit ist die Vorführung bei den Premierentagen an richtiger Stelle gelandet, wo der zeitlose armenische Filmklassiker zwischen Gegenwartskunst frei zur Interpretation steht. Wer Zeit hat, sollte sich diese Vorführung im Kino nicht entgehen lassen, insbesondere, weil dieser Kunstfilm auf großer Leinwand bestimmt ein selten zu sehen bekommendes Ereignis ist. Und das auch noch bei freiem Eintritt.

(…falls jemand nun auch auf die Lady Gaga-Version neugierig geworden ist)

| Brigitte Egger

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